Alle politischen Bewegungen, die auf wirkliche und nachhaltige Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse abzielen, sehen sich mit dem Spannungsverhältnis von Nah- und Fernziel konfrontiert. Die radikale Linke arbeitet sich an dieser Dialektik spätestens seit Rosa Luxemburgs vieldiskutiertem Grundlagenartikel über Karl Marx (erschienen im März 1903) ab und zwar traditionell so, daß es zu Friktionen und Abspaltungen kommt.
Dennoch hat sie einerseits einen Wissensvorsprung, insofern sie auf einen Fundus entsprechender Reflexionen bauen kann. Andererseits hat ihr weltanschaulicher Antipode, die politische Rechte, wie so oft in diesen Tagen, einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Sie kann auch in diesem so elementaren Kontext von vorn beginnen, ohne über Jahrzehnte verhärtete Frontlinien, doktrinäre »Wahrheiten« und ideologische Reibereien mit sich tragen zu müssen, die auf der Linken Legion sind und das Beschreiten oder auch nur bloße Erwägen neuer Wege naturgemäß erschweren.
Bei den Rechten, im Bereich des konservativen Lagers im speziellen, dominierte lange ein traditioneller Standpunkt, der, grosso modo und in verschiedenen Abstufungen auftretend, von reaktiven Zügen gekennzeichnet war und im großen und ganzen vorsah, daß man existierende Dinge bewahren müsse, Entwicklungen, die man nicht stoppen könne, zumindest verzögern sollte, daß man ferner danach strebte, grundsätzliche gesellschaftliche Prozesse zu verlangsamen oder zu korrigieren, aber sie nicht fundamental in Frage zu stellen, weil man sich sonst – je nach Intensität der allfälligen Kritik – dem Verdacht des utopischen Denkens, des Radikalismus, der scharfen »Links«- oder aber »Rechtsabweichung« ausgesetzt hätte.
Dieser reaktiv-konservative Grundimpuls ist statthaft und nachvollziehbar in »normalen« Zeiten. Indes, in solchen leben wir nicht. Mit Verlangsamung und Behutsamkeit, Sachlichkeit und nüchterner Beobachtung bei moderaten Korrekturvorschlägen wurde noch keine einschneidende und multiple Krisensituation (und in einer solchen leben wir, allen Beschwichtigungen der politischen Klasse zum Trotz, seit Jahren) analysiert, geschweige denn ansatzweise gelöst.
Nötig ist nun, so die These, die »Dialektik von Nah- und Fernziel« (Frigga Haug) von rechts ins Visier zu nehmen, um schrittweise das Grundgerüst einer weltanschaulichen Positionierung zu erarbeiten, das die vermeintlich und tatsächlich widerstreitenden Elemente aus Meta- und Realpolitik, Revolution und Reform, Fundamentalopposition und Regierungsalternative (etc. pp.) nicht einem Entweder-Oder aussetzt, sondern in einen größeren Zusammenhang stellt, der dann als Ausgangsbasis für anzustrebende wirkmächtige Veränderungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik dienen kann. Dabei bietet es sich an, zunächst zu den Ursprüngen der Diskussion zu blicken. Rosa Luxemburg griff Anfang des 20. Jahrhunderts die Formel der »Revolutionären Realpolitik« auf.
Die damals bereits vollzogene Spaltung der Arbeiterbewegung in ein reformistisch-parlamentarisches Lager auf der einen und in ein revolutionäres Spektrum auf der anderen Seite wollte sie mit dem nur scheinbaren Paradoxon der revolutionär-realpolitischen Synthese aufheben. Realpolitik bei Luxemburg meint »bürgerliche« Politik, die das Machbare in den Fokus stellt, also sich in der Wahl der Mittel und der Ziele für defensive und »realistische« Ansätze entscheidet.
Demgegenüber plaziert sie revolutionäre Politik im Sinne Marxens als »sozialistische Politik«, die ein- schneidende Veränderungen herbeiführen will, um am Ende der Bemühungen die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend neu zu gestalten. Luxemburg stellt sich gegen Auffassungen der reformistischen Sozialdemokratie (um Kautsky, Bernstein etc.), qua Wahlen die gerechte Gesellschaft jenseits des Kapitalismus zu erreichen, positioniert sich aber zu- gleich gegen reine, gewissermaßen machiavellistische Revolutionsapostel. (Es ist dies, nebenbei, Ansatz für eine Konfliktlinie, die Luxemburg einige Jahre später in Widerspruch zu Lenins Bolschewiki bringen wird.)
Mit entscheidend für Luxemburgs wesentliches Verständnis notwendiger revolutionärer Realpolitik ist ihre von Marx übernommene Auffassung, daß das Neue im Alten entstünde, daß also die anzustrebende sozialistische Perspektive in nuce bereits im Kapitalismus angelegt sei.
Die einzelnen Schritte (realpolitischer Natur) sind auf der Ebene der bestehenden Verhältnisse möglich, doch die Perspektive, das Fernziel also, gilt einem neuen, einem revolutionären Zustand, der dann die bisherigen Verhältnisse überwunden haben wird. Die revolutionäre Realpolitik à la Lu- xemburg will also zunächst zeigen, daß die Zustände veränderbar sind. Danach kann diese Widerlegung der Alternativlosigkeit im Kleinen auf das Große (das Fernziel) übertragen werden.
Luxemburg wandte sich an ihr Lager, wollte aber Veränderungen für das gesamte Volk. Zwei Aufgaben wies sie dabei den Volksvertretern in Form sozialdemokratischer Parlamentarier zu: Erstens sollten die Mandatsträger die bürgerliche Verfassung als Errungenschaft vor deren Gegnern schützen, etwa im Bereich von Freiheiten und Garantien für den Einzelnen.
Zweitens sollten die Abgeordneten parlamentarische Arbeit leisten und für spürbare Verbesserungen im Alltag der Menschen streiten, ohne dabei aber zu vergessen, daß die letztlich ausschlaggebenden und richtungsweisenden Perspektiven woanders durchgesetzt werden. Luxemburg sieht das Parlament eher als Werbeplattform für eigene Ideen und Entwürfe: Man hat ein Podium, um dem Volk zu zeigen, welche alternativen Vorstellungen man formuliert.
Hier sei es erforderlich, von allzu großen Versprechungen ans Wahlvolk Abstand zu nehmen; die offenkundige Nichterreichbarkeit eventueller Versprechungen würde die Menschen resignieren lassen, was einer Abwendung von Politik gleichkäme. Das Spannungsverhältnis besteht hierbei gerade darin, daß man gleichzeitig sehr wohl dem Volk veranschaulichen und belegen muß, daß seine Probleme und Erwartungen bei einem selbst richtig aufgehoben sind.
Rosa Luxemburg skizziert zudem nichts anderes als die erste Vorstufe der späteren Vorstellung einer vielfältigen »Mosaik«-Linken (oder
‑Rechten, vgl. Sezession 77). Denn ihr Verweis auf die Mannigfaltigkeit gesellschaftlicher Kämpfe ist die Betonung dessen, daß das Parlamentarische für eine auf Veränderung drängende Bewegung nur ein Bestandteil der politischen Arbeit sein kann. Ein weiterer ist das mediale Ringen, wiederum ein anderer das immense außerparlamentarische Feld – insbesondere auf der Straße.
So spezifisch Luxemburg argumentierte, und so sehr sie auch das Sozialistische ihrer Zeit im Blick hatte, ist – nicht zuletzt im Hinblick auf die Notwendigkeit pluraler Kämpfe – zu konstatieren, daß relevante Aspekte ihrer revolutionär-realpolitischen Überlegungen für die politische Rechte der Gegenwart höchst bedeutsam sind. Erst recht, seitdem mit der AfD eine Partei in den Bundestag einzog, die mehr als nur das Potential dazu hat, die zentrale Wahlformation der Mosaik- Rechten in Deutschland abzugeben.
In bezug auf Luxemburgs Skizze »Revolutionärer Realpolitik« und der Nutzbarmachung ebenjener Konzeption durch die politische Rechte gilt es nun, mehrere unterschiedliche Aspekte zu betrachten, in einen Zusammenhang zu stellen und mögliche naheliegende Schlußfolgerungen zu ziehen.
1.) Die Luxemburgsche Dialektik aus Nah- und Fernziel besteht auch für die heterogene Rechte unserer
Das Nahziel ist strömungsübergreifend: das Ende der Merkel-Politik, die belanglos anders wäre, wäre es eine Schäuble‑, Schulz- oder gar Lindner- Politik; das Ende des führenden linksliberalen Blocks in Medien und Gesellschaft und das Rückführen dieser – gemessen am Gesamtvolk – ideologischen Splittergruppe auf ein gesundes Maß; das Ende einer Politik, die weder sozial noch gerecht, weder freiheitlich noch nachhaltig, weder gut für Deutschland noch für Europa ist.
Das Fernziel, und darüber ließe sich (in Zukunft) freilich noch trefflich streiten, ist, im besten Falle strömungsübergreifend, eine Gesellschaftsordnung, in der soziale Gerechtigkeit und Staatsbewußtsein, Recht und Gesetz, Verantwortlichkeit und Solidarität (wieder) hergestellt sind und die politische Kaste, die seit Jahrzehnten miserable Ergebnisse produziert, aus ihrer Pflicht gegenüber Staat und Nation, der sie von links bis bürgerlich rechts nicht gerecht werden kann, entlassen wird.
2.) Die Luxemburgsche Aufgabendopplung für Mandatsträger – Schutz der verfassungsgemäßen Rechte für das Volk einerseits, realistische Analyse der Lageverhältnisse im Parlament bezüglich dessen Grenzen und Möglichkeiten andererseits – ist nach wie vor gültig.
Der Aspekt der Verfassung ist (fast) selbsterklärend. Ausgerechnet AfD und metapolitische Rechte, denen beständig und meist ohne tiefschürfende Argumentation vorgeworfen wird, »verfassungsfeindlich« zu agieren, sind, weltanschaulich betrachtet und konkret in bezug auf die bundesdeutsche Lage gedacht, die potentiell besten Verfassungsschützer. Es ist eine mühsame und bisweilen ärgerliche, doch zwingend notwendige Sisyphusarbeit, mit Fakten zu untermauern, daß Recht und Gesetz, zumal Grundgesetz, nicht durch die politische Rechte, sondern durch ihre Gegenspieler in Regierung, Medien und »Zivilgesellschaft« mißachtet werden. Diese Arbeit gilt es weiter zu führen.
Heikler ist der zweite Aspekt der Luxemburgschen Aufgabenskizze, der sich zudem weiter ausdifferenzieren läßt. Zunächst ist es, und das sagt sich leichter als getan, eminent wichtig, daß die gewählten und mit- hin euphorischen Mandatsträger der AfD in bezug auf die Wirkmacht des Parlaments realistisch bleiben. Souverän im Zeitalter des Neoliberalismus ist, wer über Geld und Netzwerke verfügt. Das Parlament ist durch ökonomische Verhältnisse und die Omnipotenz des finanzialisierten Kapitalismus der Gegenwart in seiner Wirkmächtigkeit eingeschränkt. Das gilt es zu analysieren und, mehr noch, als Grundregel zu verinnerlichen.
3.) Die Mannigfaltigkeit gesellschaftlicher Kämpfe, die von Luxemburg (und später insbesondere von Gramsci) angeschnitten wurde, betrifft die Rechte, insofern sie gesellschaftlich (noch) marginalisiert ist, heute mehr als andere politische Lager.
Bedeutsam für die AfD-Parlamentarier ist, sich dessen bewußt zu werden (oder zu bleiben), daß eine Bundestagsfraktion und, früher oder später, 16 Landtagsfraktionen alleine kein Land erneuern können. Dieser Gestaltungsanspruch kann nur formuliert und beherzigt werden, wenn die Mosaik-Struktur des kämpferisch-konservativen Lagers gewahrt und weiterentwickelt wird, wenn man an verschiedenen Stellen für grundlegende Veränderungen streitet.
Meta- und Parteipolitik, Publizistik und Parlamentarismus, Demonstrationen und Parteiversammlungen sind keine dichotomischen Gegensätze, sondern unterschiedliche Gestaltungsräume oppositioneller Kärrnerarbeit mit dafür unterschiedlich notwendigen Charaktereigenschaften, Stärken, Leidenschaften, Interessen etc. Not- wendig ist in jedem Falle überwiegende inhaltliche Kongruenz bei Nah- und Fernzielen.
4.) Rosa Luxemburg war bei allem Reflexionsvermögen und intellektueller Neugierde stets unversöhnlich mit den herrschenden Verhältnissen, die sie dazu brachten, ihr Leben in den Dienst einer ihnen entgegengesetzten Sache zu stellen.
Auch für die AfD und ihr Umfeld ist das Prinzip der Unversöhnlichkeit mit jenen Akteuren, die für den Ist-Zustand Deutschlands – ökonomisch, politisch, geistig – wesentlich Verantwortung tragen, von anspornender Bedeutung. Sie müssen sich ändern und ihren Kurs vollständig neu aus- richten – nicht die politischen Herausforderer von rechts. Angesichts der existentiellen Krise, in der sich Deutschland und Europa aufgrund der Mißwirtschaft des politischen, gesellschaftlichen und medialen Establishments befindet, muß sich hierbei bei ebendiesem für nichts entschuldigt werden.
Wenn eine Kraft der Opposition sich anschmiegt und ihre Forderungen abschwächt, erntet sie keinen Dank des Parteienkartells. Stets droht eine fortwährende und sich selbst austarierende »Hegemonie durch Neutralisierung«. Antonio Gramsci beschrieb mit ihr eine Situation, in der sich der Mainstream oppositionelle Forderungen einverleibt, um subversives Potential zu neutralisieren. Genau das droht, wenn die CSU ankündigt, die rechte Flanke zu schließen und erste AfD-Abgeordnete voreilig von Wunschkoalitionen mit einer Union-minus-Merkel träumen. Hier ist weltanschauliche Wachsamkeit gefragt.
5. Luxemburg hat, wie jeder Kopf der (radikalen) Linken, die eigene Weltanschauung insbesondere publizistisch in der Auseinandersetzung mit ideologischen Konkurrenten des eigenen Lagers Das läßt sich auch rechts nicht vermeiden.
Wichtig ist in diesem Kontext: Eine Absage an journalistische Souffleure, die immer wieder an ihrem – lediglich bürgerlich-»realpolitisch« ummantelten – Versuch scheitern, aus der AfD eine CDU/CSU der 1980er Jahre zu machen, und doch belehrungsresistent immer wieder aufs Neue beginnen, ihre Spielchen zu spielen, die die Existenz der AfD sowie, aufgrund deren quantitativ wie qualitativ steigender Optionen auch jenseits der Parlamente, des gesamten wahrhaft oppositionellen Lagers gefährden.
Wichtig ist weiterhin, den Angriff auf Charaktere wie Petry und Pretzell samt (nun von ihnen abgewendeten oder noch opportunistisch wartenden) Einflüsterern nicht mit einem Angriff auf den »gemäßigten« Flügel mißzuverstehen. Die AfD muß verschiedene Lager vereinen, deren weltanschauliche Positionierungen mitunter stark voneinander abweichen können. Haltung und Anstand gegenüber der eigenen Partei und den eigenen Sympathisanten und Wählern sind – mehr noch als weltanschauliche Differenzen – zunächst das Entscheidende, nicht die mitunter von außen geschürte oder in ihrer Bedeutung überzeichnete Trennung in Realpolitiker versus Fundamentaloppositionelle.
Eine Trennung, die im Kontext der zu erarbeitenden »Revolutionären Realpolitik« ohnehin – im Sinne der sukzessiven, realistischen Veränderung der Verhältnisse mit Blick auf die langfristige große Veränderung des Bestehenden – aufgehoben werden soll.
6.) Den Anspruch, als Fernziel ein »anderes Deutschland« zu bauen, sollte man nicht aufgrund von Rücksicht aufs großbürgerliche Zentrum preisgeben, das nicht selten eine »extreme Mitte« des Neoliberalismus abbildet und ohnehin seit Dezennien völlig faktenresistent Sozial- und Christdemokraten ihr Treiben ermöglicht.
Das Streben nach einem anderen Deutschland trifft den Nerv all der Unzufriedenen und »Prekären«, die das Rückgrat des AfD-Erfolgs stellen. Denn die AfD ist eine Partei, die neben den bereits Überzeugten Millionen Nichtwähler und enttäuschte Anhänger anderer Parteien für sich mobilisieren kann.
Nach Daten von Infratest Dimap und der Forschungsgruppe Wahlen im Nachgang zur Bundestagswahl 2017 sind 80 Prozent der AfD-Wähler mit der Funktionsweise der Demokratie in unseren Tagen unzufrieden, 68 Prozent empfinden die herrschenden Verhältnisse als ungerecht (Wähler anderer Parteien: 39), und 39 Prozent empfinden Nachteile durch Flüchtlinge. Das zeigt unter anderem: Die Krise, wie sie durch AfD-Sympathisanten interpretiert wird, ist keine ausschließliche Zuwanderungskrise, sondern eine grundsätzliche Krise des Mainstreams und der von ihm nur unzureichend verwalteten Zustände.
Besonders von diesen betroffen sind die »populären Klassen«. Genau dies waren nun die stärksten Milieus für die AfD. Jeweils 21 Prozent der Arbeiter und Arbeitssuchenden stimmten für die Alternative, was zwei Bertelsmann- Autoren feststellen ließ, daß die Linkspartei »den Kampf um ihr früheres Kernmilieu der Prekären bereits weitgehend verloren hat« – ein Milieu, das größer ist als nur Arbeiter/Arbeitslose und auch die abstiegsbedrohte Mittelschicht umfaßt.
In diesem Gesamtlager erzielte die AfD 28 Prozent. Die sogenannte Bürgerliche Mitte (nicht: Oberschicht), ein weiteres Milieu nach der Sinus-Einstufung, die Bertelsmann-Autoren verwenden, wählte zu 20 Prozent AfD. Daraus folgt: Prekäre und Bürger der (unteren) Mittelschichten sind das doppelte Standbein der AfD. Das bedeutet auch: Die Sehnsucht einiger weniger AfD-Neoliberaler, die nur Einzelaspekte verändern wollen, ohne eine langfristig »revolutionäre«, d. h. wahrhaft umgestaltende Konzeption zu verfolgen, nach der Akzeptanz und Zuneigung durch die materielle Oberschicht ist als Traumgebilde von der Wirklichkeit negiert worden.
7.) Angesichts dieser Relationen wird deutlich, daß die AfD zunächst eine Partei des Protests ist, die Unzufriedene und von den Verhältnissen nachhaltig Irritierte bis Abgestoßene anzusprechen
Diese Gruppen bestehen insbesondere aus Arbeitern, Angestellten und Kleinunternehmern sowie Selbständigen unterschiedlichster Richtung, die nicht zuletzt aufgrund falscher Umverteilungsansätze und fehlen- der Steuergerechtigkeit regelrecht ausgepreßt werden. Daß das nicht gutgehen kann, liegt auch daran, daß diese Gruppen das tragende Gerüst Deutschlands bedeuten. Es ist jene Bevölkerungszusammenstellung, die am meisten unter den Krisen der Wirtschaft, des Staates, der Überfremdung und des Sozialen leiden muß und zugleich die besten AfD-Werte produziert.
Für sie gilt es vor allem, realpolitisch tätig zu sein, um mittel- und langfristig revolutionäre Ergebnisse erzielen zu können. Die AfD als Demokratiemotor kann dann unter Umständen noch mehr Nichtwähler, die, wie Studien zeigen, im Regelfall eben den populären Klassen und nicht den materiellen Oberschichten entstammen, mobilisieren.
8.) Die wichtigste Lehre, die es abschließend zu ziehen gilt, ist die, daß die immer wieder geschürte Konfliktlinie zwischen »Realos« und »Fundis« eine bedrohliche Ablenkung von wichtigeren Dingen bedeutet.
Denn die Gräben zwischen »Realpolitikern« und »Fundamentaloppositionellen« werden faktisch immer wieder von Freund und Feind dramatisiert. Die Losung der revolutionären Realpolitik überwindet diese falsche Entweder-Oder-Simulation und zeigt auf, daß realpolitisch-reformistische Schritte unverzichtbar sind, um langfristige Strategien der Transformation entwickeln zu können. Es gilt, wie Mario Candeias formulierte, »in Kenntnis der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse [zu] agieren, aber in der Perspektive ihrer Verschiebung«, während man konstant an den realen Bedingungen und Widersprüchen anknüpft.
Es muß also »die Möglichkeit geben, im Hier und Jetzt so zu handeln, daß sich die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Umsetzung der Alternative erhöht«, wie der Soziologe Erik Olin Wright einforderte. Revolutionäre Realpolitik ist in diesem Sinne kein Oxymoron, sondern das Gebot der Stunde.