29. Oktober
Ein guter Freund eröffnet dieser Tage in einer sächsischen Kleinstadt ein Fachgeschäft für orthopädischen Fachbedarf. Im Rathaus war man dem Ansinnen mit großem Hallo entgegengekommen: Belebung der sukszessive vergreisenden Innenstadt, immer gern!
Und mal kein „Nagelstudio“ keine „Tattoofactory“, sondern ein Unternehmen mit solidem Finanzplan – gekommen, um zu bleiben!
Nun hat der Freund den Mietvertrag in kleinstädtischer 1a-Lage besten Gewissens unterzeichnet, aber eine Klausel macht ihn stutzig. Gut, er hatte in Wahrheit nie vor, Bandagen mit „rechtsextremistischen“ Aufdrucken feilzubieten. Auch irgendwelche sinistren oder „dextrösen“ „Versammlungen“ waren niemals geplant.
Aber Moment mal, rein theoretisch dürfte er Stützstrümpfe mit Antifa-Logo oder Che-Guevara-Konterfei anbieten, oder? Und Prothesen sowie Inkontinenzbedarf feilbieten, worauf salafistische Aufrufe abgedruckt wären? Dies alles fiele wohl kaum unter die „Klausel“, gell?
Der Mieter bekennt mit der Unterschrift, dass das Sortiment keine rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Inhalte haben wird.
Der Verkäufer versichert, dass im Laden keine Produkte, Modemarken oder Accessoires verkauft werden, die in der Öffentlichkeit mit einem Bezug zur rechtsextremen Szene wahrgenommen werden.
Nochmal:
… die in der Öffentlichkeit mit einem Bezug zur rechtsextremen Szene wahrgenommen werden.
Schon unglaublich, wiedermal. Wer ist “die Öffentlichkeit”? Was ist ein “Bezug”? Wo beginnt die “rechtsextreme Szene”? Nicht, daß man das nicht ungefähr wüßte, aber in einem Mietvertrag? Die Formulierungen kommen von hier.
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30. Oktober
Nichts sagen? Was sagen? Ungewollte Reisegenossenschaft kann quälend sein.
Eine Zeitlang hilft es, das Geschwätz mit Humor zu nehmen, kleine soziologische Studien zu betreiben und das Groteske daran zu genießen. Drei Frauen mittleren Alters, einander bislang unbekannt, sitzen mit mir am Tisch des Abteils, stundenlang. (Am Ende wird das nette Beisammensein in einem Telefonnummernaustausch gipfeln.)
Die Rollen sind bald klar. Die eine findet alles mögliche (Landschaft, Fahrkarten-App, Kaffeebedienservice) wahnsinnig toll und vor allem „geil“, wohingegen ihre Pulloveraufschrift eine klar abgrenzende Botschaft verkündet: „Bevor du fragst: NEIN!“
Die zweite findet alles mögliche (den November, die Armlehnen, die Deutsche Bahn) entsetzlich oder vor allem „scheiße“. Die dritte, die offenkundig älteste, gibt die Abwägende, „einerseits denke ich…, andererseits habe ich das Gefühl…“. Die vierte hat Stöpsel in den Ohren, obwohl der Akku des Abspielgeräts leer ist. Das bin ich.
Die Themen gehen nicht aus. Nach einer Debatte über die Schwierigkeit, im Herbst noch Blumenschmuck zu finden, der nicht nach Beerdigung aussieht („… aber andererseits halten meine Chrysanthemen bis in den Advent hinein“) und einer Umfrage, ob die neuen Freundinnen mal „spaßeshalber“ gezählt haben, wie oft am Tag sie auf ihr smartphone schauen (hat die Optimistin, nämlich 94 mal, „ich stehe dazu“), muß es ja zwangläufig bei der Politik enden.
Die eine haßt die AfD, die andere hat Angst vor den Rechten, die dritte wägt ab zwischen Anwiderung, Bestürzung und „klarer Ablehnung“. Wer hat am meisten Kleingeld übrig für’s Phrasenschwein? Meine Güte, was für ein hohles, schier endloses Wortgeklingel.
Ich überlege kurz, die traute Runde zu sprengen und etwas wie „Wieso, scheiße, die AfD ist doch geil!“ einzuwerfen, aber das wäre erstens kindisch, zweitens gelogen.
Die Zeit zieht sich zäh. Im Abteil gegenüber nimmt etwas später eine Großfamilie Platz, zu sechst auf vier Plätzen. Sie packen gleich Essen aus. Es riecht gut – finde ich. Aus der Tatsache, daß gegenüber kein Deutsch gesprochen wird, schließen meine Ladies, daß auch kein Deutsch verstanden wird. Sie finden, es stinkt. Sie finden es unmöglich. Sie finden, daß die Frau so guckt, als hasse sie die Runde hier bei uns, weil wir kein Kopftuch tragen. Die Abwägerin sagt, sie fände „Kopftuch an sich nicht schlimm“, wolle aber, daß „jeder und jede“ selbst darüber entscheiden solle. Alle nicken.
Die andere: „Bei uns in Gelsenkirchen denkst du in vielen Straßenzügen, du bist im Orient.“ Die Dritte: „Kenn ich aus Köln.“ „Ja, oder guck dir Stuttgart an.“ –„Oder Nürnberg.“ Wortfetzen: entsetzlich, wo soll das enden, guck mal, was die auftafeln, das ist doch krank, das besteht ja nur aus Knoblauch! „Ich bin ja für Toleranz, aber an sowas werde ich mich nie gewöhnen!“
Es kommt, wie kommen muß, eine Szene wie aus einem Indoktrinationsfilm für die Mittelstufe: Eine der Kopftuchfrauen merkt die Blicke und bietet solche Bällchen an, „wollen Sie probieren?“ Alle AfD-Hasserinnen lehnen ab, zweimal gar mit abgewandtem Blick..
Ich greife zu , danke, kann mich leider nicht revanchieren. Zweimal hochgezogene Augenbrauen, nur die Abwägerin sagt versteherisch lächelnd mit schiefgelegtem Kopf: „Ich hätte einfach Angst, daß mir das zu scharf ist.“ Übrigens gibt es heute und hierzulande seit 99,9 Jahren das Frauenwahlrecht.
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31. Oktober
Ach , die gute alte Tante Emma! Ich habe die Zeitschrift jüngst nach zwei Jahrzehnten treuer Leserschaft abbestellt, aber sie läßt mich nicht los.
Als jüngst eine Emma-Reporterin eine Online-Reportage aus Chemnitz schrieb, in der sie besorgte Chemnitzer Bürgerinnen sich aussprechen ließ („Für Frauen ist das Leben gefährlicher geworden. Ich habe Angst um meine Töchter und um meine Schulkinder. Vor allem die Mädchen. Diese jungen Männer haben nichts zu tun. Sie haben ein abwertendes Frauenbild, sind sexuell aufgeladen“ etc.) hagelte es gleich scharfe Kritik von den Kollegen und Kolleginnen der Hauptstrommedien und der soganennten Netzgemeinde. Die Emma habe einmal mehr den Beweis erbracht, daß Alice Schwarzer und ihre Frauen Rassistinnen seien!
Befragt hatte die Reporterin unter anderen Nesrin, seit 17 Jahren in Chemnitz lebend und mit einem Deutschen verheiratet. Auch Nesrins Töchter wurden bereits massiv sexuell von Neuankömmlingen belästigt:
In der aktuellen Druckausgabe wird „Chemnitz“ noch mal aufgearbeitet. Eine Redakteurin beäugt dazu auch die Bands, die beim berüchtigten „Soli-Konzert“ auftraten. Daß es dort Deutschland- und „Bullen“haß kübelweise gab, ist mittlerweile bekannt.
Aber auch solche Texte, die die Kapelle K.I.Z. verbreitete?
„ Trete deiner Frau in den Bauch, fresse die Fehlgeburt (…), nimm ein Glas von mei’m Urin und entspann dich, zwei Huren in jedem Arm mit Trisomie einundzwanzig.“
Die Emma-Reporterin:
Ist irgendjemand auf dem antirassistischen Soli-Konzert irritiert über den puren Sexismus, den die vier Jungs von K.I.Z. da von sich geben? Aber nein. Im Gegenteil. Das Publikum ist textsicher und singt lauthals mit:
„Ist eine Frau nicht nackt, dann beschmeiss ich sie mit Scheine, macht sie sich dann nackt, dann beschmeiss ich sie mit Steine.“ Oder:
“Ich rasiere mein Äffchen und lass es anschaffen, tret so lange auf dein Kopf, bis vier und drei acht machen“
Ist doch nur Satire, heißt es nun. Sie wollen doch nur spielen, die vier Hassrapper auf dem Anti-Hass-Konzert.
Dieter Rose
Da fehlen mir die Worte.
Wohin wird das führen?
Wer könnte da gegensteuern,
reichen da unsere Ideen?