Die Niederlage gestattet den Glauben an den zukünftigen Sieg der gerechten Sache, was immer diese auch sein mag, und zwar in der erwünschten Form. Solange sie nicht den Kampfgeist bricht, ist die Niederlage immer auch ein Dispens von der Wirklichkeit. Sie wirft den Idealisten in die reine Welt des scheinbar Möglichen zurück.
Der Sieg formt und zwingt damit den Sieger das Gewordenen als das Eigene anzuerkennen.
Die Welle der Erfolge, die uns der Kampf um den Migrationspakt beschert hat, birgt die nicht mehr abzuweisende Erkenntnis in sich, daß die Wirklichkeit den demokratischen Kern des patriotischen Widerstandes in zwei Hälften gerissen, die eine Hälfte bestätigt, die andere als Wahngebilde entlarvt hat.
Bestätigt wurde die Überzeugung, daß ein aus dem Volk heraus gewachsener Protest politische Erfolge erzwingen könnte. Alle, die die Arbeit in und an der sogenannten demokratischen Öffentlichkeit für vergeblich erklärt haben, weil das System dadurch nicht beeinflußbar sei, werden sich selbst in dem Fall als widerlegt betrachten müssen, daß die Bundesrepublik den Pakt schließlich unterzeichnet.
Eine oppositionelle Graswurzelbewegung hat ein Thema aufgegriffen, welches das Establishment praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit entscheiden wollte. Sie hat es gegen Politik und Medien, nicht nur bekannt gemacht, sondern eine Welle politischer Entscheidungen in ihrem Sinne erzwungen.
Die Geschichte des Widerstandes gegen den Migrationspakt klingt wie eine jener Erzählungen, die jeder nicht nur biologisch erwachsene Mensch für gewöhnlich als das Produkt allzu eifriger Ideologen der Demokratie abtut.
Gleichzeitig sind die Ursachen dieses Traums nur zu offensichtlich geworden. Sie widerlegen den Glauben an die aufgeklärte Bürgerdiskussion. Dieses Überbleibsel von 1848 erlebte im Widerstandsmilieu der letzten Jahre einen neuen Frühling. Doch keine gute Sache ändert die soziologischen Gesetzmäßigkeiten.
Daß die Kampagne gegen den Migrationspakt ein solcher Erfolg werden konnte, läßt sich auf zwei Faktoren zurückführen. Der erste ist die Verschiebung der Parteiensysteme. Rechte Parteien sitzen fest in den Parlamenten. Wahl- und Machtoptionen haben sich im Verlauf des letzten Jahrzehnts soweit verschoben, daß auch die Parteien der Mitte nicht gleichgültig bleiben konnten, sobald der Pakt öffentlich thematisiert wurde.
Der merkelsche Erbfolgekrieg brachte die Kritik selbst in die CDU, deren aktuelle Regierung, wenn man entsprechenden Quellen glauben darf, die maßgebliche Kraft hinter dem Pakt war.
Der zweite Grund ist das Mißtrauen gegen das regierende System. Genauer läßt es sich nicht fassen. Ein weitreichendes Mißtrauen hat sich breitgemacht. Immer mehr Menschen vertrauen „dem Establishment“ nicht mehr.
Der Widerstand gegen den Migrationspakt ist ein Zeichen des Mißtrauens. Kaum jemand hat sich durch 34 Seiten UNO-Sprech gequält und von denen, die es getan haben, wird wiederum nur eine kleine Minderheit über die Folgen der 54 Beschlüsse im Einzelnen nachgedacht haben. Das gilt für Befürworter und Gegner des Paktes gleichermaßen. Selbst wer sich die Mühe macht, sich ernsthaft zu informieren, ist auf Interpreten angewiesen, denen er vertrauen muß.
(Nebenbei ist die einzig gültige Fassung, die englische, in einigen Stellen schärfer als die deutsche. Wer sich den vollen Global Compact zu Gemüte führen will, kommt nicht umhin, die 34 Seiten auf UNO-Englisch zu lesen. Für jeden, der die englische Sprache nicht alltäglich verwendet, keine geringe Hürde.)
Auch das Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten ist eine Frage des Vertrauens. Der zwangsläufig uninformierte Bürger muß den Regierenden zumindest soweit Vertrauen, daß er ihnen nicht grundsätzlich üble Absichten unterstellt.
In diesem Sinne ist der Migrationspakt zu einer Vertrauensfrage geworden. Weil kaum jemand weiß, worum es eigentlich geht, geht es darum, wem er vertraut. Vertraut er der Initiative „Migrationspakt-Stoppen“ wenn sie behauptet, daß der Pakt die deutschen Sozialsysteme für 244 Millionen globaler Migranten öffnet? Immerhin eine starke Behauptung.
Oder vertraut er Dr. Andreas Nick (CDU), mit der Versicherung, „es ist das erklärte Ziel des Pakts, ungeregelte Migrationsströme zu verringern“? Schließlich stehen eine ganze Reihe diesbezüglicher Passagen in der Zusammenfassung der Ziele des Migrationspaktes, also in dem Teil, den ein normal arbeitender Mensch vielleicht noch gelesen und geistig verdaut hat.
Ist die Warnung vor dem Migrationspakt nicht nur wieder eine falsche Behauptung von Demagogen und Populisten? Die Gefährlichkeit dieses Paktes ist nicht offensichtlich. Da steht nirgendwo: „Wir beabsichtigen Europa als Überlaufbecken für die demographische Katastrophe der Dritten Welt zu benutzen.“
Auch wenn die Erleichterung der legalen Migration zu den Zielen des Paktes gehört, wirkt dieser Pakt auf den durchschnittlich vorgebildeten Leser als ein recht normales und ziemlich technisches internationales Abkommen und keineswegs als Fahrkarte in die Hölle.
Das Problem mit dem Pakt ist, daß er Migranten „ungeachtet ihres Migrationsstatus“, wie die immer wieder gebrauchte Floskel besagt, mit einer Reihe von Rechten eindeckt. Unter diesen Rechten sind die materiellen Rechte, etwa das auf grundlegende Sozialleistungen, das kleinere Problem. Viel gefährlicher sind die formalen Rechte, welche eine Durchsetzung der Einwanderungsgesetze zulasten von Migranten nahezu unmöglich machen. Der Migrationspakt ist ein Paradebeispiel für Anarcho-Tyrannei.
Doch welcher normale Bürger soll das erkennen, selbst wenn er sich die Mühe machen sollte und den Pakt Punkt für Punkt durchgeht? Nehmen wir den Absatz 31 b:
„sicherstellen, dass die Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Einwanderungsbehörden nicht die prekäre Situation irregulärer Migranten verschärft, indem ihr sicherer Zugang zu Grundleistungen beeinträchtigt oder das Menschenrecht auf Privatheit, Freiheit und Sicherheit der Person an Orten der Erbringung von Grundleistungen verletzt wird;“
Das bedeutet nichts anderes, als daß die von der Asylindustrie, ob privat oder staatlich, gesammelten Informationen über den Aufenthaltsort eines illegalen Einwanderers, entweder gar nicht an die Einwanderungsbehörden weiter gegeben werden, oder aber von diesen nicht verwendet werden dürfen, um ihn festzusetzen oder abzuschieben.
Im Ergebnis: Ein Illegaler kann sich für Wohlfahrtsleistungen anmelden und diese beziehen, ohne daß ihm daraus die Gefahr der Abschiebung droht. Die Akten der Sozialdienstleister werden behandelt wie eine erpreßte Zeugenaussage. Juristisch nicht verwertbar.
Doch wer, der nicht tief in der Materie steckt, soll so etwas lesen und sofort erkennen können, worum es sich hier eigentlich handelt? Da steht doch irgendwas darüber, daß Menschen vor widerrechtlichem Handeln der Behörden geschützt werden sollen? Ist das nicht der Kern unseres Rechtsstaates? Und nicht zu vergessen: Das ist einer von einer Handvoll sehr gefährlicher Punkte unter einer Masse an harmlosen.
Man muß diese Perspektive des Normalmenschen bedenken, um zu begreifen, was es eigentlich bedeutet, daß so viele Menschen den Regierenden weniger vertrauen, als einer Opposition, die absurd steile Behauptungen in den Raum stellt, welche Otto Normalbürger weder überprüfen kann, noch will.
Verachtung für Politiker und Murren gegen „die da oben“ ist weit verbreitet. Doch zu glauben, daß die Regierenden aktiv gegen die Lebensinteressen ihres Volkes vorgehen, davor stehen große mentale Hürden. Die meisten Menschen sperren sich dagegen.
Über die dahinterstehenden psychologischen Mechanismen will ich nicht spekulieren. Es ist allerdings offensichtlich, daß keine Gemeinschaft bestehen könnte, wenn viele ihrer Mitglieder dazu veranlagt wären, ohne weiteres jemandem zu glauben, der den Autoritäten verbrecherisches Handeln unterstellt.
Dieses Mißtrauen ist langsam gewachsen. Es zersetzt tatsächlich „unsere Demokratie“, die, wie jedes politische System außer der Terrorherrschaft jakobinischer und bolschewistischer Prägung, auf das Vertrauen der Regierten angewiesen ist. Gleichzeitig sorgt das Mißtrauen für jene Polarisierung, die demokratisches Regieren immer schwieriger macht. Denn weil es in der Auseinandersetzung nicht um Argumente geht, sondern um Vertrauen oder Mißtrauen in Personen und Institutionen, kann jede Seite sich in ihren eigenen Wahrnehmungsmustern einrichten.
Dieses Mißtrauen hat sich niemand zuzuschreiben als die selbsternannten Erbpächter dieser Demokratie selbst. Wir ihre Gegner, müssen uns jedoch davor hüten, es als die formende Kraft einer neuen Volksherrschaft fehlzudeuten.
Das Mißtrauen in das System ist eine blinde Kraft, die nicht weiß wohin sie will. Sie lockert die Verhältnisse auf. Das ist die gute Nachricht. Aber sie ist kein Anderswollen. Ein solches ist noch nirgendwo festzustellen.
Teufel
"Es gehört zur Natur politischer Kämpfe, daß in den Siegen schmerzhaftere Lektionen liegen als in den Niederlagen."
An dieser Stelle habe ich aufgehoert zu lesen.
Ich kann Ihnen nicht folgen. Ist das ironisch gemeint? Niederliegen ist herzhafter als Siegen? Was? Wo? Studieren Sie zufaellig eine "Geistes"-"Wissenschaft"? Taete mir leid, ergibt aber Sinn.
Ich groele mit: Nihilismus ahoi! Schwurbelbart!
PS: Ist das ein kariertes Hemd?!