Weihnachtsbuchempfehlungen, Teil VII: Caroline Sommerfeld

Abschließend die lesbaren Geschenktips unserer "Ikone" Caroline Sommerfeld!

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

SCHÖN

Hugo Ball: Die Flucht aus der Zeit. Göt­tin­gen, 728 S., 44 €

„Ich kann mir eine Zeit den­ken, in der ich ein­mal den Gehor­sam suche, wie ich den Unge­hor­sam aus­ge­kos­tet habe: bis zur Nei­ge“ (20. IX. 1915) „Ich bemer­ke, daß ich einer leich­ten Ver­rückt­heit ver­fal­le, die mei­ner gren­zen­lo­sen Lie­be zum Anders­sein ent­springt“ (20.X.1915)

Das zwei­te „Dada­is­ti­sche Mani­fest“ stand uns heu­er auf der Frank­fur­ter Buch­mes­se für einen kur­zen Augen­blick Pate. Hugo Ball notier­te am 6.XIII 1916 zum ers­ten Mani­fest: „Hat man je erlebt, daß das ers­te Mani­fest einer neu­ge­grün­de­ten Sache die Sache selbst vor ihren Anhän­gern wider­rief? Und doch war es so. Wenn die Din­ge erschöpft sind, kann man nicht län­ger dabei ver­wei­len. Das ist mir von Natur so gege­ben; alle Gegen-Über­le­gung wür­de wenig fruchten“.

Ball war die Ver­kör­pe­rung des Anders­seins. Und zwar auch inner­halb sei­ner selbst: stän­dig ein Neu­er. Begon­nen hat er mit einer Nietz­sche-Dok­tor­ar­beit, wech­sel­te aber ohne aka­de­mi­schen Abschluß zum Thea­ter. Es folg­te eine Pha­se als expres­sio­nis­ti­scher Bohè­me-Lite­rat, die mit dem Ers­ten Welt­krieg ein jähes Ende fand. Ball mel­de­te sich ver­geb­lich als Frei­wil­li­ger und fuhr als jour­na­lis­ti­scher Beob­ach­ter an die Front. Ball emi­grier­te im Früh­jahr 1915 nach Zürich, den Krieg ver­ab­scheu­te er nun.

Schmerz­haft mit sei­ner Zeit über­wor­fen, grün­de­te er ein eige­nes Kaba­rett und erfand den Dada­is­mus. Als der reüs­sier­te, war Ball schon wie­der anders­wo: in der Redak­ti­on einer demo­kra­ti­schen Zei­tung. Die Revo­lu­ti­on von 1918 erwies sich als welt­li­che Blö­dig­keit – Ball wand­te sich der Reli­gi­on zu und wur­de zum katho­li­schen Aske­ten. Er hat­te den Gehor­sam gesucht und am Ende gefunden.

– – –

GUT

Niko­lai Usti­nov: Die Füch­sin und der Wolf, Stutt­gart, 32 S., 16 €

Ein Bil­der­buch mit einem alten rus­si­schen Mär­chen, das von einer Füch­sin han­delt, die so wider­wär­tig durch­trie­ben ist, daß es einen schüt­telt. Das soll „gut“ sein? Das ist gut. Tier­fa­beln sind Auf­be­wah­rungs­schach­teln der Moral, denen alles Auf­dring­lich-All­täg­li­che fehlt. Ver­gleicht man die­se rus­si­sche Füch­sin, der es im Win­ter­wald gelingt, einem Bau­ern um die Fische und einen Wolf um die Beu­te und sei­nen gan­zen Schwanz zu brin­gen, bis sie ihn am Ende soweit hat, sie frei­wil­lig zu tra­gen, mit päd­ago­gisch gut­ge­mein­ten Lang­wei­lern (zum Bei­spiel mit Anti-Mob­bing-Geschich­ten wie „Uli Unsicht­bar“ samt Regel­pla­kat für die Grund­schul­klas­se aus dem­sel­ben Ver­lag), wird klar, was an dem von Niko­lai Alex­an­d­ro­witsch Usti­nov mit genau­em Feder­strich illus­trier­ten Mär­chen gut ist. Schon Kin­der­gar­ten­kin­der spü­ren her­aus, was das Fal­sche, Ver­dreh­te an der Füch­sin ist, doch fällt kein Wort zu ihrem Tadel im gan­zen Märchen.

Die Auf­lö­sung ent­steht im Kind sel­ber. Aber nur, wenn man das Geheim­nis wahrt: es danach nicht nach sei­ner Mei­nung zu fra­gen! Geht am bes­ten in weih­nacht­li­cher Stim­mung zuhau­se am Ofen. Wer von der rus­si­schen See­le des win­ters nicht los­kommt oder Erin­ne­run­gen geweckt bekom­men hat: das alte DDR-Kin­der­buch „Der Feu­er­vo­gel. Rus­si­sche Volks­mär­chen“ gibt es für 10 Euro über­all noch antiquarisch.

– – –

WAHR

Simo­ne Weil: Die Per­son und das Hei­li­ge, aus dem Fran­zö­si­schen von Rei­ner Wim­mer und Peter Weiß, Wien: 100 S., 18 €

Simo­ne Weil (1908–1942), Phi­lo­so­phin, Anar­cho­syn­di­ka­lis­tin, Leh­re­rin, Fließ­band­ar­bei­te­rin, aus jüdi­scher Fami­lie stam­men­de zuletzt christ­li­che Mys­ti­ke­rin war wie eine Ker­ze, die an bei­den Enden brennt. Sie wur­de nur 34 Jah­re alt. Aus ihrem Nach­laß hat der Karo­lin­ger Ver­lag drei Tex­te neu her­aus­ge­ge­ben, deren zen­tra­ler dem Band den Titel gibt: „Das Hei­li­ge und die Per­son“ (das frag­ment­haf­te Gespräch mit Trotz­ki ist sub­til respekt­los und die Beschwö­rung des ver­lo­re­nen Occi­ta­ni­en erin­nert sehr an Jean Ras­pail). Simo­ne Weil unter­schei­det zwi­schen der „Per­son“ (von lat. per­so­na­re: „hin­durch­tö­nen“ – durch sei­ne Mas­ke tön­te nur die Stim­me des grie­chi­schen Tra­gö­den hin­durch, er war nicht selbst, was er zu sein schien) und dem Heiligen.

Das hat Spreng­kraft, denn was soll dann noch das Gere­de von den „Men­schen­rech­ten der Per­son“, „frei­em Aus­tausch der Per­so­nen und der Waren“ und von „der Demo­kra­tie“? Alles lee­rer Schall. Sol­che Begrif­fe sind dem Guten völ­lig fremd, schreibt Weil. „Die Inspi­ra­ti­on, aus der all die­se Insti­tu­tio­nen her­vor­ge­hen, deren Pro­jek­ti­on sie gleich­sam sind, ver­langt eine ande­re Spra­che.“ Die­se Spra­che ist fürch­ter­lich unge­wohnt für uns Bewoh­ner der frei­heit­lich demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung, denn es han­delt sich um Wör­ter wie Ehr­furcht, Demut, Gott und das Gute. Wer in Simo­ne Weils Spra­che hin­ein­springt, der wird arg­wöh­nisch gegen die welt­li­chen Begrif­fe und wird hin­auf­ge­zo­gen zu den guten Begrif­fen. Es käme auf einen Sprung­ver­such an.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (9)

Monika

18. Dezember 2018 18:19

DIE ANDEREN ÜBER EUCH
"Durch einige Funde, einige intellektuelle Glanzlichter und durch eine inszenierte Lebensform schaffte es Schnellroda in die Feuilletons".
Harald Seubert

Donner - das sind mir drei Buchempfehlungen ! Ich dachte, ich hätte heute meine Weihnachtsbestellungen abgeschlossen. Da muß ich morgen nochmals anrufen.
Und ich folge mal wieder " der intellektuellen Patina",
in der Hoffnung, nicht enttäuscht zu werden :).
Die Maske will einfach nicht fallen ...

Stil-Bluete

18. Dezember 2018 20:04

Fürwahr! Was für eine wundervolle Auswahl! Sie sind immer wieder für großartige Überraschungen gut. Die Weill wird mich in den Raunächten begleiten.

Noch eine vorfreudige Adventszeit, Ihnen und Ihrer Familie!

Maiordomus

18. Dezember 2018 21:26

@Sommerfeld. Hugo Ball ruht auf dem Friedhof von Montagnola oberhalb von Lugano, wenige Meter neben Hermann Hesse und dessen Frau Ninon: dass Hugo Ball zuletzt mit seinem Wiedereintritt in die katholische Kirche (1920) den "Gehorsam" gefunden habe, scheint mir eher eine Banalität. Weniger der Gehorsam interessierte ihn, sondern die Ermöglichung von Freiheit durch Mystik, vgl. auch Simone Weil. Sein wichtigstes Buch aus heutiger Sicht proklamiert sich schon allein aus dem Titel: "Die Kritik an der deutschen Intelligenz". Eine solche wäre heute in der Tat notwendiger als je, vergleiche nicht nur die intellektuell ungenügenden politischen Nicht-Auseinandersetzungen, welche das Zentralkomitee der deutschen Katholiken in letzter Zeit abgesondert hat.

owenmeany

18. Dezember 2018 23:57

Werte Frau Sommerfeld,

darf ich Ihnen Bela Hamvas ans Herz legen?
Auch ihr Gatte sollte Genuss finden an der Lektüre. Und letztendlich, erwachsen daraus spannende Gespräche. Gleichwohl, es mangelt wahrscheinlich nicht an selbigen.
Frohe Weihnacht ihrer Familie, von Herzen

Caroline Sommerfeld

19. Dezember 2018 08:47

@Maiordomus:
Freiheit durch Mystik geschieht aus dem Gehorsam heraus.

Gesegnete Weihnachten Ihnen allen, wir brauchen einander und ab und an eine "Zwischenkunft" (Simone Weil) von oben.

Maiordomus

19. Dezember 2018 10:29

@Caroline Sommerfeld. Volltreffer! Genau so wie Sie sah es heilige Eremit Nikolaus von Flüe: "Das Grösste ist der heilige Gehorsam." Jedoch im Sinne des Pauluswortes: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Selbstverständlich war er Kirchensteuerverweigerer, was in den Akten zur Heiligsprechung jedoch geflissentlich aussen vor blieb.

Oblationisvir

20. Dezember 2018 10:26

So erscheint mir aus katholischer Sicht die hierarchische Ordnung des Gehorsams:
Wenn ich Kinder zu erziehen habe, sind sie mir gegenüber zum Gehorsam verpflichtet wie ich gehorsam zu sein habe gegenüber der geistlichen (und weltlichen) Obrigkeit(, so weit diese nichts gegen die Natur des Menschen oder Gott Gerichtetes gebietet). Die geistliche Obrigkeit gewinnt ihre Autorität allerdings nur aus ihrem Gehorsam gegenüber der Tradition wie diese wiederum die ihrige aus ihrer Treue zur biblischen Offenbarung. - Ausschließlich dann, wenn von geistlicher Obrigkeit etwas angeordnet wird, das der Tradition und damit der Offenbarung oder sonstwie dem Heil der Seelen widerspricht, darf ich nicht gehorsam sein; dann gilt die Clausula Petri, wonach man Gott mehr gehorchen muß als den Menschen (s. Acta 5, 29).

Stil-Bluete

20. Dezember 2018 14:29

@ Maiordomus

Hat Paulus damit gegen 'Gebt Gott, was Gottes, dem Kaiser, was des Kaisers ist?' verstoßen?

Unabhängig davon möchte ich dem Team im Verlag Antaios bei den Buchbestellungen ein großes Lob aussprechen:

- pünktlich
- zuverlässig
- ordentlich
- wohl durchdacht
- zugänglich
- unbürokratisch

wie bei jenen, meist mittelständischen deutschen Unternehmen, die auf ihren Ruf und ihr Produkt bedacht sind.

Ohne die guten Geister des Hauses, die im Hintergrund wirken, wäre das gewiss kaum möglich. Wenn sie (die guten Geister) und Sie (K&K) es möchten, wäre es einmal an der Zeit, sie hier vorzustellen.

Ihnen allen, den Außenstehenden, den Dorfbewohnern, den Zaungästen, den Ziegen, den renitenten Gänsen, den Katzen und Kätzchen, den Kindern und Neugierigen, also allen guten Geistern' ein gesegnetes Weihnachten und...

...guten Rutsch ins Neue Jahr!

Nath

20. Dezember 2018 19:20

Sicherlich, das anstehende Weihnachtsfest macht es nicht unplausibel, dass von Ihren drei Buchempfehlungen sich zwei auf katholische Konvertiten beziehen. Auch die Betonung der Mystik macht Sinn. Die entscheidende Frage ist jedoch eine andere, und sie ist eine durchaus einfach zu beantwortende: Handelt es sich bei den genannten Konversionen um die Wahl e i n e s (von den genannten zwei Personen favorisierten) mystischen Weges, oder handelt es sich hierbei um d e n Weg (d.h. den christlichen), den alle, sofern es ihnen um mystische Erfahrung ginge, zu beschreiten hätten?
Ist Weihnachten einerseits das Fest der Besinnung und der Einkehr, so ist es andererseits auch das Fest des Friedens, und das könnte in diesem Zusammenhang konkret heißen: Dass es für unterschiedliche Individuen in unterschiedlichen Zeitaltern und Weltgegenden nicht lediglich einen Heilsweg gibt, und dass ein geläutertes Christentum, welches dies sowohl als faktisch gegeben, wie auch als begrüßenswert ansehen würde, ein gutes Beispiel wäre für tatsächlich geglückten religiösen Fortschritt innerhalb der Menschheitsgeschichte.

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.