Die Kinder vergraben sich in Bücher, und nebenbei entstehen Türme von Ausleihware. Es ist nicht gerade Hochliteratur – aber was soll man sagen, wo moderne Stadtbibliotheken nicht mal mehr Karl May vorrätig haben, sondern nur Zeug wie So überlebte ich meine peinlichen Eltern und fand den süßtesten Jungen der Welt (für Mädchen bzw. gefühlte Mädchen) oder Die geheime Reise des magischen Schwerts- Out of Space, Teil 8 (für Jungs bzw. Genderfluide). Das sind spontan erfundene Titel, aber so in etwa gestaltet sich die Auswahl.
Jedenfalls stapeln die Kinder eine Menge mediokres Zeug. Sie wissen, daß die Eltern Vetorecht haben. Darum wird etwa jedes zweite Buch nicht ausgeliehen, schlicht, weil es Zeit‑, Papier- und Hirnverschwendung ist. Basta!
Zum Schluß muß jede/r noch was Lehrreiches ausleihen. Die Kunstgeschichtsbände für Kinder und Jugendliche kennen wir schon alle, alles über „große Komponisten“ auch.
Ich: „B., was habt Ihr gerade in Geschichte?“
B: „[Gestöhne] Merowinger, Karolinger, Karl der Große und so.“
Da ich selbst gerade die Jugendbuchrubrik „Rechtswissenschaften“ entdeckt habe und gern stöbere, delegiere ich den Suchauftrag „Merowinger, Karolinger, Karl der Große“ an die Kleinste.
Sie liest laut die Titelschlagwörter der ungefähr 60 Bücher im Geschichtsregal (Jugendbuchabteilung) vor:
„Ägypten. Pyramiden. Rom. Die Waffen der Römer. Griechenland. Die Griechen. Alexander der Große. [….] Ritter. Ritter und ihre Rüstungen. Ritter und ihre Burgen. [….] Die Weimarer Zeit. Anne Frank. Anne Frank. Das Mädchen Anne Frank. Anne Frank -, Graphic Diaries, Alles über Anne Frank, Anne Frank und der Baum, Meine Zeit mit Anne Frank, Anne Frank, Leben und Vermächtnis, Die Geschichte der Familie von Anne Frank, Anne Frank, die letzten sieben Monate, Adenauer und seine Zeit…. Nee, hier ist nichts mit Merowingern oder Karolingern. Wer war eigentlich nochmal diese Anne Frank? Eine große Erfinderin oder was?“
Stirnrunzeln, nachschauen: Sie haben (außer drei Überblickswerke „Geschichte“) wirklich nichts, weder über Karolinger noch über die Merowinger.
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26. Dezember – Vor kurzem hatte ich eines der großen Kinder darauf hingewiesen hatte, daß gewisse Wörter nichts im familiären Sprachgebrauch zu suchen hätten.
Sie: „Mann, mich nervt das doch auch. Wenn ich je Attribute wie ‚geìl‘ oder ‘cool‘ gebrauche, dann geschieht das doch in ironisierender Absicht. Ich merk aber selbst, daß das eine wackelige Grenze ist und daß sich das so einschleicht…“
Konkret ging es um den Gebrauch der Anredeform „Alter“, die ich in unseren Gefilden nicht hören möchte. Einerlei, gegen wen sie gerichtet und welches Ironielevel beabsichtigt ist. Bei uns gibt es keinen Mode-Slang, punkt!
Heute räume ich mit der Kleinsten den Schulranzen aus. Moment – was ist das für ein Arbeit? Klassenarbeit Deutsch – hab ich definitiv noch nicht unterschrieben!
Ich will blättern, es sind drei Zettel. Die Kleine: „Mama, laß es, es ist wirklich uninteressant!“ Na, dann erst recht! „Neee! Du muß nur hier hinten unterschreiben!“ Sie hat die volle Punktzahl. Ich entdecke Aufgabe 2: Nenne zwei Adjektive und ihr Gegenteil!
Tochter schrieb : süss- sauer cool- uncool.
Ich sag‘ nichts. Stimmt ja. Sie aber rechtfertigt sich: „Mir ist einfach nichts anderes eingefallen!“
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27. Dezember – Ich habe schon oft erwähnt, daß in unserem Haushalt wichtige, auch berufliche, Angelegenheiten häufig am Küchentisch besprochen werden.
Nicht, daß wir qua Entschluß ein besonders „transparenter“ Haushalt wären, aber unsere Lebenssituation (Familie und Arbeit nicht sorgsam getrennt) bringt das mit sich. Wir Eltern verhandeln (natürlich nicht nur und nicht immer) Metapolitisches, die Kinder fragen dazwischen. Die Frage, was eigentlich mit dem Begriff „Gehirnwäsche“ gemeint sei, kam in unserer Zeit als Eltern neugieriger Kinder schon häufiger auf.
Heute gab es ein aktuelles Beispiel. Die höchstamtliche „Bundeszentrale für politische Bildung“ (BpB) hat ein „Dossier“ zum Thema Geschlechtliche Vielfalt – trans* zusammengestellt.
Als Aufhänger (für den Unterrichtsgebrauch) dient ein Doku-Kurzfilm, Mädchenseele. Gemäß Bundeszentrale soll er Kindern ab acht Jahren verabreicht werden. Es werden Arbeitsblätter zur Verfügung gestellt, mit deren Hilfe das Transthema an Grundschulen durchgekaut werden soll.
Originalton BpB:
Die Annahme, dass es lediglich zwei Geschlechter gibt, die sich auf Grund körperlicher Merkmale auf natürliche Art und Weise voneinander unterscheiden, ist Teil eines nicht hinterfragten Alltagswissens. Trans*menschen, die sich mit ihrem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht oder nicht vollständig identifizieren, sind heute durch das zivilgesellschaftliche Engagement einer zunehmend weltweit vernetzten Trans*community in vielen Bereichen sichtbarer.
Man mag sich Mädchenseele einmal anschauen, und zwar mit den Augen eine/s/r Achtjährigen.
Meine eigenen Arbeitsblattfragen würden (natürlich würde ich in Wahrheit keine Grundschüler mit solch krankhaften Sachen konfrontieren!) lauten: a) Bist Du eingeschlafen? b) Was hat Dich interessiert? c) Was hast Du verstanden? d) Bist Du jetzt verwirrt?
Darum geht es: Eine Mutter hat einen Sohn. Der Sohn will beizeiten ein Mädchen sein, und zwar in einem Alter, in dem die Geschlechtsidentität in psychosexueller Hinsicht normalerweise noch längst keine Rolle spielt. Die Mutter hat einen US-amerikanischen Dokumentarfilm über ein Trans*kind gesehen und findet ihr Kind in diesem aufsehenerregenden Schicksal wieder.
Fortan darf der Sohn Mädchen spielen und sich einen eigenen weiblichen Namen auswählen. Er sieht nun wirklich mädchenhaft aus, sammelt Einhornzeugs, schminkt sich (mit sieben Jahren – ich selbst hatte bereits sechs echte Töchter, von denen sich keine einzige in diesem Alter schminken wollte) und will seinen Penis abschneiden. Das klingt drastisch und … tief berührend. Dieses Kind im Film hier ist zugleich zutiefst naiv und höchst aufgeklärt. „Ich möchte, daß es jeder Mensch aksessiert“, sagt das (in meinen Augen psychisch mißbrauchte) Kleinwesen gegen Ende des Films.
Am Rande ist übrigens zu sehen oder zu mutmaßen: Ein Vater/Großvater existiert nicht, taucht jedenfalls nicht auf. Mutter /Großmutter wirken bestimmend und dominant. Ziemlich offenkundig ahmt das Achtjährige die Mutter nach. Im Hinterzimmer des Schneidersalons der Oma tanzt eine Mädchen-Hiphop-Gruppe. Wie wär die Geschichte wohl ausgegangen, wenn dort ein Sandsack hinge und sich dort kleine Kerle zum Bosen träfen?
Die „Bundeszentrale“ bietet eine Menge Arbeitsblätter zum Film an. Zum Beispiel dies:
Nori fühlt sich nicht wohl mit ihrem “P.” [Pullermann, EK] bzw. ihrer “Muh-Puh ” [Muschi-Pullermann; EK].Was meint sie damit? Und warum fühlt sie sich nicht gut damit?
Oder dies:
Überlege, ob dir so etwas auch schon mal passiert ist und wie es für dich war. Erzähle die Geschichte/n den anderen aus deiner Gruppe. Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du etwas nicht anziehen oder die Haare nicht so haben darfst, weil du ein Mädchen bzw. Junge bist? Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du etwas nicht machen sollst, weil du ein Mädchen bzw. Junge bist? Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du mit etwas nicht spielen sollst, weil du ein Mädchen bzw. Junge bist?
Oder dies:
Nori ist transgeschlechtlich. Das heißt, sie wurde als Junge geboren und bekam einen Jungennamen. Sie fühlte sich jedoch immer als Mädchen. In der Zeit, in der sie noch als Junge lebte, durfte sie nicht das anziehen, was sie wollte. Und sie durfte nicht mit den Dingen spielen, die sie mochte.
Versetze dich in Noris damalige Lage. Stelle dir vor, du wachst eines Tages auf und alles hat sich verändert: Du darfst nicht mehr deinen Hobbies nachgehen. Deine Eltern möchten, dass du Kleidung anziehst, die du überhaupt nicht magst. Du musst deine Haare wachsen lassen bzw. abschneiden lassen. Die Spielsachen, mit denen du sonst immer gespielt hast, sind plötzlich verboten. Du bekommst stattdessen Sachen, mit denen du gar nicht spielen magst.
Oder dies:
Nori muss am Anfang darum kämpfen, dass ihre Mutter ihr glaubt und sie als Mädchen akzeptiert.
Kleingruppenarbeit: Unterhalte dich mit deinen Mitschüler*innen.
- Gab es Situationen, in denen deine Eltern dir nicht geglaubt haben?
- Was waren das für Situationen?
- Wie hat sich das angefühlt?
- Teile ein Erlebnis mit der Klasse, wenn du magst.
Übrigens gilt bis heute die Diagnose „Transsexualität“ als psychische Krankeheit. Darum werden „Geschlechtsangleichungen“ (Hormonbehandlung und Operationen) von den Kassen bezahlt. Natürlich ist diese Pathogenität ein Stigma, weswegen voraussichtlich ab 2022 Transsexualität nicht mehr als Störung bezeichnet, sondern unter dem gesundheitsneutralen Überbegriff „sexueller Gesundheitszustand“ („sexual health condition“) geführt und als „Geschlechtsinkongruenz“ bezeichnet wird.
Heute jedenfalls habe ich den Kindern anhand dieses Beispiels erklärt, wie Gehirnwäsche funktioniert, wann und warum sie eingesetzt wird.
Übrigens kennt jedes unserer Kinder mindestens ein Trans*kind persönlich. Also mit zumindest psychosozialer Umwandlung samt Identitätswechsel. In meiner Kindheit und Jugend hatte ich auch ein paar weiblich/weichliche Jungs und einige Raufboldinnen im Freundes- oder Bekanntenkreis. Hormone zur „Angleichung“ schluckte damals keine/r, es gab auch keine spektakulären Namenswechsel.
Keiner hinderte Simone, bis heute kinderlos und stets mit kurgeschorenen Haaren, daran, Maschinenbau zu studieren. Und Jens, der damals gern mit Puppen spielte, hat heute drei Kinder. Seine Frau hat definitiv die Hosen an – was ja kein Drama ist.
Klaus P Kurz
Eigentlich schade, daß bei Stichwort "Anne Frank" nicht auch z.B. dieses Werk : https://www.goodreads.com/book/show/28689365-anne-frank-s-diary-a-hoax
erwähnt wird oder werden darf.
Zur: "Gehirnwäsche" oder "Brainwashing": Man sollte sich mal überlegen, ob dieser Terminus nicht viel zu positiv erscheint, im Hinblick nämlich auf das, was dabei insbesondere bei jungen Menschen angerichtet wird. In Wirklichkeit wird bei solchem Prozess das Gehirn tatsächlich verunreinigt, also nicht etwa gewaschen. Besser scheint mir etwa "Hirnplünderung" zu sein, oder "Brainspoiling", wie man es hier schon oft nennt, wo ich glücklicherweise leben darf.