und zwar ein Aufruf zur organisierten, flächendeckenden Gewalt, die erst eingestellt werden dürfe, wenn sie an ihr Ziel gekommen sei: den Rechten das öffentliche Auftreten unmöglich gemacht zu haben.
Bisher hat kein Mainstream-Medium diese Blaupause Sotschecks vor dem Hintergrund des brutalen Angriffs auf den AfD-Abgeordneten Frank Magnitz zum Thema gemacht. Dabei liegt eine Auseinandersetzung mit der Argumentationslinie des Autors, mit seinen Schlußfolgerungen und dem Ort der Veröffentlichung dieses “Debattenbeitrags” mehr als nahe: Wer je zwischen rechten Aufrufen zum friedlichen Widerstand gegen die Politik der vergangenen Jahre und gewaltsamen Übergriffen auf Asylanten einen Zusammenhang konstruierte, muß hier nichts mehr konstruieren: Hier haben wir ihn tatsächlich, den Schulterschluß zwischen Schreibtisch- und Straßentäter.
Sotscheck definiert zunächst den Feind, lädt danach seine Handlungsanweisung mit einem historisch mobilisierenden Bild auf und schlägt seinen Lesern eine Anknüpfung an diese Tradition vor. Im Einzelnen:
1. Die in ganz Europa und in Amerika sich artikulierenden nicht-linken Parteien und Politiker sind für Sotscheck faschistische Bewegungen und faschistische Führer, zu deren Strategie es gehöre, gegen “moralische Grenzen” zu verstoßen, um auf diese Weise den politischen Spielraum auszuloten. Daß es sich tatsächlich um Faschisten handle, weist Sotscheck mit einem 14-Kennzeichen-Katalog aus der Feder Umberto Ecos nach,
darunter Traditionskult, Ablehnung der Moderne, Misstrauen gegenüber der Welt des Intellekts, ein geschlossenes Weltbild, die Angst vor Unterschieden, Ausbeutung der individuellen oder sozialen Frustration, massenhaftes Elitebewusstsein und natürlich Nationalismus. Jedes einzelne Kriterium kann laut Eco „zu einem Kristallisationspunkt für den Faschismus werden.”
Mit dieser ebenso beliebigen wie ausgreifenden Bestimmung wird aus einem um Wählerstimmen konkurrierenden Gegner ein Feind, mit dem es kein Auskommen geben kann. Aus einem Mehr oder Weniger wird ein Wir oder Die.
2. Fünfzig Prozent plus x seien, so Sotscheck weiter, zur Durchsetzung des Faschismus gar nicht notwendig. Vierzig Prozent reichten völlig aus. Eine Begründung für diese machtarithmetische Weisheit liefert Sotscheck nicht – aber er rückt die Machtergreifung in eine nicht völlig unerreichbare Nähe und lädt dadurch den Widerstand dagegen mit Dringlichkeit auf.
3. Gauland wolle Menschen “entsorgen”, Höcke habe “Verbaldurchfall”, aber das alles habe “nichts mit Verrohung der Sprache zu tun” (was ja immer impliziert, daß hier einer derber schwätze, als er es eigentlich meine. Sotscheck ist sich sicher:
Es sind keine Entgleisungen, sondern kalkulierte Testballons. Wenn die Proteste dagegen verklungen sind, kann man nachlegen. Das braune Fußvolk, mit dem man offiziell nichts zu tun haben will, erledigt die Drecksarbeit, etwa in Chemnitz.
4. Diese Argumentationskette (wir haben es mit 1. Faschisten in 2. der Nähe der Machtergreifung zu tun, die 3. ihr totalitäres Konzept als Saubermänner lancieren) führt nun zunächst zu einer Absage an jeden weiteren Verständigungsversuch, zu einer Erneuerung der Feinderklärung und damit zur Absage an die demokratische Auseinandersetzung:
Und mit solchen Leuten soll man reden? Es ist naiv zu glauben, dass man sie bekehren oder gar instrumentalisieren könne. Eine Parallele zumindest gibt es zu den 1920er und 1930er Jahren: Die Konservativen waren die Steigbügelhalter für die Faschisten.
Heutzutage verharmlosen Politiker wie etwa Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer oder Innenminister Horst Seehofer die braunen Horden. Faschismus lauert unter der Oberfläche jeder Gesellschaft. Opportunistische Politiker helfen dabei, dass er an die Oberfläche dringt.
Fehlt noch die Verungezieferung des Feindes – hier ist sie:
Ein Übriges taten lange die Maybrit Plasbergs bis Sandra Wills, sie luden AfD-Rechtsaußen ein und setzten deren Themen auf die Tagesordnung, weil das vermeintlich die Einschaltquoten erhöht. Man muss aber nicht an jeder Mülltonne schnuppern, um zu wissen, dass sie stinkt.
5. Was tun?, fragt sich Sotscheck, und sucht nach historischen Reaktionsmustern. Er stößt auf eine Gruppe von Schlägern, die im England der Nachkriegszeit gegen die englischen eurofaschisten unter Oswald Mosley vorgingen, und zwar äußerst brutal.
Die „Gruppe 43“ hatte eine andere Taktik. Das waren 43 Männer, darunter der jüdische Friseur Vidal Sassoon, die ab 1946 gegen Oswald Mosleys Faschisten im Londoner East End vorgingen. Sie verprügelten Mosleys Leute, wann immer die öffentlich auftraten. Die Gruppe erhielt ständigen Zulauf, am Ende waren es 900 Mitglieder. Nach vier Jahren löste man sich auf, die Faschisten waren von der Straße vertrieben, Mosley hatte sich vorerst zur Ruhe gesetzt.
Ende der Fünfziger meldete er sich wieder zu Wort, diesmal aus Brixton und Notting Hill, wo er nun gegen dunkelhäutige Einwanderer mobil machen wollte. Prompt entstand Anfang der sechziger Jahre die „62 Group“ mit vielen bekannten Gesichtern aus der „Gruppe 43“ und bot ihm Paroli. „Heute ist es viel schlimmer“, sagte ein Mitglied beim Jubiläumstreffen 1990, „heute bräuchte man zwei 43 Groups.“
6. Von Mosley zur AfD, von London nach Döbeln und Bremen und … Wir werden es erleben. Sotscheck rief zum Ende seiner Absage an das Gespräch die Antifa zur Handarbeit auf:
Heutzutage bräuchte man sehr viele „Gruppen 43“.
Frank Magnitz hat das zu spüren bekommen, und die linke Publizistin Veronika Kracher, die als freie Journalistin unter anderem für die taz scheibt, begrüßte die tat auf ihrem twitter-Account mit den Worten:
„Dass #Magnitz zusammengelatzt wurde, ist übrigens die konsequente Durchführung von #NazisRaus. Abhauen werden die nicht. Die werden sich bei der größten möglichen Bedrohungssituation aber zweimal überlegen ob sie offen faschistische Politik machen. Deshalb: mit ALLEN Mitteln.”
Noch eine Sache, fürs Protokoll: Nicht ohne Grund riefen heute zwei unabhängig voneinander agierende Sicherheitsbehörden an: Am 19. Januar referiert Alexander Gauland in Schnellroda, im Rahmen der Winterakademie des Instituts für Staatspolitik. Er referiert vor 150 Schülern und Studenten, die sich von Freitag bis Sonntag treffen, um Vorträge über das Thema “Volk” zu hören und über den Populismus als Konzept oder auch die Legitimität der Parole “Wir sind das Volk” zu diskutieren.
Ein linkes Bündnis hat für den 19. Januar zur Demonstration im Ort aufgerufen, es gibt tweets mit der Empfehlung, nun (!) auch Schnellroda aufzusuchen.
Also: taz, Döbeln, Magnitz, taz … nächstens mehr.
Der_Juergen
Es sei darauf hingewiesen, dass es linksradikale Schreibtischtäter vom Schlage des Ralf Sotschek auch in der Schweiz gibt. Ein Beispiel ist die "Genderforscherin" Franziska Schutzbach, die in ihrem Buch "Rhetorik der Rechten" schreibt, es werde "nicht funktionieren, die rechtsnationalen Kräfte in Europa auf formal-demokratischem Wege zurückzudrängen". Sie skizziert im folgenden die Vision einer Gesellschaft, in der dir Rechten durch Boykotte und Ausgrenzung zurückgedrängt werden, eines Landes, wo sich Taxiunternehmen und Fluglinien weigern, Mitglieder der (gemässigt konservativen) Schweizerischen Volkspartei zu transportieren, und wo Parlamentarier den Saal verlassen, "sobald ein Rechter auch nur den Mund aufmacht".
Quelle: Ric Bandle, "Die Herrliberger Verschwörung"; "Weltwoche",1/2019, S. 18