Ist die Würde des Menschen antastbar?

von Heino Bosselmann --- „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

An die­sem Haupt-Satz des Grund­ge­set­zes mißt sich die Repu­blik. Ihr Selbst­ver­ständ­nis, ihr gan­zer Glau­be hängt dar­an. Jeder meint die­se Maß­ga­be – irgend­wie – zu ver­ste­hen, in der Wei­se, daß nicht an etwas gerührt wer­den dür­fe, was bes­ser unver­letzt und unan­ge­tas­tet blie­be – die Würde.

Was immer das sei. Man weiß, der Sozi­al­kun­de­leh­rer rede­te stets so ergrif­fen und ein­dring­lich davon, lei­te­te jedoch nichts her, inso­fern es ihm eher um ein Bekennt­nis ging, wie über­haupt ja meist. Bekennt­nis­se aber wol­len gera­de nicht her­ge­lei­tet sein, man soll sie glau­ben, zu ihnen ste­hen, sie wie­der­ho­len, sie beja­hen, mehr bes­ser nicht. -

Wäh­rend das Adjek­tiv unan­tast­bar sogleich ein­gän­gig erscheint, läßt sich das Nomen Wür­de ungleich schwie­ri­ger bestim­men. Die Bür­ger jeden­falls, die bewuß­te­ren, emp­fin­den und beja­hen, daß auf einen Kern ihrer Per­sön­lich­keit jeg­li­cher Macht­zu­griff und gar jede Will­kür ver­wehrt blei­ben soll­ten, weil das – als Akt der Ent­wür­di­gung – ver­werf­lich wäre.

Was aber ist die­ser nucleus, also das, was unver­letzt blei­ben soll, aber eben doch andau­ernd ver­letzt wird? Christ­li­ches bzw. mit­tel­al­ter­li­ches Den­ken wür­de hier wohl vom gött­li­chen Fun­ken, von Got­tes Schöp­fungs­kern in uns spre­chen, der den Ein­zel­nen mit dem Höchs­ten ver­bin­det und daher aus jedem von uns ein Geschöpf der beson­de­ren, ja der gehei­lig­ten Art kre­iert, aus­ge­zeich­net mit der digni­tas, gar der ver­meint­li­chen Eben­bild­lich­keit mit Gott. Per se? Ja, offen­bar per se! So wie heu­te jedem per se Wür­de zukom­men soll­te. Heißt es.

Die Auf­klä­rung nimmt die­se digni­tas homi­nisin moder­ner Wei­se auf, indem sie sie ins Abs­trak­te kon­ver­tiert, und zwar als einen sitt­li­chen bzw. mora­li­schen Wert an sich, der uns zukä­me, weil wir befä­higt schei­nen, unse­re rohe Trieb­na­tur kraft unse­res Geis­tes zu beherr­schen und – nach Schil­ler – bis zur Anmut, dem höchs­ten Grad der Wür­de, zu verfeinern.

Imma­nu­el Kant sieht bekannt­lich in der Ver­nunft des Men­schen die Grund­la­ge dafür, sich selbst, also „auto­nom“, ein eige­nes Gesetz im „Reich der Zwe­cke“ zu geben, das sich den sons­ti­gen Kau­sal­zu­sam­men­hän­gen ent­zieht. In die­sem „Reich der Zwe­cke“ habe alles ent­we­der einen Preis oder eben Würde.

Als „Zweck an sich“, so Kant, darf der Mensch aber kei­nes­falls nur rela­ti­ven Wert haben, der durch ande­re Zwe­cke auf­ge­ho­ben wür­de. Inso­fern ihm also die Fähig­keit zukommt, auto­nom in Lei­tung der ihm inne­woh­nen­der Ver­nunft mora­lisch gut zu han­deln, wird ihm Wür­de zuge­schrie­ben, der wie­der­um von außen obli­ga­to­risch die Frei­heit gewährt sein muß, will­kürfrei ver­nünf­tig und gut zu han­deln, wenn der Mensch das frei­wil­lent­lich als vom Kate­go­ri­schen Impe­ra­tiv gedeck­ten Vor­satz – als Maxi­me – so gefaßt hat.

Das mora­lisch Lau­te­re qua Ver­nunft zu tun, gut han­deln zu wol­len, dar­an aber durch äuße­re Will­kür gehin­dert zu wer­den, obwohl der Kate­go­ri­sche Impe­ra­tiv die Maxi­me zur guten Hand­lung als guten Wil­len bejah­te, das wäre entwürdigend.

Dies alles ist nicht nur schwie­rig, weil es u. a. neben der frag­li­chen Exis­tenz der Ver­nunft gesi­chert auch einen bedingt frei­en Wil­len vor­aus­setzt (“unab­hän­gig von [den] Natur­ur­sa­chen […] etwas her­vor­zu­brin­gen […], mit­hin eine Rei­he von Bege­ben­hei­ten ganz von selbst anzu­fan­gen”), son­dern – in die­sem fra­gi­len Kon­strukt – nicht allen klar, die all­zu pau­schal den ers­ten Satz des Grund­ge­set­zes fort­lau­fend wie einen Wer­be­slo­gan aufrufen.

Und letzt­end­lich mag die Wür­de eine Art Statt­hal­ter­schaft der Ver­nunft für eine sehr wich­ti­ge Herr­schaft sein, die frü­her Gott zukam. Daß die ver­meint­li­che Ver­nunft, daß der Mensch aus sich her­aus zur Moral befä­higt wäre, wird von Phi­lo­so­phen theo­lo­gi­scher Prä­gung arg bezwei­felt, etwa von Emil Brun­ner, der auf eine the­o­no­me Ethik setzt, inso­fern das Mora­li­sche selbst nicht in der mensch­li­chen Natur läge, son­dern stets des Höhe­ren bedürfe.

Er ruft Nietz­sche, Hit­ler und Mus­so­li­ni als Bei­spie­le dafür auf, wohin der Mensch käme, wen­de er sich von Gott ab. Mit Dos­to­jew­ski geraunt: „Wenn Gott tot ist, dann ist alles erlaubt.“ Sehen wir uns um und prü­fen, wie weit mensch­li­che Ver­nunft denn reicht.

Etwas sim­pel aus­ge­drückt: Dort, wo das gött­li­che Fünk­chen wes­te, wal­tet, so die Auf­klä­rung, die Ver­nunft. In jedem? In jedem, min­des­tens poten­ti­ell, so die Auf­klä­rer. Tat­säch­lich steht und fällt mit der ver­meint­li­chen Ver­nunft und der dar­aus resul­tie­ren­den Zuschrei­bung von Wür­de viel, anthro­po­lo­gisch und poli­tisch, so daß die Bestim­mung des Men­schen des Begrif­fes der Wür­de wohl min­des­tens im Sin­ne eines Als-ob bedarf.

Nicht nur jeder Über­griff auf die ver­meint­li­che Wür­de des Men­schen gilt als tabu, son­dern eben­so die Infra­ge­stel­lung der Exis­tenz der Wür­de selbst.

Der mit­tel­al­ter­li­che und vor­mo­der­ne Mensch kennt reli­gi­ös die Gna­de und die Ver­wor­fen­heit, er weiß sich bei Gott, erschrickt aber vor der Gott­lo­sig­keit, min­des­tens die Las­ten von Schuld und Sün­de sind ihm stets gegenwärtig.

Er weiß, daß er fehl­ge­hen kann, wäh­rend der moder­ne Mensch oft kurz­schlüs­sig meint, er kön­ne prin­zi­pi­ell sein Heil, die Wür­de, nie ver­lie­ren, da sie ihm im Sin­ne eines unver­lier­ba­ren, nie und nim­mer abzu­spre­chen­den, abzu­er­ken­nen­den und bei­na­he neu­ro­lo­gisch auf­zu­fas­sen­den „Bios“ eig­ne, eben­so wie die Tat­sa­che, daß er nun mal zur Gat­tung Mensch gehört. Der Mensch ist in der Les­art der Auf­klä­rung ohne das Attri­but der Wür­de schlech­ter­dings nicht zu denken.

Arthur Scho­pen­hau­er hielt nicht nur die um den Kate­go­ri­schen Impe­ra­tiv her­um ent­wor­fe­ne Ethik Imma­nu­el Kants für eine „ver­larv­te theo­lo­gi­sche Moral“ und somit den Impe­ra­tiv selbst für ein­fach nur ein Gesetz mehr, an das der Mensch sich nun hal­ten kön­ne oder eben nicht. Einen unbe­ding­ten Wert im Reich der Zwe­cke konn­te Scho­pen­hau­er nicht erkennen:

„Nicht bes­ser steht es mit dem ‚abso­lu­ten Wert‘, der sol­chem angeb­li­chen, aber undenk­ba­ren  Zweck an sich zukom­men soll. Denn auch die­sen muß ich, ohne Gna­de, als con­tra­dic­tio in adjec­to stem­peln. Jeder Wert ist eine Ver­gleichs­grö­ße und er steht sogar in dop­pel­ter Rela­ti­on: denn ers­tens ist er  rela­tiv, indem er für  jeman­den ist, und zwei­tens ist er kom­pa­ra­tiv, indem er im Ver­gleich mit etwas ande­rem, wonach er geschätzt wird, ist. Aus die­sen zwei Rela­tio­nen hin­aus­ge­setzt, ver­liert der Begriff Wert allen Sinn und Bedeu­tung. Dies ist zu klar, als daß es noch einer wei­te­ren Aus­ein­an­der­set­zung bedürfte.“

Er unter­zog folg­lich den Schlüs­sel­be­griff der Wür­de einer Revision:

Allein die­ser Aus­druck Wür­de des Men­schen, ein­mal von Kant aus­ge­spro­chen, wur­de nach­her das Schi­bo­leth aller rat- und gedan­ken­lo­sen Mora­lis­ten, die ihren Man­gel an einer wirk­li­chen oder wenigs­tens doch irgend­et­was sagen­den Grund­la­ge der Moral hin­ter jenen impo­nie­ren­den Aus­druck Wür­de des Men­schen ver­steck­ten, klug dar­auf rech­nend, daß auch ihr Leser sich gern mit einer sol­chen Wür­de ange­tan sehen und dem­nach damit zufrie­den gestellt sein würde.

Scho­pen­hau­er, der im übri­gen die Wil­lens­frei­heit völ­lig ver­wirft und den Men­schen nur nach sei­nem jeweils stärks­ten Motiv und aus sei­nem cha­rak­ter­li­chen Wesen her­aus zwangs­läu­fig han­deln läßt „Ope­ra­ri sequi­tur esse!“) , unter­stellt Kant, der hät­te aus anthro­po­lo­gi­schem Wunsch­den­ken her­aus etwas Gefäl­li­ges kon­stru­iert und das Mora­li­sche sowie die Wür­de eher in den Men­schen hineinprojiziert.

„Doch hat alles die­ses weder ihn noch das Publi­kum über den wah­ren Zusam­men­hang der Sache ent­täuscht: viel­mehr freu­ten bei­de sich, alle die­se Glau­bens­ar­ti­kel jetzt durch die Ethik (wenn­gleich nur idea­li­ter und für einen prak­ti­schen Zweck) begrün­det zu sehen.

Denn sie nah­men treu­her­zig die Fol­ge für den Grund und den Grund für die Fol­ge, indem sie nicht sahen, daß jener Ethik alle die­se angeb­li­chen Fol­ge­run­gen aus ihr schon als still­schwei­gen­de und ver­steck­te, aber unum­gäng­lich nöti­ge Vor­aus­set­zun­gen zugrun­de lagen.

Wenn mir jetzt, am Schluß die­ser schar­fen und selbst den Leser anstren­gen­den Unter­su­chung, zur Auf­hei­te­rung, ein scherz­haf­tes, ja, fri­vo­les Gleich­nis gestat­tet sein soll­te; so wür­de ich KANTEN, in jener Selbst­mys­ti­fi­ka­ti­on, mit einem Mann ver­glei­chen, der, auf einem Mas­ken­ball, den gan­zen Abend mit einer mas­kier­ten Schön­heit buhlt, im Wahn, eine Erobe­rung zu machen; bis sie sich am Ende ent­larvt und zu erken­nen gibt – als sei­ne Frau.“

Nur im Aus­blick: Scho­pen­hau­er setzt Kants deon­to­lo­gi­scher Ethik sei­ne Mit­leids­ethik ent­ge­gen und regt dar­in u. a. an, den Men­schen eben gera­de nicht nach des­sen Wert und Wür­de anzu­schau­en, son­dern ein­fach in sei­nem all­ge­gen­wär­ti­gen Leid.

Nur dort wür­de man sich ihm ver­wandt füh­len und dann nicht aus Bos­heit und nicht ego­is­tisch han­deln, inso­fern man aus­nahms­wei­se nicht den eige­nen Moti­ven folgt, son­dern jenen des lei­den­den ande­ren, des­sen Wesen man qua­si in einem mys­ti­schen Akt aber gleich­sam als das eige­ne erkennt. Das ist nach­voll­zieh­bar, läßt sich frei­lich nicht staats­tra­gend ein­brin­gen, weil Mit­leid nun mal nicht ver­ord­net wer­den kann, son­dern sich je nach Indi­vi­du­um eben zeigt oder nicht. -

Was fan­gen wir nun damit an?

Fol­gen wir ein­fach der kan­ti­schen For­de­rung der Auf­klä­rung, den Mut zu haben, uns unse­res eige­nen Ver­stan­des zu bedie­nen. So wäre zu beden­ken, daß es zwar sehr gut sein kann, daß es sich ethisch, juris­tisch und poli­tisch ange­nehm umgäng­lich mit dem Begriff, mit der Zuschrei­bung, der Pro­jek­ti­on von Wür­de leben läßt, daß aber küh­len Blicks bedacht sein möge:

Dabei han­delt es sich zunächst um ein Als-ob. Wir kön­nen ver­ein­ba­ren, daß der ers­te Arti­kel des Grund­ge­set­zes gel­te, wir dür­fe es hof­fen, wir kön­nen die­se Annah­me exe­ku­tiv und judi­ka­tiv auf­rüs­ten und den Sozi­al­kun­de­leh­rer ver­kün­den las­sen, daß dem Men­schen Wür­de eig­ne, die nicht ange­tas­tet wer­den darf, aber wir soll­ten sehen, daß die Wür­de, wenn es sie gibt, lei­der eben nicht unan­tast­bar ist, weil sie auf der Welt und hier­zu­lan­de in viel­fäl­ti­ger Wei­se und durch­weg aufs unwür­digs­te ange­tas­tet wird, es sei denn, man schaff­te einen bewehr­ten Schutz­raum, in dem mög­lichst nach die­sen anzu­er­zie­hen­den, zu prä­gen­den und zu sank­tio­nie­ren­den Ver­ein­ba­run­gen gehan­delt würde.

Wo aber han­delt der Men­schen über einen ver­ein­bar­ten Raum und abseits wirk­sa­mer Insti­tu­tio­nen wür­de- oder respekt­voll? Wo ist geschützt, was wir uns als Wür­de wün­schen? Wo in Zai­re, wo in den Elends­quar­tie­ren, wo in Clan-Regio­nen Neu­köllns oder Dortmunds?

Ledig­lich dort, wo ganz im Sin­ne von Tho­mas Hob­bes’ Levia­than eine Macht wal­tet, die Sicher­heit garan­tiert, die die Men­schen mit­ein­an­der leben läßt, ob ihnen selbst nur Wür­de zukommt oder nicht. Die Gefahr liegt in der Annah­me, der Mensch han­de­le aus sich her­aus mora­lisch und würdevoll.

Das mag er tun. Wenn er das Zeug dazu hat, wenn er, aus wel­chen Grün­den auch immer, zu einer halb­wegs ethisch intak­ten Per­sön­lich­keit her­an­ge­wach­sen, her­an­ge­bil­det ist. Viel­fach und vie­ler­orts geschieht das in der „bun­ten“ Welt aber nicht. Gera­de Rous­se­aus Auf­fas­sung vom „guten Wil­den“ führt auf unsi­che­res Terrain.

Sei­ner Natur nach ist der Mensch nicht sicher, im Ethi­schen schon gar nicht; er bedarf, sie­he Arnold Geh­len, der Kul­tur und damit der sta­bi­len Insti­tu­tio­nen, um über­haupt zum Guten befä­higt zu wer­den. Dort erst besteht bedingt die Chan­ce für „Mensch­lich­keit“.

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Kommentare (42)

Tobinambur

15. Februar 2019 13:33

Der Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ rief schon immer Kopfschütteln bei mir hervor. Es ist ein deskriptiver Ist-Aussagesatz, kein deontischer Sollen-Satz. Folglich beginnt das Grundgesetz mit einer Lüge. Man hätte das GG auch mit dem Satz beginnen können: „Der Mond ist aus grünem Käse“, denn der hat den gleichen Wahrheitswert. Was soll also diese Fake-Verfassung? Sie sollte wohl – das unterstelle ich ihren Gründervätern – etwas gutes und sinnvolles bewirken, aber wie so oft ist das Gegenteil auf kürzerem Weg erreicht: Wer auf Realitätsverweigerung baut, indem er einen unwahren Satz zum Prinzip macht, kann nicht erwarten, dass daraus praktische Handlungen für den Umgang mit der Realität folgen. Die heutige Hypermoralrepublik ist aus dieser Perspektive unausweichlich gewesen. Denn was nicht sein kann, das nicht sein darf!!! Da kommt die Moral in großen Schritten. Was wäre die Alternative? Eine Verfassung, die das Zusammenleben mit minimalistischen Regeln (und so lokal wie möglich: Subsidiarität, Familie, Volk/Nation) vor den Extremen der inneren und äußeren Gewalt schützt und dazu Institutionen bereitstellt, deren Funktion es ist, dies zu garantieren (siehe Hobbes, siehe Gehlen). Ansonsten sollte man die Menschen in Ruhe lassen. Aber das erfordert das Funktionieren von (rückwärts buchstabiert) Volk/Nation… Familie … Individuum. Wenn wundert’s, dass die Dekonstruktion mit dem Volk beginnt, die Familie in ihrem Malstrom erfasst und das Individuum als geschlecht-, familien- und volklose Stoffwechselmaschine zurücklässt, oder wahlweise: Produktions- und Konsumtionsmaschine. PS: Gut geschützt vor Feinstaub u.ä.

Der Gehenkte

15. Februar 2019 16:36

Der Begriff der "Würde" des Menschen wäre ohne unser christliches Erbe nicht zu verstehen. Er wurzelt in der durch Gott verliehenen Seele des Menschen sowie der Ebenbildlichkeit Gottes und der Vorstellung der Schöpfungskrone.

Erst danach kommt der Selbstzuweisung der Vernunft eine tragende Rolle zu, die freilich mit der Aufklärung und ganz explizit Kant als Bewußtwerden der Säkularisation - also der Fraglichkeit Gottes - rasant Fahrt aufgenommen hat.

Heute, in Zeiten, in denen die Einsicht in die Evolution Evidenzcharakter angenommen hat, hat der Begriff seine transzendentale Bedeutung vollkommen eingebüßt.

Man kann ihn nur noch als Willensakt ernst nehmen. Insofern ist § 1 lediglich eine Willenserklärung, die zum Gesetz erhoben wurde. Es ist mithin - wie Franz Josef Wetz schon vor 20 Jahren in seinem Buch "Die Würde des Menschen ist antastbar" geschrieben hat - ein fragwürdiger Anthropozentrismus.

Historisch ist er - etwa dem Stummeltrittbrett des VW-Käfer vergleichbar - ein philosophisches Rudiment, daß man, wie Hermann Lübbe immer wieder betonte, nur historisch erklären könne. Die Redeweise "das ist nur historisch erklärbar" ist demnach "nur dort am Platz, wo eine begründete Rationalitätserwartung enttäuscht wird und ein funktional der erwarteten Rationalität sich nicht fügendes Element einzig genetisch, durch Rekurs auf die Geschichte des gegebenen Zusammenhangs sich plausibel machen läßt" (Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse).

Bosselman scheint mir diese Unterscheidung nicht treffen zu wollen.

Dabei muß hier sehr verschiedene Begriffsstufen streng unterscheiden, von Charisma bis Sozialstatus.

Vor allem aber zwischen deskriptivem und präskriptivem Gebrauch. Die Intention des § 1 - mit Vorsicht; ich bin kein Rechtsexperte - kann demzufolge nicht auf würdeloses Verhalten, würdelose Zustände etc. bezogen werden.

"Ist" dürfte hier als Optativ mit imperativischem Beiklang zu verstehen sein, möglicherweise bewußt in der Schwebe gehalten - man hätte evtl. besser "sei" schreiben sollen. Klassisches Bsp. ist Goethes "Edel sei der Mensch ..." oder Georges "Kein ding sei wo das wort gebricht".

Versteht man das "ist" deskriptiv, als Ist-Zustand, wie Bosselmann es zu tun scheint, dann ist die Würde natürlich per se angreifbar, nämlich immer dann, wenn sie angegriffen wird. Vielleicht - ohne etwas zu unterstellen - kann hier der Zusammenhang zu Ulrike Meinhofs Ermächtigung erhellen, die bekanntlich den Imperativ (im Gegensatz zu Wetz) vertrat: "Die Würde des Menschen ist antastbar!

Gotlandfahrer

15. Februar 2019 16:51

Letztens aufgeschnappter Dialog zum Thema Menschenwürde:

A: Die Menschenwürde ist unantastbar! Das muss stets oberste gesellschaftliche Leitlinie sein!

B: Wieso? Wenn die unantastbar ist?

A: Wieso „wieso“?

B: Na, wenn sie unantastbar ist kann der doch nix passieren? Muss man dann ja nicht erwähnen. Ist ja sonst so wie „Salzwasser ist untrinkbar“. Oder „Gedanken sind unlesbar“. Trivial.

A: Es ist ein Imperativ. Weil sie ja leider antastbar ist.

B: Also ist sie antastbar? Dann müsste es ja heißen: Die Menschenwürde darf nicht angetastet werden.

A: Das… ist das gleiche, nur nicht angemessen pathetisch.

B: OK, also das heißt dann soviel wie: Anfassen verboten. Gut, macht Sinn. Bedeutet aber auch: Jeder ist für seine Würde selbst verantwortlich, nur von anderen angetastet werden darf sie halt nicht. So wie bei meinem Rasen. Den mähe ich selber, es darf nur halt kein anderer rauf. Denn wenn jemand anderes, zum Beispiel die Gesellschaft, aufgrund einer obersten Leitlinie, verantwortlich wäre, müsste sie die Würde ja antasten dürfen. Oder meinen Rasen mähen.

A: Die Gesellschaft ist für den Schutz der Würde verantwortlich, also dafür, dass das Verbot ihren Rasen zu betreten, auch durchsetzbar ist.

B: Jaja, die darf nicht angetastet werden, schon klar, da muss die Gesellschaft drauf achten, aber mehr auch nicht, sonst hat’s sie nicht zu kümmern, oder?

A: Worauf… wollen Sie hinaus?

B: Dass sich die Gesellschaft, außer was das Antasten durch andere angeht, von der Würde aller Menschen fernhalten sollen müsste. Wie von meinem Rasen.

A: Die Gesellschaft, der Staat muss… die Rahmenbedingungen schaffen, damit sie jedem Menschen gewahrt bleibt.

B: So ne Art Zaun? Wie um meinen Rasen? Nur vom Staat? Dann wird die Würde ja eingegrenzt. Und ja auch irgendwie durch den Rahmen berührt?

A: Es wird albern. Es geht darum, dass niemand entwürdigt werden soll, was gibt es dagegen einzuwenden?

B: Darf ich mich selbst entwürdigen?

A: Tun Sie gerade.

B: Was sieht die oberste Leitlinie jetzt vor?

A: Mit Ihrem Rasen können Sie tun was Sie wollen, im Rahmen der allgemeinen Gesetzgebung.

B: Das heißt dann aber, dass jeder einen unterschiedlichen Rasen haben kann, also auch unterschiedliche Würde?

A: Wie Sie Ihre Würde entfalten bleibt Ihnen überlassen, die Qualität jeder Würde bleibt dabei gleich und Andere haben kein Recht, diese herabzusetzen.

B: Das ist wie bei den Indern, da gibt’s auch die „Unberührbaren“. Klar kannste die berühren, sollste halt nicht. Fertig.

A: Wenn Sie so wollen.

Amos

15. Februar 2019 17:56

https://uebergottunddiewelt.de/gut-und-boese-4-moral-und-recht/

Das Thema ist nahrhaft. Vielleicht lagen Nietzsche und Dostojewskij richtig, die Menschenrechte beziehen sich auf einen Nucleus, auf Heiliges. Ohne Gott oder eine Idee, was nun „Nucleus“ oder was „heilig“ ist wird alles zum Menschenrecht. Das führt zur gegenwärtigen Stärkung des Behemot und zum Zurückweichen des Leviathan. Ungebremst und unbalanciert führt das aktuelle Verständnis der Menschrechte zurück zum Recht des Stärkeren, was viele Mitbürgerinnen bereits leidvoll erfahren durften.

Niekisch

15. Februar 2019 18:28

" „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
An diesem Haupt-Satz des Grundgesetzes mißt sich die Republik."

Das kann anders gesehen werden und muß wohl auch.

Die bedeutendste Vorschrift des Grundgesetzes (GG) ist Art. 1 GG -Menschenwürde- nur n e b e n Art. 20 GG, der eine "Verfassung in Kurzform" darstellt und die Republik als Gegensatz zur Monarchie definiert. Art. 20 GG enthält unmittelbar geltendes Recht, wohingegen es sich bei Art. 1 GG um ein Generalklausel ohne Grundrechtscharakter, jedenfalls nicht im Sinne eines Freiheitsrechtes, handelt. Denn in Abs. III ist von den "nachfolgenden Grundrechten" die Rede. Schon durch das Grundrecht des Art. 2 Abs. I GG wird die Persönlichkeit geschützt. Jeder Verstoß gegen die Würde des Menschen ist zugleich eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts, so daß der Gehalt des Art. 1 Abs. I GG über Art. 2 Abs. I ohnehin als Grundrecht geschützt ist. Die Bedeutung des Art. 1 Abs. I GG relativiert sich also im Verfassungssystem selber schon.

Zudem sollte Art. 1 GG stets vollständig zitiert werden, wenn er diskutiert wird. Er lautet vollständig:

Absatz I: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Absatz II: Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

Absatz III: Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Aus Letzterem folgt, daß Verstöße gegen die Menschenwürde nur konkretisiert nach Fallgruppen subsumiert werden können.

Später komme ich auf die Definition der "Menschenwürde" im Rechtssystem zu sprechen.

dAnnunzio

15. Februar 2019 19:35

Ohne Gott als Schöpfer vorauszusetzen hat der Mensch weder Würde noch Rechte, hat er eigentlich nicht einmal ein Existenzrecht. Die französische Revolution und ihre Nachkommen haben zwar versucht, diese Tatsachen umzudeuten, es ändert aber nichts an dem Faktum, daß ein Wesen ohne Schöpfer nicht nur sinn- sondern auch bedeutungslos ist.

Yvonne Cremer

15. Februar 2019 19:53

Es gibt keine Menschenwürde, diese "hohle Hyperbel" (ebenfalls Schopenhauer), in einem naturrechtlichen, also vorrechtlichen Sinn, denn es gibt überhaupt kein Naturrecht, jedenfalls kein rational fundierbares. Einzig allein lauter ist der Rechtspositivismus. Im neuesten maßgeblichen Kommentar zu Art. 1 wird die ursprüngliche naturrechtliche Konzeption bereits aufgegeben. Nach Herdegen ist auch Art. 1 Abs. 1 als ein der Abwägung unterliegendes Grundrecht aufzufassen (was der Sache zumindest etwas den Nimbus nimmt, allerdings damit eigentlich den Wesenskern des Würdebegriffs zerstört. Bzw. wozu braucht man den dann noch...). Nur leider hat das bisher keinen Durchschlag gefunden in das allgemeine menschenrechtliche Geplapper, darauf fußt ja schließlich die gesamte Menschenrechtsreligion. Schön ist es, wenn sie sich auf Kant berufen, was sie so gerne tun. Der aber zog Schlüsse aus seinem Imperativ, die unsere hiesigen Moralapostel niemals unterschreiben würden, wie z.B. Todesstrafe erlaubt, Homosexualität verboten und lügen selbst dann, wenn es darum geht einen Unschuldigen vor seinem Mörder zu schützen.

Niekisch

15. Februar 2019 21:34

"Ohne Gott als Schöpfer vorauszusetzen hat der Mensch weder Würde noch Rechte, hat er eigentlich nicht einmal ein Existenzrecht."

@ dÁnnunzio 15.2. 19:35: Stellen Sie sich vor, der Staat macht diese Aussage per Gesetz für alle Bürger verpflichtend, hätten wir dann nicht ein typisches Beispiel für einen Verstoß gegen die Würde des Menschen - Verstoß gegen Art. 1 Abs. I, 2 Abs. I GG, weil der betroffene Mensch unter Ausschaltung seiner freien Persönlichkeit zum staatlichen Objekt gemacht wird? Von Art. 4 GG einmal ganz abgesehen, denn es gibt auch die sog. negative Religionsfreiheit.

Franz Bettinger

15. Februar 2019 22:08

Das Wort Würde ist sprachlich verwandt mit dem Wort Wert. Es bedeutet Erhabenheit. Der Gegensatz dazu wäre die Schande, das Sklavische, Verbrecherische. Der Wert des Menschen ist nicht antastbar? Alle Menschen sind gleich viel wert? Klingt urchristlich, erzkommunistisch, kurz: weltfremd. Der Hässliche, Dumme, Faule, Lieblose, Langweilige soll gleich viel wert sein wie der Schöne, Intelligente, Fleißige, Liebenswerte und der Interessante? Das ist ausgemachter Quatsch. Und dieser Quatsch steht in Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Nicht jeder Mensch hat eine erhabene Gesinnung, also eine Würde. Soll denn die niedere Gesinnung eines Verbrechers unantastbar sein? Dann dürften wir Verbrecher nicht bestrafen, nicht einsperren, ja nicht einmal verfolgen. Friedrich Schiller sah die Würde des Menschen nicht als idealistische Träumerei, sondern als die Befriedigung elementarer Bedürfnisse: "Nichts mehr davon, ich bitte euch. Zu essen gebt ihm, ein Dach überm Kopf. Habt ihr die Blöße bedeckt, ergibt sich die Würde von selbst." Das lasst uns unterschreiben, aber nicht mehr.

Franz Bettinger

15. Februar 2019 22:17

PS* ad weiterer Blödsinn: Siehe den Film 'Terror' und die nachfolgende Diskussion in Hart aber Fair. Ex-Minister Gerhard Baum beruft sich auf die unantastbare Würde des Menschen, die es unmöglich mache, den Tod von 100 gegen den Tod von 70.000 aufzurechnen. Im Krieg, meint er, herrschten andere Gesetze, obwohl seine Behauptung nicht von Artikel 1 GG gedeckt ist. Im Krieg dürfe man töten und zerstören. Im Krieg müsse die Würde - er meint die des Gegners - vor den Notwendigkeiten zurückstehen. Das Kriegsrecht sei eben ein anderes als das zivile Recht. Soso. Steht alles nicht im Grundgesetz! Später haben gewiefte Staatsrechtler aus nahe liegenden Gründen den Begriff des Krieges auf den des Terrors erweitert oder gleich vom 'Krieg gegen den Terror' gefaselt, um die Würdelosigkeit der eigenen Verbrechen zu legitimieren. Was für eine Heuchelei!

PS: "Schöne mehr wert als Hässliche? Warum? Für sein Aussehen kann man doch nichts. Soll das gerecht sein?" Für seine liebenswerte Art kann man auch nichts, oder für seinen IQ, sage ich. Die Natur der Welt ist nicht gerecht. Auch der Müßiggänger kann möglicherweise nichts gegen seine Trägheit ausrichten. Vielleicht ist man seinen dunklen Trieben ja ausgeliefert, seiner rebellischen oder kriminellen Ader. Gerechtigkeit? Gibt es nicht! Sie ist eine Erfindung. Wollte man Gerechtigkeit, müsste man den Schönen verstümmeln und den Fleißigen strafen. Verrückt? Gewiss, aber das gab es: In der DDR durften die Kinder von Ärzten i.d.R. nicht studieren. Vom Terror der Maoisten während der Kultur-Revolution ganz zu schweigen. Wo man die Gerechtigkeit dick auf den Fahnen stehen hatte, entstanden fast stets die unmenschlichste Gesellschaften. Diesem Irrtum unterliegt Merkel nun wieder; dem naiven Glauben an eine kranke und deshalb zu zu heilende Welt. Und wieder schafft sie das Gegenteil. Ihre Naivität und blanke Dummheit sind real. Dagegen ist wenig auszurichten.

Amos

15. Februar 2019 22:47

D‘accord dAnnunzio, „letzte Werte“ allein mit den Mitteln der Vernunft begründen zu wollen ist aussichtslos, weil selbstwidersprüchlich. Entweder diese Werte sind „letzte“, also der Kausalität, der kritischen Prüfung und ggf. Falsifizierung nicht unterworfen, oder sie sind innerhalb von Kausalität, Ursache und Wirkung, Mittel und Zweck angesiedelt, dann aber höchstens vorläufig letzte Werte. Raskolnikov landet nicht vor dem Gerichtshof der Vernunft, sondern einer, wenn man so will, höheren Instanz.

Thomas Martini

15. Februar 2019 23:12

Nur ein vielseitig ausufernder Bevölkerungsbegriff, dem eine multikulturelle Konzeption zugrunde liegt, garantiert die Grundgesetzmenschenwürde .

Laurenz

16. Februar 2019 09:18

@Herrn Bosselmann .... bester Artikel bisher, ich danke, gewaltige Sprache, brillante Formulierung, ein Meisterwerk, und dazu amüsant. Erst als der Autor zum ernsten Teil überging und den Maskenball schilderte, verging mir das Grinsen. Als Mann sollte man in einer verchristlichten Welt dafür sorgen, daß die Geliebten in einem gehörigen Abstand voneinander leben. Das männliche Leben ist schon kurz und braucht keine weitere Verkürzung.
In meinem Verständnis sieht sich der Autor in (zumindest in der Darstellung hier) der Gefolgschaft Schopenhauers, dem kann ich mich anschließen. Es ist schwer zu verstehen, wie man sich als Mensch aus der Naturgesetzlichkeit herausnehmen kann, um dem sogenannten Humanismus zu frönen, als seien wir schon Gott und damit unveränderbar absolut. Der Humanismus, oder bereits im Altertum die Zivilisation, führte zu unserer Degeneration.
Unsere Gesellschaft führt darum symptomatisch und permanent belanglose Scheindebatten, z.B. über ein Verbot von Wildtieren im Zirkusgewerbe. Jedem Zirkustier geht es hier besser als Tieren im Mittleren Osten und Ostasien. Erobern wir jetzt den asiatischen Kontinent, um den Asiaten mal so richtig Tierliebe einzubläuen? http://www.spiegel.de/plus/von-hunden-und-eseln-a-fcd180ce-d92b-47d8-bcff-0a1168eead94
Vielleicht liegt es ja auch daran, daß es in Asien und Afrika keine Nazis gab, die realpolitisch den Tierschutz erfanden? Stellt jemand (z.B. der deutsche Bundestag), bezüglich Singapurs (knapp 8.000 Einwohner pro km2) die Frage nach der artgerechten Haltung von Menschen?

Natürlich muß man die Abstraktion des Artikel 1 des Grundgesetzes nicht so radikal sehen wie Herr Bosselmann & seine Zustimmer. Es bildet sich sehr wohl eine Schnittmenge aus den bundesdeutschen Individuen, mit ihrem singularen Verständnis, was Würde des Menschen bedeutet, so wie auch jeder das vollkommen unsinnige Liberté, Égalité & Stupidité der franz. Revolution versteht, trotz dessen Vergewaltigung der beschränkten menschlichen Intelligenz. Die Abstraktion von "Die Würde des Menschen ist unantastbar" muß, aus Gründen der Staatsraison, abstrakt bleiben. Stünde dort ein definiertes einklagbares "Das Recht des Menschen ist unantastbar" wäre das äußerst problematisch und würde wohl in permanente Kriegshandlungen führen. Das können, realistisch betrachtet, nur die US Amerikaner.
Beziehen wir uns, wie einige Foristen das tun, zurück auf den "Göttlichen Funken", so kommen wir der unlogischen Unsinnigkeit des Artikels 1 noch näher. Der göttliche Funke ist ein brutaler Gegner des Humanismus. In unserem Universum zwingt der Große den Kleineren in seine Umlaufbahn, oder frißt ihn gar ganz auf. Wie schrieb Castaneda, "das Universum ist ein räuberisches". Insofern sind wird das ideale Abbild der göttlichen Allmacht, die sich für uns einen feuchten Kehricht interessiert. Die religiöse Anmaßung, Gott würde sich unseren Vorstellungen und Idealen unterwerfen, macht diesen doch zu einem kleinen machtlosen Hanswurst, da hilft auch kein Leibniz aus der Bredouille. Machtausübung bedeutet grundsätzlich Zwang und Ausgrenzung des Andersdenkenden, die Polarisierung und damit die Erschaffung des Bösen an sich, weil man es braucht, um sich von ihm, zumindest propagandistisch, zu unterscheiden.

Was ist denn die Sezession im Netz & Co.?

Die Sezession im Netz ist, in meinen Augen, nichts anderes als ein Kampf um die Durchsetzung des Artikel 1.
Es geht um die zukünftige eigene Würde als konservatives Individuum, welches jetzt, aktuell, der eigenen Ausgrenzung in Würdelosigkeit und Mißachtung ausgesetzt ist.

Nath

16. Februar 2019 10:49

@d'Annunzio
"....es ändert aber nichts an dem Faktum, daß ein Wesen ohne Schöpfer nicht nur sinn- sondern auch bedeutungslos ist."
Dann ist somit Gott selbst sinn- und bedeutungslos, da er als ens increatum ja keinen Schöpfer besitzt? Was sich in der gesamten abrahamitischen Theologie historisch vollzieht, ist nichts anderes als eine Verabsolutierung und Deifikation von Kausalität. Weder im Taoismus, im Buddhismus, noch im Jainismus, um einige asiatische Beispiele anzuführen, koinzidiert die spirituelle Wirklichkeit mit der Idee eines Schöpfergottes. Selbst bei explizit theistischen Traditionen ist das höchste Wesen keineswegs synonym mit einem Schöpfer zu verstehen, der Natur und Lebewesen aus dem Nichts ins Dasein treten ließe. Vielmehr wird die relative Welt (einschließlich der Seelen) hier entweder a.) als eine Selbstmanifestation des Absoluten begriffen oder es wird ihr b.) ein vom höchsten Wesen ewig unabhängiges substanzielles Bestehen zugeschieben (z.B. im Shaiva Siddhanta). Dies bringt in Bezug auf das Theodizeeproblem einen nicht zu unterschätzenden Vorteil mit sich.
Was nun die christliche Tehologie anbetrifft, sofern sie Aristoteles "adaptiert", so empfiehlt es sich, bei diesem selbst einmal genauer nachzuschauen. Auch hier, dem Begründer der "Ersten Philosophie", ist das Göttliche keinesfalls "Schöpfer", weder Material-, Formal-, noch Wirkursache der "Kreaturen", sondern deren End-Ursache (causa finalis), was vor dem Hintergrund der aristotelischen Ontologie auch einzig Sinn macht.
Dass Thomas oder Bonaventura nun gleichwohl meinen, den Griechen ihre dezidiert nicht-kreationistische Theologie unter den Füßen wegziehen zu können, um Versatzstücke derselben in ihre "scientia divina" einbauen zu können, obwohl sie mit dieser prinzipiell inkompatibel sind, ist ein Kuriosum der besonderen Art. Überspitzt formuliert ist es Beispiel für eine Plagiats-Theologie, wie sie einem allerdings im Verlauf der Geschichte zu oft begegnet (z.B. in Bezug auf Platon), um hier von einem "historischen Einzelfall" zu sprechen.
Fazit: Die jüdisch-christlich-islamische Gleichsetzung: Deus = creator ex nihilo und demzufolge auch die Gleichsetzung: Seele=ens creatum ist religionsgeschichtlich die Ausnahme, nicht die Regel. Man mag wie Sie daran glauben, sollte aber vorsichtig damit sein, Menschen, die dies nicht tun, eine sinnhafte Existenz abzusprechen.

Weltversteher

16. Februar 2019 11:00

Manches Geistige als dem Menschen gemäßes klang hier allenfalls kryptisch an. Lauthals hört man dagegen: Natur! Als ob die Würde in der "Natur" zu finden wäre, worunter jene, die den Menschen als Teil derselben betrachten, ihn ganz pressen wollen. Homo homini lupus. Ihr erschafft es selbst aus eurem Irrtum!
In der Tat wird man die Würde als Erbteil aus der geistigen Herkunft des Menschen erkennen müssen. Demnach zielt sie auch auf etwas anderes ab, als was uns der heutige UN-Humanismus verkaufen will. (Diese Sorge müßt ihr hier nicht ereifern...)
Ja, die Würde ist zunächst ein Potential, und daher, ihr Mitbürger: Entfaltet eure eigene!

Weltversteher

16. Februar 2019 11:47

Praktisch betrachtet wird die Würde im zwischenmenschlichen Umgang greifbar: Sie wird dort "angetastet", wo man einen anderen Menschen zum Objekt macht.
Herrn Bosselmann z. B. ist oder war in seinem Beruf diese Begegnung alltäglich möglich.

Niekisch

16. Februar 2019 12:26

Im Anschluß an 15.2. 18:28:

Beim jetzigen Stand der Diskussion ist es vielleicht interessant und weiterführend, die juristische Sicht auf Art. 1 GG wenigstens anzureißen, wobei ich mich an die Darstellung des Verfassungsrechtlers Hesse (Grundbegriffe des Verfassungsrechts) halte:

„Der Eingangsartikel des Grundgesetzes normiert „das unbedingte und in der Art seiner Realisierung unverfügbare oberste Prinzip der neuen Ordnung“: die Unantastbarkeit der Würde des Menschen und die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, sie zu achten und zu schützen. Weit entfernt von einer abstrakten Formel der bloßen Deklamation, der juristische Bedeutung abgeht, kommt diesem Prinzip das volle Gewicht einer normativen Grundlegung dieses geschichtlich-konkreten Gemeinwesens zu, dessen Legitimität nach einer Zeit der Unmenschlichkeit und im Zeichen gegenwärtig latenter Gefährdung der „Würde des Menschen“ in der Achtung und im Schutz der Menschlichkeit liegt. Das Bild des Menschen, von dem das Grundgesetz in Art. 1 ausgeht, darf dabei weder individualistisch noch kollektivistisch mißverstanden oder umgedeutet werden. Für die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes ist der Mensch weder isoliertes, seiner geschichtlichen Bedingtheiten entkleidetes Individuum, noch wesenloses Partikel moderner „Masse“. Er wird vielmehr als „Person“ verstanden: von unverfügbarem Eigenwert, zu freier Entfaltung bestimmt, zugleich aber auch Mitglied von Gemeinschaften, von Ehe und Familie (Art. 6 GG), Kirche (Art. 140 GG), sozialen und politischen Gruppen (Art. 9 u. 21 GG), der politischen Gemeinden (Art. 28 Abs.II GG), nicht zuletzt auch des Staates...“

Nach „herrschender“ Meinung ist eine Definition des Begriffs der Menschenwürde nicht möglich, weil es keine übergeordnete begriffliche Kategorie gibt, unter die der Begriff zu subsumieren ist. Vielmehr verlangt eine Inhaltsbestimmung der Menschenwürde eine Wertung, wie sich bereits aus dem Wortlaut von „Würde“ ergibt. Die Maßstäbe müssen vorwiegend dem sittlichen und ethischen Bereich entnommen werden. Der Begriff der „Menschenwürde“ ist eine wertausfüllungsbedürftige Generalklausel. Es kann nur versucht werden, den Begriff zu umschreiben: „Jeder Mensch ist Mensch kraft seines Geistes, der ihn abhebt von der unpersönlichen Natur und ihn aus eigener Entscheidung dazu befähigt, seiner selbst bewußt zu werden, sich selbst zu bestimmen und sich und seine Umwelt zu gestalten“ (Maunz-Dürig). Nach Wintrich besteht die Würde des Menschen darin, „daß der Mensch als geistig-sittliches Wesen von Natur darauf angelegt ist, in Selbstbewußtsein und Freiheit sich selbst zu bestimmen, sich zu gestalten und sich in der Umwelt auszuwirken“. Nach Stein bedeutet das Bekenntnis zur Würde des Menschen das Bekenntnis zum Menschen als dem höchsten Wert. Er sieht die Würde als Verkörperung eines Wertes.

Die Juristen prüfen wie stets bei Generalklauseln ggflls in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG in Fallgruppen, z.B. Behandeln eines Menschen als bloßes Objekt des Staates durch Folter.

Nath

16. Februar 2019 14:46

Niekischs Dialog bringt das Ganze auf den Punkt: Als ontologischer Satz ("...i s t unantastbar.") beinhaltet die Präambel nichts als ein assertorisches Urteil ohne jegliche Beweiskraft. Man hätte allenfalls schreiben können: "Die Würde des Menschen s o l l unantastbar sein." aber dann hätte man sich explizit nicht nur auf Kant (der Mensch als "Zweck an ihm selbst"), sondern auf Fichte zurückbeziehen müssen. Letzterer ist nämlich der einzige Denker, welcher das Sein a priori aus dem Sollen, die Gegenständlichkeit des Nicht-Ich aus der ursprünglichen Tathandlung des Ich ableitet ('A s o ll A sein' qua 'Ich s o l l Ich sein'). Andernfalls bleibe auch diese alternative Formulierung auf die anthropologische Sphäre beschränkt und damit nicht-absolut, mit anderen Worten bezogen auf ein anderes absolut Seiendes, nämlich die "objektive Natur". Der springende Punkt bei Fichte ist ja, dass es sich bei seiner Wissenschaftslehre gerade nicht um eine, modern gesprochen, Theorie der Subjektivität, sondern um eine Reduktion aller Objektivität auf die (absolute) Ich-Setzung handelt. Ich behaupte, von hier aus, und nur von hier aus, könnte der Satz "Die Würde des Menschen ist unantastbar", Anspruch auf Plausibilität erheben. Denn nur sofern der "empirische Mensch"aus der Idealität und All-Gültigkeit der Subjektivität abgeleitet wird, fallen Sollen und Sein bei ihm zusammen. Dass der eine oder andere "Vater des Grundgesetzes" damals Fichte im Hinterkopf gehabt haben könnte, ist nicht auszuschließen. Bei der Abfassung der bundesrepublikanischen "Verfassung" (sie selbst betont ja ihre Vorläufigkeit) dürfte ein derartiger Rückgriff auf genannten Denker freilich kaum eine Rolle gespielt haben. Trotzdem ließe sich die Frage stellen: Sind nicht alle zeitgenössichen Verfassungspatrioten - vermeintlich allem Idealismus abhold - unwissentliche Fichteaner?

Nath

16. Februar 2019 14:48

Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Der "Dialog" stammt natürlich von @Gotlandfahrer.

Heino Bosselmann

16. Februar 2019 20:30

@Niekisch, @Nath: Sehr wesentlich, vertiefend und substantiell, was Sie zu meinem allzu philosophisch und vermutlich gar zu flott skizzierten Ansatz beisteuern, zumal aus verfassungsrechtlicher Sicht. Ich las es mit höchstem Interesse und möchte mich dafür bedanken, daß Sie insofern für eine Erweiterung sorgten, der es sachlich tatsächlich bedurfte. Das ist absolut Ihr Verdienst. Nehmen Sie diese Notiz als Kompliment und Ausdruck meines Respekts. - Ich meinte das anmerken zu müssen, obwohl ich mich ansonsten heraushalte. Ihre Ergänzungen waren sehr notwendig. Erst so wird der Problemkreis abgeschritten. Händedruck. -

Franz Bettinger

16. Februar 2019 20:47

"Die Würde des Menschen ist unantastbar." Das Problem bei dieser Soll-Vorstellung ist, dass sie heute von jedem Trittbrettfahrer als Ausweis auf den Tisch gelegt werden kann und von Merkels Erfüllungs-Gehilfen, Journaille und Juristerei, für bare Münze eins zu eins umgesetzt werden könnte. Dann ist dieser Staat am Ende.

Der Satz ist nicht praktikabel. Er ist so hohl, unwahr und kontraproduktiv wie der Satz "Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, halte ihm auch die linke hin." Beide Sätze sind schlicht Unsinn und bestenfalls Wunschdenken. Solche Aussagen gehören in die Welt der Märchen, nicht in eine Verfassung.

Was ist sie denn, diese Würde, dieser immanente Wert des Menschen? Was macht sie aus? Jeder Erziehungsversuch eines Kindes verletzt dessen Würde, erst recht, wenn man es züchtigt oder zu Bett schickt, wenn es lieber fernsehen will. Eine schlechte Note in der Schule verletzt die Würde eines Schülers, da mag er noch so dumm sein. Ein Korb von einem Mädchen verletzt die Würde von einem, der mit ihr tanzen will, erst recht, wenn dieser Moslem ist. Ein Pickel auf der Nase verletzt die Würde eines Heranwachsenden. Die Würde des Menschen? Es gibt nichts auf der Welt, was mehr in den Staub getreten wurde. Was ist mit der Würde der in Abu Ghraib und in Guantanamo Gefolterten? Was mit der Würde der IS-Soldaten und von deren Frauen und Kindern, die wir "Demokraten des Westens" in Mossul etc. zertrümmert haben? Was mit der Würde der Taxi-Insassen und der Hochzeitsgäste, die auf Geheiß amerikanischer Präsidenten von US-Drohnen zerfetzt werden? Was ist mit der Würde von PEGIDAisten, die von Staatsministern als Pack beschimpft werden. Wie? Es geht nur um die Würde der guten, nicht aber der bösen Menschen? Nein! Von Gut und Böse handelt der Artikel 1 GG explizit nicht. So gut er vielleicht gemeint gewesen sein mag, schafft den Artikel ab. Er taugt nichts. Es schafft nur weiteren Blödsinn, und es sind immer die Falschen, die sich auf auf ihn berufen.

qvc1753

17. Februar 2019 00:28

Warum schreibt man einen solchen Artikel? Art. 1 GG ist - sozusagen - die Quintessenz des Grundgesetzes und der historischen Erfahrung aus der Zeit davor.
Der Mensch (nicht der Bürger) besitzt eine im Kern unantastbare Würde, die ihm nicht genommen oder beschnitten werden darf und die der Staat zudem schützen muss.
Die Wucht des Satzes ist wohl mit Bedacht gewählt worden.
Wichtiges leitet sich davon ab, von der Tatsache, das auxh ein verurteilter Mörder die Chance haben muss einmal aus dem Gefängnis zu kommen bis hin zum daraus ableitbaren Verbot der Rettungsfolter.
Letztendlich ist Würde genausowenig definierbar wie Freiheit. Dennoch wird man erkennen wenn ein Staat diese über Gebühr einschränkt.
Gleiches gilt für die Menschenwürde - man erkennt wer diese für beschneidbar hält. Und was es bedeutet, wenn jemand sich entsprechend positioniert.
So gesehen ist die Menschenwürde und was Einzelne oder Gruppen davon halten ein guter Lackmustest.

Liliom

17. Februar 2019 09:38

Grundgesetz hin oder her – ich glaube, die technokratischen Eliten haben sich mit der systematischen Verdummung und Entwürdigung der europäischen Konsumenten bestens arrangiert. Das klingt sehr simpel, zugegeben, und in Anbetracht der elaborierten Beiträge hier mag mancher ob der Billigkeit dieses Befundes die Nase rümpfen. All jenen empfehle ich, Kant und Schopenhauer ein paar Minuten zur Seite zu legen und das Programm eines beliebigen Privatsenders einzuschalten, wo wir tagtäglich die systematische Untergrabung der Würde des Menschen erleben. Ich will damit sagen, dass diese Debatte in Anbetracht der deutschen Realkultur womöglich etwas abgehoben ist. Natürlich hat alles Abgehobene seine Berechtigung, aber ich vermisse Gedanken, die einen Bogen zur Realität des deutschen Volkes oder was davon noch übrig ist, schlägt.
Was wir brauchen ist ein Denken, in dem der Begriff der Würde, so brüchig und fragwürdig er sein mag, vielleicht doch in irgendeiner Weise wieder als Kampfbegriff fruchtbar gemacht wird. Ohne (subjektiv erlebte) Würde, kein Stolz auf das Eigene – und erst recht keine Bereitschaft, es zu verteidigen.

LotNemez

17. Februar 2019 16:19

Die W.d.M. des Art.1 des Grundgesetzes geht auf die schon in der amerikanischen Verfassung formulierten Menschenrechte zurück. Diese umfassten bekanntlich bereits das Recht auf Freiheit, Eigentum, Sicherheit und !!Widerstand gg. Unterdrückung!! Das galt selbstverständlich nicht für Sklaven, und zwar nicht deshalb, weil die Wissenschaft noch nicht so weit gewesen wäre, die Spezies Mensch korrekt zu beschreiben. Der Grund war, dass die Menschenrechte von Anfang an einem bestimmten Zweck dienten: Sie lieferten die nötige philosophisch-agitatorische Unterfütterung für ein damals noch ortsgebundenes Bürgertum, im Falle der USA, um gegen die Steuerhoheit der englische Krone anzukommen.

Das vor allem, wobei ich nicht abstreiten will, dass sich in dem seltsamen Mix aus Puritanismus und Liberalismus auch liberalegalitäre, monarchiefeindliche Wertvorstellungen herausgebildet hatten. Dies war ungeheuer wichtig, denn mit dem Dollarzeichen auf der Nationalfahne kämpft es sich nicht gut. Der Motor der Veränderung war, wie in Frankreich auch, die Aussicht des amerikanischen Bürgertums auf mehr Gewinn nach Steuern. (Boston Tea Party)

Es ist klar: der Allgemeinheit wird das anders kommuniziert und oft lässt sich ökonomisches und ethisches Interesse für die Protagonisten selbst nicht auseinanderhalten. Wie dem auch sei: Wie man heute annimmt, geht einer solchen gesetzlichen Festschreibung ethischer Grundsätze immer schon ein bereits weitgehend vollzogener (bürger)gesellschaftlicher Umbruch voraus. Ein längst sich im Zeitgeist artikulierender Wertewandel wird von der neuen Elite lediglich nachträglich in Textform gegossen, um die neu errungene Position möglichst lange zu halten.

Insofern sind die Anywheres auch nicht wirklich entwurzelt. Sie sind auch weiterhin auf das Prinzip von Vorsorge und Solidarität innerhalb ihres Milieus (Nachwuchs in Privatschulen) angewiesen und darüber ganz konkret verortet und angreifbar.

Ebenso, wie diese, heute für unverrückbar gehaltenen, Rechte "entdeckt" wurden, können sie auch wieder einkassiert werden, wenn sie einer neuen Zeit im Weg stehen.

Ich habe dazu ein aktuelles Beispiel aus dem Bereich des Völkerrechts:

„Wenn die Souveränität von Staaten unantastbar ist, auch wenn die Regierung das Volk auslöscht, wird das Völkerrecht zum Diktatorenschutzrecht. Es muss aber ein Menschenschutzrecht sein.“ Das Völkerrecht müsse sich deshalb weiterentwickeln, „damit es endlich Menschen beschützt“. Der Westen dürfe nicht mehr hinnehmen, dass Völkerrecht „in einer perversen Weise interpretiert wird zum Schutz von Diktatoren“.

Deutschland soll nach dem Willen von Wolfgang Ischingers, dem Verfasser dieser Zeilen und Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz bei der Reform des Völkerrechts eine Führungsrolle einnehmen.

https://www.epochtimes.de/politik/welt/ischinger-deutschland-soll-voelkerrecht-gegen-diktatoren-weiterentwickeln-aber-bitte-nicht-gegen-den-iran-a2796543.html

Das Gebot der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten eines Staates schützt das Recht eines Volkes auf Selbstbestimmung (=das Recht, den Kampf mit den inneren Kräften ohne Verzerrung von außen auszutragen, um mit den Früchten seines Handelns zu leben) Es leitet sich wie die Menschenrechte vom Naturrecht ab. An der Argumentation Ischingers sieht man, wie hinfällig dieses ganze Gerüst wird, wenn es "progressiven", vorwärts drängenden Kräften des 'anywhere' im Weg steht.

Was will ich damit sagen? Ich vermute, dass die Zeit, in der die Menschenwürde fällt, bald kommen könnte. Ich wünsche es mir nicht. Aber ist, was wir uns wünschen, ausschlaggebend? Bosselmann formuliert hier letztlich und eigentlich eine Angst und schreibt gleichzeitig gegen diese Angst an. Und zwar auf eine sehr männliche Weise, im Sinne von "Was tot ist, kann nicht sterben." Dass er das genau hier und jetzt tut, ist Ausdruck dafür, dass er sich und uns bereits von meinem anschwellenden Strudel erfasst wähnt. Er schreibt die Änderung nicht herbei, er lediglich hat empfindlichere Sinne für die Kräfte, die an ihm und uns allen zerren.

Wir könnten die Antastbarkeit der Menschenwürde, auch unserer, früher erleben, als uns lieb ist. Ob sie dann noch in verstaubten Heftchen der Bundeszentrale für politische Bildung gedruckt ist, interessiert dann nicht mehr. Der Zeitgeist interessiert sich nicht für Naturrecht.

Zooey

17. Februar 2019 21:15

@Franz Bettinger: Sie werden zum Gnostiker? Die Würde des Menschen ist schon durch seine irdisch-materielle Existenz verletzt?

Zooey

17. Februar 2019 21:44

Ich finde es nicht so schlecht, wenn die oberste Rechtsnorm - übrigens mit "Ewigkeitswert" (! Art. 79 GG), also der verfassungsändernden Gewalt entzogen - ein koanartiges Gebilde ist, über das man - bis es Satori macht - schön meditieren kann.

Dogmatisch ist auch alles andere als klar, was der Artikel überhaupt ist? Ein subjektives Grundrecht? Oder der abwägungsresistente Kern eines Grundrechts? Lange war man - Dürig (!) - der Auffassung, die Würde ist abwägungsresistent, sprich: ein Eingriff ist zugleich eine Verletzung. Da Juristen nun mal abwägen müssen, wenn sie etwas tun und nicht nichts, wird die "Abwägung" vorgelagert und der Eingriffsbereich entsprechend enger gezogen.

Ansonsten: Schopenhauer hat recht. Kant ist verlarvte Theologie. Deshalb konnte ich immer mehr mit dem Seelenfünklein anfangen. Der Mensch ist Gottes Ebenbild, qua Erbsünde ist dieses Bild aber entstellt.

heinrichbrueck

17. Februar 2019 21:49

@ qvc1753

Dieser "Staat" hat Würde? Von diesem soll Schutz kommen, schafft er doch nicht mal die Arterhaltung seiner eigenen Bürger?
Diese Nachwehen des Achtundsechzigermarxismus, wenn der Kühlschrank noch voll ist, schon erstaunlich.

Thomas

17. Februar 2019 23:17

Interessanter Artikel mit guten Kommentaren darunter, denen ich meist aber nicht folgen kann, weil meine Bildung dazu nicht reicht. Mir ist nur etwas anderes aufgefallen: der Autor und die Kommentarschreiber arbeiten sich alle an dem Begriff "Würde" ab. Von denen, die diesen Satz aber mißbräuchlich verwenden, weil sie damit die Ansprüche aller Armen dieser Welt auf unser Geld, unser Land und unser Sozialsystem begründen wollen, geht es weniger um die Würde, sondern um den Begriff des "Menschen" und zwar eben nicht um jeden Menschen dieser Welt, nein, sondern ausschließlich um solche Menschen, die für diese zur "Menschheit" zählen.

Dazu gehören aber nicht Menschen wie Deutsche, Europäer, Amerikaner, Japaner oder Chinesen, sondern ausschließlich Araber, Afrikaner, Zigeuner und alle Menschen der dritten Welt, die angeblich von denen der ersten Welt ausgebeutet, diskriminiert und entrechtet werden. Der Menschenbegriff wird sozusagen geteilt und damit die Menschheit in Menschen und "Nichtmenschen" geteilt. Zu letzteren gehören mit Sicherheit Deutsche, besonders diejenigen, die als "rechts" gelten.

Ersetzen sie die Phrase "Die Würde des Menschen ist unantastbar" z. B. durch "die Würde des Moslems ist unantastbar", so haben sie mit diesen Satz gleich eine Erklärung für die deutsche Einwanderungspolitik, die deutsche Justiz, die Privilegierung und Bevorzugung moslemischer Bevölkerungsgruppen. Oder glauben sie etwa, das die Würde des Menschen auch für diejenigen gilt, denen ihr Heimatland noch etwas bedeutet?

Laurenz

17. Februar 2019 23:26

Nachdem ich die weiteren Kommentare hier durchgelesen habe, mag ich Liliom zustimmen.

Der Parlamentarische Rat bestand wohl im wesentlichen, mehrheitlich aus Juristen. Ich glaube trotzdem, daß diese Instanz versuchte, ein Grundgesetz zu formen, welches auch ein Nicht-Jurist versteht.
Wie viele Bundesbürger haben Fichte gelesen? 100.000? Ist das jetzt die 2. Kolonne?
Wie viele anerkannte lebende Verfassungsrechtler mag es in Deutschland geben? 5.000? Handelt es sich dabei um eine neo-feudale 1. Kaste, die den offensichtlichen Artikel 20 umdefinieren darf? Denn die aktuelle staatsrechtliche Definition des Artikel 20 schränkt doch Artikel 1 schon massiv ein.
Das erinnert mich immer daran, wenn Medien- oder Politgrößen postulieren: "Uns oder Deutschland geht es doch gut!"
Das Deutschland dieser Protagonisten oder deren "Wir-Begriff" scheint recht klein und begrenzt zu sein, früher sagte man "die oberen 10.000".
Paul Kennedy beschreibt in seinem doch recht bekannten Werk "The Rise and Fall of the Great Powers" recht genau, wie das ökonomisch vorab unterlegene Deutsche Reich solange 2 Weltkriege durchhalten konnte. Auch seine Schlußfolgerung ist ökonomisch, der deutsche Soldat besaß die bessere Berufsausbildung im Vergleich zu seinen gegnerischen Kameraden. Wenn das stimmt, können diese verschwindend kleinen Minderheiten auf Dauer nicht bestimmend für den Artikel 1 bleiben. Sie müssen von dem Verständnis einer Mehrheit abgelöst werden. Denn sonst wird auch die historische Bedeutung des Artikel 1 obsolet, vor allem schon deswegen, weil keine aktuelle politische Kraft Miene macht, wesentliche historische Aufträge des Grundgesetzes umzusetzen.

Montesquieu

18. Februar 2019 07:55

"Würde" ist im vorliegenden Fall ein reines Wieselwort wie "Gerechtigkeit" etc.

Das inhaltliche Verständnis unterliegt großen interindividuellen und kulturellen Unterschieden.

Man kann mit "unantastbarer Würde" genauso gut offene Grenzen, offene Schöße für Bedürftige, Schwule an Baukränen und bedingungslose gesellschaftliche Alimentation aller Alimentationswilligen fordern, wie gleichzeitig auch Schutz des Volkes durch Grenzsicherung, sexuelle Selbstbestimmung und Selbstverantwortung.

"Würde" hört sich gut an, ist auf höchstem philosophischen Niveau beliebig rhetorisch dissektionsfähig und ist ein ideales Tool willkürlicher, repressiver Machtausübung.

"Unantastbar" ist bekannter Maßen nichts. Gar nichts.

Franz Bettinger

18. Februar 2019 09:49

@Zooey: Sie fragen rhetorisch: "Die Würde des Menschen ist schon durch seine irdisch-materielle Existenz verletzt?" Das habe ich nicht behauptet. Ich sage: Der Wert - das ist ein viel verständlicheres, brauchbareres Wort als 'Würde' - also der Wert eines Menschen ist einfach sehr sehr relativ. Das ist er immer gewesen, ist er heute noch, und wird er (hoffentlich) auch in Zukunft noch sein. Der Mensch wird angetastet, immer und überall. Er tastet andere an und wird angetastet, d.h. behandelt je nach seinem mehr oder weniger großen Wert oder Unwert. Es gibt Länder wie die USA, die haben die Todesstrafe! Wenn das kein Antasten der 'Würde' ist! Ich halte Artikel 1 GG für blanken linken (!) Unsinn. Aus moralischen Gründen behaupten (oder auch anstreben) zu wollen, jeder Mensch habe denselben Wert, ist verrückt. Als ob die Menschen gleich wären oder es sein sollten! Ich wundere mich, was für ein Tanz hier auf SiN um dieses Unwort gemacht wird.

Niekisch

18. Februar 2019 10:34

@ Heino Bosselmann 16.2. 20:30: Gerne möchte ich den Händedruck erwidern und zugleich dafür danken, daß Sie mir mit Ihrem fulminanten Gastbeitrag den Anreiz gegeben haben, ergänzend tätig zu werden. S o kommen wir gemeinsam voran. Jeder trägt aus seinem Fundus bei und wenn wir ein wenig Glück haben, können wir einen weiteren Stein ins Fundament eines erneuerten deutschen Hauses setzen.

heinrichbrueck

18. Februar 2019 10:54

Ist der Mensch ein Geschöpf Gottes, kann der Staat Gott nicht ersetzen. Der Staat kann die Würde nicht als unantastbar deklarieren, wenn er gleichzeitig verabsäumt die Ordnung der Dinge aufrechtzuerhalten. Die Umvolkungsapologeten begehen eine scheinbare Entwürdigung Gottes, als wären sie kein Geschöpf Gottes, wollen aber ihre eigene Würde unantastbar geschützt wissen. Von wem?
Um keine Konsequenzen befürchten zu müssen, müßte Gott ungerecht gegen sich selbst werden.

LotNemez

18. Februar 2019 15:59

@Franz Bettinger
Sie sagen, der Mensch erfahre durch die Todesstrafe eine Negation seiner Würde. Darüber habe ich bei der Lektüre des Artikels auch nachgegrübelt, sehe das unterm Strich aber nicht so. Es ist durchaus möglich, mit Würde zur Hinrichtung zu schreiten. Mir fallen spontan einige Überlieferungen zu historischen Hinrichtungen ein: Jesus, Marie Antoinette, Störtebeker, Stauffenberg.

Der Tod ist Bestandteil des Lebens. Auch auf dem Sterbebett kann einer sich würdevoll oder würdelos gebähren. Wichtig für den Erhalt der Würde bis zum Ende ist, dass man einem Verurteilten, ob im natürlichen Sterbeprozess (Familienkreis, Hospiz) oder bei seinem letzten Gang die Möglichkeit eines würdevollen Abgangs lässt. Er darf nicht gezwungen sein, um Gnade für sich oder seine Familie zu betteln. Er soll nicht mit mehr als dem ihm zumutbaren Leid konfrontiert sein, nicht mit der Aussicht sterben, in der Anonymität eines Massengrabs zu verschwinden.

Oft haben diejenigen, die ihren Unterdrückern im Leben trotzten, ihnen auch im Sterben noch eine Lektion erteilt. Und diese haben es zugelassen. Würde des Richters erlaubt Würde des Gerichteten. Das ist, denke ich, richtig dabei. Im Rückblick sind sie uns als würdevoll im kulturellen Gedächtnis erhalten geblieben.

Ich bin trotzdem gegen die Todesstrafe, weil ich glaube, dass eine Zivilisation einen Luxus so lange wie möglich leisten sollte. Das macht sie erst aus. Es macht etwas mit einer Gesellschaft, wenn sie per Gesetz Leben nimmt. Man könnte fragen, ob nicht die Vollstrecker und damit der Souverän seine Würde eher einbüßt, als die Gerichtete. Die USA vollstreckt nach wie vor, und zwar mit dem würdelosesten Verfahren, was man sich denken kann. Russland hingegen seit den 90ern nicht mehr.

Ich halte diese Institution aber nicht für gebannt. Sie wird wieder kommen.

Franz Bettinger

18. Februar 2019 17:27

@LotNemez:
Durch ihre anschaulichen Bilder (Marie-Antoinette bei der Hinrichtung) begreife ich zum ersten Mal, was mit Würde gemeint sein könnte. Konkret könnte das Gebot lauten: "Du sollst niemanden foltern, lächerlich machen oder unnötig erniedrigen!" Etwa wie in dem Prozess gegen die Hitler-Attentäter die Wegnahme der Hosenträger. Es läuft auf Friedrich Schiller hinaus. Er sah (ich wiederhole es) die Würde des Menschen nicht als idealistische Träumerei (wie in der irren Floskel: "Alle Menschen sind gleich viel wert"), sondern als Befriedigung elementarer Bedürfnisse: "Nichts mehr davon, ich bitte euch. Zu essen gebt ihm, ein Dach überm Kopf. Habt ihr die Blöße bedeckt, ergibt sich die Würde von selbst. Das lasst uns unterschreiben, aber nicht mehr." Das Gegenteil von würdevollem Behandeln (eines Schwachen durch einen Starken) wäre der erniedrigende, würdelose Umgang mit den Gefangenen in Abu Ghraib. Es geht um Elementares! Ich danke Ihnen LotNemez für den Lichtblick!

Zooey

18. Februar 2019 20:12

@ Das war - Ihren Beitrag etwas gegen den Strich lesend - scherzhaft gefragt.

Ich finde den Wertbegriff hier fehl. Wie kann man denn den Wert eines Menschen (objektiv) beurteilen? Und warum sollte ich mir darüber Gedanken machen? (Hier hilft m. E. die katholische Unterscheidung zwischen Sünde und Sünder - die Sünde hassen, den Sünder lieben.) Natürlich unterscheide ich, wen ich z. B. liebens-, begehrens- oder sonstwie -werter finde oder ob er mir am Allerwertesten vorbeigeht. Natürlich kann ich auch unterscheiden, ob jemand Würde ausstrahlt oder ein entwürdigendes Verhalten an den Tag legt.

Es geht bei Art. 1 I aber wohl eher darum, dass jeder Mensch überhaupt einen Wert hat. Art. 1 I richtet sich - Drittwirkung hin oder her - zuallererst an den Staat. Überspitzt: Es ist das Recht, überhaupt Rechte zu haben, und zwar vor allem in staatlichen Verfahren, und nicht rechtlos gestellt zu werden. Soweit ich das verfolgt habe, sind Sie ja Arzt: Haben Sie die Behandlung eines Menschen verweigert, weil Sie ihn für unwert hielten? Das ist natürlich rhetorisch gefragt, ich glaube das nicht.

Zooey

18. Februar 2019 20:30

@ Bosselmann
Ihre Konklusion sehe ich paradox-kritisch. Unbestritten ist, dass der Mensch Kultur braucht. Ja, man könnte so weit gehen zu sagen: Die Natur des Menschen ist seine Kultur. Die von "Hippies" befürwortete Regression halte ich für eine Illusion.

Paradox finde ich nun: Es ist doch dann der Mensch, der solche Institutionen schafft. Diese Institutionen werden von Menschen betrieben und verwaltet - deshalb kann man sie auch nicht vom menschlichen Makel scheiden bzw. über ihn stellen.

Kritisch finde ich, auch wenn ich grundsätzlich mit Ihnen d'accord gehe: Papst Benedikt hat die kath. Kirche in Deutschland kritisiert, sie sei überinstituationalisiert. Das kann man von ganz Deutschland sagen. Wir ersticken an Institutionen, an Bürokratie und an Gesetzen. Deshalb würde ich derzeit eher das Gegenteil propagieren.

Man muss auch sehen: Mögen Linke vom Tod des Staates träumen. Bis dahin wird erstmal mehr und mehr Staat geschaffen.

Franz Bettinger

18. Februar 2019 21:24

@Zooey: Sie fragen "Wie kann man denn den Wert eines Menschen objektiv beurteilen." Antwort: Objektivität ist nicht nötig und war es noch nie. Man urteilt, beurteilt und basta. Ich hätte auch sagen können: Man urteilt intuitiv. Das kommt meistens hin. Die Evolution hat uns über Jahr-Millionen Zeit gegeben, erstens intuitiv Dinge zu beurteilen (z.B. Nahrungsmittel oder Feinde) und zweitens am Ende ein ganz neues Erkenntnis-Organ zu entwickeln (das Gehirn), mit dem wir nur noch nicht richtig umgehen können. Wenn die alte Intuition dem neuen Hirn contra gibt, rate ich dringend dem Gefühl zu folgen. Verehrte(r) Zooey, Sie werden nicht behaupten wollen, Sie könnten den Wert von Sachen (meinetwegen Handtaschen) oder Menschen nicht beurteilen. Klar, bei Menschen tun wir uns schwerer. Doch nehmen Sie z.B. SPD-Politiker*innen und stellen Sie sie neben die AfD-ler. Also mir fällt hierbei das Urteilen leicht. Aber ich sehe: Das sehen Sie ja auch so. - Sie fragen weiterhin: "Haben Sie die Behandlung eines Menschen verweigert, weil Sie ihn für unwert hielten?" Ja. Meist aber hielt ich die (gängige) Behandlung für unwert (z.B. die meisten Krebs-Therapien). Ich behandele auch keinen Typ, der vor mir ein Messer zieht, um eine Krank-Schreibung oder eine Kur zu erzwingen. Den schmeiß ich raus, so dass es alle im Wartezimmer sehen können. Nein, das ist nicht rhetorisch gemeint. Das ist passiert.

Urwinkel

18. Februar 2019 21:56

"Wir ersticken an Institutionen, an Bürokratie und an Gesetzen.".. Wieder was gelernt, Zooey. Ein erstzunehmender Arzt lacht über solche Befindlichkeit erstaunlich offen und verpasst Ihnen ein Gegenmittel zum eventuell-drohenden Erstsickungstod. Wohlwissend und altklug. Worüber Ärzte wirklich sauer werden können, sind müffelnde Füße (Allgemeinärzte) und ungeputzte Zähne (bei Zahnbehandlung)- Also putzt euch vor dem Losmeckern die Zähne oder meidet Ärzte.

In der Übersetzung von "The Way Of Men" ließ Jack Donovan ähnlich klingende Sorgen antönen.

qvc1753

18. Februar 2019 23:03

@heinrichbrück:
Der Satz handelt von der Würde des Menschen, nicht des Staates. Dieser kann keine Menschenwürde besitzen. Und der Arterhaltung dient er auch nicht. Wir sind ja keine Waldbienen oder Seeelefanten, deren Art bedroht ist.
Ob und wie sich der Staat behaupten kann und darf, darüber kann man streiten, er darf in jedem nicht nach der Maxime verfahren das der Einzelne nichts und das Volk alles ist.
Ob er darüber hinaus einGottesgeschöpf ist, das mag ein jeder mit sich und Gott ausmachen. Der Staat soll und muss auch dem Gottesleugner, dem angeblichen Verräter am Volk oder dem Triebtäter eine Würde zubilligen.
Das diese Würde wiederum täglich und dauernd mit Füssen getreten wird, das sei einmal dahin gestellt.
Wer aufmerksam die letzten einhundert Jahre deutsche Geschichte vor Augen hat, der wird erkennen, das es Grenzen gibt und geben muss, die der Einzelne und der Staat nicht überschreiten dürfen. Das man nämlich Menschen für das umbringt oder misshandelt das sie sind und nicht für das was sie getan haben.
Es gibt solche Grenzen, die zu überschreiten nicht erlaubt oder geduldet werden darf, die Alternative ist nämlich schrecklich.

Waldgaenger aus Schwaben

19. Februar 2019 07:54

"Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."
§1 GG

Diese beiden Sätze am Anfang unseres Grundgesetzes müssen aus dem historischen Kontext heraus verstanden werden, in dem sie verfasst wurden.
Der Nationalsozialismus hatte Deutschland zur verheerendsten Niederlage seiner Geschichte geführt.
Nicht nur dass Deutschland sich den Siegern auf Gedeih und Verderb hatte ergeben müssen. Deutschland war auch moralisch das Rückgrat gebrochen. Warum hat das Volk und die Eliten sich dieser Ideologie ausgeliefert und sich selbst angesichts der drohenden Niederlage als unfähig erwiesen sie abzuschütteln?

Für die nahe Zukunft drohte eine ähnliche Ideologie, der Kommunismus, die Macht in Deutschland zu ergreifen.

Beiden Ideologien war gemeinsam, dass sie den Staat an die Stelle Gottes setzten und den Menschen zu Verfügungsmasse des Staates erklärten. Beide gottloschen Ideologien sollten am Ende scheitern und unermessliches Leid verursachen.

Die Mütter und Väter des Grundgesetzes, den heutigen Eliten an Geist, Bildung und edler Gesinnung weit überlegen, hatten die Aufgabe eine Formel als Überschrift für den neu entstehenden Staat zu finden, die beide Ideologien ablehnte. Ein Rückgriff auf religiöse Formeln wäre unglaubwürdig erschienen, ebenso wie die Übernahme von Formeln aus den Verfassungen der Sieger.

Die Verfasser fanden in der eigenen philosophischen Tradition Deutschlands Linien, die sich in damalige Gegenwart verlängern liessen. Im Artikel werden Kant und Schiller genannt.

Aus diesen Überlegungen zum historischen Kontext des §1 GG lässt sich klar ableiten, dass er in erster Linie ein Abwehr- und Schutzrecht des Bürgers gegen den Staat sein soll. Welche Ziele der Staat sich immer geben möge, er muss die Würde des Einzelnen als unantastbar betrachten.
Sie ist eine Grenze, die er nicht überschreiten darf.

Die Menschenwürde wird geradezu in ihr Gegenteil verkehrt, wenn sie als Rechtfertigung für die Einschränkung von Freiheitsrechten des Bürgers missbraucht wird.
Im Namen der Menschenwürde wird die einzge Oppositionspartei in den Parlamenten vom Geheimdienst "überprüft" und die Ergebnisse als tausendseitiger Bericht an die Presse durchgestochen.

Im Namen der Menschenwürde zieht der Staat sich von seiner ureigensten Aufgabe zurück - dem Schutz der inneren und äusseren Sicherheit.

Im Namen der Menschenwürde werden Bürger enteignet, indem Steuern, noch dazu ohne gesetzliche Grundlagen, verschwendet werden und den kommenden Generationen in Form von Bürgschaften unabsehbare Lasten auferlegt werden.

Presse- und Meinungsfreiheit werden im Namen der Menschenwürde eingeschränkt.
Eigentumsrechte und neuerdings sogar das Wahlrecht werden mit Frauenquoten, in Namen der Menschenwürde, beschnitten.
Und es gibt noch viele weitere Beispiele.

Hier zeigt sich wieder einmal die tiefe Wahrheit des Pauluswortes:
"Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig." 2. Korinther 3,6

Jedes noch so gut gemeinte Gebot oder Verbot lässt sich in sein Gegenteil verkehren, wenn der Geist, der hinter den Buchstaben stand, erloschen ist.
Sorgen wir dafür, dass der Geist des §1 GG lebendig bleibt, nicht indem wir §1 GG ablehnen, sondern ihn verteidigen.

Waldgaenger aus Schwaben

19. Februar 2019 08:59

gottloschen Ideologien

lies:

gottlosen Ideologien

Interessant wie so etwas zustande kommt. Bei einem handschriftlich verfassten Text wäre mir das nie geschehen.

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