Wo man singt, da laß dich nieder

In den Kommentarspalten der Blauen Narzisse finde ich folgenden Bericht eines Abiturienten:

Heute auf dem Sportfest, bzw. in der Festveranstaltung danach: Aus den Lautsprechern tönt ausschließlich orientalische Dudelmusik – die Türken und Araber sind am abfeiern, ein paar Griechen und Deutsche gesellen sich hinzu.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Die über­wie­gen­de Mehr­heit der Deut­schen, aber auch ande­re Aus­län­der füh­len sich genervt, gar beläs­tigt. “Sind wir nicht eigent­lich in Deutsch­land, auf einem deut­schen Fest?”, so vie­le Aus­sa­gen, wie gesagt, nicht nur von Deut­schen selbst. Gar die unpo­li­tischs­ten Leu­te konn­ten hier­zu – natür­lich hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand – nicht mehr schweigen.

Die Leh­rer stan­den dane­ben und sag­ten nichts. Das glei­che schon letz­te Woche, auf unse­rem Abi­ball: Hoch­kon­junk­tur auf der Tanz­flä­che, als Ori­en­ta­li­sches gespielt wur­de – danach leer­te sich der Saal.

Dazu eine Beob­ach­tung vom letz­ten Som­mer.  Am Abend des EM-Spie­les zwi­schen Deutsch­land und Tür­kei zog ich mit einer Digi­tal­ka­me­ra bewaff­net durch Kreuz­berg. Eine unver­gleich­li­che Span­nung lag in der Luft, die Stra­ßen waren leer­ge­fegt, alles saß gebannt vor den Bild­schir­men, die in jeder Bar und jedem Lokal auf­ge­pflanzt waren. Man spür­te, daß es an die­sem Abend um mehr ging, als bloß um ein Fuß­ball­spiel. Die tür­ki­schen Fah­nen domi­nier­ten, ein paar Gut­wil­li­ge hat­ten zwei­sei­ti­ge Wim­pel her­ge­stellt, die ich aller­dings über­wie­gend in den Hän­den von Deut­schen gese­hen habe. Ein­ge­deckt in Schwarz-Rot-Gold waren vor allem die Kur­den vom Kott­bus­ser Tor, die stän­dig ver­such­ten, die Tür­ken mit höh­ni­schen Paro­len zu pro­vo­zie­ren. Die Span­nung hielt buch­stäb­lich bis zur letz­ten Minu­te, bis zum knap­pen Sieg Deutschlands.

Ich befand mich zu die­sem Zeit­punkt am Kott­bus­ser Tor, wo das Spiel auf einem Rie­sen­schirm zu sehen war. Das Publi­kum saß davor in Stuhl­rei­hen, wie vor einem Kino.  Die Stim­mung war enorm ange­heizt. Beson­ders die Tür­ken waren außer sich vor natio­na­lem Rausch. Als das Spiel zu Ende war, stand die Men­ge einen Moment still vor Ent­täu­schung. Gesenk­te Köp­fe, gesenk­te Fah­nen, Schweigen.

Doch der Kum­mer währ­te nicht lan­ge.  Zwei Ani­ma­teu­re, in die tür­ki­schen Natio­nal­far­ben geklei­det, spran­gen auf die Büh­ne,  schwenk­ten die Fah­ne bei­der Län­der, for­der­ten zur Par­ty auf, und nun dröhn­te aus allen Laut­spre­chern tür­ki­sche Mucke, kein “Güdü­dül”, son­dern die mit­rei­ßen­den Rhyth­men, wie man sie etwa von tür­ki­schen Hoch­zei­ten kennt. Sofort war alles auf den Bei­nen, erklomm die Büh­ne, faß­te sich an den Hän­den, und Tür­ken und Deut­sche tanz­ten fröh­lich drauf los. Nicht anders war das Bild in der Ora­ni­en­stra­ße, wil­de Volks­fest-Stim­mung, es schien fast, als ob nun doch Tür­ken gewon­nen hät­ten. Ledig­lich ein paar Kur­den leg­ten es dar­auf an, mit den Tür­ken anein­an­der­zu­ge­ra­ten, was von der Poli­zei ver­hin­dert wurde.

War­um ich die­se Geschich­te erzäh­le, hat fol­gen­den Grund: an die­sem Abend wur­de mir schlag­ar­tig bewußt, was für ein unge­heu­res Kapi­tal die Tür­ken in ihrer Musik haben. Folk­lo­ris­ti­sche und tra­di­tio­nel­le Ele­men­te, pop­pig und dis­co­taug­lich adap­tiert, sind in der Tür­kei kei­ne belä­chel­te und alt­ba­cke­ne, pein­lich und albern anmu­ten­de Spar­ten­er­schei­nung, wie in Deutsch­land und Öster­reich die (in ihren Gren­zen frei­lich recht erfolg­rei­che) Volks­mu­sik- und Schla­ger­frak­ti­on. Sie sind wesent­li­cher Bestand­teil des Main­streams und des Nationalgefühls.

Die kul­tu­rell ver­arm­ten Deut­schen jedoch haben kei­ne moder­ne, mas­sen­taug­li­che, iden­ti­täts­stif­ten­de und ‑bestä­ti­gen­de Musik, die unver­wech­sel­bar “völ­kisch” ist, und mit der sie nicht nur sich selbst und ihre Sie­ge fei­ern, son­dern auch ande­re mit­rei­ßen könnten.

Die noto­ri­sche kul­tu­rel­le Xeno­phi­lie, die Sucht nach dem Frem­den, Bun­ten, Mul­ti­kul­tu­rel­len der Deut­schen, vor allem der Jun­gen, hat ihren guten Grund. Ande­re Völ­ker, außer den Tür­ken etwa die Spa­ni­er, Ita­lie­ner, Iren und Rus­sen, haben eine viel attrak­ti­ve­re, sich immer wie­der erneu­ern­de natio­na­le Pop­kul­tur, auf die die Deut­schen nur mit Neid und Min­der­wer­tig­keits­kom­ple­xen schie­len können.

Das wur­de mir auch neu­lich bewußt, als mich eine kroa­tisch­stäm­mi­ge Freun­din auf die in Ber­lin äußerst belieb­te “Balkan-Beats”-Party mit­nahm.  Die Eksta­se und Begeis­te­rung, die die­se Musik unter den Besu­chern – und nicht nur unter Rus­sen und Jugos – erzeugt, ist unver­gleich­lich. Und das ist nur all­zu ver­ständ­lich. Hät­ten die Deut­schen auch nur einen Fun­ken einer sol­chen Kul­tur, einer natio­na­len Renais­sance stün­de nichts mehr im Wege.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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