Es ist schon bemerkenswert, welch großer Graben das akademische Milieu, seinen Dunstkreis und seine Aspiranten inzwischen vom Rest des Volkes scheidet. Das sieht man zuallererst an den Studenten und an ihrem pikierten Befremden, wenn sie mal einem “von der anderen Seite” an einem Tresen gegenübersitzen.
Wirklich – ich kriege das ja tagtäglich mit, weil in unserem Haus in Halle die einen wie die anderen verkehren – selbst, wenn man sich politisch nah ist, braucht es einiges an Zeit und an zusammen Er- und Durchlebtem um eine gemeinsame Sprache zu finden. Die einzigen Währungen mit denen zwischen diesen Lagern vermittelt werden kann, sind Leistung und Charakter, denn: Aufrechte Typen gibt es überall.
“Das ist ein guter Mann”, nur wer sich dieses Prädikat täglich neu verdient gehört dazu. Es ist als Einschätzung mehr wert als jedes Qualitätssiegel und jedes Zeugnis, weil es umfassend und unmißverständlich ist, wenn es aus dem richtigen Mund kommt. Wir reden hier nicht von einer moralischen Bewertung, oder eine langanhaltenden Analyse, sondern von einem subjektiven Urteil, das schnell gefällt und noch schneller revidiert werden kann.
Es entzieht sich den wissenschaftlichen Kategorien, weil es nur zwischenmenschlich funktioniert und irrational ist – die Antwort auf die Frage, wie sich jemand verhält, wenn er mit einem von ihm gemachten Fehler konfrontiert wird, ist für uns wichtiger als die Antwort auf die Frage, ob derjenige die deutsche Rechtschreibung beherrscht oder einen Fahrradschlauch wechseln kann.
Gute Männer sind keine Saubermänner, sie können Heilige sein, oder gescheiterte Existenzen mit einem Vorstrafenregister bis nach Meppen. Sie sind meistens eher keine Bankangestellten, wobei ich das nicht ausschließen möchte, aber manchmal sitzen die besten von ihnen ganz unauffällig und unbemerkt in einem Jura-Tutorium oder irgendwo am Arsch der Heide auf einem Hof mit einer guten Frau und einem guten Hund daneben.
Alles das, was ich hier jetzt heruntergeschrieben habe, sind Gedanken, die mir kamen, als ich das kürzlich erschienene WELT-Interview mit dem Boxer Chuck “The Bayonne Bleeder” Wepner las.
Sein Kampf gegen Muhammad Ali ging in die Geschichte ein, weil er einer der wenigen war, der Ali mit einem Niederschlag (andere sagen: mit einem Tritt auf den Fuß) auf die Bretter schickte, weil er Sylvester Stallone zum legendären ersten “Rocky”-Film inspirierte, vor allem aber, weil Wepner hoffnungslos unterlegen war und sich dennoch wie ein Wahnsinniger bis in die letzte Runde durchbiß.
Das Interview befindet sich leider, wie so häufig, hinter einer Bezahlschranke, aber ich kann sagen: Es lohnt sich, weil Wepner genau den Ethos verkörpert, den ich in den paar Zeilen oben versucht habe einzufangen:
WELT: […] Zehn Jahre nach Ihrem Rücktritt aus dem Boxring wurden Sie 1988 wegen Kokainbesitzes verurteilt?
Wepner: Ich hatte mich in der Party‑, in der Rocky-Szene verloren. Mir ist alles zu sehr zu Kopf gestiegen. In dieser Zeit machte auch jeder mit Koks rum. Mich erwischten sie, als ich einem Freund einen Gefallen tun wollte. Ich holte etwas Kokain für ihn von einem anderen Freund, als sie mich anhielten. Ich sollte verraten, wer der Freund ist und wer den Stoff bekommt. Sie drohten, wenn ich es nicht auspacken würde, bekäme ich 20 Jahre. Ich sagte mir, das kannst du nicht tun, denn wenn du wieder rauskommst, bist du immer noch ein Mann. Ich bin nicht so eine Ratte wie andere Typen.
WELT: Wie ging’s weiter?
Wepner: Mein Anwalt kostete mich 55.000 Dollar. Er wollte einen Deal mit der Justiz machen, aber das lehnte ich ab. Daraufhin wurde ich für zehn Jahr verurteilt. Ich saß aber nur 37 Monate ab. Der Gouverneur von New Jersey half bei der vorzeitigen Entlassung. Er brachte mich in einem Rehabilitationsprogramm unter, was mir sehr half. Übrigens, als ich rauskam, wurde für mich eine Party organisiert, zu der 260 Leute kamen. Das war schöner als alles andere. Ich habe einen Fehler gemacht und habe dafür zu Recht gebüßt.
Verstehen Sie was ich meine? Ich hoffe es. Mich hat das Interview jedenfalls sehr berührt und ich denke der eine oder andere da draußen wird diesen Text während seines langweiligen Jura-Tutoriums, oder nach einem Tag harter Hofarbeit lesen und sich darüber genauso freuen, weil er bei vielen Dingen genau weiß, was Wepner meint:
WELT: Wie soll Sie die Nachwelt in Erinnerung behalten?
Wepner: Als einen guten Mann. Als einen Mann, der es verdient hat, daß man sich an ihn erinnert.
Breckert
Sorry, aber mit dem Beitrag kann ich nun gar nichts anfangen.
Einen Typ, der mit Drogen erwischt wird und behauptet, diese für jemand anderen besorgt zu haben (klassische Konstellation) und trotzdem einfahren muß, in den Heldenstand zu heben, befremdet mich.
Was hat er geleistet, wo Rückgrat gezeigt?
Die Geschichte mit dem dritten Mann kann man glauben, muß es aber nicht. Ich tu es nicht.
Da ist mir der Mensch, der einen Fahrradschlauch flicken kann, weil er sich das beigebracht hat, deutlich näher.
Das erinnert mich unangenehm an ein Interview im Radio mit einem ehemaligen Sportreporter, der früher mit irgendwelchen Hamburger Kiezgrößen unterwegs war, welche "...alle tolle Kerle waren. Manchmal gaben sie auch den Frauen auch einen Klaps, wenn es nötig war. Aber die hatten Rückgrat und waren ehrlich".
Ich hab mich damals fast erbrochen.