Sellner und Lichtmesz waren und sind oft bei uns. Und es gibt kaum bessere Gesprächspartner: belesen, höflich, ernsthaft, ehrlich, vergrübelt, genau, großzügig, luzide, heftig, in sich ambivalent (also: auf angemessene und zuträgliche Weise unsicher) und dann doch dort dezidiert, wo entschieden werden muß, also: produktiv.
Ich verdanke Lichtmesz die glänzenden Bücher über die Frage nach Gott, über die “Verteidigung des Eigenen”, die ekelhafte “Opferhierarchie” in der öffentlichen Wahrnehmung und über die für uns alle wenig ersprießliche Rückkehr der Kategorie “Rassismus” in die politische Auseinandersetzung. Derzeit arbeitet Lichtmesz an einem Essay über Herkunft und Bedeutung des Begriffs und Konzepts “Ethnopluralismus”. Hier ist seine Autorenseite.
Lichtmesz hat mir auch das erste Gespräch mit Sellner vermittelt, wir führten es im französischen Orange am Rande eines Kongresses der französischen Identitären. Wir waren aus Neugier hingefahren, und Sellner machte danach ernst und gründete den österreichischen Verband der europaweiten Bewegung.
Seither hat er zwei Bücher und etliche Sezession-Artikel für uns verfaßt, und er sitzt derzeit an einer Arbeit über den “Regime-Change von rechts”, in Auseinandersetzung mit den linken Päpsten Srdja Popovic, Saul D. Alinsky und – natürlich – David Graeber. Dessen “Direkte Aktion. Ein Handbuch” läßt keine Wünsche übrig, wenn man von der Spaß-Guerilla bis zum gewalttätigen Aufmarsch vor einem G20-Gipfel alles für legitim hält.
Sellner hingegen hielt in keinem Gespräch und hält in keinem seiner Texte Gewalt für legitim, das wird er in seinem neuen Buch erneut zeigen, und weil er das so oft geäußert und seiner “Identitären Bewegung” vorgelebt und ins Stammbuch geschrieben hat, ist es eigentlich nicht notwendig, darüber zu sprechen.
Eigentlich.
Denn nun dürfen wir (ich dabei als Verleger und Freund) aus der 1. Reihe heraus einen Vorgang betrachten, der in beeindruckender Folgerichtigkeit abläuft. Weil der Attentäter von Christchurch an Martin Sellner eine Spende überwiesen hat und von ihm dafür mit einer obligatorischen Dankes-Mail bedacht wurde, betoniert der Mainstream nun eine Begriffsbrücke, die keiner mehr einreißen kann: Sellner-Identitäre-Kontakt-Christchurch.
Das mit dem Betonieren meine ich bildlich ganz wörtlich: Da kippt einer Beton in eine vorbereitete Verschalung, und man steht daneben, sagt “Moment mal”, aber er hört gar nicht zu, niemand hört zu, und während man sich Gehör zu verschaffen versucht, härtet der Beton aus, und in Zukunft muß man jedem erklären, warum dieser Klotz da herumsteht und wie man vielleicht noch daran vorbeisteuern könnte.
Er wird sich nicht in Luft auflösen, dieser Klotz, und es gibt unter den 20 größeren Medienhäusern in Deutschland oder Österreich keines, das sich die Konstruktionsweise des Klotzes einmal vornehmen und das Unstatthafte daran und die Leichtigkeit des Betonierens hinterfragen würde, mit ein paar simplen Fragen:
Traut jemand Sellner und seinem Umfeld (also: auch mir) Applaus oder klammheimliche Freude in Richtung Christchurch zu? Sind eine vergiftete Spende (die einfach eingeht) und eine schematische Dankesmail (der einfach abgeht) ein “Kontakt” in dem Sinne, daß man über eine “Verbindung” mit dem Täter von Christchurch spekulieren dürfte? Welcher Gesetzmäßigkeit folgt die hektische Ankündigung der österreichischen Regierung, man prüfe nun ein Verbot der Identitären Bewegung?
Komisch, nicht: Ich will das wirklich wissen. Ich kann mir die Antworten schon auch selbst geben, aber ich möchte wissen, ob es nicht wenigstens ein paar Journalisten gibt, die nicht nur über Piccolo-Flöten wie wir (sezession.de, youtube-kanäle, Selbstkommentierungen) verfügen, sondern über die große Tuba, und nun bereit sind, mit ein paar kräftigen Tönen die Kirche ins Dorf zurückzublasen.
Gibt es nicht. Wir sind von selbstgerechten, “neutralen” Windmachern und Windfähnchen (sanft ausgedrückt) umstellt, oder vielleicht doch von Feiglingen und – dies muß ich betonen – harten, skrupellosen Gegnern. Drei Telefonate mit solchen Leuten gestern – im Ergebnis begründungslose Behauptungen: Von der Lektüre unserer Bücher, unserer Zeitschriften, der JF, der rechten Blogs, von den AfD-Reden über die Video-Analysen bis hin zu der aufgeladenen Demonstrationen in Dresden, Erfurt, Chemnitz, Cottbus verläuft bis zum Massaker in Christchurch ein Band, das könnten wir nicht abstreiten. Und: Die Identitäre Bewegung sei ein extremistischer Haufen, weil er Menschen nach Gruppenmerkmalen ein- oder ausschließe. Und: Widerstand zu rufen und zu fordern sei so, als würde man eine geladene Pistole durch die Reihen nach vorn reichen.
Selbst dort, wo ich recht offen mit Journalisten reden kann, beiße ich seit gestern auf Granit. Es wirkt sogar, als sei man dort irgendwie erleichtert, daß die Frontlage geklärt ist.
Alles klar. Und jetzt? Vorhin telefonierte ich mit Sellner: Er ist zuversichtlich (wie immer), daß dies nun der Höhepunkt der ungerechtfertigten Denunziation sei – danach könne es einfach nicht schlimmer kommen. Er schreibe jetzt an seinem Buch weiter, kooperiere mit der Polizei, die gestern seine Bude ausräumte, und denke darüber nach, was als nächstes zu tun sei.
Ach, Martin! Es war dann gestern noch ein Journalist aus Japan zu Besuch, der das, was ich sagte, für normal und bedenkenswert hielt. Seine letzte Frage lautete, wie ich mir vor dem Hintergrund seiner Einschätzung erklären könne, daß der Widerspruch gegen meine Thesen und Analysen so heftig sei und daß man mir oder auch der AfD die Daseinsberechtigung im politischen Raum noch immer absprechen wolle.
Vielleicht hätte Sellner ihm geantwortet, daß es sich im Grunde um ein Mißverständnis handle und um Reaktionen aus Angst vor Isolierung. Eine solche Antwort kann nur ein im Grunde seines Herzens auf Dur gestimmter und hoffnungsfroher Mensch geben. Ich gab etwas anderes zu Protokoll: Es ist ein Meinungskampf, eine harte Auseinandersetzung, und es wird kein Pardon gewährt. Es geht nicht um Wahrheit oder Redlichkeit, sondern um Zugänge zur öffentlichen Meinung, um Meinungsmacht und um das Ausschalten und Abschalten des intellektuellen Gegners.
Klar ist auch, warum sich die Meute nicht auf die NPD oder den dritten, vierten oder fünften Weg stürzt oder dem Volkslehrer heimleuchtet, sondern dem bürgerlich und intelligent vorgetragenen Angriff auf die Machtarroganz: Man kommt argumentativ und kreativ gegen “uns” nicht an. Daher: denunzieren, isolieren, kriminalisieren.
Und so gilt es beispielsweise abzuwarten, ob Renaud Camus Begriff “Großer Austausch” nicht am Ende so sehr kontaminiert ist, daß man ihn im Grunde nicht mehr benutzen und schon gar nicht mehr retten kann. Ja, ich weiß, das wäre nicht gerechtfertigt, aber das ist egal, ist keine Kategorie: Auch der politische Kampf in einer Demokratie ist nicht “gerecht”, sondern ein Kampf, und manchmal sogar hinterfotziger als in einem autoritären Regime.
Was also tun gegen die medialen Betonmaschinen? Das fragen ich und Ellen und der andere Martin uns seit 25 Jahren. Aus meiner Sicht hat das, was wir tun, ja immer symbolische Bedeutung, und wir sind wahlweise “Zeichen, deutungslos” oder “Zeigerpflanzen” oder diejenigen, mit denen auf eine Weise umgegangen wird, die das “System” zur Kenntlichkeit entstellen sollte.
Aber: Ich gewinne mehr und mehr den Eindruck, daß es dem System scheißegal ist, ob es zur Kenntlichkeit entstellt wird. Denn wer nähme diese Entstellung noch wahr, wer zöge Konsequenzen daraus – wenn nicht wieder wir selbst? Die drei Leute, die mich gestern anriefen, ganz sicher nicht: Wenn es nicht deren Überzeugung ist, daß wir am besten gar nicht mehr mitspielen sollten, dann greift wenigstens die journalistische Kostenkalkulation – man stelle sich den Aufwand vor, den einer treiben müßte vor seinen Kollegen, wenn er den Betonmischer abstellte und den neusten Sellner-Klotz infrage stellte!
Kurzum: Man ist dabei, uns alle Fenster zuzumauern, und ganz sicher hoffen eine Menge Leute, daß wir endlich aufgeben.
An welchem Punkt muß man damit aufhören, sich anzustrengen? Ab wann schaut man besser nur noch zu, was geschieht? Was “der Gegner” unter Toleranz, herrschaftsfreiem Diskurs, Demokratie, Pluralismus, Respekt und Dialog versteht? Reicht uns das? Muß uns das reichen? Ist das Defaitismus?
Nein, das ist meine Erfahrung: Scheint nicht in jedem Morgenlicht das Abendrot die Erde an? Irgendwann bleibt jede Karre liegen. Deine noch nicht, Martin, noch lange nicht. Das weiß ich.
Aber jetzt härtet erst einmal der Betonklotz aus, da können wir nichts machen.
Lotta Vorbeck
Eigentlich ein durchsichtiges, ziemlich plumpes Manöver, das Betonieren der Begriffsbrücke - und dennoch, so scheint es zumindest, funktioniert es erstmal.