… also in jedem einzelnen Fall. Wenn die Quellen nicht trügen, stammt das strikte Gebot des Schulbesuchs übrigens aus dem Jahre 1938.
Die meisten Länder weltweit – auch innerhalb Europas ist es die deutliche Mehrzahl – erlauben die Unterrichtung von Kindern durch Eltern oder Privatlehrer, gelegentlich gibt es sowas wie eine “Bildungspflicht”. Das kann heißen, daß die außerschulisch unterrichteten Kinder sich abschließend staatlichen Prüfungen unterziehen müssen.
Hierzulande wird Hausunterricht in wenigen Bundesländern geduldet, ansonsten gibt es ein paar Ausnahmeregelungen: Bei schwerer Krankheit des Kindes, oder wenn ein Schulpflichtiger beispielsweise Mitglied der Musikkapelle Tokyo Hotel und drum terminlich regelmäßig verhindert ist. Generell aber ist exklusiver Hausunterricht in der BRD nicht nur verboten, sondern auch in der öffentlichen Wahrnehmung eher übel beleumundet. Nicht, weil die meßbaren Ergebnisse solcher oft stur & eigenmächtig durchgeführten Alleingänge dagegen sprächen – keinesfalls!
Die Hausunterrichter mögen ein reichlich heterogenes Grüppchen sein, die Lernerfolge ihrer Kinder sind jedenfalls generell mindestens gut, eher überdurchschnittlich. Auch ob den heimisch beschulten Kindern wertvolle soziale Erfahrungen vorenthalten bleiben, darf bezweifelt werden. Gründe, die eigenen Kinder dem staatlichen Schulzwang zu entziehen, gibt es reichlich, und es sind keinesfalls die zur Asozialität tendierenden Nichtsnutze, die solches anstreben.
Die libertäre Plattform in der FDP hatte dazu mal eine ausführliche Stellungnahme verfaßt, das im Archiv des ef-Magazins nachzulesen ist. Schlagkräftig fand ich u.a. die Hinweise, daß die Schulen heute oft “kein Ort der Geborgenheit” seien, und daß man staatlicherseits nicht immer in der Lage sei, die “Unversehrtheit des Kindes” sicherzustellen. Oh, davon könnte man Lieder singen, grausliche!
Nun hat ebenfalls das Magazin eigentümlich frei online auf einen Fall aufmerksam gemacht, in dem hausunterrichtenden Eltern in Brandenburg nicht nur mit Sorgerechtentzug gedroht, sondern auch eine Verbringung der Tochter in die Psychiatrie angewiesen wurde.
Die drei Kinder des betreffenden Paares sind anscheinend nicht nur begabt, sondern extrem hochbegabt; die zehnjährige Tochter spielt nicht nur mehrere Instrumente, sondern ist auch ein hart trainierendes Judo-Ass, Unicef-Junior-Botschafterin etc. obendrein. Der ältere Sohn habe bereits mehrere Klassen (gegen die Einschätzung des Schulamtes wohlgemerkt) übersprungen. Der Fall scheint also klar – auch wenn man die Kommentarspalten auf ef ‑online anschaut: Der Staat ist einmal mehr der regulierungswütige Nivellierer, der Familienfeind, der Glücks- und Gesundheitsverhinderer. (Beklagt wird auch, daß die Behörden nicht die hohen Fahrtkosten zu Terminen ihrer extrembegabten Kinder übernehmen – ‑die Eltern, beide Ingenieure, leben von der Grundsicherung.) Es wird aufgerufen, den Fall zu verbreiten und Proteste an die zuständigen Ämter zu richten. Klingt einigermaßen sinnvoll.
Näheres zu dieser speziellen Geschichte findet sich allerdings auf der Seite netzwerk-bildungsfreiheit.de. Unter vielen interessanten, und ja, besorgniserrregenden Details ist hier eine ellenlange Liste einzusehen, auf der die Kindsmutter geradezu minutiös alle Erfolge ihrer (wohl psychisch mindestens arg gefährdeten) Tochter aufgeschrieben hat.
Nichts gegen Begabtenförderung – alles dafür! Aber man lese und staune: Soviele bundesweite Wettbewerbe, Ausschreibungen, Konzerte, Kämpfe und Arzttermine, wie dieses kleine Mädchen bewältigt hat, haben die wenigsten Erwachsenen in ihrem Leben absolviert! Daß Eltern, deren Kinder – wie zu lesen ist – schon mit knapp zwei Jahren elektrophysikalische Einführungsvorträge (uv.a.) gehalten haben, stolz auf ihre Gene & Erziehung sind: ist schon recht. Aber so?
Man löst sich, selbst als Hausunterrichtsfreund, von der Lektüre des Dramas mit einem ganz zwiespältigen Gefühl: Wann wird das Kindeswohl Staatsangelegenheit? Sollen Ämter im Zweifelsfalls eingreifen, wenn Lebensglück & Gesundheit eines Kindes in Frage stehen? Nur, wo wäre der Maßstab?
Freedy
Sicher wird Kindeswohl zu keinem Zeitpunkt Staatsangelegenheit, so wie eben auch der Familien-Unterhalt keine Staatsangelegenheit werden sollte. Beides kann ein Staat nicht sinnvoll leisten.
Hier liegt doch der Hase im Pfeffer: Zwei Ingenieure leben von der Grundsicherung und haben so alle Zeit der Welt, sich um ihre Kinder zu kümmern und sie womöglich zu Leistungen zu motivieren, die eben unter den Bedingungen gewöhnlichen Einkommenserwerbs kaum zu erwarten wären. In diesem Fall ist das Kindeswohl bereits bedauerlicherweise erheblich durch Staatstätigkeit beeinflußt, wenn nicht beeinträchtigt. Nun spricht dies nicht gegen Heimunterricht, sondern durchaus dafür, aber doch nicht auf Kosten derer, die aus Umverteilungsgründen schweren Herzens auf den Heimunterricht ihrer Kinder verzichten müssen.