Peter Graf: Was nicht mehr im Duden steht.

Es gibt zahlreiche illustre Betrachtungen über verschwundene Wörter und Redewendungen.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Dies ist eine wei­te­re, und sie ist beson­ders ver­lo­ckend, weil sie auf »Nach­weis­ba­rem« beruht. Peter Graf, ein Urge­stein des Duden-Ver­lags, ist Wör­tern nach­ge­stie­gen, die der Duden, das maß­geb­li­che Buch zur Recht­schrei­bung, im Lau­fe sei­nes Erschei­nens getilgt hat. Eine uner­schöpf­li­che Fund­gru­be, ein Schatz für Sprachliebhaber!

Der ers­te Duden erschien 1880. Die längs­te Span­ne zwi­schen zwei Auf­la­gen lag zwi­schen 1947 und 1954 – aller­dings spal­te­te sich damals die Auf­la­ge auf, und bereits 1952 erschien der neue Ost-Duden – mit eini­gen Wör­tern, die der Wes­ten nicht kann­te. Zum Bei­spiel die Ket­wurst (von Ket- wie Ket­chup), aber auch mit Voka­beln wie »Mach-mit«-Wettbewerb, Haus­frau­en­bri­ga­de und Blau­hemd. Das ist des­halb fas­zi­nie­rend, weil wir Sprach­mo­den heu­te zuvör­derst im Gewand der poli­ti­schen Kor­rekt­heit erle­ben. Was übri­gens nur das Revi­val einer alten Mode ist! Im Duden von 1934, elf­te Auf­la­ge, wur­den bei­spiels­wei­se von Nis­san bis Adar sämt­li­che Mona­te des jüdi­schen Kalen­ders getilgt, eben­so Nana, die lie­der­li­che Roman­fi­gur von Émi­le Zola.

Zwei Auf­la­gen spä­ter wur­den unwie­der­bring­lich gestri­chen: Blut­fah­ne, Blut­schutz­ge­setz, Ein­topf­sonn­tag, kriegsbereit/Kriegsbereitschaft, Ras­sen­auf­ar­tung, fremd­völ­kisch und ver­ju­den. Bereits in der Auf­la­ge 1942 wur­den getilgt: Tank­schlacht- und ‑abwehr, was näm­lich nun gut­deutsch Pan­zer­ab­wehr etc. lau­ten muß­te. Die­ses Büch­lein ist ein ech­ter Schmö­ker, den wohl kaum jemand streng am Stück lesen wird. Blät­ternd und schwel­gend fällt auf, daß offen­kun­dig für die Auf­la­ge 2009 beson­ders vie­len beson­ders schö­nen Wör­tern der (offi­ziö­se) Gar­aus gemacht wur­de: Etwa Mut­geld für die Abga­be, die ein Gesel­le sei­nem Meis­ter zahlt. Oder Schwes­ter­kind (Nich­te /Neffe), und Fun­e­ra­li­en (Trau­er­fei­er), Ein­ge­sandt (Leser­zu­schrif­ten) und Theo­ma­nie (reli­giö­ser Eifer).

War­um hin­ge­gen wur­de halb­schü­rig (min­der­wer­tig) erst 2013 getilgt? Sogar der Moham­me­da­nis­mus schwand erst 2013! Der Ama­teur­bo­xer hin­ge­gen bereits 1934, die Asphalt­kul­tur (volks­frem­de Groß­stadt­kunst) aus nahe­lie­gen­den Grün­den 1947. Eini­ge Bedeu­tun­gen der gestri­che­nen Wör­ter erschlie­ßen sich leicht: Weh­leid, abge­mat­tet, Nah­rungs­sor­ge (1941 getilgt), Kolo­ni­al­rat oder Export­prä­mie. Ande­re füh­ren in frem­de, ver­gan­ge­ne Wel­ten: Was war ein Bdel­lo­me­ter? Was ein Zip­pen­nest? Was Weiß­sucht, was ein Weltfeind?

Peter Graf beglei­tet die aus­ge­wähl­ten Til­gun­gen mit fei­nen, feuil­le­to­nis­ti­schen Essays, die in zwan­zig the­ma­ti­sche Kapi­tel auf­ge­teilt sind, etwa: »Ordon­nanz­waf­fen, Hen­ry­stut­zen und aller­lei Kriegs­ge­rät«; »Sex sells«, oder »Klei­der machen Wörter«.

Peu à peu aus der Mode gerie­ten übri­gens auch diver­se Schimpf­wör­ter, etwa das Brat­wurst­maul, die Heul­hu­re oder die Insec­ten­see­le. Der Zärt­ling ist aus ost­deut­schen Duden bereits 1951 getilgt wor­den, aus dem west­deut­schen Pen­dant erst 1967. Den Feig­ling, Jam­mer­lap­pen und Schlapp­schwanz gibt es bis heute.

Peter Graf: Was nicht mehr im Duden steht. Eine Sprach- und Kul­tur­ge­schich­te, Ber­lin, Duden 2018. 223 S., 15 € – hier bestel­len

 

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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