der brandenburgisch-preußischen Geschichte, zurück und untersucht die Geschichtsbilder von vier ihrer Protagonisten. Neben dem Großen Kurfürsten und Friedrich dem Großen, die als souveräne Fürsten die Geschicke lenkten, stehen Bismarck und die Nationalsozialisten. Letztere fallen dabei schon deshalb aus dem Rahmen, weil es sich nicht um eine Person, sondern um eine ziemlich heterogene Bewegung handelt. Auch wenn die Fakten und Belege, die Clark im Laufe seiner Abhandlung anführt, kein neues Material bieten, liegt seine Leistung gerade darin, sie in ein neues Licht zu stellen: »Dieses Buch zeigt, was geschieht, wenn zeitliches Bewußtsein durch die Linse der Macht betrachtet wird.«
Clark nennt diesen Vorgang »Verzeitlichung der Politik«. Die Frage lautet, wie der Herrscher, der Politiker sich selbst und seine Handlungen in der Zeit verortet. Das daraus folgende Verständnis von Zeit ist konstitutiv für das jeweilige Geschichtsbild, das natürlich auch immer von politischen Opportunitäten ins Lot gebracht wird.
Der Große Kurfürst steht im Bann der Erfahrung des Dreißigjährigen Krieges. Daraus leitet er laut Clark ab, daß Ähnliches in Zukunft verhindert werden müsse. In diesem Rahmen nahm er den Konflikt mit den Landständen als einen Kampf gegen das Chaos und die Tradition auf. Sein Geschichtsbild war demzufolge ein dynamisches, mit der eigenen Person als wesentlichem Beweger und Neuerer. Friedrich der Große dagegen sah, nachdem der Bestand Preußens gesichert war, einen Moment der Vollendung gekommen, insbesondere des Staates, den es zu bewahren und auszubauen gelte.
Clark nennt das ein statisches Geschichtsbild, was er vor allem mit den historischen Schriften Friedrichs belegt. Auch Bismarck hat viel geschrieben, war aber als Staatsmann in einer ganz anderen Position. Politik hat Bismarck als Schachspiel beschrieben, in dem es viele Möglichkeiten gibt, zum Erfolg zu kommen. Er mußte zwischen den modernen Strömungen und den konservativen Fundamenten vermitteln und auf Ereignisse, die plötzlich aus dem Strom der Zeit auftauchten, reagieren. Ein Endziel kannte er nicht.
Das »Geschichtlichkeitsregime« der Nationalsozialisten fällt auch aus dem Rahmen, weil es mit den vorgenannten Beispielen im Grunde nichts zu tun hatte. Es ist insofern sinnvoll, daß Clark die Besonderheiten des nationalsozialistischen Geschichtsbildes im Vergleich mit dem italienischen Faschismus herausarbeitet. Beide wollten das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart neu deuten, indem, so Clark, ein totaler Bruch mit der unmittelbaren Vergangenheit behauptet wurde. Der Faschismus in einem linearen, der modernen Geschichtslogik folgenden Modell, der Nationalsozialismus im Sinne einer ahistorischen Utopie, die ein tausendjähriges Reich der Gegenwart und Zukunft einem ebensolchen in der Vergangenheit an die Seite stellte. Clark begründet die Einreihung des NS in die Ahnenfolge Preußens mit der übermächtigen Stellung des Bismarckreiches, dessen Zusammenbrauch zu einem solch ahistorischen Zeitverständnis geführt habe. Dieses Argument ist nicht besonders überzeugend, weil es die wesentliche Quelle des NS, den Sozialismus, nicht genügend würdigt und damit übersieht, welcher Tradition der NS entstammt.
Leider muß man angesichts des Epilogs im Buch den Eindruck gewinnen, daß Clark mit solchen Vergleichen Aussagen über unsere Zeit treffen will. Er zitiert dort zustimmend Macron und sieht in ihm einen neuen Großen Kurfürsten am Werk, der gegen die Tradition kämpfe um Europa zu retten, und kritisiert die Renationalisierung, die sich weltweit regt. Was ihm dabei etwas aus den Augen gerät, ist, daß die gegenwärtige westliche Demokratie gerade in ihrem Gerede von Alternativlosigkeit eine Tradition behauptet, die ganz offenbar nicht in der Lage ist, uns für die Zukunft zu rüsten. Macron erinnert daher weniger an den Großen Kurfürsten als an die Vertreter der ahistorischen Utopie.
Christopher Clark: Von Zeit und Macht. Herrschaft und Geschichtsbild vom Großen Kurfürsten bis zu den Nationalsozialisten, München: DVA 2018. 313 S., 26 €