Mittlerweile wagen sich auch Linke mit Islamkritik an die Öffentlichkeit. Das könnte daran liegen, daß uns speziell diese Religion tatsächlich vor besondere Schwierigkeiten stellt, sprich: es könnte was dran sein an der »Islamophobie«. Man muß diese Autoren, die sich nun aus der sicheren Deckung der politischen Korrektheit herauswagen, in gewisser Weise besonders bewundern, denn in den Augen des linken Mainstreams verlassen sie die wohlige Wärme der Gutfühlatmosphäre. Daß sie dieses Risiko, den Ausschluß aus der Gemeinde, auf sich nehmen, zeigt vermutlich das starke Empfinden der Dringlichkeit. Das allein sollte uns hellhörig machen. Schon deshalb sollten wir sie mit offenen Armen empfangen und die eventuellen argumentativen Schwächen vorerst entschuldigen.
Samuel Schirmbeck war ein Jahrzehnt Nordafrika-Korrespondent der ARD, er kennt den Nahen Osten aus eigener Anschauung, aber er war auch Produkt der Frankfurter Schule, hatte bei Adorno und Horkheimer studiert und ist bekennender Wähler der Grünen. Jetzt spricht er von »Gefährlicher Toleranz« und dem »fatalen Umgang der Linken mit dem Islam«. 9 / 11 war für ihn die historische Zäsur – statt sie zu nutzen, um eine intensive Islamdebatte zu initiieren, habe sich die Linke in eine Tabu-Position begeben, ein Analyseverbot ausgesprochen und eine »Blanko-Toleranz« angeordnet; es hatte der Satz zu gelten: Das hat mit dem Islam nichts zu tun! Schirmbeck sah das anders. Die Migrationskrise scheint ihn nun endgültig aufgeschreckt zu haben.
Um seine Last nicht allein zu tragen, sucht er sich Kampfgefährten aus dem linken Spektrum, fragt mutige Genossen, die wie er den Schritt in die Öffentlichkeit wagen. Dabei ist ein besonderes Interesse an der Psychoanalyse auffällig. Offenbar vermutet er den Fehler in der psychischen Verfaßtheit des Linken an und für sich. Am Ende steht immer wieder das »Schuldgefühl«, also die historische Verantwortung. Wenn das Erkenntnisse sein sollen, dann ahnen wir, wie weit die Linke analytisch hinterherhinkt.
Tatsächlich kommen Schirmbeck und seine Informanten kaum über die Symptombeschreibung hinaus, auch wenn einige von ihnen – wie etwa Sigrid Herrmann-Marschall – in ihrer Arbeit längst weiter sind. Schirmbeck hängt sich noch zu sehr am Kopftuch, am Einzelfall, am Mobbing u.ä. auf. Wirklich wesentlich, prinzipiell und systemisch wird lediglich der tunesische Psychoanalytiker Fethi Benslama, wenn er konstatiert, daß in der »islamischen Welt keine Trennung des philosophischen Subjekts vom theologischen Subjekt stattgefunden« habe. Dort möchte man, sofern man schon ein wenig in der Debatte steht, fortsetzen.
Vermutlich wird das Buch den Lesern dieser Zeitschrift also kaum Neues vermitteln. Dennoch vermag es als Fallsammelstelle Nützliches zu leisten. Der wenig systematische Zugang zum Material zeigt, daß Schirmbeck selbst längst noch nicht fertig ist damit. Unangenehm fällt die Betonung des Motivs, »die Rechte nicht noch stärker werden zu lassen«, auf und der Traum von einer wahren Linken, einer »Linken, die links ist«. Man sollte doch meinen, daß derartige Kategorien vor der Wahrheit zu kapitulieren haben.
Trotzdem: Das Buch bietet nicht nur eine Reihe zitierfertiger Formeln, es zeigt vor allem die Aporien linken Denkens, insbesondere wenn es um den Islam geht, auf. Erhellend war für mich der Blick in die intellektuellen Abgründe speziell des grünen Islam-Denkens – diese Partei ist mehr als verderblich, sie ist gefährlich.
Die linken Paradoxa laufen stets auf eine Toleranz der Intoleranz hinaus; indem sie antirassistisch auftritt, ist sie rassistisch, national durch Antinationalismus, frauenfeindlich durch Feminismus usw. Und diese Widersprüche fallen auch auf das Buch selbst zurück: indem ein Linker Linke kritisiert, wird er zwangsläufig zum Rechten, ob er das nun will oder nicht.
Insofern stellt die Rechte die falsche Leserschaft. Dieses Buch müßte zuerst von der Linken gelesen werden.
Samuel Schirmbeck: Gefährliche Toleranz. Der fatale Umgang der Linken mit dem Islam, Zürich: Orell Füssli 2018. 166 S., 20 €.