Die waren keinesfalls mißraten, doch über sie dürfte man urteilen wie über Adalbert Stifters Romane (mit diesem Landsmann wird RKM gelegentlich verglichen, auch Knut Hamsun käme einem in den Sinn) – nämlich nach Lesetemperament entweder: »ohje, Heimatliteratur« oder »oh, Heimatliteratur!« Sprich, es ging gesetzt zu und ein wenig langweilig.
Enteignung hingegen ist wieder fulminant. Jedes Wort, jedes Bild sitzt, und keine Zeile ist überflüssig. Der Ich-Erzähler, zuvor in Diensten der Süddeutschen Zeitung und mit Kontakten in die ganze Welt, quittiert seinen Dienst, um für das Lokalblatt seiner dörflichen Heimat zu schreiben. Hier beginnt er eine rätselhaft schweigsame Affäre mit der Lehrerin Ines. Es stellt sich heraus, daß sie mehrere Liebhaber hat. Ähnlich rätselhafterweise beginnt der Journalist (der bald auch sein Social-media-Leben brachliegen läßt und sogar das Smartphone kaum mehr braucht), in der großen Schweinemastanlage eines herben Bauernpaares zu arbeiten. Niemand redet viel. Gezeichnet wird mit groben Strichen. Es sind einfache, normale, kaputte Menschen. Ihnen allen geht die Luft langsam aus, während sie Bäume fällen, geheimen Leidenschaften frönen, Funkmasten aufstellen. Irgendwann hauchen sie aus. Man schaut sich das beinahe atemlos an. Nichts ist manieriert oder gekünstelt. Es ist wie es ist. Und: Es ist schönste Kunst.
Reinhard Kaiser-Mühlecker: Enteignung. Roman, Frankfurt a. M.: S. Fischer 2019. 222 S., 21 € – hier bestellen