besonders gern zur AfD und zu dem noch nicht völlig umerzogenen Ostler, kommt in der Regel eine Antwort, die sich auf dem Niveau eines bundesrepublikanischen Ministers bewegt. Dem wachen Beobachter stellt sich dann unweigerlich die Frage, ob der Historiker dem Minister oder der Minister dem Historiker nach dem Mund redet. Wer zieht die Leitlinien aus, an denen sich die staatspolitischen Debatten auszurichten haben? Da wir in einer Demokratie leben und Frau Metzler, die seit 2007 an der HU Berlin einen Lehrstuhl für die Geschichte Westeuropas und der transatlantischen Beziehungen innehat, selbst Historikerin ist, wird diese Frage naturgemäß nicht gestellt. Denn die Wissenschaft ist frei, politische Einflußnahme gibt es nur in Diktaturen, und der Historiker kennt die Wahrheit, die für den Politiker natürlich Richtschnur des Handelns sein sollte.
Frau Metzler hat sich in ihrem Buch vorgenommen, den mühevollen Weg nachzuzeichnen, der zu diesem Idealverhältnis der Gegenwart geführt hat. Um dem Leser auch besonders drastisch vor Augen zu führen, wie segensreich die heutigen Historiker ihr Amt als Sinnstifter versehen, fängt sie nicht 1945 an, sondern beim Historismus des Kaiserreichs, um dann über Weimarer Republik und Drittem Reich zum Jahr 1945 zu gelangen. Das Elend beginnt bei ihr mit dem Jahr 1871 und dem Wirken der Historiker, diesem Staat eine historische Legitimation zu verleihen und einen »Machtstaat« zu propagieren. Damit begann, unausgesprochen, der deutsche Sonderweg, der sich Freiheit nur durch den Staat, nicht vom Staat vorstellen konnte. Dem Staat der Weimarer Republik standen die Historiker mehrheitlich skeptisch gegenüber, d. h. hier wollten die Sinnstifter nicht so wie die Politiker. Im Dritten Reich sah das anders aus, nur wenige Historiker fanden in den Widerstand, aber selbst dort »blieb ihr Denken an überkommenen Leitvorstellungen von Staatlichkeit orientiert«.
Metzler kommt damit zu ihrem eigentlichen Thema und damit zur Zeitgeschichte selbst, die es vor 1945 in der Form nicht gab, und der Entwicklung der bunderepublikanischen Staatsvorstellungen bei den Zeithistorikern. Diese brauchen einige Zeit, um die alte Skepsis abzuschütteln, insbesondere weil es eine starke Kontinuität beim Personal gab. Zu einer Revisionswissenschaft wurde die Zeitgeschichte im Gegensatz zur Geschichtswissenschaft nach 1918 nicht, weil die Niederlage von 1945 total war. Die Haltung der Historiker beschreibt Metzler als defensiv und abwartend, »was die neue Zeit bringen mochte«. Was da kam, war recht eindeutig: die totale Ausrichtung nach Westen, die durch Stipendienprogramme für die Jüngeren und Etablierung der Politikwissenschaft mit Nachdruck vorangetrieben wurde, und die Rechtfertigung der Verhältnisse aus einem antikommunistischen Konsens heraus. Die Historiker halfen damit, die Bundesrepublik zu stabilisieren. Es dauerte allerdings nicht lange bis dieser Konsens in Frage gestellt wurde.
Was jetzt folgt, wird bei Metzler als ein kontinuierlicher Prozeß beschrieben, der einige Katalysatoren brauchte, um zu dem gegenwärtigen Ergebnis zu gelangen. Das eine war die Fischer-Kontroverse, die zur Infragestellung jeder Epoche der deutschen Geschichte führte, das andere die von keinem namhaften Historiker erwartete oder gar gewollte deutsche Einheit, die nicht dazu führte, daß sich die Historiker selbst hinterfragten, sondern vor allem die Denunziation der ersten bundesrepublikanischen Historikergeneration als NS-Anhänger zur Folge hatte. Daß sich die Geschichte damit wiederum zur Magd der Politik machte, ist offensichtlich: Die deutsche Teilung war als Strafe für Ausschwitz für ewig gehalten worden, als Ausgleich mußte man nach deren Ende die Schuldmetaphysik ins Absurde steigern (was nicht zuletzt Heinrich August Winkler bei jeder Gelegenheit befördert hat). Für Metzler ist das nichts weiter als eine nachholende Aufarbeitung der NS-Zeit, die nach 1945 versäumt worden sei.
All das stellt dem Buch kein besonders gutes Zeugnis aus. Im Grunde müßte es kein schlechtes Buch sein, wenn man es gegen den Strich lesen könnte, nicht als Erfolgs‑, sondern als Verfallsgeschichte der Staatsauffassungen der Zeitgeschichte, die sich von dem entfernt haben, was man gemeinhin unter einem Staat versteht. Wenn es also eine nach allen Seiten hin quellengesättigte Studie wäre, müßte man Metzler die Schieflage nicht übelnehmen, zumal sie an keiner Stelle verbirgt, wes Geistes Kind sie ist.
Allerdings ist nicht nur die Deutung, sondern auch die Darstellung tendenziös. Es kommen weder Helmut Diwald, noch Werner Maser, Stefan Scheil oder Karlheinz Weißmann vor. Das formale Kriterium des Lehrstuhls mag ihnen oftmals fehlen, aber bei ihren Gewährsleuten ist Metzler in dieser Hinsicht nicht pingelig. Wenn man das Ganze in den Blick nähme, würde nämlich auffallen, daß der Staat zugunsten der Gesellschaft und des Individuums aufgegeben wurde, was diese schutzlos zurückläßt. Wenn die Historiker diesen Sinn gestiftet haben sollten, träfe sie die höchste Schuld. Glücklicherweise haben sie aber nichts gestiftet, sondern waren Erfüllungsgehilfen der Politik.
Gabriele Metzler: Der Staat der Historiker. Staatsvorstellungen deutscher Historiker seit 1945 (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2269), Berlin: Suhrkamp 2018. 371 S., 22 € – hier bestellen