den Kunsthistoriker Horst Bredekamp, in denen vorausgesetzt werde, daß einem bedeutenden Werk ein moralisch makelloser Künstler entsprechen müsse.
Rauterberg benennt dieses Phänomen mit dem schönen Wort »Kunstbuße«. Wir befinden uns mitten in einem neuen Kulturkampf, so seine These, in dem die »Freiheit der Kunst« ständig in ihrer Wirkung auf Sittlichkeit und moralische Volksgesundheit geprüft, sortiert und zensiert wird. Rauterberg nimmt sich bekannte Fälle der letzten Jahre vor, an denen immer dasselbe exemplifiziert wird: sei es eine amerikanische weiße Künstlerin, deren Vergehen darin besteht, ein schwarzes Opfer künstlerisch darzustellen, der Maler Balthus und ein aufreizendes Mädchenporträt, Eugen Gomringers Gedicht auf der Berliner Hochschulfassade oder die Affaire Charlie Hebdo – die Grenzen der Kunst sind die Grenzen der Moral.
Dem Zeit-Autor und Kunsthistoriker gelingt ein kluges Stück Liberalismuskritik. Dessen ist er sich auch vollkommen bewußt. Langsam aber sicher bemerken Linke und Liberale, was ihnen über die Jahre unversehens passiert ist. Er stellt fest, es seien heute nicht mehr »Staat und Obrigkeit, die der Kunst strenge Grenzen setzen wollen. Es sind Kräfte, die sich selbst oft als links und progressiv begreifen und über Jahrzehnte für die Liberalisierung der Kunst eingetreten waren«. Das linksliberale Milieu existiert, so Rauterberg, in einem neuen »undeklarierten Schisma«. Es spaltet sich in traditionelle Bewahrer der Freiheit der Kunst und solche Protagonisten, die behaupten, wer alle Menschen befreien will, müsse die Unfreiheit der Kunst in Kauf nehmen.
Die Freiheit der Kunst wird von ihnen nicht länger an ihren ästhetischen Werten gemessen, sondern an ihrem Befreiungsversprechen. Ausgerechnet das Revolutionsbild von Eugène Delacroix »Die Freiheit führt das Volk« wurde beispielsweise zum Opfer zensierender Algorithmen von Facebook, da eine nackte Brust darauf zu sehen ist. Die Künstlerin Dana Schutz (eine Weiße, muß man in Zeiten des Antirassismus hinzufügen), hatte das Bildmotiv des offenen Sarges eines von Weißen getöteten schwarzen Knaben zu wählen gewagt. Es wurde nicht nur von einer schwarzen »Bürgerin« die Absetzung der Ausstellung erwirkt, sondern weitere »Stellvertreterminoritäre« (Sophie Liebnitz) verlangten, daß sie öffentliche Reue zeige, sonst bliebe ihr gesamtes Werk fürderhin geächtet.
Das paradigmatische vorläufige Endergebnis der Kunstbuße ist der »Neue Louvre« in Abu-Dhabi: Dort stehen eine Madonna, eine Bronzezeitfigurine und eine afrikanische Fruchtbarkeitsgöttin in trauter Eintracht vor den Augen einer »heimatlosen, der Geschichte entrückten Weltöffentlichkeit« (Rauterberg). Niemandem wird zu nahe getreten, alle sollen sich in der Beliebigkeit wohlfühlen, denn es gibt keine Unterschiede mehr, alle Menschen aller Zeiten sind doch immer schon gleich. Der Liberalismus beugt sich in sich selbst zurück, wird zum Diener seiner eigenen ins Gegenteil verkehrten Verkündigung. »Der Liberalismus ist eine Fabel, deren Moral der Servilismus ist« (Franz von Baader, zitiert nach: Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Europa, Bd. I, siehe auch die Rezension in diesem Heft).
Schwierig wird’s für Hanno Rauterberg, wenn wir auf den letzten Seiten ins Spiel kommen: »Wohl nie wäre es zur Übersiedlung des rebellischen Geistes in ein konservativ-fundamentalistisches Lager gekommen, hätte sich nicht zugleich der Liberalismus in weiten Teilen diskreditiert«. Er kommt zu der ziemlich liberalenuntypischen Konklusion, die Krise des Liberalismus werde nur vertieft, wenn man diese Symptome mit noch mehr Liberalismus zu bekämpfen versuche und beruft sich auf den keineswegs rechten Soziologen Sieghart Neckel, der für sein Lager festellte: »daß wir faktisch zu Parteigängern einer Globalisierung geworden sind, die zahlreiche negative Auswirkungen hat«.
Auftritt der »Rechtsrebellen« (noch ein schönes Wort) Kubitschek, Müller, Sellner. An ihnen will Rauterberg zeigen, daß die Freiheit selbst die Unfreiheit in sich trage und die »illiberale Demokratie« hervorbringe. Je nun, ließe sich hier einwenden, er dürfte mit dieser plötzlichen Dialektik nicht sehr weit kommen. Erstens ist der Liberalismus selbst illiberal. Zweitens ist unklar, was nach dem begrifflich völlig klaren und einsichtigen kunsttheoretischen Durchgang durch die Krise des Liberalismus denn Rauterbergs Kritikfolie sein soll. »Rechtspopulisten« richteten sich gegen die »ethisch grundierten Werte, die im Kunstsystem vertreten werden« – den Beweis, daß ebendiese sich gerade selbst ad absurdum geführt haben, hat er doch selber im ganzen Buch erbracht. Wir Rechtsrebellen sehen in der »Freiheit der Kunst« eine liberale Phrase und sind doch oftmals die einzigen weit und breit, die sie heftig verteidigen. Absurd? Kunst! Oder kann das weg?
Hanno Rauterberg: Wie frei ist die Kunst? Der neue Kulturkampf und die Krise des Liberalismus (= edition suhrkamp) Berlin: Suhrkamp 2018. 141 S., 14 € – hier bestellen