Hanno Rauterberg: Wie frei ist die Kunst? – eine Rezension

Er kenne keine Zeiten außer denen des Totalitarismus, zitiert der Verfasser des schmalen Bändchens Wie frei ist die Kunst?

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

den Kunst­his­to­ri­ker Horst Bre­de­kamp, in denen vor­aus­ge­setzt wer­de, daß einem bedeu­ten­den Werk ein mora­lisch makel­lo­ser Künst­ler ent­spre­chen müsse.

Rau­ter­berg benennt die­ses Phä­no­men mit dem schö­nen Wort »Kunst­bu­ße«. Wir befin­den uns mit­ten in einem neu­en Kul­tur­kampf, so sei­ne The­se, in dem die »Frei­heit der Kunst« stän­dig in ihrer Wir­kung auf Sitt­lich­keit und mora­li­sche Volks­ge­sund­heit geprüft, sor­tiert und zen­siert wird. Rau­ter­berg nimmt sich bekann­te Fäl­le der letz­ten Jah­re vor, an denen immer das­sel­be exem­pli­fi­ziert wird: sei es eine ame­ri­ka­ni­sche wei­ße Künst­le­rin, deren Ver­ge­hen dar­in besteht, ein schwar­zes Opfer künst­le­risch dar­zu­stel­len, der Maler Bal­thus und ein auf­rei­zen­des Mäd­chen­por­trät, Eugen Gom­rin­gers Gedicht auf der Ber­li­ner Hoch­schul­fas­sa­de oder die Affai­re Char­lie Heb­do – die Gren­zen der Kunst sind die Gren­zen der Moral.

Dem Zeit-Autor und Kunst­his­to­ri­ker gelingt ein klu­ges Stück Libe­ra­lis­mus­kri­tik. Des­sen ist er sich auch voll­kom­men bewußt. Lang­sam aber sicher bemer­ken Lin­ke und Libe­ra­le, was ihnen über die Jah­re unver­se­hens pas­siert ist. Er stellt fest, es sei­en heu­te nicht mehr »Staat und Obrig­keit, die der Kunst stren­ge Gren­zen set­zen wol­len. Es sind Kräf­te, die sich selbst oft als links und pro­gres­siv begrei­fen und über Jahr­zehn­te für die Libe­ra­li­sie­rung der Kunst ein­ge­tre­ten waren«. Das links­li­be­ra­le Milieu exis­tiert, so Rau­ter­berg, in einem neu­en »unde­kla­rier­ten Schis­ma«. Es spal­tet sich in tra­di­tio­nel­le Bewah­rer der Frei­heit der Kunst und sol­che Prot­ago­nis­ten, die behaup­ten, wer alle Men­schen befrei­en will, müs­se die Unfrei­heit der Kunst in Kauf nehmen.

Die Frei­heit der Kunst wird von ihnen nicht län­ger an ihren ästhe­ti­schen Wer­ten gemes­sen, son­dern an ihrem Befrei­ungs­ver­spre­chen. Aus­ge­rech­net das Revo­lu­ti­ons­bild von Eugè­ne Delacroix »Die Frei­heit führt das Volk« wur­de bei­spiels­wei­se zum Opfer zen­sie­ren­der Algo­rith­men von Face­book, da eine nack­te Brust dar­auf zu sehen ist. Die Künst­le­rin Dana Schutz (eine Wei­ße, muß man in Zei­ten des Anti­ras­sis­mus hin­zu­fü­gen), hat­te das Bild­mo­tiv des offe­nen Sar­ges eines von Wei­ßen getö­te­ten schwar­zen Kna­ben zu wäh­len gewagt. Es wur­de nicht nur von einer schwar­zen »Bür­ge­rin« die Abset­zung der Aus­stel­lung erwirkt, son­dern wei­te­re »Stell­ver­tre­ter­mi­no­ri­tä­re« (Sophie Lieb­nitz) ver­lang­ten, daß sie öffent­li­che Reue zei­ge, sonst blie­be ihr gesam­tes Werk für­der­hin geächtet.

Das para­dig­ma­ti­sche vor­läu­fi­ge End­ergeb­nis der Kunst­bu­ße ist der »Neue Lou­vre« in Abu-Dha­bi: Dort ste­hen eine Madon­na, eine Bron­ze­zeit­fi­gu­ri­ne und eine afri­ka­ni­sche Frucht­bar­keits­göt­tin in trau­ter Ein­tracht vor den Augen einer »hei­mat­lo­sen, der Geschich­te ent­rück­ten Welt­öf­fent­lich­keit« (Rau­ter­berg). Nie­man­dem wird zu nahe getre­ten, alle sol­len sich in der Belie­big­keit wohl­füh­len, denn es gibt kei­ne Unter­schie­de mehr, alle Men­schen aller Zei­ten sind doch immer schon gleich. Der Libe­ra­lis­mus beugt sich in sich selbst zurück, wird zum Die­ner sei­ner eige­nen ins Gegen­teil ver­kehr­ten Ver­kün­di­gung. »Der Libe­ra­lis­mus ist eine Fabel, deren Moral der Ser­vi­lis­mus ist« (Franz von Baa­der, zitiert nach: Gerd-Klaus Kal­ten­brun­ner: Euro­pa, Bd. I, sie­he auch die Rezen­si­on in die­sem Heft).

Schwie­rig wird’s für Han­no Rau­ter­berg, wenn wir auf den letz­ten Sei­ten ins Spiel kom­men: »Wohl nie wäre es zur Über­sied­lung des rebel­li­schen Geis­tes in ein kon­ser­va­tiv-fun­da­men­ta­lis­ti­sches Lager gekom­men, hät­te sich nicht zugleich der Libe­ra­lis­mus in wei­ten Tei­len dis­kre­di­tiert«. Er kommt zu der ziem­lich libe­ra­len­un­ty­pi­schen Kon­klu­si­on, die Kri­se des Libe­ra­lis­mus wer­de nur ver­tieft, wenn man die­se Sym­pto­me mit noch mehr Libe­ra­lis­mus zu bekämp­fen ver­su­che und beruft sich auf den kei­nes­wegs rech­ten Sozio­lo­gen Sieg­hart Neckel, der für sein Lager festell­te: »daß wir fak­tisch zu Par­tei­gän­gern einer Glo­ba­li­sie­rung gewor­den sind, die zahl­rei­che nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen hat«.

Auf­tritt der »Rechts­re­bel­len« (noch ein schö­nes Wort) Kubit­schek, Mül­ler, Sell­ner. An ihnen will Rau­ter­berg zei­gen, daß die Frei­heit selbst die Unfrei­heit in sich tra­ge und die »illi­be­ra­le Demo­kra­tie« her­vor­brin­ge. Je nun, lie­ße sich hier ein­wen­den, er dürf­te mit die­ser plötz­li­chen Dia­lek­tik nicht sehr weit kom­men. Ers­tens ist der Libe­ra­lis­mus selbst illi­be­ral. Zwei­tens ist unklar, was nach dem begriff­lich völ­lig kla­ren und ein­sich­ti­gen kunst­theo­re­ti­schen Durch­gang durch die Kri­se des Libe­ra­lis­mus denn Rau­ter­bergs Kri­tik­fo­lie sein soll. »Rechts­po­pu­lis­ten« rich­te­ten sich gegen die »ethisch grun­dier­ten Wer­te, die im Kunst­sys­tem ver­tre­ten wer­den« – den Beweis, daß eben­die­se sich gera­de selbst ad absur­dum geführt haben, hat er doch sel­ber im gan­zen Buch erbracht. Wir Rechts­re­bel­len sehen in der »Frei­heit der Kunst« eine libe­ra­le Phra­se und sind doch oft­mals die ein­zi­gen weit und breit, die sie hef­tig ver­tei­di­gen. Absurd? Kunst! Oder kann das weg?

Han­no Rau­ter­berg: Wie frei ist die Kunst? Der neue Kul­tur­kampf und die Kri­se des Libe­ra­lis­mus (= edi­ti­on suhr­kamp) Ber­lin: Suhr­kamp 2018. 141 S., 14 € – hier bestel­len

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

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