Als die großen Vertreibungstransporte aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien Ende der 1940er-Jahre abgeschlossen waren, Briten und Amerikaner ihre deutschen Kriegsgefangenen entlassen hatten, entstand für das Deutsche Rote Kreuz eine neue Aufgabe. Im Rahmen der Familienzusammenführung durften nun Personen, die von den Nachkriegsvertreibungen aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße nicht erfaßt waren, zu ihren Angehörigen in den Westen übersiedeln. Es waren über 40 000 Deutsche, die aufgrund dieser Vereinbarung mit dem Polnischen Roten Kreuz bis April 1951 das Grenzdurchgangslager Friedland passierten.
Ein Jahr später legten die Briten die Lagerleitung in deutsche Hände, die kaum isolierten Nissenhütten verschwanden und machten komfortableren Holzbaracken Platz. Zwischen September 1953 und Januar 1954 nahmen sie die erste Hälfte der letzten 20 000 Heimkehrer aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft auf, die andere Hälfte folgte nach der Moskaureise Adenauers zwischen Oktober 1955 und Januar 1956. Fast übergangslos folgte darauf der Zustrom an Aussiedlern aus den polnisch besetzten Gebieten: 100 000 im Jahr 1957 und über 120 000 im Jahr 1958. Ihre alte Heimat war den Menschen fremd geworden, und so zogen sie ins unbekannte Westdeutschland, um sich nicht zwangspolonisieren zu lassen. Für die Heimkehrer aus Rußland wurde Friedland zum Symbol der Freiheit, für die Aussiedler aus den Ostgebieten aber auch zum Symbol des endgültigen Verlustes ihrer Heimat.
Christopher Spatz’ Buch Heimatlos. Friedland und die langen Schatten von Krieg und Vertreibung ist eine Reise in die Geschichte der 1950er-Jahre. Es erzählt von Menschen, die nach oft über einem Jahrzehnt dauernder Verschleppung und Gefangenschaft endlich wieder in ihre Heimat und zu ihren Angehörigen zurückkehren durften und von anderen, die ihre Heimat für immer aufgeben mußten. Friedland nahm sie alle auf, die Traumatisierten, die Kriegsversehrten, jene, die erfahren mußten, daß ihre Familien nicht mehr lebten, oder daß sie von ihren Frauen als »vermißt« erklärt und verlassen wurden und jene, die ihre Eltern, ihre Frauen und Kinder in die Arme schließen durften.
Der aus Ostpreußen stammende Photoreporter Fritz Paul hat das Lagerleben über mehrere Jahrzehnte hinweg dokumentiert. Dabei sind Bilder entstanden, die berühren und den Atem stocken lassen: Blicke in die Gesichter der Verschleppten, Kriegsgefangenen und Aussiedler, aber auch der Wartenden und Hoffenden, die nicht nur von zeithistorischem Wert sind, sondern vom feinen Blick, vom Respekt, von der menschlichen Nähe des Photographen zeugen.
Spatz beschreibt die schwere Aufgabe des DRK-Suchdienstes, zeigt das Leid der Kinder, die sich oft nicht mehr an ihre Mütter erinnern können, und die vom täglichen Existenzkampf um Essen oder eine Schlafstelle berichten. Viele von ihnen trugen bereits polnische Namen, waren von Entbehrungen und schwerer Arbeit geprägt, kaum ein Lächeln huscht über ihre Gesichter, wenn sie ihre Geschichten erzählen.
Es sind die Bilder, die einen noch lange beschäftigen: Der Heimkehrer, der ein Kätzchen als Seelentröster aus Rußland mitgebracht hat, die Frauen, die mit Blumensträußen den heranrollenden Bussen entgegenlaufen, das Glück in den Augen eines Paares, das sich wiedergefunden hat, der Lagermitarbeiter, der den aus Ostpreußen Vertriebenen eine Elchsschaufelnadel ans Revers heftet, die junge Rotkreuz-Schwester, die einen kleinen Aussiedler badet. Obwohl noch zu viele fehlten, war für sie der Krieg nun endlich zu Ende.
Christopher Spatz: Heimatlos. Friedland und die langen Schatten von Krieg und Vertreibung. Fotografien von Fritz Paul, Hamburg: Ellert & Richter 2018. 224 S., 19.95 € – hier bestellen