Das Achsenzeit-Theorem ist neben Freuds Einsichten über den Ödipus-Komplex und Webers Forschungen über Entzauberungsprozesse der Moderne wohl die wichtigste kulturwissenschaftliche Theorie des letzten Jahrhunderts. Folglich ist es nicht überraschend, daß der vielfach geehrte Ägyptologe Jan Assmann dieser für die Genese des Bewußtseins der Menschheit insgesamt so wichtigen Zäsur eine ausführliche Monographie widmet.
Popularisiert wurde diese »regulative Idee« von Karl Jaspers in den späten 1940er-Jahren. Sie beschreibt inhaltlich das Auftreten epochaler Propheten und Philosophen, das sich von euroasiatischen Regionen über Indien bis nach China erstreckt: Die Schwelle umfaßt den Zeitraum vom achten bis zweiten vorchristlichen Jahrhundert und verdichtet sich besonders im sechsten Jahrhundert. Mit dem Wirken der Vorsokratiker in Europa, Konfuzius als auch Laotse in China sowie Buddha in Indien und anderen großen Weisheitslehrern kann man eine kulturübergreifende Gleichzeitigkeit erkennen. Der Mensch wird sich, so die Deutung Jaspers’, seines »Seins im Ganzen« bewußt. Die bis zu diesem Einschnitt übermächtige mythische Tradition wird einer fundierten Reflexion unterzogen. Jedenfalls entstanden damals die Grundkategorien, in denen wir heute noch denken.
Assmann arbeitet anhand einiger wichtiger Denker (von Abraham-Hyacinthe Anquetil-Duperron in der späten Aufklärungszeit über Eduard M. Röth und einige heute kaum mehr bekannte Nachfolger bis zu Alfred Weber und Karl Jaspers) die verschiedenen Interpretationen über »Axialität« heraus. Auch neuere Kontroversen seit den 1970er Jahren werden dargestellt. Dabei handelt es sich keinesfalls um bloße Glasperlenspiele. Unverkennbar bilden die aktuellen Debatten über »Eine Menschheit« den Bezugspunkt für die Beschäftigung mit dem grundlegenden Topos.
Betrachtet man das Engagement Assmanns und seiner Frau Aleida, so nimmt man ebenfalls thematische Anknüpfungspunkte wahr: Die beiden »ökumenischen Weltethiker aus der badischen Provinz« (Dirk Glaser) wollen mit ihren Publikationen zur umfassenden Weltverbesserung beitragen. Vollständig ist dies jedenfalls dem männlichen Part des Ehepaars, der auch auf die Grenzen des Theorems verweist, nicht geglückt. Mancher zünftige Leser vermißt wohl einige außereuropäische Stimmen zu dieser wahrlich globalen Problematik. Auch Universalisten sind manchmal nicht universell genug.
Jan Assmann: Achsenzeit. Eine Archäologie der Moderne, München: Verlag C. H. Beck 2018. 352 S., 26,95 € – hier bestellen