Als Notre Dame brannte, habe ich gelächelt.
Im Januar fuhren wir aus Halle mit einem gemieteten Kleinbus nach Paris. Wir waren eingeladen worden von der Generation Identitaire, die jedes Jahr zu dieser Zeit einen Gedenkmarsch zu Ehren der Stadtpatronin, der heiligen Genoveva, veranstaltet.
Natürlich nutzten wir das Wochenende auch dazu, die üblichen Sehenswürdigkeiten abzugehen; während sich andernorts die Gelbwesten Straßenschlachten mit der Polizei lieferten, begaben wir uns zur berühmtesten Kathedrale der Welt. Am Eingang warteten breitgebaute afrikanische Sicherheitsleute, die nach einem flüchtigen Blick in die Taschen der Frauen jeden durchwinkten.
Die Szenerie im Innenraum unterschied sich wenig von dem Bild, das sich uns auf dem Vorplatz geboten hatte: Zwar stürzten sich hier keine Tauben mit geisteskranker Rücksichtslosigkeit auf alles was essbar erschien, ruhig, geschweige denn still war es jedoch keinesfalls. Das Klatschen des Flügelschläge wich dem emsigen Klickern der Fotoapparate, statt fröhlichem Geschnatter und Gegurre lag der brodelnde Flüsterteppich eines babylonischen Sprachgewirrs in der Luft.
In einigen Nischen des Innenraumes standen Verkaufsstände an denen Händler ihre Waren feilboten, die meisten Besucher ignorierten sie und nutzten derweil ihre Selfie-Sticks, um auch ja alle Mitglieder der Reisegruppe aufs Foto kommen.
An diesem 12. Januar fand wohl gerade ein Gottesdienst statt, keine von den gut besuchten Sonntagsmessen, sondern irgendeine kleine Feier, auf den Bänken saßen etwa zwanzig Besucher; die meisten von ihnen Alte. Von der Masse der Touristen waren sie getrennt durch einige sehr moderne Begrenzungspfoste am Rand der Sitzbänke, zwischen denen dunkelblaue Stoffbänder gespannt waren.
Ab und an blieb jemand stehen, um zu gaffen oder zu fotografieren; der große Brei der Besucher, bestimmt mehrere hundert Menschen, wogte hingegen beinahe zyklisch in einem nicht enden wollenden Strom um den abgegrenzten Bereich herum und würdigte das Spektakel nur gelegentlich eines müden Blickes, so wie sich im Zoo keiner mehr für das Kaninchengehege interessiert.
Ein teuflisches Gemisch aus Routine und Veitstanz lag in der Luft, das kein Weihrauch der Welt mehr vertreiben konnte. Ich versuchte damals vergeblich, mich dem Zauber der Mauern zu öffnen, aber nichts drang mehr durch das Schlurfen und Kichern, das Husten und die künstlich erzeugten Auslösergeräusche der Smartphone-Kameras hindurch.
Vor dem Altar hielt ich kurz inne – hier hatte sich Dominique Venner erschossen, von seinem Blut rauschte nichts mehr in den düsteren Mauern. Ich verneigte mich kurz, vor der Tat und vor dem, was dieser Ort einmal gewesen war und ging zügig an die frische Luft.
Wie gesagt, das alles ist ein gutes Vierteljahr her, aber der Eindruck ist geblieben und so war der Schmerz, den ich empfand, als ich die Bilder des brennenden Dachstuhls sah, ein ganz eigener.
Als Notre Dame brannte, habe ich gelächelt. Ein tieftrauriges Lächeln zwar, und auch kein strahlendes, aber trotzdem ein Lächeln. Ich habe mir die Fotos angesehen, die nach kurzer Zeit zu Dutzenden durch den Äther jagten und immer mehr schien es mir, als wäre die Kathedrale nie so schön gewesen, wie in diesem Moment ihrer drohenden Vernichtung.
Es war fast so, als wenn die unerreichte Kunstfertigkeit der gotischen Verzierungen und Spitzbögen erst vor der tobenden Kulisse der Flammen bis in ihr letztes wunderbares Detail erkennbar werde; durch die Schwärzungen von Rauch und Ruß wirkten die einstmals fast weißen Steinen wie ein Schattenriss mitten im tobenden Inferno aus Rot, Orange und gleißendem Gelb.
Am nächsten Tag lächelte ich freilich nicht mehr. Kaum war die Nachricht um die Welt gegangen, dass der Großteil der Struktur nahezu unbeschadet geblieben war, begannen die ersten schon vom Wiederaufbau zu sprechen: Mit einem beinahe satanischen Fliegeneifer saugten bereits die Abkömmlige postmoderner Architektensekten an den eben erst verglühten Trümmern, schon träumten die ersten Politiker von multikulturellen Lichtsphären, während hinter ihnen die Dekonstrukteure des Schönen darauf harrten ihren Schmutz aus Beton, Metall und Glas auf die gotischen Ruinen zu rotzen.
Auch die „Allahu Akhbar“-Rufe mit denen einige Jungfranzosen am Vorabend den Brand der Notre Dame auf der Straße und im Netz garnierten, erschienen mir nur wie ein erster Vorgeschmack auf das Schicksal, welches der großen Frau aus Stein bevorstehen mag: Es ist jenes der Kathedrale von Saint Denis, einst Grablege der französischen Könige, heute eine Projektionsfläche andauernden Vandalismus‘, die mitten im schmutzigsten Banlieu der französischen Hauptstadt kauert.
Wirklich: Wären da nicht die Flammen besser gewesen? So ein richtig heißes Feuer, das die in den Stein gefressenen Blicke der Unwürdigen ausbrennt und der großen Kathedrale ein würdiges Ende beschert? Solcherlei düstere Raskolnikowgedanken umwölkten meinen Kopf, bis ich mit ein wenig Verspätung auf ein Video stieß, das die meisten meiner Leser hoffentlich schon gesehen haben.
Es dauert nur 37 Sekunden, man sieht darin einen kleinen Chor junger Katholiken inmitten der Schaulustigen knien. Sie haben eine volkstümlich-mehrstimmige Vertonung des Ave Maria angestimmt und während um sie herum die Kamerascheinwerfer strahlen und einige Boomer konsterniert ob soviel Frömmigkeit vorbeihasten, sind ihre Augen nur auf die Flammen gerichtet, die sie – so scheint es – allein durch ihr Gottvertrauen zu bannen versuchen.
Ich habe mir das Video unzählige Male angesehen, sein Zauber ist nicht zu verleugnen: Ein unerbittliches Vertrauen, ein Einfordern der Rettung – es wirkt fast wie eine Szene aus einem Roman von Jean Raspail, der in Sire auch auf eine Art und Weise hoffnungsvoll schrieb, die ich nicht mehr für möglich gehalten hatte.
Wer ist nun der Sonntagsheld? Ist es der Funke, der die 1300 Eichenstämme des Dachstuhls, die nun größtenteils zu Asche zerstoben sind, davor bewahrte irgendwann die Stahlfassade eines Begegnungszentrums, oder einen Halbmond tragen zu müssen? Sind es die Feuerwehrleute, die die Kathedrale die ganze Nacht lang löschten und dafür im Elysée-Palast ausgezeichnet wurden? Oder ist es doch diese kleine Handvoll Franzosen, die im Angesicht der Flammen in die Knie gingen und ihr mehrstimmiges Ave Maria in den Rauch sangen?
Wer weiß schon wirklich, welche Kräfte so ein Gebetsgesang entfesseln kann, wer kann schon abschließend sagen, ob die Rettung eine gute Tat war, oder gar ein Sakrileg gegen eines der letzten schrecklichen Fanale, die das Abendland noch hätten erschüttern können?
Heute jedenfalls ist Ostern und da geziemt es sich vermutlich ohnehin nicht, irgendwelche Zusatzhelden zum Offensichtlichen zu küren. Meine Leser verstehen daher, daß der Lorbeerkranz diesmal leer bleibt. Tatsächlich flog er schon am Samstagabend ins Osterfeuer und verrauchte in den Flammen, von wo seine Weihe in den nächtlichen Sternenhimmel stieg.
Ein gebuertiger Hesse
Hervorragender Beitrag. Ja, was macht den "Zauber" des Videos mit den innig singenden und betenden Franzosen vor der brennenden Kathedrale aus? Es ist eine Manifestation des WIR, die sich da, segelnd auf einer Melodie des vollkommenen Wohlklangs, bahn bricht. Es ist abendländisches Feuer, ureigenstes Kulturgut, das im Angesicht der Flammen in einer demütigen kollektiven Geste (wer immer mit seinen Nächsten zusammen singt, DIENT dem harmonischen Ebenmaß und verstärkt es - auch das ist Demut) hervorgeholt und zur Aufführung in der Not gebracht wird. In so einem Moment ist (und scheint nicht nur) NICHTS VERLOREN, das ist das Besondere, das einem beim Anschauen des Videos geradezu die Beine weghaut.