Auch wer im Mitschnitt den Moment der Gesangseinlage in Greding nur oberflächlich betrachtet, kann feststellen, daß Höcke und die anderen Protagonisten des Treffens von der Liedauswahl und der Einspielung der 1. Strophe überrascht worden sind. Höcke wundert sich, wendet sich an seine Nachbarn, singt ein paar Noten mit, schweigt wieder, und gegen Ende der Strophe gibt die bayrische Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner zur Bühne hin Anweisung, dieses Spektakel, von dem sie nichts wußte, zu beenden. Weil sie nicht verstanden wird, verläßt sie wenig später die Bühne. Mitten in der 2. Strophe bricht dann die musikalische Übertragung ab, die Teilnehmer der Veranstaltung singen a capella weiter.
Ich möchte hier nicht über die Frage nachdenken oder darüber diskutieren, ob man auf einer AfD-Veranstaltung die 1. Strophe des Deutschlandliedes singen solle. Das Argument, sie sei nicht verboten, ist kein politisches Kriterium, und das Argument, man wolle normalisieren, was nicht mehr normal sei, ist in diesem Fall das Argument politischer Tölpel. Bevor Höcke oder Gauland, Weidel oder Kalbitz etwas Normalgewordenes aufgreifen, muß es von denen normalisiert worden sein, die nicht gewählt werden müssen.
Es gibt Vereinigungen, in denen v. Fallerslebens “Lied der Deutschen” seit Generationen zum Traditionsgut gehört und sozusagen in einem historischen Resonanzraum gesungen werden kann. Aber der breiten Öffentlichkeit vermittelbar hält wohl auch dort keiner die 1. Strophe.
Es trägt daher auch nichts aus, den Sinn dieses Liedes historisch einzuordnen, sich über seine Umdeutung im Dritten Reich zu verbreiten und seine Harmlosigkeit im Vergleich zu den Hymnen anderer Nationen ins Feld zu führen.
Natürlich singt man dieses Lied, wenn überhaupt, nicht als politische Aufforderung, sondern historisch. Vor mir liegt eine Broschüre, die in der hessischen CDU kurz nach der Wende erstellt und verbreitet wurde, dort steht zu all diesen Punkten das Wesentliche. Aber eine politische Geste oder Inszenierung ist nicht dann geglückt, wenn zu ihrem Verständnis Passagen gelesen und begriffen werden müssen, und einen Skandal kann man nicht im Nachhinein aufgeklärt abwenden – vor allem dann nicht, wenn ihn sich eine intern und extern unter Dauerbeschuß stehende Gruppierung leistete.
Und auch darüber will ich nicht mehr diskutieren: daß es unfair sei, was denen, die nur ein Lied sangen, nun widerfahre. Hat je irgendeine realitätsnahe parteipolitische Analyse die Vokabeln “Fairneß” und “Machtkampf” unter einen Hut gebracht?
Kurzum: Verantwortlich war für den Fauxpax von Greding entweder ein naiver Trottel oder ein Größenwahnsinniger oder ein agent provocateur. Ich tendiere zu letzterem, aber trotz aller Interna, die ich in den letzten Tagen erfuhr, kann ich den Trottel und den Überzeugungstäter nicht restlos ausschließen.
Dies bringt mich zum einem Einschub: Wenn gute Firmen oder alte Parteien auf der Ebene der Inszenierung irgendetwas lehren, dann dies, daß man nichts, aber auch gar nichts dem Zufall überlassen dürfe. Der Charme des Unfertigen, der aufrichtigen Panne und der taufrischen Unprofessionalität mag den Friday-Kids rund um Greta der Heiligen Authentizität verleihen (die sie dringend benötigen), und das mag dort sogar zum PR-Konzept gehören. Man sieht bei dieser “Inszenierung des Spontanen” sogar über Müllberge, dummes Geschwätz und offensichtliche Widersprüche hinweg, aber das geschieht nur, weil die positive Ausrichtung der Medien bereits erfolgt ist.
Im Falle der AfD, vor allem des Flügels, ganz besonders Björn Höckes ist die Ausrichtung der Medien ebenfalls bereits erfolgt: Nichts ist ergebnisoffen, gesucht wird stets nach Wörtern, Symbolen, Gesten, Strophen, Begleiterscheinungen, Randbemerkungen, die das Bild des romantischen Teufels aus Thüringen nachschärfen. Selbst wenn ein “Skandal” dann nicht recht in der Öffentlichkeit ankommt: parteiintern kommt er an.
Die Grundfragen lauten: Wie konnte es passieren, daß man überhaupt an diesem nie glücklichen Element des gemeinsamen Gesangs auf der Bühne festhielt? Wie konnte es passieren, daß die Protagonisten auf der Bühne von der Strophenwahl überrascht wurden? Wer ist dafür verantwortlich, daß ein neben Aufstellern, Saalschmuck, Auslagen, Redeinhalten so zentrales Element wie die Musik (und der gemeinsame Gesang, von dem man nicht lassen wollte) nicht mit den prominenten Politikern abgesprochen war? Warum gab es auf dem Laptop mehr als eine Musikdatei? Wo war der Regisseur?
Kurzer Exkurs zur Erinnerung: Als sich vor dem Landesparteitag Baden-Württemberg die mit dem liberalen Kurs ganz und gar nicht einverstandenen Teile des Flügels um die Landtagsabgeordnete Christa Baum in Burladingen sammelten und gegen Parteiausschlußverfahren und interne Maulkörbe wetterten, war die Bühne für etwa eine halbe Stunde mit Konterfeis von Björn Höcke so ausstaffiert, als sei er entweder verstorben oder ein Heilsbringer.
Höcke, in Burladingen nicht anwesend, war nicht erfreut, als er diese Bilder sah. Baum ließ diese Inszenierung recht bald abbauen, aber die Bilder waren geschossen – nicht so sehr für die Öffentlichkeit, sondern für jene parteiinternen und im Vorfeld angesiedelten Kritiker, die der Meinung sind, es könnte ohne Höcke und den Flügel mit der AfD anders und besser vorangehen.
Diese Stimmen sind nun, nach Greding, erneut laut vernehmbar, und ich möchte als jemand, der an solchen Veranstaltungen nie beteiligt ist und sie ebenfalls nur von außen wahrnimmt, sagen: Wer will es ihnen verdenken?
Wenn nämlich ein naiver politischer Trottel die Liedauswahl treffen und das gesamte Podium überraschen konnte, darf man ob des Dilettantismus im sechsten Jahr nach Parteigründung mit gutem Grund aus der Haut fahren, und dasselbe gilt für den Fall, daß nicht der Idiot, sondern der selbstherrliche politische Überzeugungstäter seinen Liedwunsch plazieren durfte.
Pfusch ist immer lästig und peinlich, in politisch sensibler Lage und unter böswilliger Beobachtung jedoch darüber hinaus fahrlässig und schädlich.
Aus Pfusch wird Sabotage, wenn jemand gezielt Situationen herbeiführt und Szenen komponiert, die zu Skandalen führen, wenn also Dinge geschehen, die man Höcke zutraut, die man sozusagen stimmig dazuerfinden würde, wollte man ihm Böses.
Es gibt in Bayern einen flügelnahen Mann, der nicht Parteimitglied werden konnte, weil er nicht willens war, seine Identität mittels gängiger Dokumente eindeutig nachzuweisen. Er gilt als Hochstapler und zugleich als Organisationstalent, ist eine imposante Erscheinung und ein Schnurrenerzähler, und er verfügt über Geld und eine stets willkommene Großzügigkeit.
Er hat nach Burladingen die Höcke-Aufsteller gekarrt und sie ohne Absprache plaziert. Er hat die Veranstaltung in Greding mitorganisiert und zum Teil finanziert und ist trotz lauter Warnung etwa aus der Richtung des bayrischen MdB und Fraktionsvizesprechers Peter Felser noch immer in den Reihen der bayrischen und der überregionalen Flügel-Kreise unterwegs und tätig.
Er unterstützt dort, wo sich im Flügel selbst Risse zeigen. Im Namen und auf Kosten des Flügel wird nämlich von einigen hysterischen Flügelleuten jede Kritik an dummen Äußerungen sofort mit einer Kritik an der Gesinnung verwechselt. Solche Leute wollen immer alles sofort sagen dürfen, was ihnen durch den Kopf geht – gegen das sofort einleuchtende und politisch unverzichtbare Mindestmaß an Parteiraison.
Dazu zweierlei: Zum einen gibt es natürlich dumme Äußerungen, falsche historische Bezüge, Geschichts-Spleens, undurchdachtes Geschwätz, Halbbildung, die ans Freie will, und die Kritik daran ist kein Maulkorberlaß, sondern gerechtfertigte Kritik.
Zum anderen hat jeder in der AfD Engagierte an das, was er äußern will, nicht nur den Maßstab der Richtigkeit und des Durchdenkens anzulegen, sondern zusätzlich den der politischen Klugheit.
Was also, wenn ein zwielichtiger Mann für die falschen Bilder und Töne sorgt, wenn er unzufriedene Teile in der Partei in ihrer Aufmüpfigkeit gegen diejenigen stärkt, die den Flügel als eine Gruppierung anführen, die auf die grundsätzliche Ausrichtung der Partei achten wollen?
Zwei Möglichkeiten gibt es:
a) eiserner Besen gegen Pfusch, Dummheit, Sabotage, Beschädigung bei gleichzeitiger Professionalisierung aller öffentlichen Auftritte und Inszenierungen;
b) Auflösung einer für Pannen und Saboteure anfälligen Struktur.
Unbedingt also a), und erst, wenn das wirklich aussichtslos ist: b). Das wäre dann eine Katastrophe, denn die Bedeutung des Flügels für die AfD lag und liegt darin, daß in ihm ehrlich und kameradschaftlich gearbeitet wird, daß keine Karrieresprungbretter für Milchgesichter aufgestellt werden und daß man den Korrumpierungsprozessen des parlamentarischen Betriebs die “Selbstvergewisserung als Alternative” zur Seite stellt. Der Flügel bündelt etwas, ohne das die AfD nicht die AfD wäre. Aber gerade weil das so ist und weil das viele nicht gerne sehen, darf er sich durch Pfusch oder Blauäugigkeit oder seelige Selbstgefälligkeit keine Blößen geben.
Gesinnung ersetzt Professionalität nicht. Aus Greding muß man die richtige Lehre ziehen.
Niekisch
Unser vollständiges deutsches Nationallied sollte jeder Diskussion entzogen sein, wie und durch wen auch immer in Gang gesetzt, klar, deutlich und textsicher gesungen werden.