Und vielleicht ist der Eintritt in dieses Gebäude und die Beschreibung der Anlage sehr dafür geeignet, etwas über die Atmosphäre zu sagen, über die wir uns auf der frühen Rückfahrt Klarheit verschaffen wollten. (Wir blieben nicht bis zum Schluß und waren daher auch nicht am Jubel über den Stargast aus den USA, Milo Yiannopoulos, beteiligt, der nach dem offiziellen Ende der Konferenz noch seinen Auftritt hatte.) Wir diskutierten stattdessen auf einer von schwerem Regen verlangsamten Rückfahrt über das Angekommensein im Bundestag, das atmosphärisch vorgegeben war.
Das atmosphärisch Vorgegebene: dieses Marie-Elisabeth-Lüders-Haus direkt am Reichstagsufer, das wir durch Sicherheitsschleusen betraten, das zu groß, zu perfekt ist mit seinem einem antiken Theater nachempfundenen Foyer. Durch zwei riesige, kreisrunde Fenster hat man Teile des Regierungsviertels im Blick, und sofort lag architektonisch das Wort “Blase” nahe – ein vermeintliches dem vorbeijoggenden, vorbeischippernden, vorbeiflanierenden Volke Nahesein, aber trotzdem ganz Woanderssein, nämlich hinter Sicherheitsschleusen und hinter dickem Glas und nacktem Beton in Räumen, die sieben, zehn, fünfzehn Meter hoch sind – moderne Selbstfeier Angekommener.
Das alles ist gar nicht volksnah oder demokratisch oder für “erste Diener des Staates” gebaut.
Und weil das so ist, blieb mir das nicht erhalten, dieses zunächst, also für anderthalb Stunden konservierbare gute Gefühl, an dieser Medienkonferenz teilnehmen zu können, selbstverständlich, verdientermaßen. Dem Bau, den riesigen Fenstern, dem ganzen abgeschotteten Gehabe – allem fehlen die Demut und der ständige Hinweis daran, daß man sich nicht in Räumen bewegt, die man sich selbst gebaut hat, sondern daß einem dies vom Volk hingestellt worden ist.
Wer sind wir denn, daß uns dies “angemessen” vorkommen dürfte? Was lernt man, wenn man lernt, sich in solchen Gebäuden, solchen Umgebungen zu bewegen, mit großer Selbstverständlichkeit und – das macht die Frage absurd – vielleicht sogar in der grünen, linken, Überzeugung, daß dieses Volk, das diese Gebäude hingestellt, aufgebaut, bezahlt hat, eine zufällig zusammengewürfelte Angelegenheit sei, die man ebenso zufällig neu zusammenwürfeln und austauschen dürfe.
Abschweifung, gut, aber so etwas kann man schon denken, während man hinter den riesengroßen Rundfenstern steht und von draußen nichts, gar nichts mehr hört. Und darum ist es vielleicht doch kein Abschweifen, dieses Fragen nach dem Eindruck, den das Angekommensein in eine solche Architektur auf das Reden und Aussprechen und Ausrufen macht.
Hundert Blogger, Youtuber, Facebooker, Publizisten, Macher, Verleger (Kositza und ich kannten vielleicht die Hälfte), ein knappes Dutzend MdB der AfD-Fraktion im Bundestag, Bystron, Schulz, Hemmelgarn, Höchst, Spaniel, Hartwig, später noch Müller, Braun, Weyel, Böhringer und Jongen, im Fraktionsbesprechungsraum, einem großen, runden Saal mit Tischen in zwei ineinanderliegenden Kreisen und einer Halbtribüne.
Beginn der Medienkonferenz: Die Auftaktrede von Martin Renner war gut, wirklich gut. Er sprach von der “bewußten Gesellschaftsumgestaltung”, die vom politischen Establishment (also dem Gegner) vorgenommen würde, und dieser Gegner setze dabei natürlich bei der Umgestaltung des Menschen an, denn mit dem alten Schlage sei keine neue Gesellschaft möglich.
Dieser Prozeß laufe von oben nach unten ab, keineswegs also demokratisch, sondern mittels ausgeübter Herrschaft, und wenn es bisher die Aufgabe der Medien gewesen sei, solche Vorgänge transparent zu machen und für Klarheit zu sorgen, sei diese vierte Gewalt längst vom Kontrolleur zum Herold geworden, zur Gouvernante. Besser als der Begriff Lügenpresse sei daher der Begriff Erziehungspresse, und die Aufgabe der versammelten “freien Medien” müsse es zweifelsohne sein, die freigewordene Position des Kontrolleurs einzunehmen.
Das ist eine Kernaufgabe, zweifelsohne, und ihre Beschreibung führte zu einer Kernfrage, die unausgesprochen über der Konferenz hing: Wie mächtig sind die freien Medien eigentlich, wie weit über die eigenen Resonanzräume hinaus werden sie wahrgenommen, oder anders: Inwiefern findet eine spürbare und gegen die Erziehungsmedien wirkmächtige Ausweitung der Resonanzzone statt?
An diesem Punkt kam es zu einem einleuchtenden Vorschlag, einer im Verlauf der Konferenz sogar mehrere Male halb ärgerlich und mit Nachdruck vorgetragenen Forderung: Wenn nun erklärtermaßen den “alternativen Medien” die Rolle der medialen Gegenmacht zugewiesen werde, müsse sich dies in Exklusivität niederschlagen, und dies könne es nur dann, wenn die AfD besondere Meldungen, Mitteilungen, Hintergrundinformationen nicht mehr über die Medien des Establishments spiele, sondern über das alternative Spektrum. Nur dies nämlich garantiere hohe Klickraten und damit Möglichkeiten der Gegenfinanzierung.
Die Macht der noch immer Übermächtigen durch konsequenten Ausschluß von exklusiver Information dazu zu zwingen, sich bei den Alternativen zu bedienen und ihnen dadurch hinterherlaufen zu müssen – das könnte in der Tat ein Strategiewechsel sein. Unterfüttert wurde das durch eine kurze Ausführung zur Wirkmächtigkeit Teilvorgängen in sozialen Netzwerken: Für die rasende Verbreitung eines Welt-Artikels etwa waren ganze fünf AfD-Abgeordnete zuständig – sie schaufelten 30 Prozent der späteren Leser auf die Seite dieser natürlich immer noch dem Establishment zugeordneten Zeitung.
Was da zwischen den Zeilen anklang: Der Idealismus und der stille redaktionelle Alltag der “Alternativen” zahlt sich noch nicht aus – es sind Rentner oder Privatiers oder Freizeittäter, die das Netzwerk der AfD-nahen Blogger und Youtuber knüpfen. Dazu kommen ein paar professionelle Zeitungen, Zeitschriften und Verlage, die vom Gedruckten leben und davon ins Netz investieren.
Eine der wichtigsten Wortmeldungen aber machte deutlich, wie rasch der Idealismus an seine materiellen Grenzen kommt. Nach dem Vortrag des Medienanwalts Höcker kam für ein paar Minuten die Sprache auf das eklatante Mißverhältnis zwischen dem Stundensatz eines idealistischen, politisch aber wirkungsvollen Bloggers auf der einen und einem Anwalt auf der anderen Seite, der vom Blogger beauftragt werden muß, Verleumdungskampagnen oder Unterlassungsforderungen des politischen Gegners abzuwehren, notfalls vor Gericht.
Die Summen, die da für einen einzigen Schriftsatz zu Buche schlagen können, für eine Vorbeurteilung eines Falls, für eine Telefonberatung und dann vor allem für Gerichtstage, sind für Idealisten astronomisch und hängen als Verhängnis über der täglichen Arbeit.
Man diskutierte einen Fond an, den man gemeinsam würde ausstatten können, also eine Art Streikkasse, eine solidarische Finanzierungsstelle für in Not geratene politische Opfer, sozusagen eine “Alternative Hilfe”. Das ist keine schlechte Idee, und EinProzent beispielsweise hat hier und da im Rahmen des Möglichen schon Hilfe leisten können.
Aber immer war dabei eines klar, und das müßte einmal grundsätzlich geklärt werden, bevor man über EinProzent so einen Fond aufsattelte: Sprechen wir von einer lückenlosen “idealistischen Kette” oder nicht? Man kann es drehen und wenden, wie man will: Es ist die idealistische Kette der Linken, die an dieser Stelle als Vorbild herangezogen werden muß. Dort gibt es Anwälte, die sich ehrenamtlich neben ihrer Brotarbeit um Aktivisten kümmern, die Rechtsbeistand benötigen, ganze Netzwerke solcher Anwälte; und es gibt Ärzte, die Illegale behandeln, ohne Krankenschein, ohne Chipkarte, ohne Abrechnungsmöglichkeit. So etwas ist ebenso idealistisch wie solidarisch, und es macht die idealistischen Kette lückenlos, denn eine Demonstration anzumelden oder zu bloggen oder Gesicht zu zeigen – das kann riskant sein, und es gibt dafür kein Geld oder jedenfalls nicht viel.
Es darf eben am Ende der “idealistischen Kette” nicht jemand sitzen, der den in Not geratenen Idealisten behandelt wie jeden anderen Mandanten oder Patienten. Am Ende dieser Kette könnte auch jemand sitzen, der vielleicht mit fünftausend Euro im Monat nach Hause geht (wer von den “Alternativen” verdient Fünftausend im Monat?), und nicht mit dem drei‑, vier‑, fünffachen.
Über dies einmal offen und deutlich zu sprechen, ist kein Sozialneid. Vielmehr ist dies ein lagegemäßes Nachdenken über unterschiedliche Wahrnehmungen: Ist der Kampf um eine Alternative in unserem Land eine innere Notwendigkeit oder ein Geschäftsfeld? Natürlich ist er eine Notwendigkeit, und diejenigen, die ihn auf Feldern mit wenig Verdienstmöglichkeit, aber mit viel Einsatz kämpfen, dürfen am Ende nicht auch noch für ihren Einsatz zahlen müssen. Es geht stets um Solidarität mit denen, die dort an der Arbeit sind, wo man “aufgerieben” wird.
Aber das bringt mich an den Anfang zurück: Diese Frage nach der Solidarität, nach der lückenlosen “idealistischen Kette”, war in der Architektonik des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses nicht recht am Platze – wie soll man auch über Stundensätze sprechen, während man hinter riesigen Rundfenstern auf die Spree blickt.
Vielleicht ist diese Fehlwahrnehmung oder milder: diese Selbstzufriedenheit an diesem Tag auch der Grund für eine seltsame Aussage, auf die ich zuletzt noch zu sprechen kommen muß: Als die noch junge “Vereinigung der freien Medien” präsentiert wurde, stellte Bystron an die Macher dieses Vereins die Frage, welche Ziele der Zusammenschluß verfolge. David Berger und Michael Stürzenberger sprachen über Synergieeffekte, anwaltliche Beratung und gemeinsame Recherchen, das war ja alles klar, und dann fiel der Satz, der wohl ein übergeordnetes Ziel markieren sollte: Wir alle seien doch darum bemüht, den verlorengegangenen “herrschaftsfreien Diskurs” wiederherzustellen.
Das hätte nicht kommen dürfen, jedenfalls nicht ohne ironische Gänsefüßchen oder spöttischen Ton: Denn eine naivere Anfängervokabel ist kaum denkbar.
Zum einen kann man nicht etwas “Wiederherstellen”, das es in der Politik nie gab, überhaupt nie gab, wo es etwas von Belang zu entscheiden gab und gibt. Es gibt keinen herrschaftsfreien Diskurs jenseits des Küchentischs und des berühmten “Habermasschen Oberseminars” (und selbst an solchen Orten ist der Diskurs nur dann herrschaftsfrei, wenn es um nichts Entscheidendes geht).
Zum zweiten ist das, selbst wenn es einer sein soll, kein toller Sprachtrick, mit dem man irgendwie weiterkäme. “Herrschaftsfreier Diskurs” bewegt sich auf demselben Niveau wie der in einer Arbeitsgruppe wiederum vorgebrachte Vorschlag, man solle die politischen Gegner grundsätzlich als rotlackierte Faschisten bezeichnen (auch eine jener blendenden Ideen, auf die alle Halbjahr einer der 2015-Gefallenen kommt und sie als die seine ausgibt).
Nein, leider: Das klang ernst. Wohr kommt aber die Sehnsucht nach herrschaftsfreiem Miteinander bei sorgsam uneigennützigem Austausch so entgegengesetzter Positionen wie: Grenzen – auf oder zu; Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste – ja oder nein; hochempfindliche Identitätspolitik oder robuste Politik für den Ottonormalbürger – ja oder nein?
Es geht doch um Macht, immer, um Deutungsmacht, Wortsetzungsmacht, Durchsetzungsmacht, und wir haben doch allesamt eine Macht kennengelernt, die das, was sie wollte, einfach tat, ohne lange darüber zu diskutieren – zack, von oben in Gang gesetzt: Wenigstens das, wenn nicht noch mehr, haben wir 2015 doch alle gelernt, und wenn es dazu eine alternative Haltung gibt, dann die, daß man es so staatsstreichig von oben nicht täte, selbst wenn man es könnte.
Gut ist, daß es nun Medienkonferenzen geben kann. Aber laßt uns mal Ernst machen mit dem, was unsere Arbeit auf eine neue Stufe der Wahrnehmung und Professionalisierung heben würde. Laßt uns nicht harmlos reden, nicht über das Harmlose.
Nach viel Selbstverharmlosung jedenfalls mag die frenetische Stunde des Milo Yiannopoulos am Abend wenigstens ein Spektakel gewesen sein, eine Art Lockerungsübung, ein Fassade-Streicheln, oder eben der Auftritt eines Vorboten: So sieht der Heilsbringer aus, wenn die Welt wirklich zur allerletzten Welt geworden ist.
Aber ich kann nicht mitreden. Kositza und ich waren nämlich längst schon wieder auf dem Rückweg in ein Dorf, das samt Schrebergärten ins Marie-Elisabeth-Lüders-Haus geschoben und unter Dach und Fach gebracht werden könnte.
Niekisch
So, wie der Tagungsort, das Volk und die Politiker nicht mehr zusammenpassen, so passen auch das weltanschauliche Gerüst der oppositionellen Akteure, ihre Solidaritätsbereitschaft und die Werkzeuge des Wirkens noch nicht zusammen. Götz Kubitschek schildert die Dilemmata höchst anschaulich und fordert, nicht harmlos und nicht über das Harmlose zu reden. Ja, das sollte getan werden und es ist gefährlich. Aber in der Gefahr wächst das Rettende bekanntlich auch. Bauen wir uns endlich ein Rettungsboot, das für uns alle in die gleiche Richtung fährt und dessen Ruder im Gleichklang die Wellen teilen. Ständiges Schlingern hindert an der Schlagkraft.