Kubitschek: „Stimmt, wir waren damals oft auf solchen Lesungen Heute wäre das undenkbar. Man würde uns flugs ‚enttarnen‘ und den Garaus machen…. ”
Wir waren Droste-Aficionados, ich deutlich mehr als Kubitschek. Ich liebte, logisch, weniger den Moralisten und „Linken“, der er zweifellos war, sondern den scheuklappenfreien Querdenker („Richtig glücklich ist ein Grüner erst, wenn er anderen etwas verbieten kann“), Wortspieler, Sprachliebhaber und natürlich auch den „Sexisten“, wie ihn die eigene Mischpoke gelegentlich titulierte („Der Partnerlook ist die Sichtbarmachung der Enteierung des Mannes.“).
Droste war einfach sehr helle, begabt und originell – wo hat man das schon? Meine letzten Probe-Abos der jungen welt (ja, ich habe freiwillig bezahlt dafür und wurde deshalb auch getadelt!) hielt ich im Grunde wesentlich wegen Drostes Kolumnen. Irgendwie war er ein Bruder im Geiste, wenn auch sicher unwillentlich.
Einmal, es dürfte anno 2000 oder 2001 gewesen sein, waren Kubitschek und ich auf einer Lesung von Feridun Zaimoglu, der dort, in Frankfurt, einen seiner frühen Romane vorstellte.
Wiglaf Droste stand mit Bier im Publikum. Ich sprach ihn an, er war freundlich. Dann fragte ich, wie es eigentlich zu erklären sei, daß die Neue Rechte (dieser Terminus war damals wirklich neu) „quasi geschlossen“ (blinde Übertreibung, klar) hinter ihm stünde.
Er: „Aber das tut sie doch nicht im Ernst, und wenn, dann wäre das ein Mißverständnis!“
Ich präsentierte dann gleichsam mein Wappen und bekräftigte: so sei es halt aber.
Er: „Na okay. Ich kann ja keinem verbieten, mich gut zu finden.“ Amen. Requiescat in pacem.
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19. Mai – Gerade haben wir eine Familie kennengelernt, bei denen das Geschlechterverhältnis der Kinder exakt umgekehrt zu unserem ist. Wir haben neben all den Mädchen nur einen Sohn. Ich würde sagen, der Sohn ist komplizierter zu handhaben als alle Töchter zusammen. Die andere Familie empfand es umgekehrt. Interessant!
Der Sohn ist gerade in der Rechtsrockphase. Fast jede Diskussion dreht sich um Textzeilen, die ihn enthusiasmieren und die wir aber als großmäulig und fragwürdig empfinden. (Nein, Nazi-Zeug ist nicht darunter. Das würde er auch ohne Intervention durch uns nicht hören wollen.)
Ich kann die Versatzstücke aus dem Gedächtnis nicht aufschreiben, jedenfalls: Eines der Lieblingslieder handelt von Pflicht, Pflicht und nochmals Pflicht, und von Ehre. In einem anderen klabautert es nietzscheanisch, man solle stark und gut sein, und müsse sich selbst überwinden. Es sind grosso modo für mein Alter eher peinliche Texte. Der Sohn ist hingerissen.
Wir nehmen die “Lyrics” derzeit ernst, vor allem dann, wenn sie argumentativ vorgebracht werden. Pflichterfüllung heißt dann: die Treppe sofort zu fegen, wenn x‑mal mit Draußenschuhen die Wohnung betreten wurde; das Geschirr vor dem Einstellen in die Spülmaschine abspülen, wenn gerade der erste Spinat geerntet und verzehrt wurde; Pflichterfüllung heißt, den Stall auszumisten, ganz bis zum Ende zu lernen, dann erst den Laptop aufzuklappen, undsoweiter.
Gut sein und sich überwinden? Den Streit mit den Kleinen ohne Rücksicht aufs eigene Ego zu schlichten. Kein Widerwort zu haben, wo es nicht am Platze ist, unbedingt zu widersprechen, wo es Mut verlangt. Einfach mal das Notwendige tun. (Viel gründlicher nachzulesen sind all diese Überlegungen freilich in Caroline Sommerfelds grandiosem Buch Wir erziehen.)
Herrje, sind das anstrengende Debatten! Aus der Erfahrung mit den älteren Schwestern wissen wir: Es geht vorbei. Es wird gut, und zwar dadurch, daß man das dissonante Pathos in einen stimmigen Antrieb umlenkt.
Die großen Schwestern lästern schon: „Wenn der B. mal heiratet, dann drucken wir in der Hochzeitszeitung die ganzen peinlichen Texte, die er mit 14 hörte.“ Sollen sie.
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22. Mai – Soviel Tiernachwuchs! Zicklein, Kätzchen, Gänslein! Es ist eine herrliche Zeit. Treten wir aus der Haustür, umnebelt uns Rosenduft. Eine heimische, opulente Rose, fast 100 Jahre alt. Sie, dornig wie keine, blüht nur kurz, aber wie!
Unsere Katze hatte vergangene Woche vier Katzenbabies, die übrigens ab Ende Juli Abnehmer suchen. Gerne melden!
Heute fanden wir ein fünftes in unserem Kohlenkeller. Es war ein Fremdes, es war eiskalt, lebte aber noch. Es war deutlich größer als die vier eigenen, unsere Mimi nahm es aber liebevoll an. Spottet ein Gast: „Schaut her, das ist halt Willkommenskultur! Fremdkätzchen wird flugs integriert, ohne Wenn und Aber!“
Naja. Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn man Mimi drei Neue reingesetzt hätte. Oder kleine Kaninchen. Unser Findelkind hat offenbar den gleichen Vater. Es gibt nur einen dominanten Riesenkater in der Gegend. In diesem Jahr sehen nachbarschaftsweit alle Kätzchen gleich aus. Es gibt keinen Grund für Mimi, es auszustoßen.
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23. Mai – Die Tochter durfte heute ihr Lineal nicht benutzen. Grundschule. Politik habe in der Schule nichts zu suchen. Es war gar nicht ihr Lineal, sie hatte es von ihrem Kumpel geliehen. Wir haben sie gelobt, daß sie ihn nicht verriet. Es war ein AfD-Lineal.
Ähnliche Debatten führen wir seit Jahren, sie sind aber meistens ähnlich unwichtig, zu irrelevant, um dafür auf die Barrikaden zu gehen. Ein Kind darf kein IB-Shirt tragen, während andere mit Che Guevara oder einer Kalaschnikow auf der Brust nicht zurückgepfiffen werden. Es wäre Zeitvergeudung, darüber zu streiten. Das sollen die Kleinen bei Bedarf selbst regeln.
Die Kleine ist dennoch empört. Ein Coca-Cola-Lineal ginge wohl, ja?! Hat die Lotta! Was habe denn Cola an einer Grundschule zu suchen? „Oder Monster High? Ihr habt doch gesagt, daß das krank sei?“ Oder, oder… die Tochter sucht heftig nach Argumenten:
„Die Sabrina hat zum Beispiel ein Lineal mit Bienen. Da könnte sich doch jemand beschweren, der Bienen haßt und vielleicht eine gefährliche Allergie hat! Ich mein, was kann denn ein Lineal ausrichten??“
Okay, okay, Liebe, Du hast’s begriffen. Aber vergiß es einfach. Nimm Dein neutrales Lineal, damit keiner ins Schwitzen gerät.
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Mehr davon? Kositza: Das war’s. Diesmal mit Kindern, Küche, Kritik. 224 Seiten.
Laurenz
Der Artikel war wirklich erheiternd .... Herrn Droste kannte ich nicht, wenn, eher nur in der Erinnerung vom Sehen. Ich fand hier diesen Gröli-Vortrag, gut gelungen und lustig. https://youtu.be/PI0P4KbyHxY Mutmaßlich hatte Er sich tot gesoffen, vielleicht besser, als mit 2 oder mehr Mio. anderen in einem Heim dahin zu vegetieren. Aber wer weiß das schon vorher...
AfD-Lineale sind ja auch des Teufels, bringen einen direkt in die sozialistische Hölle. Das wesentlich günstigere Ketzer-Dasein ist ein Che Guevara in einem Halteverbotsschild auf dem Hemd. Dann unterhält man sich wenigstens über die linken Mordsbuben und ihre Verbrechen.