Es fand statt zwischen dem Fernsehphilosophen Richard David Precht und dem grünen Kanzlerkandidaten Robert Habeck.
Der Schnipselzusammensteller der Schweizer Express Zeitung schlägt dem so manches Mal überschießenden truther-Duktus dieses Formats entsprechend entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen und untertitelt: Habeck wolle “kommunistischer Kanzler von China werden”. Hat der Grünen-Vorsitzende sich da bloß ungeschickt ausgedrückt? Liegt hier ein gesinnungsgeleitetes Mißverstehenwollen vor?
Die besagte Passage lautet wie folgt (Kürzungen betreffen Prechts Interventionen und Bezüge auf den vorherigen Gesprächsverlauf):
“… Bürgerbeteiligung (das wollen wir ja auch), aber dadurch entsteht eine Wirklichkeit, daß die Politik nicht immer auf Ballhöhe der Herausforderungen ist. (…) Man kommt da nur normativ weiter. Da muß man sich entscheiden: will man, daß ein demokratisches System noch eine Chance hat, dann muß man aber in großer Geschwindigkeit radikale Schritte in der Politik einführen, oder gibt man es auf, dann muß man zu zentralistischen Systemen hingehen, die natürlich schneller sind (…) da gibt es eben keine Opposition und keine Mitbestimmung, und wenn die Fehler machen, dann werden die eben trotzdem nicht abgewählt, vielleicht gibt es mal eine Revolte in China, aber erstmal ist das System China effizienter. Wollen wir das oder wollen wir das nicht? Ich glaube, die Entscheidung kann man nicht ökonomisch treffen, die kannst du nur wertegeleitet treffen, und ich würde sagen: ja, das wollen wir. Dann müssen wir aber den Wettlauf mit der Technik aufnehmen und auch mit der Macht der Konzerne …”.
Was will Habeck? Bezieht sich sein vollmundiges “Ja, das wollen wir” tatsächlich auf chinesische Verhältnisse? Man muß den Schnipsel im Gesprächszusammenhang sehen:
Der Titel des Precht-Gesprächs “Frisst der Kapitalismus die Demokratie?” insinuiert, daß es unausweichliche, rapide fortschreitende, exponentiell an Fahrt aufnehmende globale Entwicklungen gibt. Die beiden Diskutanten einigen sich auf drei davon: Digitalisierung, Klimawandel und Turbokapitalismus. Sie kommen einmütig zu dem Befund, daß die Politik hinterherhinkt, sie findet nach wie vor analog und in analoger Geschwindigkeit statt. Habeck verweist auf den unglücklichen Umstand, daß Gesetze in einer Demokratie nun einmal verabschiedet und Anhörungen ausgesetzt werden müssen und so weiter, und das dauere so seine zwei Jahre.
Robert Habeck will die “Demokratie” retten. Ich schreibe den Begriff in Anführungszeichen, weil der Grüne eine extrem gekonnte “linguistische Therapie” (Herbert Marcuse) an diesem Begriff vornimmt. Precht gibt als Assistenztherapeut den Slogan aus, “daß die Dinge sich ändern müssen, um die gleichen zu bleiben”. Lassen Sie uns mal sehen, wie dieser Eingriff gelingt.
Zunächst ist es sinnvoll, zwischen Demokratie I als “prozeduraler Republik” (Michael Sandel) und Demokratie II als einem “demokratischen Lebensstil“ (John Dewey) zu unterscheiden. Demokratie I ist gemeint, wenn man davon spricht, daß Entscheidungen “auf demokratischem Wege” zustandekommen, also durch Wahlen, Entsendung von Abgeordneten, Gewaltenteilung, Plebiszite etc., eben: prozedural und dem Prinzip nach erst einmal unabhängig von “demokratischen” oder “undemokratischen” Inhalten, die diese Prozeduren durchlaufen.
Demokratie II ist mit “Lebensstil” schon gut verschlagwortet. Es handelt sich um einen bestimmten linksliberal-“progressiven” Wertekanon, der eben bestimmt ist von Fortschritt durch social engineering, “Toleranz” und Minderheitenpolitik, wozu auch die gesamte kulturmarxistische Programmpalette samt “Kampf gegen Rechts” gehört. Nur im Sinne von Demokratie II kann man begrifflich sinnvoll demokratische Parteien wie die AfD oder die FPÖ sowie deren Wähler und gewählten Mandatare als “antidemokratisch” bezeichnen und verunglimpfen.
„Demokratie“ läßt sich mithin oszillierend in doppelter Bedeutung gebrauchen: Mal ist es der politische Rahmen überhaupt, die verfahrensrechtliche Staatsform, und mal ist es ein bestimmtes linkes oder eben grünes Programm innerhalb desselben. Der Sophist Robert Habeck geht in seiner Argumentation klammheimlich von der einen zur anderen Bedeutung über:
1. Prima facie verteidigt er natürlich Demokratie der althergebrachten Bauform, also Demokratie als Prozeß der “Bürgerbeteiligung” (Demokratie I).
2. Da diese Demokratie I aber nun vom Kapitalismus gefressen zu werden droht, muß er sie notgedrungen “normativ” und “wertegeleitet” retten. Deshalb muß er
3. das nicht-demokratische, zentralistische chinesische Modell hernehmen als neue prozedurale Republik, um
4. bestimmte normative Inhalte, die in der bisherigen Demokratie I aufseiten bestimmter Parteien zur Debatte stehen, zu gewährleisten. Es geht ihm um die Inhalte eines “demokratischen Lebensstils” (Demokratie II), die aber ihrerseits nichts mit dem demokratischen Prozeß zu tun haben. Per “radikaler Steuerung” (Habeck) ist man sodann
5. in der Lage, mit der erforderlichen Geschwindigkeit diese Inhalte (Ausstieg aus der fossilen Energie, Vereinigte Staaten von Europa, Weltstaat, Veganismus, Digitalisierung, Entflechtung der Großkonzerne usw., sie alle werden in dem Gespräch genannt) durchzudrücken und
6. die “Demokratie” (Demokratie II) in letzter Sekunde zu retten. Ansonsten: Katastrophe.
Ab Minute 40:00 fragt der Philosoph den Politiker nach dessen “Utopien”. Ja freilich hat Habeck welche auf Lager, und auch Pläne, wie diese denn per “Steuerung” schnell umgesetzt werden können, um mit der Entwicklung Schritt zu halten und “eine Reihe von Problemen einfach abräumen” zu können. “Nach der Europawahl können wir beginnen, diese Prozesse europäisch einzuleiten … und wenn Donald Trump nicht wiedergewählt wird, kann es international weitergehen .…”.
Der Expresszeitungsdramatisierer hat also recht mit seiner Deutung, nur kann man diese nicht isoliert dem Anderthalbminutenschnipselchen inklusive manipulativer Bösartigkeitswiederholung tonverzerrter “Ja, das wollen wir!”-Drohungen entnehmen.
Daß die Demokratie I historisch ein Auslaufmodell sein könnte – Prechts Gedankenexperiment, was wohl ein Historiker in 100 Jahren über die Gegenwart sagen würde, ist philosophenhandwerklich naheliegend, aber suggestiv – legt jedoch weder ihre bewußte Preisgabe zugunsten einer totalitären Demokratie II nahe, noch bedingt die Geschwindigkeit außerpolitischer Sphären politischen Zugzwang. Die Frage “Wollen wir die Welt in den Untergang rasen lassen, weil unsere Demokratie einfach nicht schnell genug ist, oder wollen wir Tempo zulegen und zack, zack die Welt retten?” ist schon ohne die Demokratie-Begriffsverdrehung falsch gestellt.
Habecks Logik des “Nur noch kurz die Welt retten” entspringt der “Dromokratie”, die der französische Philosoph Paul Virilio beschrieben hat: der Herrschaft der zunehmenden Geschwindigkeit. Dieser wollte in den 80er Jahren wenigstens noch trotzig-reaktionär “wieder zu einer wirklichen Politik zurückzufinden, die Zeit braucht, zu einer ‘demokratischen Geschwindigkeit’ ”.
Der Panikmodus – täglich anhand der Klimahysterie zu beobachten – ist als Denkaxiom fatal: er führt zu Denkzwang (“wir müssen – sonst passiert”) und als praktischer Syllogismus zu Handlungszwang (“radikale Steuerung”). Habeck verfällt diesen Zwängen allerdings nicht unabsichtlich wie unsere Klimajugend, sondern er und seinesgleichen machen sie sich zunutze zur “denklogisch” (Habeck) alternativlosen Festigung der Grünen Weltordnung, wie sie auch Kommandant Rezo bereits verkündet hat: “es gibt nur eine legitime Einstellung”.
Wer grüne Preisdemokraten wählt, bekommt bolschewistische Steuerungstechnologen.
Gotlandfahrer
Erneuten Dank für die Herausarbeitung.
Mein spontaner Gedanke dazu:
Wer einmal, zum Beispiel in einer Wohneigentümergemeinschaft, die sich gegenseitig versichert auf „Nettigkeit“ Wert zu legen, d.h. „wertschätzende Kommunikationsregeln“ einzuhalten und jeder für sich nicht egoistisch zu sein, beobachtet hat, wie sich bei divergierenden Präferenzen der Egoismus verstärkt und sich dabei unter ostentativer Beibehaltung der „wertschätzenden Kommunikationsregeln“ immer stärker windende Wiederholungsschleifen ergeben, bis schlussendlich entweder eine Seite gewinnt oder es dann doch knallt, kann erahnen, wie auch in der Politik die Sprache, vorgebliche “Werte“ und überhaupt die „richtige Einstellung“ genutzt, gedehnt, verdreht aber niemals offen aufgekündigt werden, schlichtweg um das zu tun, was man dreist und egoistisch erreichen will. Man fragt sich, für welche „Menschheit“ Habeck & Co denn das, was sie vorhaben, erreichen wollen, wenn es doch eben diese Menschheit ist, die aufgrund ihrer Defekte und Unzulänglichkeiten im Grunde für sie ja verachtenswert ist. Der „Neue Mensch“ ist ja offenbar nicht der jetzige Mensch, das heißt ihr Ansinnen ist menschenfeindlich, nicht menschenfreundlich. Offenbar treibt negativselektierte Erbprasser wie Habeck das Leid an ihrer Unmöglichkeit, die Welt nach ihrem Willen zu beherrschen, dazu an, dieses Defizit wenigstens durch das Beherrschen möglichst vieler Menschen auszugleichen. Habeck & Co sind schlichtweg herrschsüchtig und benutzen Sprache, Werte und alles was bislang als Konsens galt dazu, ihren Willen – ggf. sogar sich selbst gegenüber – zu verschleiern. Solche Personen sind nur noch zum Kotzen.