Noch ist der Pinsel scharf.
Gleich vorab – die Welt der Malerei blieb mir stets verschlossen. Zwar vermag das eine oder andere Bild mich zu bewegen und meine Kunstlehrerin war zu Schulzeiten durchaus angetan von meinen kreativen Interpretationen, aber meine Zeichenhausaufgaben ließ ich schon damals für einen schmalen Taler oder eine Süßigkeitentüte von meinen Klassenkameradinnen anfertigen und in eine Kunstgalerie bekommen mich auch heute keine zehn Pferde rein (auch nicht, wenn sie blau wären).
Eingedenk dieser Tatsachen möge man mir also verzeihen, wenn ich die aktuelle Debatte um den Leipziger Maler Neo Rauch nicht aus der Perspektive des rotweinschlürfenden Soirée-Sommeliers betrachte, sondern mit dem leidgeprüften Blick des politischen Publizisten.
Zuerst vielleicht, für diejenigen, die wichtigeres zu tun haben, als die ganze Woche über Schlagzeilen auf der Suche nach geeigneten Wochenend-Heroen zu durchforsten: Worum geht es hier eigentlich?
Vor ungefähr einem Monat veröffentlichte der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich in der Zeit unter der Überschrift “Auf dunkler Scholle” einen Schmähartikel der üblichen Sorte gegen besagten Neo Rauch. Die Anwürfe – rechte Okkupation der Kunstautonomie, kryptofaschistische Botschaften in Rauchs Bildwelten, dazu ein bisschen Sippenhaft mit den offensichtlich eindeutiger einordenbaren Krausens und Tellkamps unserer Tage – sind ermüdend unkreativ zusammengekleckst, nicht der Rede und keinesfalls eines 4‑Wochen-Gratis-Testzugangs im Netzportal der Zeitung wert.
Anscheinend trafen sie jedoch in der illustren Leipziger Künstlerszene einen empfindlichen Punkt. Das Affentheater um den AfD-nahen Maler Axel Krause, der erst vor kurzem von der Leipziger Jahresausstellung ausgeladen wurde, bevor der Vorstand selbiger zurücktrat und die Ausstellung absagte, nur um sie schließlich doch zu veranstalten, freilich ohne den bösen Maler mit dem Herz für die blaue Partei; jene Misere also war offensichtlich noch nicht ganz vergessen und so sah sich Neo Rauch, der zumindest als Prominentester unter den der in Ullrichs Artikel mit dem Schandfleck der Düsternis Behafteten gelten darf, genötigt, eine Antwort zu verfassen.
Freilich, eine Antwort in seinem eigenen Stil.
Unter dem Titel “Der Anbräuner” schickte er wenige Wochen später die Fotografie eines Gemäldes an die Redaktion der Zeit. Darauf zu sehen ist der zur Kenntlichkeit entstellte Feuilletonist Ullrich, wie er mit seinen eigenen Fäkalien eine allzudeutsch grüßende Figur auf eine Leinwand malt. Durch das Fenster lugt der Führer persönlich, neben der provisorischen Toilette liegen einige Ausgaben der taz, vermutlich als Toilettenpapier, oder als Klolektüre.
Charmant an dieser Darstellung ist in jedem Fall, dass niemand sich ernsthaft fragen wird, “was uns der Künstler mit diesem Werk sagen möchte”. Vielmehr mag man sich lebhaft das lüstern-empörte Geschnatter ältlicher Damen vorstellen, die sich in einem schon fast reaktionär eingerichteten Café fragen, ob der Herr Rauch das überhaupt darf, seinen Kritiker so zu beleidigen.
Für die ganze Kunst-Szene müsste ein solcher “Skandal” eigentlich recht ergötzlich sein, hört man doch allenthalben, dass selbige von der Provokation lebt. Und doch kann man diese Wortmeldung schon für mehr nehmen als bloß für eine kecken Wurf oder die bildgewordene Zickigkeit eines Diva-Charakters.
Dieser “Anbräuner” ist eine Gestalt, die jedem von uns, der schon einmal auf seine Leinwand geschmiert wurde, nur allzu vertraut ist. Jeder kennt sie, die Schreiberlinge die aus ihrem Wortegewurschtel heraus mit Scheiße schmeißen in der Hoffnung, dass am Ende doch irgendwas hängen bleiben wird.
Diese Typen als das darzustellen was sie sind, ist das Mindeste. Und ich hoffe, dass wir das Bild von Neo Rauch in Zukunft öfter sehen werden – immer dann, wenn sich wieder einer zu einer längeren Sitzung bequemt hat, um seinen Unrat gegen uns ins Feuilleton zu spritzen, wollen wir es hervorholen und es hochhalten wie einen Schild.
Und vor Allem darunter schirmen wollen wir die Künstler, denn, wissen Sie liebe Leser, auch ich kenne ein paar von ihnen und zwar solche von der Sorte, deren Bilder nie im Metropolitan Museum in New York hängen werden. Solche, die keinesfalls von dem Bisschen leben können, was ihre Arbeit abwirft. Für sie können Artikel wie der von Wolfang Ullrich existenzbedrohend werden, und doch werkeln, dichten, malen und schaffen sie stetig auf jener dunklen Scholle aus der jeden Morgen unsere Hoffnung sprießt, wenn im Osten die ersten Sonnenstrahlen vom Himmel fallen.
Einen ausführlichen Artikel zur Thematik, auch mit weiteren Informationen zu Neo Rauch und seinem Hintergrund finden interessierte Leser auf der abermals empfehlenswerten Seite des Projektes “Anbruch” – im Gegensatz zu den Artikeln in der ZEIT steht er nicht hinter einer Bezahlschranke.
Laurenz
Herr Weesels, mir geht's in der bildenden Kunst wie Ihnen. Allerdings gibt es "Übersetzer", wie die Macher von "Hundert Meisterwerken", welche die malerische Kunst auf einem pädagogisch erfolgreichen Wege, mir, einem malerischem Banausen, die Kunst näher brachte.
Das Bild ist geil. Vor allem steht die künstlerische Befähigung außer Frage. Der Mann kann malen. Und, welch Errungenschaft, jeder wird es verstehen. Die Bigotterie gegenüber nationalsozialistischer Architektur und diese in 70 Jahre kopierend, wird vielleicht dazu führen, daß dieser Maler zukünftig dem Widerstand zugerechnet werden wird.