Der Gesprächspartner, gegen den unser Nein sich richten muß, begegnet uns in zahlreichen Veröffentlichungen der meinungsbildenden Organe wie in amtlichen Verlautbarungen auf Schritt und Tritt; allenthalben wird der ’20. Juli’ so selbstverständlich bejaht, ja geradezu von Amts wegen verklärt, daß er seines atemberaubend ungewöhnlichen Charakters verlustig zu gehen droht […]. Man kann eine revolutionäre Haltung von dieser Art nicht gut lehren, tradieren, in Straßennamen oder etwaigen Orden konservieren und zum allgemeinverbindlichen Rezept proklamieren, ohne das Eigentliche daran zu verwässern.
Diese Sätze sind von ungebrochener Aktualität, wenn man bedenkt welch merkwürdigen Kult die Kanzlerin mit dem „20. Juli“ treibt: Ganz ernsthaft hat sie nämlich Stauffenberg anläßlich des 75. Jahrestags des Attentats auf Hitler zu einem Vorkämpfer gegen den Rechtsextremismus erklärt und damit gleichzeitig suggeriert, daß die Bundesregierung mit ihrem Kampf gegen rechts sein Vermächtnis bewahre.
Die zitierten Sätze sind aber auch interessant, weil immer wieder betont wird, wie schwer man sich nach 1945 angeblich getan hat, Stauffenberg zu ehren und ihn nicht als Feigling und Verräter zu betrachten. Offenbar gab es spätestens mit der Wiederbewaffnung 1955, als man unverfängliche Traditionen brauchte, eine gewisse Überbeanspruchung der Person Stauffenbergs (auch wenn sie nicht so exzessiv wie heute gewesen sein dürfte), die sich vor allem in zwei Spielfilmen manifestierte – sie kamen just 1955 in die Kinos.
Die Sätze oben zitierten Sätze jedenfalls stammen von Ulrich Mann, einem heute leider vergessenen evangelischen Theologen, der seit 1934 als Soldat und später als Offizier diente, nach der englischen Kriegsgefangenschaft Theologie studierte und schließlich Professor in Saarbrücken wurde. Das Buch, aus dem die Sätze stammen, trägt den Titel Lorbeer und Dornenkrone. Eine historische und theologische Studie über das Wehrverständnis im deutschen Soldatentum.
Im Gegensatz zur heutigen Eindimensionalität hatte Mann durchaus ein Gespür für die Tragik der militärischen Widerstandsbewegung. Er bejahte sie grundsätzlich als Ehrenrettung der Armee, legte gleichzeitig aber Wert darauf, daß dieses „Ja“ das „Nein“ dialektisch aufheben müsse. Er sieht die militärische Widerstandsbewegung durch manches belastet, “was man nicht rundweg bejahen kann”. Das wären dann neben dem langen Zögern und dem späten Zeitpunkt der Tat, die Eidproblematik, die Momente der Sabotage (Verrat von Angriffsterminen) und die Aussichtslosigkeit, die selbst bei einem Erfolg zu befürchten war.
Doch um das Gelingen, darin stimmt Mann mit dem heutigen Mainstream überein, ging es den Männern des 20. Juli und damit vor allem Stauffenberg letztlich gar nicht mehr, sondern um ihr Gewissen (daher die Rede vom „Aufstand des Gewissens“).
Damit sind wir bei den Motiven und einem ziemlich verminten Feld, denn offenbar hat man sich darauf geeinigt, daß wir es mit einem Märtyrer zu tun haben, den keine rationalen Motive leiteten, sondern der ein Zeichen setzen wollte. Die dem Mitverschwörer Henning von Treskow zugeschriebenen Zitate, daß man die Tat um jeden Preis wagen müsse, weil es nicht mehr auf den praktischen Zweck ankomme, gelten längst als das kompatibelste Motiv, denn nur so kann man den Umstand ignorieren, daß Stauffenberg nicht gerade Ideen vertreten hat, die dem Grundgesetz als Begründung dienen könnten.
Im Gegenteil: Der sogenannte „Eid“ der Verschwörer wäre heute ein Fall für den Verfassungsschutz, da zumindest die Rede der „Gleichheitslüge“ gegen den Grundsatz der Menschenwürde verstoßen dürfte.
Das Symbolische ist in diesem Fall das unverfänglichere, und diese Lesart hat Ernst Jünger, der selbst nichts von einem Attentat hielt, in seinem Roman Auf den Marmorklippen 1939 vorweggenommen: Er ließ den Fürsten von Sunmyra auftreten, der gemeinsam mit einem Landsknecht den Tyrannen töten will. Sein Attentat scheitert, aber seine Brüder im Geiste, die gar nicht erst mitgemacht haben, bergen sein Haupt und retten damit sein Vermächtnis.
Der Konsens, daß es den Verschwörern am 20. Juli um einen symbolischen Akt ging, der gleichsam die Integration des niedergerungenen Deutschlands in eine demokratische Nachkriegsordnung erleichtern sollte, ist das Erzählmuster unserer Zeit. Wer die Geschichte anders erzählen will, muß damit rechnen, einer breiten Front der Ablehnung gegenüberzustehen.
Andererseits dürfte es schwierig sein, ohne eine solche Konsensstörung ein Buch über Stauffenberg prominent zu platzieren. Wenn man das berücksichtigt, ist die Rechnung von Thomas Karlauf mit seiner Stauffenberg-Biographie (München: Blessing Verlag 2019) aufgegangen. Die Kritik kam von allen Seiten.
Jens Jessen schrieb in der Zeit, daß Stauffenberg nach Meinung Karlaufs nicht besser als die Nazis war, in der Jungen Freiheit sprach man von einer Demontage des Helden, der in weiten Teilen nun doch wieder ein Nationalsozialist gewesen sein soll, und eine Stauffenberg-Enkelin zeigte sich entsetzt. Bestätigt fühlen sich hingegen alle, die Stauffenberg schon immer für einen Vertreter einer Kaste hielten, die viel zu lange die gleichen Ziele wie der Nationalsozialisten verfolgte und im letzten Moment den Bankrott abwenden wollte. Wichtiger ist aber die Frage, wodurch Karlauf den Konsens so empfindlich störte?
Karlauf legt den Finger in die oft betrachtete Wunde, daß das geistige Haupt des Widerstands gleichzeitig der Attentäter sein mußte, der zudem als Kriegsversehrter in der Ausführung eingeschränkt war. „Unter ethisch-moralischen Gesichtspunkten ist dieser Befund wenig befriedigend. Er bringt vor allem diejenigen in Erklärungsnot, die Stauffenbergs Handeln am 20. Juli zu einem freiwilligen Opfergang um der Ehre willen stilisieren wollen.“ Dann nämlich, so Karlauf, stellt sich die Frage, was er eigentlich noch in Berlin wollte?
Ob sich die Handlungsoptionen Stauffenbergs in ein solch enges Schema pressen lassen, ist zumindest mit Blick auf die Lebenserfahrung und den persönlichen Hintergrund fragwürdig. Denn immerhin entstammt Stauffenberg einem Kulturkreis, in dem das Selbstmordattentat über keine Tradition verfügt. Viel näher liegt die Annahme, daß trotz der einkalkulierten Möglichkeit des Scheiterns ein Funken Hoffnung glimmte, daß die Tat der Ausgangspunkt einer Entwicklung sein könnte, die durch ein Wunder oder Gottes Fügung doch noch ungeahnte Möglichkeiten eröffnen würde. Der Selbstmord hätte dies alles von vornherein abgeschnitten.
Dennoch ist Karlaufs Grundannahme, daß Stauffenberg mehr als nur ein Märtyrer gewesen sei, plausibel. Stauffenberg war sich durchaus bewußt, daß die bloße Tötung Hitlers zum Bürgerkrieg und zu einer Dolchstoßlegende führen konnte. Hinzu kommt, daß die Wahrscheinlichkeit der Zustimmung breiter Teile des Volkes zur Tat äußerst gering war. Gerade Stauffenberg hatte kein großes Vertrauen in die politische Urteilskraft der Massen.
Karlauf bringt Anhaltspunkte, die dafür sprechen, daß Stauffenberg mit einem Staatsstreich das Ruder noch einmal herumreißen wollte. In einem letzten, ihm zugeschriebenen Dokument tauchen Argumente auf, mit denen sich Stauffenberg schon lange beschäftigt hatte: die Unfähigkeit der Führung, die unzweckmäßige Führungsstruktur des Heeres und die falsche Behandlung der Ostvölker, deren Integration in den Befreiungskampf gegen den Bolschewismus er immer wieder angesprochen hatte. Moralische Gründe finden sich dort keine.
Karlauf hat aber auch Anstoß erregt, weil er Nachkriegszeugnisse über Stauffenberg als Quelle ausscheidet (wenn auch nicht an allen Stellen konsequent). Die Quellen sprudeln vor dem 20. Juli natürlich nicht so kräftig wie danach, als erst die Gestapo entsprechende Verhörprotokolle anfertige, sich dann in den alliierten Spruchkammerverfahren unzählige Leute offenbarten, die sich mittelbar zur Verschwörung rechneten, und schließlich die Erinnerungsliteratur im Sinne des neues Staates die Traditionslinien auszog.
Aus dem Dilemma der fehlenden Quellen führen laut Karlauf nur Analogien und Spekulationen heraus, die man für plausibel halten kann oder auch nicht. Anstößig sind sie nur für denjenigen, der in Stauffenberg gern den Bundesbürger des 21. Jahrhunderts sehen möchte und dafür jeglichen Kontext, in dem Stauffenberg groß wurde, sei es der Adel, der George-Kreis oder eben das Militär, ausblenden muß. Wer das nicht tut, muß zu dem Schluß kommen, daß Stauffenberg vor allem politische Gründe für seine Tat hatte.
Der Abwehrreflex gegen diese Einsicht erklärt sich vor allem daraus, daß sich eine solche Tat und auch ein solcher Mann nicht so einfach vereinnahmen lassen. Ein Gesinnungstäter paßt einfach besser in das gegenwärtige Korsett des politischen Moralismus.
– – –
Bestellen: Karlaufs Stauffenberg-Biographie gibts hier.
Laurenz
Man muß das einfach mal in einen historischen Kontext sehen. Das wäre in etwa so, als wollten die Schweden einen Mossad-Orden für die Ermordung Herrn Palmes verleihen, die Amis eine Oswald-Medaille, die Chilenen einen Pinochet-Kissinger-Gedenktag etablieren, und die Ägypter einen Muslimbrüder-Zapfenstreich spielen wegen der Hinrichtung Herrn Sadats.
Die Briten feiern heute noch ihr faschistisches Weltreich oder manchmal gewinnt man den Eindruck, daß die Briten noch gar nicht wissen, daß es weg ist. Hat deswegen jemand die Kaiserin von Indien gemeuchelt?