Wer setzt sich durch? Wer genau?
Mit Blick auf gesellschaftliche Prozesse und Tendenzen ist es erhellend, nach dem entscheidenden Agens zu fragen, also nach dem maßgeblichen Akteur, nach der treibenden Kraft. Es wäre dem Verständnis zuträglich, ließe sich diese Kraft bezeichnen und begrifflich fassen, wer maßgebend am Drücker ist.
Wenn sich dergleichen denn überhaupt trotz aller Heterogenität der politischen Interessen bestimmen läßt. Damit ist noch nicht nach Wertungen und Urteilen und schon gar nicht nach Ethik oder gar Emotionen gefragt, sondern zunächst nach kalter Analyse und Erkenntnis.
Marxistische Geschichtswissenschaft und vor allem deren „vergleichende Revolutionstheorie“ hatte für diese aufzuspürende Hauptkraft jeweiliger historischer Perioden einen besonderen Begriff. Sie suchte in Betrachtung des Widerspiels der verschiedenen Akteure nach dem „Hegemon“ und damit nach dem Machtmittelpunkt, der die Ereignisse nach eigenen Zielstellungen zu regieren vermag, mithin nach der sozialen Kraft, die einem Verlauf die entscheidende, bestimmende Prägung und Richtung gibt.
Diese Art der Analyse versuchte weniger die „Ideen“ zu bezeichnen, die sie, ebenso wie die jeweiligen Ausdrücke des Rechts, als sekundär empfand, sondern sie versuchte nach der Klasse oder Gruppe zu fragen, die gemäß ihrer ökonomischen und sozialen Interessen die entscheidenden Ideen und Moden erst liefert und sich damit durchsetzt, den Kurs bestimmen kann, Bündnispartner gewinnt, Gegner niederschlägt und Konkurrenten manipuliert. Der Hegemon verfügt über die Macht oder vermag es, sie zu gewinnen.
Hinsichtlich ihres Ansinnens, nach dem Ursprung der Macht und der Grundlage des Rechts zu fragen, sind sich der Marxismus und Carl Schmitt wenigstens in der Methode des Reduzierens auf das Wesentliche ähnlicher, als es den Anhängern beider Seiten behagt, darin nämlich, daß mit dem Bedürfnis hoher Genauigkeit und dem Ziel von Letztgültigkeit konsequent der Kern des Politischen gezeigt wird und davon klare Begriffe geliefert werden, die auf trostreiche wie irrige Illusionen von Aufklärung und Idealismus verzichten.
Mag sein, die intellektuelle Linke arbeitete sich, als sie noch las, in einer Ambivalenz von Faszination und Haß deswegen an Schmitt ab, weil ihr dessen „blutige Schlauheit“ (Ernst Bloch) intuitiv lag und als fremde geistige Verwandtschaft empfunden wurde. Daß beide, Marx und Schmitt, überdies geübte Stilisten waren und Komplexitäten griffig zu fassen verstanden, tat ein übriges. Der tragische linke Bildungsbürger Georg Lukacs lobte die „Politische Romantik“, Albert Salomon war beeindruckt von Schmitts Rede auf Hugo Preuß, Walter Benjamin sah sich von ihm inspiriert.
Naheliegend, daß Antiliberalismus und ‑parlamentarismus und die Gedanken zur Gegenläufigkeit von Rechtsstaat und Demokratie die Linke mit Schmitt beinahe widerwillig und auf reziproke Weise verbanden, bei aller Verschiedenheit mancher Vorzeichen und Herleitungen. Ernst Niekisch jedenfalls wollte in Schmitts Freund-Feind-Theorie sogar „die bürgerliche Antwort auf die marxistische Klassenkampftheorie“ erkennen, ganz abgesehen von der Tatsache, daß sich die Linke dort, wo sie zur Macht gelangte, radikal „dezisionistisch“ verhielt. –
Das Verfahren des „Historischen Materialismus“, nach dem Hegemon des jeweiligen geschichtlichen Prozesses bzw. Umbruchs zu fragen, erscheint sinnvoll, eben weil es ganz unmetaphysisch, nämlich pragmatisch von den wirtschaftlichen Bedingungen und Interessen ausgeht und eben nicht träumt, sondern analysiert und abstrahiert. „Hegemon“ sind nicht einfach „die da oben“, die Regierenden, sondern jene, die sie tragen und für ihre Ziele und Zwecke installieren.
In der Analyse der bürgerlichen Gesellschaft war der Marxismus befähigter als in seiner Prognose; in der materialistischen bzw. politökonomischen Anschauung der gesellschaftlichen „Basis“ liegt in Gestalt der antiidealistischen Kritik der Hegelschen Rechts- und Geschichtsphilosophie ein bleibender Verdienst.
Mit Blick auf unsere gegenwärtige Situation wäre gerade von links nicht primär danach zu fragen, wie der fortlaufend und stupide als negativ identifizierte „Kapitalismus“ zu überwinden sei, sondern zunächst, inwiefern alle Handelnden systemisch vielmehr Teil des kapitalistischen oder „marktwirtschaftlichen“ Produzierens, Verbrauchens und Verteilens sind. Mit ihren enormen Verbraucher- und Konsumbedürfnissen ist gerade in der Forderung nach „mehr Teilhabe“ die Klientel der Linken ganz vorn mit dabei und möchte idealerweise so umverteilen, daß sie selbst in einen verbesserten Stand des Besitzes von Produktionsmitteln eintritt, um dann – quasi staatskapitalistisch – noch komfortabler und massierter verbrauchen zu können.
Die Linke war schon mit ihren historischen Vorläufern eine Bewegung der Profi-Shopper: Mehr Lohn, mehr Freizeit und damit mehr Lebensgenuß. Für alle und jeden! Gerade den Parteigängern der Linken ging es nie um Einschränkung der Bedürfnisse, nie um „Degrowth“, sondern um Forcierung der Maschinerie und um das große Mehr. Daß sich dieser „Traum“ eben nicht im systembedingt ineffizienten Sozialismus, sondern im geschmähten Kapitalismus – etwa in Gestalt des VW-Konzerns – erfüllte, sollte links gründlich bedacht werden, bevor man die Marktwirtschaft schmäht.
Bescheidenheit und Bedürfnisreduzierung jedenfalls sind gerade die Sache der Linken nicht! Ebensowenig geht es den Grünen um Selbstbeschränkung und Verzicht, worin die einzige, freilich wohl nie zu erhoffende Lösung auch des Umweltproblems läge, sondern ebenfalls um gesteigerten Lebenskomfort, nur eben nach vermeintlich grün-„intelligenten“ und grün-„innovativen“ statt gußeisern-sozialistischen Lösungen.
Wer ist Hegemon der deutschen Verhältnisse an der Schwelle des dritten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts? – Offenbar ein sozial breit gefächertes Spektrum so liberal wie hedonistisch bestimmter Gruppen, denen es wesentlich um die Sicherung ihrer subjektiven Individualrechte wie um die umfassende Befriedigung ihrer Individualbedürfnisse zu tun ist, die ihnen letztlich über alle anderen „objektiven“ Notwendigkeiten gehen. Auch „Bio“ produziert intensiv und auf Masse! Auch ökologisches Bewußtsein ist letztlich natürlich egoistisch.
Ganz abgesehen von all der Umweltrhetorik und den Appellen zur Rettung des Planeten: Über den Konsum und die zügige Bedürfnisbefriedigung, für die die eigenen Lebenserwartung das alleinige Maß ist, geht den ökologisch korrekten Turboverbrauchern nichts; und wer ihnen diese Selbstreproduktion ermöglicht, den bringen sie politisch nach vorn. Wenn dies gegenwärtig nach Umfragewerten mehr denn je linksgrüne Kräfte sind, liegt das daran, daß diese Ökosozialisten eine Ideologie generieren, die verheißt: Mit „umweltbewußten Lösungen“ – auch marktwirtschaftlichen – findet der gesamtgesellschaftliche Hedonismus „CO2-neutral“ und „ökologisch“ seine Fortsetzung.
Das ist das Versprechen: Mittels „Innovationen“ retten wir zweierlei – euren bisherigen XXL-Genuß an allem, woran ihr gewöhnt seid, darüber hinaus aber gleich noch die ganze Welt, und zwar global gerecht und regenbogenbunt, der Farbe neuer Uniformität. Der große Einkaufswagen wird weiter durch einen riesigen Super-Markt an überbordenden Regalen entlang geschoben, nur daß es sich dabei um einen „Bio“-Super-Markt handelt. Diese Möglichkeit des totalen Verbrauchens suchen alle, gerade auch die Immigranten und „Flüchtlinge“. Sie wollen nicht unbedingt Bürger, in jedem Fall aber Kunden und Verbraucher sein.
Die konsumierenden Massen lassen sich nach Jahrzehnten des Überverbrauchs an allem eines nicht mehr bieten: Einschränkung. Sie lassen sich aber versprechen, daß alles so weitergeht wie bisher, nur eben CO2-reduziert, möglichst vegan und sehr verantwortungs- und umweltbewußt, also schmerzarm oder gar segensreich für die Natur. Das stillt die sehr berechtigte Angst, jedes Maß verloren zu haben und mit dem Ökosystem des Planeten die eigene Existenzgrundlage schon mit der Bevölkerungsexplosion zu unterminieren.
Der einzige, freilich nur theoretische Weg zur Rettung wäre anstrengend und bitter und wurde bisher nicht zugunsten der Schöpfung, sondern nur aus größter Not eingeschlagen, weil er Beschränkung verlangt, zu der nur eine vernünftige oder gar asketisch motivierte Selbstüberwindung befähigt, die den allermeisten fremd bis unmöglich ist, die aber im Vermögen, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, gleichzeitig die Grundlage des Ethischen schlechthin bildet.
Massen jedoch wollen dergleichen Verzicht nie und nimmer leisten; sie folgen dem, der verspricht: Du darfst so weitermachen wie bisher, wenn du unseren Neuvereinbarungen folgst, mit denen du nicht nur besser lebst, sondern gleichzeitig die Welt rettest. Echte Einschränkungen wird es nicht geben. Aber genau die täten not: Weniger Verbrauch, weniger Ich, weniger Diktatur der selbstischen Bedürfnisse.
Der den Grünen wesenseigene Moralismus bewerkstelligt die Verdrängung der eigenen unausweichlichen Schuld gegenüber der Schöpfung. Es zu vermögen, harmonischen Umgang mit der Natur im Großen und Ganzen herzustellen, liegt nicht in der Natur des Menschen, der eben nur teilweise Naturwesen ist und die Welt in seinem Sinne und schließlich sogar gegen sich selbst umbaut, insofern er schließlich doch natürlicher Grundlagen bedarf. Notwendigerweise. Darin liegt von Anbeginn seine Tragik.
Weltökologisch ging es der Natur – aufs Ganze betrachtet – von Jahrzehnt zu Jahrzehnt schlechter, so „innovativ“ die Ausbeutung der Ressourcen vermeintlich stattfinden mag. Die Technologie griff immer noch tiefer zu und riß stets noch größere Stücke Natur zugunsten des menschlichen Verbrauchs an sich. Das Wissen um die schwindende Artenvielfalt, das Erkennen des großen Sterbens befähigte bislang nicht, es zu beenden oder nur zu verzögern. – Man frage vielleicht nicht, was daraus folgt, eher danach, wie es auszuhalten und vermutlich hinzunehmen ist. „Trotz alledem!“ wird keine linke Parole bleiben.
Der verlorene Posten ist Ort des konservativen Denkens und Handelns im Als-ob.
zeitschnur
"Wer ist Hegemon der deutschen Verhältnisse an der Schwelle des dritten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts? – Offenbar ein sozial breit gefächertes Spektrum so liberal wie hedonistisch bestimmter Gruppen, denen es wesentlich um die Sicherung ihrer subjektiven Individualrechte wie um die umfassende Befriedigung ihrer Individualbedürfnisse zu tun ist, die ihnen letztlich über alle anderen „objektiven“ Notwendigkeiten gehen."
Ich habe hier mehrere begriffliche Fragen: Ist das wirklich "liberal"? Und woher kommen eigentlich die "Individualbedürfnisse"? Liegt der Fehler wirklich bei den genannten "Gruppen"?
Leben wir nicht in einem ausgeklügelten System eines Person-Framings, das über die Illusion einer grenzenlosen privaten "Bedürfnisbefriedigung" den einzelnen Menschen in eine massive Abhängigkeit zur Befriedigung der Erwartung einer ihm bereits vorgedachten und -geplanten "Bedürfnisbefriedigung" treibt, ihn andererseits aber jederzeit mit der Keule, er sei "egoistisch", wenn er sich dem ergibt, von der anderen Seite her erpressen kann?
Was geschieht denn mit Leuten, die sich ausklinken und nicht die suggerierten angeblichen privaten Bedürfnisse befriedigen, sondern echten Verzicht üben und so etwas wie eine breite Konsumverweigerung betreiben? Was ist mit Leuten, die all diesen gesetzten Bedürfnis-haben-sollen einfach nicht folgen?
Wenn überhaupt jemand echte existenzielle Probleme hat hierzulande, dann sie. Es genügt, den diversen, aber genormten Dresscodes nicht zu folgen inkl ständig neuer Garderobe. Was geschieht denn mit Menschen, die - wie früher - nur einmal in der Woche die Unterwäsche wechseln und nicht jeden Tag das Wasser in der Dusche herunterrauschen lassen - auch das wie früher, als man noch bescheiden war? Was erlebt man, wenn man nicht die maximale Miete herauspresst oder keine Wucherpreise für freiberufliche Aufträge verlangt, , sobald man sich beim Finanzamt mit der Steuererklärung meldet?
Echte Liberalität würde heißen, dass es all diese künstlich erzeugten Massenbedürfnisse, die als Individualegoismen getarnt werden, nicht gäbe, dass jeder sich jederzeit ausklinken könnte und auch ohne den technisch aufgeblasenen Apparat an Ressourcenraubbau "zeitgemäß" und "gesellschaftskonform" leben könnte.
In großen Flächenstaaten ist diesbezüglich oft noch mehr Freiheit, es gibt diese Survivaltypen, die in selbstgebauten Häusern im Niemandsland leben, versuchen, aus der umgebenden Natur zu existieren und aus Hanffasern und selbsterzeugter Wolle Fäden zu spinnen und auf Handwebgeräten Stoffe erzeugen, aus denen sie nachhaltig haltbare Klamotten nähen für die nächsten Jahrzehnte, gegessen wird, was hier wächst, ab und zu ein Tier erlegt, getrunken wird Wasser... bloß noch mal: wieviel Chancen hätte ein wirklich liberales, selbstbestimmtes Leben jenseits des Hedonismus wirklich? Traditionell schob man solche Verrückten in Klöster ab, wo sie gnadenlos kontrolliert wurden ("Gehorsam") in ihrem nachhaltigen Handarbeitsfimmel ("Labora"). Viele versuchten es aber auch auf eigene Faust... Jedoch: Spätestens auf dem Trienter Konzil wurde jeder Versuch, ein selbstbestimmtes Einsiedler- oder Beghinenleben zu führen, insbesondere für Frauen, per Beschluss kriminalisiert.
Diese Linie hat sich bis heute durchgezogen und verschärft. Nur im genormten Kollektiv unter einer Geldherrschaft wird der Mensch überhaupt "hedonistisch". Wesentlich ist dabei, dass der Lustgewinn und Konsum assoziiert wird mit "Macht" bzw. Herrschaftsteilhabe.