mußte sich auch der Theologe Friedrich Schleiermacher (1768 – 1834) in den letzten Jahren manch einseitige Deutung gefallen lassen, in denen sein Antijudaismus angeprangert oder die religiöse Bindung seines Erziehungskonzeptes bekrittelt wurde. Solche Bespiele rufen förmlich nach einer »großen intellektuellen Biographie«, die Schleiermachers »Denken und Wirken umfassend im geschichtlichen Kontext« darstellt und damit den einseitigen Untersuchungen der Nachgeborenen ein Korrektiv an die Seite stellt. Andreas Arndt hat das zumindest versucht, auch wenn sein Buch den selbstgestellten (oder vom Verlag gewählten) Anspruch nicht einlösen kann.
Denn Arndt, der sich als Philosoph seit 1979 mit Schleiermacher beschäftigt hat und dementsprechend über eine profunde Kenntnis der Werke als auch der Sekundärliteratur verfügt, widmet sich vor allem zwei Aspekten des Lebens und Wirkens von Schleiermacher: seinem Ringen mit der Aufklärungsphilosophie vor dem Hintergrund der eigenen geistigen Entwicklung im Schoß der Herrnhuter Brüdergemeinde und seiner Idee eines Gemeinwesens vor dem Hintergrund der Französischen Revolution und den Befreiungskriegen (die Arndt konsequent als »sogenannte« bezeichnet, warum auch immer). Es fehlt zu viel, um wirklich von einer Biographie sprechen zu können.
Als das eigentliche Problem von Schleiermachers Biographie bezeichnet Arndt die Frage, was geschehe, wenn der religiöse Enthusiasmus (von dem auch die Französische Revolution erfüllt sei) auf eine skeptische Vernunft treffe? Das Ergebnis dieser Überlegungen sind die bekannten Reden Über die Religion, die eine Vernunftreligion propagieren, der nicht ganz ohne Grund der Vorwurf gemacht wurde, daß damit Gott aus der Religion entlassen werde. In diesem Kontext sieht Schleiermacher auch die Revolution (»die erhabenste Tat des Universums«), die ohne Enthusiasmus nicht beginnen kann, mit ihm aber gleichzeitig zu entarten droht, was Schleiermacher durch die (skeptische) Orientierung auf das Ganze, das Universum, verhindert wissen will: die Reformation der Revolution. In Deutschland beschränkte sich die Revolution von Anfang an auf »eine Revolution des Geistes durch eine geschlossene kulturrevolutionäre Avantgarde«.
Die Pointe besteht nun gerade darin, daß es zumindest auch eine konservative Revolution war, die sich in Deutschland ereignete, nachdem Napoleon Preußen 1807 gedemütigt hatte. Schleiermacher war hier in vorderster Stellung im Rahmen der Bildungsreform beteiligt, was ihm Arndt zwar nicht ausdrücklich übelnimmt, aber dennoch nicht zu sehr gewürdigt wissen möchte. Er will lieber zeigen, daß Schleiermacher trotz seiner nationalen Gesinnung kein Nationaler war, sondern immer schon Universalist.
Dieser Nachweis gelingt Arndt nicht, auch wenn er behauptet, daß Schleiermachers Werk die »Universalisierung von Humanität« wie ein roter Faden durchziehen würde. Am Ende konstatiert Arndt lediglich eine Ambivalenz in seinem Denken, was nicht besonders überraschend ist, da das Problem ja spätestens seit der Französischen Revolution lautet, wie man das universalistische Christentum mit einer nationalen Gesinnung in Verbindung bringen kann. Arndt verrät schließlich im Epilog, daß für ihn Ambivalenz lediglich ein Schachzug ist, um Schleiermacher auf die Seite der Gutmenschen zu ziehen. Dort heißt es nämlich, daß die Ambivalenz nicht stehengelassen werden kann, sondern als »Unbestimmtheit« aufgehoben gehört, »indem die Zielvorstellung einer universellen Humanität auf vernünftige Weise mit den Bedingungen der Gegenwart vermittelt wird«.
Andreas Arndt: Die Reformation der Revolution. Friedrich Schleiermacher in seiner Zeit, Berlin: Matthes & Seitz 2019. 334 S., 30 € – hier bestellen