Andreas Arndt: Die Reformation der Revolution. Friedrich Schleiermacher in seiner Zeit

Wie alle großen Deutschen, deren Wirken in die Jahre vor 1945 fällt,...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

muß­te sich auch der Theo­lo­ge Fried­rich Schlei­er­ma­cher (1768 – 1834) in den letz­ten Jah­ren manch ein­sei­ti­ge Deu­tung gefal­len las­sen, in denen sein Anti­ju­da­is­mus ange­pran­gert oder die reli­giö­se Bin­dung sei­nes Erzie­hungs­kon­zep­tes bekrit­telt wur­de. Sol­che Bespie­le rufen förm­lich nach einer »gro­ßen intel­lek­tu­el­len Bio­gra­phie«, die Schlei­er­ma­chers »Den­ken und Wir­ken umfas­send im geschicht­li­chen Kon­text« dar­stellt und damit den ein­sei­ti­gen Unter­su­chun­gen der Nach­ge­bo­re­nen ein Kor­rek­tiv an die Sei­te stellt. Andre­as Arndt hat das zumin­dest ver­sucht, auch wenn sein Buch den selbst­ge­stell­ten (oder vom Ver­lag gewähl­ten) Anspruch nicht ein­lö­sen kann.

Denn Arndt, der sich als Phi­lo­soph seit 1979 mit Schlei­er­ma­cher beschäf­tigt hat und dem­entspre­chend über eine pro­fun­de Kennt­nis der Wer­ke als auch der Sekun­där­li­te­ra­tur ver­fügt, wid­met sich vor allem zwei Aspek­ten des Lebens und Wir­kens von Schlei­er­ma­cher: sei­nem Rin­gen mit der Auf­klä­rungs­phi­lo­so­phie vor dem Hin­ter­grund der eige­nen geis­ti­gen Ent­wick­lung im Schoß der Herrn­hu­ter Brü­der­ge­mein­de und sei­ner Idee eines Gemein­we­sens vor dem Hin­ter­grund der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on und den Befrei­ungs­krie­gen (die Arndt kon­se­quent als »soge­nann­te« bezeich­net, war­um auch immer). Es fehlt zu viel, um wirk­lich von einer Bio­gra­phie spre­chen zu können.

Als das eigent­li­che Pro­blem von Schlei­er­ma­chers Bio­gra­phie bezeich­net Arndt die Fra­ge, was gesche­he, wenn der reli­giö­se Enthu­si­as­mus (von dem auch die Fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on erfüllt sei) auf eine skep­ti­sche Ver­nunft tref­fe? Das Ergeb­nis die­ser Über­le­gun­gen sind die bekann­ten Reden Über die Reli­gi­on, die eine Ver­nunft­re­li­gi­on pro­pa­gie­ren, der nicht ganz ohne Grund der Vor­wurf gemacht wur­de, daß damit Gott aus der Reli­gi­on ent­las­sen wer­de. In die­sem Kon­text sieht Schlei­er­ma­cher auch die Revo­lu­ti­on (»die erha­bens­te Tat des Uni­ver­sums«), die ohne Enthu­si­as­mus nicht begin­nen kann, mit ihm aber gleich­zei­tig zu ent­ar­ten droht, was Schlei­er­ma­cher durch die (skep­ti­sche) Ori­en­tie­rung auf das Gan­ze, das Uni­ver­sum, ver­hin­dert wis­sen will: die Refor­ma­ti­on der Revo­lu­ti­on. In Deutsch­land beschränk­te sich die Revo­lu­ti­on von Anfang an auf »eine Revo­lu­ti­on des Geis­tes durch eine geschlos­se­ne kul­tur­re­vo­lu­tio­nä­re Avantgarde«.

Die Poin­te besteht nun gera­de dar­in, daß es zumin­dest auch eine kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on war, die sich in Deutsch­land ereig­ne­te, nach­dem Napo­le­on Preu­ßen 1807 gede­mü­tigt hat­te. Schlei­er­ma­cher war hier in vor­ders­ter Stel­lung im Rah­men der Bil­dungs­re­form betei­ligt, was ihm Arndt zwar nicht aus­drück­lich übel­nimmt, aber den­noch nicht zu sehr gewür­digt wis­sen möch­te. Er will lie­ber zei­gen, daß Schlei­er­ma­cher trotz sei­ner natio­na­len Gesin­nung kein Natio­na­ler war, son­dern immer schon Universalist.

Die­ser Nach­weis gelingt Arndt nicht, auch wenn er behaup­tet, daß Schlei­er­ma­chers Werk die »Uni­ver­sa­li­sie­rung von Huma­ni­tät« wie ein roter Faden durch­zie­hen wür­de. Am Ende kon­sta­tiert Arndt ledig­lich eine Ambi­va­lenz in sei­nem Den­ken, was nicht beson­ders über­ra­schend ist, da das Pro­blem ja spä­tes­tens seit der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on lau­tet, wie man das uni­ver­sa­lis­ti­sche Chris­ten­tum mit einer natio­na­len Gesin­nung in Ver­bin­dung brin­gen kann. Arndt ver­rät schließ­lich im Epi­log, daß für ihn Ambi­va­lenz ledig­lich ein Schach­zug ist, um Schlei­er­ma­cher auf die Sei­te der Gut­men­schen zu zie­hen. Dort heißt es näm­lich, daß die Ambi­va­lenz nicht ste­hen­ge­las­sen wer­den kann, son­dern als »Unbe­stimmt­heit« auf­ge­ho­ben gehört, »indem die Ziel­vor­stel­lung einer uni­ver­sel­len Huma­ni­tät auf ver­nünf­ti­ge Wei­se mit den Bedin­gun­gen der Gegen­wart ver­mit­telt wird«.

Andre­as Arndt: Die Refor­ma­ti­on der Revo­lu­ti­on. Fried­rich Schlei­er­ma­cher in sei­ner Zeit, Ber­lin: Matthes & Seitz 2019. 334 S., 30 € – hier bestel­len

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Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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