1. Zum Glück keine Koalitionsverhandlungen.
Die AfD hat in Sachsen und in Brandenburg erwartbar gut abgeschnitten und die letzten Prognosen in beiden Bundesländern sogar noch deutlich übertroffen. Letzteres liegt daran, daß selbst die Demoskopie für den Kampf gegen die Alternative eingesetzt wird: Das Herunterrechnen soll den Unentschiedenen signalisieren, hier sei etwas ausgereizt, hier bewege sich nicht mehr viel. Nun ist der Hang also doch abgerutscht, erwartbar gründlich, und diese Verdoppelung in Brandenburg und Verdreifachung in Sachsen zu bewältigen, zu strukturieren, zu ordnen und schlagkräftig zu machen, ist eine Herkulesaufgabe für beide Landesverbände.
Woher sollen hundert gute, neue Mitarbeiter kommen – Experten auf ihrem Gebiet, Verfahrens- und Verwaltungsfachleute, IT-Spezialisten und Organisationsgenies, Medienprofis und vorzeigbare Gesichter? Die AfD reißt seit ihrer Gründung ihr Gebäude hoch, nach jeder Wahl ein Stockwerk, und nimmt das Material dazu aus dem Fundament (woher auch sonst?).
Wenn Organisation und Arbeitsfähigkeit ohne erwähnenswerte Brüche und Abgänge gelingen, werden wir es mit Strukturen zu tun haben, aus denen heraus nach der nächsten Wahl das möglich sein wird, was man “gestalten” nennt.
Dieses Gestalten wird ein Mitgestalten sein, also eines, das eines Koalitionspartners bedarf. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre man der Juniorpartner und müßte mittragen, was vor allem der andere diktierte – weil er noch etwas größer ist, und vor allem viel erfahrener und gewiefter. Zum Glück wird es keine Koalitionsverhandlungen geben! Das bedeutet weitere geschenkte Jahre, die vor allem für die Behebung folgenden Grundproblems genutzt werden sollten:
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2. Immer noch zu wenig Bekenntnismut.
Die AfD ist in der seltsamen Lage, mehr Wähler zu haben als prozentual dafür notwendige Mandatsträger und Mitarbeiter. Bei der SPD beispielsweise ist es andersherum, dort nimmt das Gedrängel unter denjenigen zu, die sich für politikfähig halten, aber schlicht nicht mehr gewählt werden oder aus den Abgeordnetenbüros ausziehen müssen, die nun der Gegner besiedeln wird.
Daß die Alternative bisher nicht genügend Leute davon überzeugen konnte, wahrnehmbar an diesem Politikwechsel mitzuarbeiten, ist das Ergebnis der geballten denunziatorischen Stigmatisierung der Partei: Jeder, der nicht sowieso aus “unserem Milieu” stammt, wird sich vor seinen Verwandten, Freunden, seinen Vereinskollegen, der Lehrerschaft an der Schule seiner Kinder, vielleicht sogar vor seinen Kindern dafür rechtfertigen müssen, daß er mittut bei jenen, die nicht Gutes im Schilde führen.
Es ist also nicht eine Frage der Karriereplanung: Eine Partei, die Ergebnisse einfährt wie die vom Sonntag, verschwindet nicht mehr von heute auf morgen, sondern wird über Jahre und Jahrzehnte gut dotierte Stellen und sogar Spitzenpositionen anbieten können. Aber das reicht eben nicht aus. Die Zahl derjenigen, die das Notwendige für unser Vaterland auch unter schwierigen Bedingungen tun, ist nicht groß, und unter ihnen ist der Stumpfsinn leider keine ganz seltene Eigenschaft.
Kurzum: Es müssen Hürden abgebaut werden. Wer sich nicht nur in der Wahlkabine, sondern auch davor oder vielleicht sogar beruflich für die AfD entscheiden will, muß unbedingt den stärkenden Eindruck gewinnen können, daß er sich für die richtige Sache entscheidet. Er muß sich sicher sein, daß er nicht eines Tages böse aufwacht und sich instrumentalisiert sieht von Leuten, die etwas wollen, was in Deutschland schon einmal gründlich schiefging. Wir hier wissen, daß es diese Leute in der Partei nicht gibt, und schon gar nicht an verantwortlicher Stelle, aber weiß es derjenige, der noch nicht entschieden hat, ob er dazustoßen will?
Das ist der schmale Grat: diejenigen zu gewinnen, die nach jahrzehntelangem Trommelfeuer gegen alles Nationale, Patriotische, Eigene sich erst an den alternativen Ton, den neuen Ton gewöhnen müssen – und gleichzeitig von der programmatisch notwendigen Eindeutigkeit und Härte nicht zu lassen.
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3. Zwei Parteien in einer
Das, was in Sachsen und Brandenburg auf die Beine gestellt wurde, was in Thüringen mit Sicherheit im Herbst wiederholt und bereits in Sachsen-Anhalt für das Jahr 2021 vorbereitet wird, ist im Westen Deutschlands schlechterdings nicht vorstellbar. Das hat tiefliegende Gründe, und deshalb ist das, was am Sonntag passierte, vor allem der Tonlage nach nicht auf den Westen übertragbar: Dort kann man keine Wende 2.0 ausrufen, denn der Westen verbindet mit der Wende 1.0 nicht im entferntesten das an Lebenserfahrung und Lebensumstülpung, was jeder Sachse, Thüringer oder Brandenburger damit verbindet.
Das ist auch der Grund dafür, warum die auf ein westliches und großstädtisches Klientel abgestellte “grüne Projekt” im Osten nur dort verfängt, wo die Bedingungen den grünen Hochburgen zu gleichen beginnen. Brandenburg ohne Potsdam und den Berliner Speckgürtel, Sachsen ohne Leipziger Süden und Dresden-Neustadt, Thüringen ohne Jena und Teile Weimars oder Erfurts sind flächendeckend blau und kratzen in allen Wahlkreisen an den dünnen Mehrheiten von SPD und CDU.
Daher lautet der Rat, der wie ein Mantra wiederholt werden muß: den Osten ins Horn stoßen lassen, den Westen mit feinen Flöten einstimmen und dort auf jene kalten Duschen hoffen, die den Osten so aufgeweckt zurückließen. Vor allem aber: keine Überheblichkeit von der einen in die andere Richtung.
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4. Zwei Parteien gegeneinander
Ja,unbedingt: keine Überheblichkeit von Ost nach West und wieder zurück: Denn die beiden eigentlichen Mühlsteine sind wieder etwas deutlicher herausgeschält worden. Der Vorgang erinnert an das Ratespiel, bei dem nach und nach ein neues Bildchen, ein Puzzleteilchen umgedreht wird, bis offensichtlich wird, was sich da verbirgt. These:
Es läuft auf einen Zweikampf zwischen Grünen und AfD hinaus. Diese beiden Parteien haben bei beiden Wahlen ein nennenswertes Plus gemacht und zerreiben zwischen sich alles andere: die FDP physisch und programmatisch; die SPD ebenfalls, darüber darf der Sonderfall Brandenburg nicht hinwegtäuschen; die Linke hat ihre Chance mit der Abdrängung Sahra Wagennechts vergeben, “Aufstehen” war der letzte Versuch, klar gegen Grün abgegrenzt zu bleiben und eine völlig andere Klientel anzusprechen. Die ist nun zur AfD übergelaufen.
Bleibt die CDU: Sie gilt als AfD-Verhinderer, als bürgerlichere, wählbare Möglichkeit. Noch. Denn das ist ein bisher nicht gedeckter Wechsel. Sollte sie in Sachsen nun tatsächlich mit den Grünen koalieren, während auch nur Koalitionsgespräche mit dem eigentlichen Wahlsieger, der AfD, ausgeschlossen bleiben, werden halbe Kreisverbände überlaufen – wo nicht physisch, dort zunächst innerlich. Ihnen den entscheidenden Schubs zu geben, ist die Aufgabe der AfD.
Zurück zu den Grünen: Hoffentlich machen die genau so weiter wie bisher und implementieren eine widersinnige, unproduktive, schulmeisterliche, sauteure Besserwisserei nach der anderen – finanzierbar nur, weil fünfzehn Millionen deutsche Plusmacher sich ausnehmen lassen wie Weihnachtsgänse und Welthandel und Finanzsystem gerade noch funktionieren.
Der Gegenentwurf muß auf Wir-Definition, also nationaler Identität, auf Ordnungsstaat und spürbarer Autorität, auf solidarischem Patriotismus und auf einer für die deutsche Mentalität typischen Mischung aus Leistungsgedanke und Verstaatlichung beruhen.
Seit der Wende heißt das Normalisierungspatriotismus, und klar ist, daß dieses Konzept immer (wirklich immer) defensiv, also als Verteidigung des Eigenen, formuliert wurde. Wenn der Gegner etwas anderes behauptet, dann lügt er.
Normalität herstellen, das Eigene erkennen, das Wir definieren und verteidigen – wir werden dieses Konzept während der kommenden Sommerakademie des Instituts für Staatspolitik in extenso behandeln. Unter anderem wird Alice Weidel vortragen.
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5. Es ist fast alles vorhanden
Ja, es ist tatsächlich fast alles vorhanden für eine politische Wende in Deutschland: Wähler, Unmut, Konturen eines Programms, Mandatsträger auf allen Ebenen, eine ins Tausend gehende Mitarbeiterschaft, ein sich ausdifferenzierendes Vorfeld, Theorie, Bücher und Zeitschriften, Initiativen, Stiftungen, Begriffe, vorzeigbare Gesichter.
Wenn der nächste gewaltige kalte Realitätsschock in die Deutschen fährt, wird es für den Unmut ein sehr viel besser und breiter angelegtes Auffangbecken geben als noch vor vier oder fünf Jahren. Das war vor zehn Jahren noch unvorstellbar, und das ist jetzt da und kann nicht mehr einfach so zertrümmert werden.
Geduld also, Geduld, Geduld und nochmals Geduld. Es wird langsam gebohrt, das wissen wir doch alle.
Was fehlt, ist die eine große Zeitung, der eine große Sender, der sich entschlösse, das alternative Milieu wohlwollend abzubilden und zu Wort kommen zu lassen. Das wäre noch nicht einmal eine vor allem idealistische Entscheidung: Eine Welt, die unter 100 000 Abonnenten hat, eine FAZ, die ihre Abonnentenzahl halbierte, hätten plötzlich das Alleinstellungsmerkmal desjenigen, der im Osten einem Viertel und im Wesen einem Siebtel der Wähler Fairneß angedeihen ließe – wenigstens das.
Klar ist: So etwas kann keine Neugründung sein, so etwas müßte als Fahnenwechsel wiederum aus der Mitte kommen, wie die AfD selbst. Dort lief es so: Der partielle Unmut der Gründer ließ sie ein Faß anstechen, von dessen Inhalt sie gleich selbst mit weggespült wurden. Aber bis es soweit war, verging genügend Zeit, um eine breite Basis für ein grundsätzliches Reformprojekt zu begeistern.
Dieses Projekt muß nun ergänzt und vervollständigt werden. Die Wahlen in Sachsen und in Brandenburg sind ein Meilenstein.
klaus891
Meine persönlich größte Befürchtung für die Zukunft ist eine Verhaiderung der AfD bzw eine Kärtnerisierung der östlichen Bundesländer bei einem weiteren Erfolg der AfD, und das ausdrücklich unabhängig von den jeweiligen Überzeugungen der handelnden Protagonisten.
Daher meine Frage in die Runde: Wer und warum teilt diese Befürchtungen ? Und was wäre dagegen zu tun jenseits von Appellen an den Guten Willen ?