Die Macht der virtuellen Großkonzerne

PDF der Druckfassung aus Sezession 82/Februar 2018

Michael Wiesberg

Michael Wiesberg ist Lektor und freier Publizist.

Anfang Janu­ar kon­sta­tier­te die Süd­deut­sche Zei­tung (SZ), vir­tu­el­le Kon­zer­ne wie Goog­le, Face­book oder Ama­zon sei­en zu groß gewor­den. Alles schreie danach, »ihre Mono­po­le auf­zu­lö­sen«. Die meis­ten ver­schlös­sen »die Augen vor dem schlei­chen­den Ver­lust der Pri­vat­sphä­re«, ande­re glaub­ten, auf die Diens­te die­ser Inter­net-Gigan­ten nicht ver­zich­ten zu kön­nen. Die SZ mach­te in die­sem Zusam­men­hang jene Argu­men­te gel­tend, die öko­no­misch seit jeher gegen die Fol­gen von Mono­pol­bil­dun­gen gel­tend gemacht wer­den. Abge­ho­ben wird ins­be­son­de­re dar­auf, daß Mono­po­lis­ten durch ihre Markt­macht die Prei­se in die Höhe trie­ben und die »Inno­va­ti­ons­fä­hig­keit einer Volks­wirt­schaft« hemmten.

Wer sich den­noch mit Blick auf die vie­len kos­ten­lo­sen Ange­bo­te von Goog­le oder Face­book zurück­leh­ne, dem sei die Rech­nung auf­zu­ma­chen, daß die »Kun­den mit der Gra­tis-Ver­ga­be ihrer intims­ten Daten einen viel höhe­ren Preis [zahl­ten], als die Rocke­fel­lers und Van­der­bilts einst für ihre Mono­pol- Diens­te ver­lang­ten«. Auch wenn Mark Zucker­berg (Face­book),  Jeff  Bezos (Ama­zon) oder Lar­ry Page (mit Ser­gey Brin Goog­le-Grün­der) eher läs­sig daher­kä­men, sei­en sie öko­no­misch gese­hen »Radi­kal­ka­pi­ta­lis­ten«.

Wer etwa die Gra­tis-Daten­sam­me­lei begren­zen wol­le oder die Fir­men gar zwin­ge, Steu­ern zu zah­len, ler­ne schnell die ande­re Sei­te der »Turn­schuh- Rocke­fel­lers« ken­nen. Ihr Ein­fluß gehe mitt­ler­wei­le über wirt­schaft­li­che Aspek­te weit hin­aus, weil sie gesell­schafts­ver­än­dern­de Umwäl­zun­gen in Gang setzten.

Hier­für stün­den Begrif­fe wie fah­rer­lo­se Autos, »Inter­net der Din­ge«, 3‑D-Dru­cker oder »Big Data«.

»Big Data« – auf deutsch Mas­sen­da­ten – dient in die­sem Zusam­men­hang in der Regel als Sam­mel­be­griff für digi­ta­le Tech­ni­ken, die für eine neue Ära digi­ta­ler Kom­mu­ni­ka­ti­on und Ver­ar­bei­tung sowie deren gesell­schaft­li­che Fol­gen steht. Grund für den Quan­ten­sprung des tech­ni­schen Fort­schritts ist das rasche Wachs­tum der Leis­tungs­fä­hig­keit der Rech­ner, wovon unter ande­rem die Robo­tik, die Nut­zung und Ver­net­zung rie­si­ger Daten­men­gen oder die Künst­li­che Intel­li­genz (KI) profitieren.

Nicht weni­ge Exper­ten, so zum Bei­spiel Klaus Schwab, Grün­der und Chef des Welt­wirt­schafts­fo­rums, spre­chen des­halb von einer neu­en indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on, genau­er: von der Vier­ten Indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on,  die durch die Ver­schmel­zung von Tech­no­lo­gien gekenn­zeich­net sei, die  die Gren­zen der phy­si­ka­li­schen, digi­ta­len und der bio­lo­gi­schen Sphä­re ver­schwim­men las­sen. Die­se Revo­lu­ti­on ist nicht ein­fach eine Wei­ter­schrei­bung vor­an­ge­gan­ge­ner Umwäl­zun­gen. Die Schnel­lig­keit, Reich­wei­te und vor allem die sys­te­mi­sche Wir­kung, die der­zeit beob­ach­tet wer­den kann, bedeu­ten eine Ent­wick­lung im expo­nen­ti­el­len und nicht im linea­ren Tempo.

Die Ver­net­zung von immer mehr Men­schen durch mobi­le End­ge­rä­te, vor allem aber eine noch nie dage­we­se­ne Ver­ar­bei­tungs- und Spei­cher­ka­pa­zi­tät, ermög­li­chen bahn­bre­chen­de tech­ni­sche Durch­brü­che. Für die­je­ni­gen, die es sich leis­ten kön­nen, bie­tet der Auf­bruch in die digi­ta­le Welt schon jetzt mani­fes­te Vor­tei­le, weil vie­le Din­ge zeit­spa­ren­der und effi­zi­en­ter gere­gelt wer­den können.

Erik Bryn­jolfs­son und Andrew McA­fee, bei­de Öko­no­men am Bos­to­ner Mas­sa­chu­setts Insti­tu­te of Tech­no­lo­gy (MIT), haben in  ihrem  Buch The Second Machi­ne Age die gro­ßen Lini­en kom­men­der Ent­wick­lun­gen gezo­gen: Com­pu­ter und ande­re digi­ta­le Errun­gen­schaf­ten hät­ten »auf unse­re geis­ti­gen Kräf­te die glei­che Wir­kung wie die Dampf­ma­schi­ne und ihre Able­ger auf die Mus­kel­kraft«. Da die Digi­tal­tech­nik eine Basis­tech­no­lo­gie sei, ähn­lich wie die Elek­tri­zi­tät, trei­be sie die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung in allen Sek­to­ren vor­an, und zwar nicht nur die der IT. Und das Tem­po der Inno­va­tio­nen wird ihrer Ansicht nach sogar noch zuneh­men; dabei wer­de das, was der­zeit unter dem Schlag­wort »Inter­net der Din­ge« sub­su­miert wird, eine zen­tra­le Rol­le spielen.

In der US-Inno­va­ti­ons­schmie­de Sili­con Val­ley bewir­ke die­ses »Inter­net der Din­ge«, so die bei- den Jour­na­lis­ten Marc Bei­se und Ulrich Schä­fer in ihrem Buch Deutsch- land digi­tal. Unse­re Ant­wort auf Sili­con Val­ley, der­zeit eine regel­rech­te »Meta­mor­pho­se«. Groß gewor­den sei das Tal mit »Han­dys, dem Inter­net, Such­ma­schi­nen, Online-Shops und Dienst­leis­tun­gen für Ver­brau­cher«. Alles das sei aber nur ein Anfang gewe­sen. Nun bas­te­le Sili­con Val­ley an der »nächs­ten, sehr viel umfas­sen­de­ren Aus­bau­stu­fe«. »Alles, wirk­lich alles, was unser Leben aus­macht, soll mit dem Netz ver­knüpft wer­den.« Künf­tig kom­mu­ni­zier­ten »Mil­li­ar­den Maschi­nen und Gerä­te unent­wegt mit­ein­an­der«, tausch­ten rie­si­ge Daten­men­gen aus, gli­chen sie ab, über- prüf­ten sie und lern­ten selb­stän­dig dar­aus. Das wer­de alles verändern:

»wie wir leben, wie wir arbei­ten, wie wir wirt­schaf­ten und denken«.

Die­se Ein­schät­zung ver­weist dar­auf, daß wie bis­her jede indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on auch die digi­ta­le Revo­lu­ti­on Chan­cen  und  Risi­ken  eröff­net. Die Dis­kus­si­on in Deutsch­land oszil­liert dabei zwi­schen zwei Extremstand­punk­ten. Der eine Stand­punkt lau­tet, das The­ma »Digi­ta­le Revo­lu­ti­on« sei ange­sichts der Inno­va­ti­ons­kraft der deut­schen Wirt­schaft eigent­lich kein The­ma, son­dern eine Art »Medi­en-Hype«, ein­mal  mehr  durch das gekenn­zeich­net, was gern als »Ger­man Angst« bezeich­net wer­de. Das zwei­te Sze­na­rio ist das der Unter­gangs­pro­phe­ten. Die lau­fen­de aktu­el­le Indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on wer­de, so ihre Über­zeu­gung, jeden zwei­ten Arbeits­platz ver­nich­ten, ohne daß hin­rei­chend neue entständen.

Die ein­zi­gen, die pro­fi­tier­ten, sei­en Pro­gram­mie­rer, die als »Hohe­pries­ter« der Digi­ta­li­sie­rung den Takt vor­gä­ben. Alle ande­ren wür­den bes­ten­falls noch als Hand­lan­ger benö­tigt. Sprich: Nur wer bei­spiels­wei­se Big-Data-Ana­ly­sen beherrscht, hat einen siche­ren Job. Der Poli­tik emp­feh­len die bei­den Autoren das klei­ne Ein­mal­eins der Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten: Ein gutes Bil­dungs­sys­tem und Impul­se für Start­ups sol­len eben­so für die Digi­ta­li­sie­rung rüs­ten wie eine moder­ne Infra­struk­tur und eine geziel­te Anwer­bung von Einwanderern.

Stich­wort »moder­ne Infra­struk­tur«: Nur en pas­sant sei hier erwähnt, daß Deutsch­land auf­grund ekla­tan­ter Fehl­ein­schät­zun­gen beim Auf- bzw. Aus­bau des Glas­fa­ser­net­zes mehr oder weni­ger das Schluß­licht unter den Indus­trie­staa­ten dar­stellt. Was­ser auf den  Müh­len der Unter­gangs­pro­phe­ten ist auch die Dis­kus­si­on um das Schlag­wort »Dis­rup­ti­on« (sie­he hier­zu aus­führ­lich Sezession 78 /Juni 2017); einer Wort­neu­schöp­fung des US-ame­ri­ka­ni­schen Wirt­schafts­wis­sen­schaft­lers Clay­ton Chris­ten­sen für das, was der 1950 ver­stor­be­ne öster­rei­chi­sche Öko­nom Joseph Schum­pe­ter als »schöp­fe­ri­sche Zer­stö­rung« bezeich­net hat.

Aller­dings gibt es zwi­schen den US-Netz­gi­gan­ten, die sich als Avant­gar­de dis­rup­ti­ver Stra­te­gien wäh­nen, und Schum­pe­ters Wen­dung von der »schöp­fe­ri­schen Zer­stö­rung« einen signi­fi­kan­ten Unter­schied. Schum­pe­ter ging davon aus, daß wir letzt­lich kein Wis­sen über die Zukunft hät­ten, die Zukunft also offen sei. Ent­spre­chend lau­te­te sein Impe­ra­tiv, das Neue immer offen zu denken.

Die Poli­tik aber, die Ama­zon, Face­book oder Goog­le betrei­ben, läuft letzt­lich dar­auf hin­aus, die­se Offen­heit zu eli­mi­nie­ren. Bei­spie­le hier­für fin­den sich in der WiWo von Ende Dezem­ber 2017, in der die Akti­vi­tä­ten der US-Netz­gi­gan­ten im Hin­blick auf Grün­der und Wett­be­wer­ber auf die  For­mel  »Auf­kau­fen,  kopie­ren,  blo­ckie­ren«  gebracht  wird.

Der Ruf der US-Netz­rie­sen, für inno­va­ti­ves Unter­neh­mer­tum zu ste­hen, wei­che mehr und mehr dem Ein­druck, so die WiWo, daß sie ihr Qua­si-Mono­pol zum einen mehr und mehr abschot­ten, Kon­kur­ren­ten ein­schüch­tern oder auf­kau­fen  oder  Ideen  »kopie­ren«.

Über­dies grif­fen sie immer »neue eta­blier­te Indus­trien und Märk­te« an. Kri­ti­ker monie­ren, daß Inno­va­tio­nen nur noch in dem Rah­men statt­fän­den, den die vir­tu­el­len US-Kon­zer­ne zulie­ßen. Die dahin­ter­ste­hen­de Stra­te­gie ist unver­kenn­bar: Kon­kur­ren­ten, die Face­book gefähr­lich wer­den könn­ten, sol­len per Auf­kauf aus­ge­schal­tet wer­den. So prak­ti­zier­te es Face­book zum Bei­spiel mit You­Tube, Whats­App oder Instagram.

Es  gibt  aber  mit  Blick  auf  die  heu­te  über­mäch­tig  erschei­nen­den  US- Netz­gi­gan­ten  auch  ernüch­tern­de  Bei­spie­le  für  ver­paß­te  Chan­cen,  über die unter ande­rem Tobi­as Koll­mann und Hol­ger Schmidt in ihrem Buch Deutsch­land 4.0 berichten.

Wären die­se Chan­cen deut­scher­seits ent­schlos­sen genutzt wor­den, sähe – sie­he  Auf­bau eines Glas­ka­bel­net­zes – die Inter­net­welt heu­te anders aus. Der Ham­bur­ger Ver­lag Gru­ner & Jahr, der 1997  mit der  Ent­wick­lung einer  Such­ma­schi­ne  namens  »Fire­ball«  begon­nen  hat­te,  ist  ein  wei­te­res Bei­spiel. Goog­le gab es damals noch nicht. »Fire­ball« setz­te sich bald an die Spit­ze der Such­ma­schi­nen. Par­al­lel dazu berei­te­te die Gru­ner & Jahr- Mut­ter­ge­sell­schaft  Ber­tels­mann  den  Bör­sen­gang  des  Inter­net­por­tals  Ly- cos  Euro­pe vor.
 Die  Ver­trä­ge  mit  dem  US-Part­ner  Lycos  Inc.  unter­sag­ten aber den Betrieb einer zwei­ten Such­ma­schi­ne (neben Lycos). Fire­ball wur­de  des­halb  an  Lycos  Euro­pe  ver­kauft,  das  eben­falls  kein  Inter­es­se an einer zwei­ten Such­ma­schi­ne hat­te. Schließ­lich wur­de Fire­ball in eine Toch­ter­ge­sell­schaft  abge­scho­ben,  wo  die  Such­ma­schi­ne  »noch  schnel­ler ver­küm­mer­te, als Lycos Euro­pe ins­ge­samt. … Eine viel­leicht his­to­ri­sche Chan­ce war dahin …«, kon­sta­tie­ren die Autoren.

Goog­le hin­ge­gen nutz­te ent­schlos­sen sei­ne »win­dows of oppor­tu­ni­ties« auf dem Such­ma­schi­nen­markt und war­te­te im Herbst 2008 mit einem wei­te­ren Pau­ken­schlag auf: Mit dem mobi­len Betriebs­sys­tem An- droid wur­de aus dem Such­ma­schi­nen-Anbie­ter Goog­le ein Platt­form-Betrei­ber. Gut 85 Pro­zent aller Smart­phones der Welt (Stand 2014) lau­fen mitt­ler­wei­le mit Android, auf dem der Play-Store von Goog­le instal­liert  ist. App-Ent­wick­ler, die erfolg­reich sein wol­len, müs­sen sich den Regeln des Platt­form­be­trei­bers Goog­le – oder, bei dem Betriebs­sys­tem iOS, den Regeln von Apple – unter­wer­fen, um über­haupt in das Ange­bot des App-Stores auf­ge­nom­men zu wer­den. Was für die Platt­form­märk­te App-Stores gilt, gilt mehr oder weni­ger auch für ande­re digi­ta­le Platt­for­men, wie sie zum Bei­spiel Ama­zon, Ebay oder auch Booking.com anbieten.

Fest­zu­hal­ten bleibt, daß Euro­pa und damit auch Deutsch­land das Ren­nen um Pri­vat­kun­den und die pri­va­te Nut­zung des Inter­net wohl bereits an die US-Netz­gi­gan­ten Goog­le, Apple, Yahoo oder Face­book ver­lo­ren haben; laut Mei­nung vie­ler Fach­leu­te ist der Vor­sprung der Ame­ri­ka­ner nicht mehr auf­zu­ho­len. Daß sich die US-Geheim­diens­te wie die NSA die­ses Poten­ti­als bedie­nen und mit den US-Netz­gi­gan­ten koope­rie­ren, um im glo­ba­len Wirt­schafts­krieg mit­tels Daten­ab­schöp­fung zumin­dest im Wes­ten die Spit­zen­po­si­ti­on der USA abzu­si­chern, kann auf­grund der Doku­men­te, die zum Bei­spiel der »Whist­le­b­lower« Edward Snow­den öffent- lich mach­te, als gesi­chert gelten.

Wie groß der Abstand Deutsch­lands zu den USA bereits ist, ver­deut­licht eine Stu­die der deut­schen Stif­tung Inter­net  Eco­no­my  Foun­da­ti­on, die im April 2016 vor­ge­legt wur­de. Auf eine Kenn­zahl sei hier vor allem ver­wie­sen: Die zehn größ­ten Netz-Unter­neh­men der USA waren zu die­sem Zeit­punkt mehr als 1,7 Bil­lio­nen Euro wert, wäh­rend es die zehn größ­ten deut­schen »Riva­len« gera­de ein­mal auf einen zwei­stel­li­gen Mil­li­ar­den­be­trag brachten.

Tobi­as Koll­mann, Beauf­trag­ter für Digi­ta­le Wirt­schaft in Nord­rhein-West­fa­len, und Focus-Chef­kor­re­spon­dent Hol­ger Schmidt bemän­geln in ihrem Buch Deutsch­land 4.0, daß das Ver­ständ­nis »für die bevor­ste­hen­den Ände­run­gen im digi­ta­len Zeit­al­ter in der deut­schen Wirt­schaft nicht ver­brei­tet« sei. Sei­tens der Pro­duk­ti­ons- und Fach­be­reichs­ver­ant­wort­li­chen feh­le nach wie vor die Ein­sicht dar­in, »in wel­chem Aus­maß tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lun­gen die Geschäfts­tä­tig­keit ihres Betriebs ver- ändern wer­den«. Das Man­ko der deut­schen Wirt­schaft sehen sie vor allem in einem fal­schen Ansatz, der mit dem bereits erwähn­ten Schlagwort

»Indus­trie 4.0« ver­bun­den sei: Die Digi­ta­li­sie­rung der Fabri­ken rei­che aus ihrer Sicht nicht aus, Wett­be­werbs­vor­tei­le auf Dau­er zu sichern. Die Kon- zen­tra­ti­on auf Effi­zi­enz­vor­tei­le in der Pro­duk­ti­on ver­stel­le den Blick auf die »nöti­gen Inno­va­tio­nen auf der Pro­dukt­sei­te, um die Kun­den­be­dürf­nis­se bes­ser zu befriedigen«.

Mit Bei­se und Schä­fer sind sich Koll­mann und Schmidt einig, daß Deutsch­land gute Chan­cen habe,  auf­grund  sei­ner  star­ken  Posi­ti­on  in  der tra­di­tio­nel­len Wirt­schafts­welt auch eine füh­ren­de Rol­le in der digi­ta­len Welt zu über­neh­men. Doch dafür müß­ten aus den bis­he­ri­gen Feh­lern die rich­ti­gen Schlüs­se gezo­gen wer­den, wenn ver­hin­dert wer­den soll, daß deut­sche Maschi­nen­bau­er oder Auto­her­stel­ler aus der ers­ten Rei­he ver­drängt wer­den. Nach Koll­mann und Schmidt wird das zukünf­ti­ge Wachs­tum davon abhän­gen, ob in Deutsch­land »eine digi­ta­le Markt­ori­en­tie­rung, eine digi­ta­le Wett­be­werbs­fä­hig­keit« geschaf­fen wer­den kann. Die Leis­tung dür­fe indes nicht am Werks­tor enden. Ohne ziel­ge­rich­te­te digi­ta­le Stand­ort­po­li­tik wer­de Deutsch­land, dar­über sind sich vie­le Fach­leu­te einig, trotz guter Vor­aus­set­zun­gen wei­ter an Boden ver­lie­ren, ja öko­no­misch womög­lich abge­hängt werden.

Die größ­ten Erfolgs­aus­sich­ten hat Deutsch­land bei  der  indus­tri­el­len Nut­zung des Net­zes. Hier hät­ten Euro­pa und allen vor­an Deutsch­land durch­aus gute Chan­cen, einen Gut­teil des Wachs­tums zu gene­rie­ren, wenn die Wei­chen auch poli­tisch in die rich­ti­ge Rich­tung gestellt würden.

Gefor­dert ist hier ins­be­son­de­re auch die Poli­tik,  deren  Ant­wor­ten auf die digi­ta­le Her­aus­for­de­rung bis­her unbe­frie­di­gend sind. Das beginnt bereits bei dem Umstand, daß die Feder­füh­rung für die Digi­ta­le Agen­da auf drei ver­schie­de­ne Minis­te­ri­en auf­ge­teilt ist, näm­lich die Minis­te­ri­en Wirt­schaft, Inne­res und Ver­kehr. Es braucht kei­ne tief­schür­fen­den Stu­di­en, um zu erken­nen, daß die­se Kon­stel­la­ti­on alles ande­re als effi­zi­ent   ist, selbst bei bes­tem Wil­len aller Betei­lig­ten. So sieht es  zum Bei­spiel auch der Blog Netzpolitik.org, betrie­ben von dem Jour­na­lis­ten Mar­kus Beckedahl.

Für eine sub­stan­ti­el­le Ver­bes­se­rung wer­den nach Koll­mann und Schmidt der­zeit drei Model­le dis­ku­tiert, die alle auf eine Bün­de­lung der Zustän­dig­kei­ten hin­aus­lau­fen. Die­se Bün­de­lung hät­te auch den Vor­teil, daß Deutsch­land eine »kla­re und star­ke digi­ta­le Stim­me nicht nur inner­halb von Deutsch­land, son­dern auch in Brüs­sel [habe], wo eine Viel­zahl der rele­van­ten Ent­schei­dun­gen für den ›digi­ta­len Bin­nen­markt‹ in Europa

anste­hen«. Es gäbe dann einen zen­tra­len Ansprech­part­ner für die ein­zel­nen Bun­des­län­der, bei denen die Koor­di­nie­rung der Umset­zung statt­fin­den müs­se – zum Bei­spiel für die The­men Breit­band­aus­bau und Bil­dung. Auf Lan­des­ebe­ne hal­ten die Autoren einen Staats­se­kre­tär für Digi­ta­les in den jewei­li­gen Staats- bzw. Senats­kanz­lei­en als Stra­te­gie- und Orga­ni­sa­ti­ons­stel­le für zielführend.

Bei­se und Schä­fer for­dern nicht nur einen Digi­tal-Minis­ter, son­dern gleich eine Digi­tal-Regie­rung, gehe es im »Inter­net der Din­ge« doch nicht bloß um eine »iso­lier­te Bran­che«, son­dern um unser »gesam­tes Leben und Arbeiten«.

Ob die Schaf­fung eines Digi­tal­mi­nis­te­ri­ums oder gar einer Digi­tal­re­gie­rung wirk­lich eine adäqua­te Ant­wort  auf  die  Her­aus­for­de­run­gen der Digi­ta­li­sie­rung ist, darf zumin­dest  bezwei­felt  wer­den.  Wich­tig  ist  die Schaf­fung ziel­füh­ren­der recht­li­cher und vor allem infra­struk­tu­rel­ler Rah­men­be­din­gun­gen, wofür es kei­ner Digi­tal­re­gie­rung bedarf. Die deut­sche Wirt­schaft beweist jeden Tag, daß sie sehr wohl selbst in der Lage  ist, Ant­wor­ten auf die digi­ta­le Her­aus­for­de­rung zu fin­den, wenn die Rah­men­be­din­gun­gen stimmen.

Nir­gend­wo fin­den sich im mit­tel­stän­di­schen Bereich zum Bei­spiel so vie­le »hid­den cham­pi­ons« wie in Deutsch­land. Die­se Mit­tel­ständ­ler aus den Bran­chen  Maschi­nen­bau,  Elektro‑,  Kfz-  oder Medi­zin­tech­nik bil­den neben Kon­zer­nen wie Daim­ler, Sie­mens oder SAP die Basis des deut­schen Wirt­schafts­er­fol­ges. Wei­te­re Welt­markt­füh­rer hat Bernd Ven­ohr in sei­nem Lexi­kon der deut­schen Welt­markt­füh­rer zusam­men­ge­tra­gen. Deutsch­land ist in der Kom­bi­na­ti­on von klas­si­scher Inge­nieurs­kunst mit Soft­ware nach wie vor füh­rend in der  Welt.  Zwar gibt es in Deutsch­land kein »Sili­con Val­ley«, aber es gibt »Hot­spots« der Grün­der­kul­tur, so im Süd­wes­ten, in Ber­lin oder in München.

Der Unter­neh­mens­be­ra­ter Bern­hard Lan­ge­feld plä­diert im übri­gen dafür, den Begriff »digi­ta­le Revo­lu­ti­on« nied­ri­ger zu hän­gen. »Die meis­ten spre­chen von der digi­ta­len Revo­lu­ti­on«, äußer­te er gegen­über der Zeit. »Aber im Bereich der Fabri­ken ist es eine Evo­lu­ti­on, eine Ent­wick­lung.« In die­se Rich­tung gehen auch die Argu­men­te des His­to­ri­kers Andre­as Röd­der, der in einem Inter­view mit dem Wirt­schafts­ma­ga­zin brand eins »einen wei­te­ren Beschleu­ni­gungs­schub einer grö­ße­ren, über­grei­fen- den Ent­wick­lung« orte­te, »die spä­tes­tens mit den ers­ten Eisen­bah­nen des 19 Jahr­hun­derts ein­setz­te«; er sieht nicht »den gro­ßen Bruch«, son­dern »viel­fäl­ti­ge Trans­for­ma­ti­ons­pro­zes­se«, die vor gut 100 Jah­ren mit der Elek­tri­fi­zie­rung ein­ge­setzt hät­ten. Die­se Schü­be wer­den von Unter­gangs- ängs­ten und Erlö­sungs­hoff­nun­gen begleitet.

Röd­der spricht von einem »Tri­ple A« im Umgang mit tech­ni­schem Wan­del: »Angst, Abwehr und Adap­ti­on«. Das liegt in der Natur des Kapi­ta­lis­mus, der eine ein­zi­ge Abfol­ge pro­duk­ti­ver Zer­stö­rung sei. Zur Beweg­lich­keit des Kapi­ta­lis­mus gehö­re, so Röd­der, daß »er auch Ant­wor­ten auf die von ihm pro­du­zier­ten Pro­ble­me zur eige­nen Wei­ter­ent­wick­lung nut­zen kann«.

Daß die­se »pro­du­zier­ten Pro­ble­me« noch in einer ganz ande­ren Rich­tung lie­gen könn­ten, als die Augu­ren der Digi­ta­li­sie­rung sug­ge­rie­ren, ver­sucht der US-Öko­nom Robert J. Gor­don zu ver­mit­teln. Er glaubt, daß  die »Inno­va­ti­ons­re­ser­ven« der »digi­ta­len Revo­lu­ti­on« »nicht die Macht [hät­ten], bedeu­ten­de Pro­duk­tiv­kräf­te zu ent­wi­ckeln, wie das Anfang des 20. Jahr­hun­derts geschah«. In den USA etwa, so Gor­don in einem Inter­view mit brand eins, wach­se »die Pro­duk­ti­vi­tät so lang­sam wie nie zuvor«. Seit Mit­te der 1990er Jah­re hät­ten wir, »abge­se­hen vom Smart­phone, kei­ne gro­ßen Sprün­ge mehrgemacht«.

Womög­lich ist der Blick Gordons zu sehr auf den Wes­ten fixiert,  spielt sich doch Chi­na der­zeit auch im Hin­blick auf die Digi­ta­li­sie­rung mehr und mehr nach vorn; dort geht auch die Digi­ta­li­sie­rung deut­lich schnel­ler vor­an als in Euro­pa. Chi­na ist bereits Welt­markt­füh­rer für Solar­zel­len, Han­dys, Mikro­chips, Dis­plays oder Droh­nen.  Die  Zeit,  in  der das Land vor allem als Imi­ta­tor west­li­cher Tech­nik in Erschei­nung trat, gehö­ren mehr und mehr der Ver­gan­gen­heit an, wie die gro­ße Zahl der ange­mel­de­ten Paten­te zeigt – laut Frank­fur­ter Rund­schau mehr als eine Mil­li­on im Jahr 2016 (Deutsch­land kommt auf etwas mehr als hun­dert­tau­send). Mit ande­ren Wor­ten: Mit dem Hype um die »Nerds«  von Sili­con Val­ley als Inbe­griff des Fort­schritts ist ein gehö­ri­ges Maß an Auto­sug­ges­ti­on ver­bun­den. Der Atem der chi­ne­si­schen Kon­kur­renz ist näm­lich bereits zu spüren.

Michael Wiesberg

Michael Wiesberg ist Lektor und freier Publizist.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)