Der Titel ist eine Anspielung auf Hayeks berühmtes Buch „Der Weg in die Knechtschaft“. Kralls Tätigkeit wird auch in konservativen Kreisen stark rezipiert. Krall gibt „Tichys Einblick“ regelmäßig Interviews und gehört zu einer libertär-patriotischen Gegenöffentlichkeit, die von Seiten wie „eigentümlich frei“ über „hartgeld“ und Thorsten Schulte bis David Berger reicht.
In jüngerer Zeit wurden heftige bis bösartig ideologische (eigentümlich frei) und persönliche (Berger) Attacken aus dem libertär-patriotischen Bereich gegen das nationalkonservative Lager geritten. Insbesondere auf YouTube verfaßte ein liberaler Autor und Philosoph, Gunnar Kaiser, eine ganze Reihe an kritischen Videos gegen die Identitäre Bewegung.
Die grundlegende Aussage der anti-identitären Kritik der Liberalen ist, daß das neurechte, nationalkonservative Lager den „Weg in die Knechtschaft“ vorbereite. Sie würden über eine oberflächliche und berechtigte Kritik der Migration und der herrschenden linken Ideologie im Geheimen eine eigene ideologische Übernahme vorbereiten. Das bestehende Unmutspotential und ihre Anhänger würden von ihnen damit an der Nase herumgeführt, denn im Grunde seien sie als „nationale Sozialisten“, dasselbe wie ihre Gegner.
Ich will in diesem Beitrag auf die Frage eingehen, ob etwas an dieser Kritik stimmt. Vor allem aber will ich eine Gegenfrage stellen: Sind es nicht eigentlich die Liberalen, welche sich selbst und ihre zahlreichen patriotischen Anhänger täuschen, indem sie einem Patriotismus und einer Migrationskritik das Wort reden, die sie aus ihrer eigenen Ideologie kaum begründen können?
Der Vorwurf, Nationalkonservative und Traditionalisten wären automatisch „Nationale Sozialisten“, ist lächerlich. Der Sozialismus und Marxismus stammen aus einer ideologischen Grundhaltung, die mit dem Liberalismus und sogar dem Islamismus mehr gemeinsam hat als mit dem Konservativismus.
Konservative sind Kritiker der Moderne und der Aufklärung. Liberale und Sozialisten sind Kinder der Aufklärung. Konservative kritisieren das moderne technizistische Weltbild, die moralische Dominanz des Hedonismus und Utilitarismus. Liberale und Sozialisten gehen völlig in diesem Weltbild auf und streiten sich nur darum, wer dem „pursuit of happiness“ besser dienen kann.
Sozialismus und Liberalismus tragen den Binnenkonflikt eines Metanarrativs aus. Grundbausteine ihrer Ideologie (Egalitarismus, linearer konvergenter Menschheitsfortschritt, Ökonomismus, Individualismus und Universalismus) ähneln sich daher stark. Den Staat als Wesenszug des Sozialismus und des Nationalsozialismus zu beschreiben und beide als „Vertreter des Etatismus“ zu brandmarken, ist eine ungeschichtliche, ideengeschichtliche Bankrotterklärung.
Der NS als „reactionary modernism“ (Jeffrey Herf) ist ein Zwitterwesen, das weder rein „sozialistisch“ noch „nationalistisch“ war. Der NS ist im Grunde eine moderne Religion.
Die Staatsfaschismuskritik des Libertären muß zudem, wie es Popper ehrlicherweise tut, bei Plato beginnen und darf weder Karl den Großen noch Cicero außen vorlassen, wenn sie ernsthaft sein will. Tatsächlich ist die einzig sinnvolle, philosophische Unterscheidung die zwischen modernistischen Ideologien – die Weltbild und Ontologie der Aufklärung gemein haben – sowie der Moderne kritisch gegenüberstehende Strömungen.
Differenzen im Lager der Fortschrittsapostel entstehen in der Frage, wer tragendes Subjekt und was leitendes Prinzip dieser neuen Ära sein soll. Das marxistische Projekt des totalitären Plans und des rationalen Weltstaats ist im direkten Konkurrenzkampf mit dem liberalen Projekt des laissez-faire gescheitert. Marx’ Prognosen, wonach ein gesamtgesellschaftlicher Plan mehr Wohlstand schaffen und dem anarchisch-mythischen Prinzip der Marktwirtschaft überlegen sei, haben sich als falsch erwiesen.
Doch in einem Punkt waren und sind sich Liberale und Sozialisten, sind sich Marx und Hayek einig: Nationale Identitäten und Nationalstaaten sind Wegwerfobjekte der Vergangenheit, „Völkerabfall“ (Engels) der Geschichte. Daß der Marxismus die Nation als eine primär ökonomische Gemeinschaft und Produkt der Klassengeschichte sieht, die in der klassenlosen Weltrepublik keine Relevanz mehr habe und allenfalls auf dem Weg dorthin befreiungsnationalistisch instrumentalisiert werden kann, ist allgemein bekannt.
Weniger bekannt ist, was die liberalen Vordenker von Nation und Nationalstaat halten. Friedrich Hayek schreibt in seinem Buch „Der Weg in die Knechtschaft“ folgendes:
„Die Gefahren, die sich aus der künstlich herbeigeführten Wirtschaftssolidarität sämtlicher Bewohner jedes einzelnen Landes (…) für den Frieden ergeben, liegen zwar weniger offen zutage, sind aber nichtsdestoweniger mit Händen zu greifen. Es ist weder notwendig noch wünschenswert, daß die Staatsgrenzen mit großen Unterschieden im Lebensstandard zusammenfallen, daß die Zugehörigkeit zu einer Nation das Anrecht auf einen Anteil an einem Kuchen geben sollte, der von dem der Angehörigen anderer Nationen völlig verschieden ist.“
- Weg in die Knechtschaft, S.200, Friedrich A. Hayek, 2014, Lau-Verlag München
Was Hayek uns hier liefert, ist nichts anderes als eine liberale Rechtfertigung des Bevölkerungsaustausch und der globalen Mobilmachung. Schon 1917 hatte er in einer Schrift eine „Entnationalisierung“ des Geldes gefordert. Nationen und Völker sind für ihn letztlich Hindernisse in einem Prozeß der globalen Produktivitätssteigerung.
Die internationale Mobilität von Arbeitskräften und das berühmte „Abstimmen mit den Füßen“ seien notwendige Grundlagen der Freiheit und des Fortschritts. Diese Ansicht hat sich heute an allen Universitäten durchgesetzt und ist eine Art Credo geworden. Die Autoren Thomas Straubhaar (Dozent der Friedrich-Naumann-Stiftung) und Achim Wolter (Unternehmensberater) nennen Arbeit einen „mobilen Produktionsfaktor“ und schreiben „zur Überwindung regionaler und sektorieller Arbeitsmarktungleichgewichte wird es heute immer dringlicher, nationale Arbeitsmärkte zu öffnen.“
Was bedeutet das? In der liberalen Weltsicht, in der die unsichtbare Hand des Marktes durch Konkurrenz und Konkurs, Angebot und Nachfrage, Innovationsdruck und freiem Wettbewerb den Aufstieg der Menschheit bewirken soll, sind Nationalstaaten Hindernisse. Im globalen Wettbewerb der Standorte, müssen die „Kunden“, also die Staatsbürger, das absolute und ungehinderte Recht haben zu migrieren.
Genau wie schlechte Unternehmen sollen so schlecht geführte Staaten eben „pleite gehen“, also ihre Einwohner verlieren. Genau das geschah in Osteuropa. Bulgarien hat bis 2017 41,5 % seiner 20 bis 45-Jährigen, Lettland 38 %, Rumänien 28 %, Litauen 24 % und Polen 17 % verloren. Die Lösung dafür haben die Wirtschaftsexperten vom Internationalen Währungsfonds auch parat. Auf sein Anraten hin importierte Rumänien billige Näherinnen aus den Philippinen.
Das muß aus Sicht mancher Liberaler so sein, denn jeder Versuch der Migrationsbeschränkung, also von Grenzpolitik zur Erhaltung einer künstlichen „Wirtschaftssolidargemeinschaft“ wäre Sozialismus, ergo Knechtschaft, ergo Gulag oder KZ.
Der ständige und freie Fluß von Migranten sei notwendig und gut zum Abbau unfairer Staatsbürgervorteile des Deutschen LKW-Fahrers gegenüber dem aus Rumänien. Seine „Leibrente“, also der höhere Lohn bei gleicher Arbeit, sei unbegründet und Ausdruck einer voraufklärerischen Idee nationaler Gemeinschaft. Diese Schutzgemeinschaft sei nicht nur unfair, sondern hemme den Fortschritt! Er muß und soll sich nach Hayek der global immigrierenden Konkurrenz stellen.
Ersetzungsmigration in den Westen sei, wie Neokonservative nimmermüde betonen, Ausdruck der Überlegenheit unserer Gesellschaft und solle uns zum Stolz gereichen. Sie diene langfristig unserem BIP, da wir uns beim Import von Fachkräften deren Ausbildungskosten und beim Import von demographischen Füllmaterial eine Reform unserer Familienpolitik ersparen. Wichtig sei nur, daß alles „legal und geordnet“ geschehe.
Der Bevölkerungsaustausch wird also als Nebeneffekt in Kauf genommen. Daß durch die Massenmigration ein geteilter Arbeitsmarkt entsteht, der soziale Mindeststandards unterminiert, und die Gesellschaft ethnisch unterschichtet, stellt Hannes Hofbauer in seinem Buch „Kritik der Migration” dar.
Der Wirtschaft, sofern sie bereits nach Hayek Diktum „entnationalisiert“ ist, kann das egal sein, da sie ihre Produktionsstandorte nach Belieben verlagern und Arbeiter über einen „Lohnsog“ anziehen und im Stich lassen kann. Das alles diene auf lange Sicht einer globalen Steigerung und Angleichung des Wohlstands, sei also sowohl sozial als auch wirtschaftlich zu bevorzugen.
Zu diesem Urteil kommt auch Paul Bou-Habib im „Journal for Political Philosophy“, im März 2019. In einem Essay mit dem Titel „The case for Replacement Migration“ kommt er zum Schluß, daß die Ersetzungsmigration in den Westen wirtschaftlich und moralisch besser sei als „pronatalistische Politik“. Am Ende soll der so mobilisierte Produktionsfaktor Arbeit wie das flüchtige Kapital auf der Suche nach besseren Investitionsmöglichkeiten um den Globus jagen bzw. gejagt werden. Das ist die Essenz des liberalen Denkens, das ungeschichtlich und monokausal den Staat als Ausdruck des Schlechten ablehnt.
Selbstverständlich existieren dazu einige abgemilderte Formen wie der Ordoliberalismus, auf den ich hier jedoch aus Platzgründen nicht eingehen kann.
Tatsächlich sind im strikt liberalen Weltbild Staats- und Identitätspolitik, sowie der Schutz von Grenzen zum Erhalt der inne liegenden Gemeinschaft nicht legitim. Es sind in ihren Augen Eingriffe in den privaten Rechtsbereich des Einzelnen. Damit sei jede Politik, die wie etwa in Japan oder Israel in das globale Wirtschaftstreiben eingreift, um die nationale Identität zu schützen, zwangsläufig Ausdrücke unaufgeklärter Mythomanie, Hindernisse des freien Fortschrittes und letztlich Akte der Gewalt und Unterdrückung.
Hayek sieht darin das konservative „Mißtrauen gegen das Neue und Fremde, (…) seine Feindseligkeit gegen den Internationalismus und seine Neigung zu einem betonten Nationalismus (…)“. Hierin macht er „eine weitere Ursache seiner Schwäche im Kampf der Ideen” aus.
Diese Schwäche ist insofern gegeben, als die Ideologie des Fortschritts, der Globalisierung und der Entwurzelung heute stark und geschichtsmächtig sind. Das macht sie aber nicht wahr oder gut. Erstaunlich ist, wie mit einem solchen Gedankengut im geistigen Gepäck ausgerechnet Liberale den Nationalkonservativen vorwerfen, sie würden ihre ideologischen Grundlagen hinter Migrationskritik verbergen. Tatsächlich ist es ihre Ideologie, die – ernst genommen – den Bevölkerungsaustausch, den Abbau aller Grenzen und die totale Mobilmachung des Menschen in einem Weltmarkt fordert.
MARCEL
Notwendige Klarstellung, danke!
Es gibt auch einen zynischen Liberalismus, dessen Schnittmenge zur anderen Seite größer ist (man kann eben statt kämpfen auch Geschäfte machen - wen interessiert da schon sowas wie "Ehre im Leib"?)
Schumpeter brachte das Dilemma einer reinen Marktwirtschaft so auf den Punkt: Sie zerstöre fortwährend ihre eigenen Voraussetzungen.
Letzlich frönt auch sie einem Primat der "Grenzenlosigkeit" inmitten einer Welt/ eines Lebens voller Grenzen.
Und dennoch sollte wir uns davor hüten, einen "Mikro-Bürgerkrieg" in der Mosaikrechten zuzulassen! Wäre ein Fest für unsere Feinde (die anderen sind Gegner, aber keine Feinde).