Schwierigkeiten vor allem mit der Existenz sogenannter intellektueller Rechter, die zum einen eine spürbare Konkurrenz um die Deutungshoheit darstellen und zum anderen nach dem Selbstverständnis der selbsterklärt „Anständigen“ gar nicht existieren dürften, da doch jeder – zumal nach hohen Dosen politischer Bildung und teurer Kampagnen – einsehen müßte, daß es rechts keinerlei Alternativen zu fordern und ebensowenig zu denken oder zu erwarten gäbe.
Ganz abgesehen von der Frage, inwiefern die politische Rechte das Böse ist oder will, wird sie von den Trägern des Banners „Gegen Rechts!“ auf das moralisch oder gewissermaßen ontologisch Böse reduziert, gerade dann, wenn es sich um intellektuelle Rechte handelt, denn alle anderen, etwa junge Rechte oder ausnehmend rechtsradikale Parteien, werden eher als unerzogen, unmündig oder erziehungsresistent identifiziert.
Intellektuelle Rechten gelten aber, weil sie es ja gerade kraft ihrer Bildung besser wissen müßten, als nahezu pathologisch, als fremdartig, falsch eingestellt, als irregleitet, also als prinzipiell gestört. Denn sobald es um das Böse geht, geraten Deutungsversuche in Schwierigkeiten, die auf dem christlichen oder aufklärerischen Erbe oder, besser gesagt, auf dessen illusionären, also verkürzten Anteilen aufbauen wollen.
Immanuel Kant – freilich ohne konkreten Bezug auf das damals politisch noch irrelevante Linke und Rechte – versuchte das Böse als das radikal Andere zu denken:
Dieses Böse ist radical, weil es den Grund aller Maximen verdirbt; zugleich auch als natürlicher Hang durch menschliche Kräfte nicht zu vertilgen, weil dieses nur durch gute Maximen geschehen könnte, welches, wenn der oberste subjective Grund aller Maximen als verderbt vorausgesetzt wird, nicht statt finden kann; gleichwohl aber muß er zu überwiegen möglich sein, weil er in dem Menschen als frei handelndem Wesen angetroffen wird.
Die Anlage zum Guten sind nach Kant die eigentlichen des menschlichen Wesens, der Hang zum Bösen jedoch erscheint „für die Menschheit zufällig“, obwohl er auch zum Menschsein gehört. Interessant: Kant unterscheidet im Menschen eine „Anlage zur Tierheit“, gewissermaßen „biologisch“, von der vernünftigen Anlage „für seine Persönlichkeit“.
Allein durch letztere kann der Einzelne ein moralisch zurechnungsfähiges Wesen werden, mithin eine Person, die individuell verantwortlich zu handeln versteht, insofern ihr die „Empfänglichkeit der Achtung für das moralische Gesetz, als einer für sich hinreichenden Triebfeder der Willkür“ in ähnlicher Weise eignet, wie der göttliche Funke den Menschen, christlich gesehen, zum Guten befähige.
Ist diese „Empfänglichkeit der Achtung“ nun bei manchen Menschen zu schwach ausgeformt, so ist der individuelle Hang zum Bösen, die „Verderbtheit (corruptio) des menschlichen Herzens“, allzu stark, wodurch die Anlage zur vernünftigen Menschheit, zur Autonomie, konterkariert oder gar pervertiert wird.
Statt vom moralischen Gesetz wird das Handeln durch individuelle Neigung bestimmt, verstärkt durch die „Gebrechlichkeit (fragilitas) der menschlichen Natur“ sowie „die Unlauterkeit des menschlichen Herzens“. Der Mensch verschließt sich dem Guten, das er an sich als vernünftig erkennen müßte.
Wesentlich mit Kant: Das Böse kann nicht als „Triebfeder“ an sich selbst gelten, nein, es handelt sich dabei um eine „Verkehrtheit (perversitas) des menschlichen Herzens“, die letztlich eben nicht oder nur ebenso schwierig zu erklären ist wie das Böse überhaupt. Man denke an die uralte Tradition der Gnosis oder an das Theodizee-Problem, mit dem die Theologie durchweg ringt.
Zurück in die Niederungen der Politik. Selbst wenn die Linke ihre Schwierigkeiten mit Carl Schmitt hat: Die Rechte ist ihr Feind, nur eben ein Feind, dessen Existenz sich von ihr kaum erklären läßt. Sie kann ihn sich nur als einen perfiden Manipulator, als Verführer und demagogischen Einflüsterer, als populistischen Ungeist denken, der das, was er verkündet, in sich doch eigentlich – wieder: vernünftigerweise – besser weiß oder wenigstens besser wissen müßte. Und das ist dann freilich noch böser!
Insofern der Rechte das, was er denkt und will, vorm Hintergrund des kategorischen Diktats der Aufklärung gar nicht wollen dürfte, erscheint es um so schäbiger, wenn er dennoch – also wider besseren Wissens, wie unterstellt wird – mit seinen Intentionen zu wirken versucht und namentlich die Jugend verführt, indem er sie vom Ursprung des Guten fernhält und für seine Zwecke instrumentalisiert.
Es anders sehen zu können, wenn die Linke oder die von ihr mittlerweile kulturell bestimmte Mitte es überhaupt wollte, bedeute zweierlei: Zum einen wäre der Mut aufzubringen, sich mit der geistigen Legitimität von Weltbildern zu beschäftigen, die die Aufklärung in ihrem Grundbestand u. a. anthropologisch kritisieren; zum anderen verlangte es den „Anständigen“ die Haltung ab, sich auf einen echten Diskurs einzulassen, den sie jedoch vermeiden wollen, weil es ihnen widerstrebt, überhaupt die Ursachen und Motive eines anderen Denkens gelten zu lassen, dem es seinerseits eben nicht um Unheil geht, sondern darum, den Menschen davor zu schützen.
Die Nachtseite des Menschlichen, das Ungeheure an ihm, die Abgründe und Gefahren, die in seinem Wesen selbst liegen, sind der aufgeklärten Linken wenigstens individuell nicht fremd, aber sie wollen dies alles gar nicht sehen, weil es nicht in ihr Weltbild paßt – selbst und gerade dann nicht, wenn sie das Kainsmal an sich selbst entdecken.
Dort, wo die Linke das Böse wahrnimmt, sind ihre Reaktionsmuster simpel. Ihr bleibt nur die aufklärerische Forderung nach Erziehung. Also hebt sie didaktisch den Zeigefinger und ruft: Seht her! Das darf nie wieder geschehen! – Daher bedarf sie immer neuer Gedenkstätten, längerer Menschenketten und all der Akte von Kerzenhalterei.
Es wird ja sogar so sein, daß wir dem Bösen immer pädagogisch begegnen müssen, aber um wirklich etwas zu bewirken, bedürfte es der Unerschrockenheit genauer Analyse des Menschlichen in seinem gesamten Spektrum. Indem sie den Menschen als grundsätzlich gut oder nur gut anzusehen bereit ist, versäumt es namentlich die Linke, ihm Grenzen zu setzen und läßt ihn folgerichtig entgrenzen.
Namentlich wenn von modernem Liberalismus die Rede ist, rufen Autoren gern die „jungen urbanen Schichten“ auf, die als Vorbild für eine Art neuen Menschen dienen: flotte Anywheres, die sich, gebildet und gut ausgebildet, als Leistungsträger verstehen, sich also ihren Hedonismus verdient haben, den sie glücklicherweise im Bio- und fairen Handel ausleben, schöne und gesunde Leute, die auf eine gefühlige Art und Weise „irgendwie links“, vor allem aber selbstverständlichst „gegen rechts“ und ethisch wie politisch sehr korrekt sind.
Sie werden als Gegenbild zum „Ewiggestrigen“, zum rechten Nationalisten und Quasifaschisten aufgerufen und gelten als der politevolutionär endlich vollzogene Schritt zum weltoffenen, toleranten, durchweg sich humanitär verstehenden Demokraten und Europäer der bunten und hippen Berliner Republik, die insgesamt endlich ihre Lehren aus der Vergangenheit zog. Dieser Mensch ohne Abgründe wird offenbar als mustergültig empfunden und stellt das Gegenbild zum Reaktionär dar, der den Menschen immer noch mitten im großen Drama begreift und mit hobbesianischer Furcht warnt und mahnt.
Es ist bedenklich, daß die „Mitte der Gesellschaft“ von einem linken Menschenbild bestimmt wird, auf dessen Konto nun mal gewaltige Verbrechen gehen. Der gebildete Teil der Linken weiß das. Er erklärt es selbst mit einer Kantischen Formel, meinend, der Wille immerhin wäre historisch aber gut gewesen, nur eben die Entartungen und Übertreibungen nicht. Daher die bekannten Reduzierungen: Lenin noch gut, Stalin dann böse. – Nein, es sind diese Entartungen und Übertreibungen, denen immer und überall Institutionen im Sinne eines Sicherheitsmanagements entgegengesetzt werden sollten. Genau dies strebt grundsätzlich eher die Rechte als „Reaktion“ an.
Der Streit um den Menschen, mithin um die Anthropologie, endet nie. Die Linke stellt sich der Kritik ihres eigenen Weltbildes nicht, sie will Faust ohne Mephistopheles denken und ihre Kritiker nicht zur Diskussion zulassen. Dennoch sammeln wir alle immer neue Erfahrungen mit uns und der Gesellschaft. Je nach diesen Erfahrungen schlug das Pendel gesellschaftlicher Kommunikations- und Herrschaftsformen nach links und rechts aus.
Gefährlich sind dabei die Extreme, denen stets aufmerksam vorgebeugt werden müßte. Bestimmt nur eine Seite, wird das nicht wirksam gelingen.
Grobschlosser
re : flotte Anywheres.
kann man ausbremsen .
ich bin da sehr kreativ .