Ein leeres Blatt

(Nach der gestrigen Diskussion in Dresden nachts noch aufgeschrieben, mit Dank an die Oswald-Spengler-Stiftung für die gute, konservative Runde.)

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Im Grun­de ein Zufall: Da wur­de ein altes VHS-Gerät vom Dach­bo­den her­un­ter­ge­tra­gen und abge­staubt, dann ein Kar­ton mit Kas­set­ten, zuletzt ein Fern­se­her, ein rich­ti­ges Möbel mit Röh­ren. Den gan­zen lan­gen Regen­sams­tag über dann die Kin­der: Immer die­ser Michel und Kli-Kla-Kla­wit­ter­bus und Unse­re klei­ne Farm.

Mit mei­nem Sohn abends in der Biblio­thek. Eine Kas­set­te ohne Beschrif­tung, dann grel­le Erin­ne­rung: ein exe­ri­men­tel­ler Film über Ernst Jün­ger, “Das aben­teu­er­li­che Herz”, aus den frü­hen Neun­zi­gern, in der Anfangs­sze­ne eine Sand­uhr, kolo­riert, panisch gefilmt.

Der Film ende­te, ich griff am Regal nach Jün­gers Sand­uhr­buch – kei­ne Lek­tü­re für einen Fünf­zehn­jäh­ri­gen, aber unter dem Ein­druck des Films bot sich eine Mög­lich­keit, über den Unter­schied zwi­schen dem mecha­nisch getak­te­ten Krei­sen einer Zei­ger­uhr und dem plas­ti­schen Abneh­men und Auf­häu­fen der Sand­uhr-Zeit ein Gespräch zu führen …

Aber da lief auf dem Fern­se­her ein Film an, den jemand auf den frei­en Platz der VHS-Kas­set­te auf­ge­spielt hat­te – ein Film­chen nur, eine Sze­ne eher, kei­ne zehn Minu­ten. Titel: “Ein lee­res Blatt”, zu sehen ein Podi­um, das von einem Mode­ra­tor und vier Teil­neh­mern besetzt war: einem Lin­kem, einem Liber­tä­ren, einem Ras­sis­ten (so stand das wirk­lich auf den Tisch­kärt­chen) und einem vier­ter, auf des­sen Kärt­chen nichts stand.

Der Mode­ra­tor stell­te Fra­ge nach den jeweils zen­tra­len ideo­lo­gi­schen Punk­ten und wand­te sich zunächst an den Linken.

Der begann über den Abbau von Hier­ar­chien zu spre­chen, über die Unter­schieds­lo­sig­keit von Mann und Frau, das Kon­strukt von Unter­schie­den über­haupt, die Eman­zi­pa­ti­on aus allen Bin­dun­gen, die Zufäl­lig­keit der Nati­on – und ja, es gebe einen Ziel‑, einen End­punkt der his­to­ri­schen Ent­wick­lung, nur habe die Bahn dort­hin eine Ablen­kung erfah­ren durch den Zusam­men­bruch der alter­na­ti­ven Ent­wür­fe des Ostens. Er ende­te mit den Wor­ten, daß er die Umris­se die­ses Umbau­plans dem­nächst in einem vier­hun­dert­sei­ti­gen Skript ver­öf­fent­li­chen werde.

Auf die Fra­ge des Mode­ra­tors, ob es ein sol­ches Staats- oder Gesell­schafts­we­sen irgend­wo gäbe oder je gege­ben habe, ant­wor­te­te der Lin­ke: »Noch nicht.«

Dann war der Liber­tä­re an der Rei­he: Für ihn sei­en alle »Ord­nungs­ge­bil­de« jen­seits der ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­run­gen zwi­schen frei­en Indi­vi­du­en repres­si­ve, gewalt­aus­lö­sen­de, gän­geln­de, räu­be­ri­sche, kor­rup­te Kon­struk­tio­nen schwa­cher Per­so­nen, gerich­tet aus­schließ­lich gegen die­je­ni­gen, die stark und frei genug sei­en, ein­an­der zu geben und zu neh­men, was jeder benö­ti­ge und her­stel­le, und zwar im Rah­men des ein­zig gerech­ten Aus­tauschs: des ewig aus­glei­chen­den, also har­mo­ni­schen Spiels frei­er Marktkräfte.

Der Weg zu die­ser Cho­reo­gra­phie aus Ange­bot und Nach­fra­ge ver­lau­fe frag­los über eine Zer­stö­rung der Staats­ge­bil­de jed­we­der Aus­for­mung. Und bevor der Mode­ra­tor sei­ne nai­ve Fra­ge stel­le, wol­le er gleich sagen: Nein, noch gebe es kein liber­tä­res Gebil­de von staats­ähn­li­cher Bedeu­tung, aber es wer­de in Plan­städ­ten und auf ölplatt­form­ähn­li­chen Kunst­in­seln expe­ri­men­tiert. Dar­über habe er soeben ein zwei­bän­di­ges Manu­skript eingereicht.

Anders als sei­ne Vor­red­ner sprach der Ras­sist vol­ler Res­sen­ti­ment und Abwehr. Ja, er wis­se, daß er ver­meint­lich his­to­risch wider­legt sei, ja, er müs­se natür­lich eine Ant­wort geben auf den eli­mi­na­to­ri­schen Cha­rak­ter, den die Umset­zungs­ver­su­che ras­sisch ein­deu­ti­ger und domi­nie­ren­der Groß­ge­bil­de ange­nom­men hät­ten, aber dennoch:

Mit irgend­wel­chen halb­ga­ren Berich­ten von rela­ti­ver Homo­ge­ni­tät, Kul­tur­na­ti­on, his­to­ri­scher Ent­wick­lung und Ein­ver­lei­bung müs­se man ihm nicht kom­men. All das: Ver­wi­schun­gen, Ver­zär­te­lun­gen, man­gel­haf­te Deut­lich­keit. Die Neu­ord­nung der Welt sei hier – er klopf­te auf einen dicken Packen Papiers – von ihm nie­der­ge­schrie­ben wor­den und wer­de im Selbst­ver­lag erschei­nen. Von Mode­ra­to­ren­sei­te: kei­ne Fra­gen mehr.

Dann erhielt der vier­te das Wort, der mit dem unbe­schrif­te­ten Tisch­kärt­chen. Er sei, sag­te er, fünf­tau­send Jah­re alt oder noch älter, er wis­se es nicht. Er habe jeden­falls seit jeher mit dem zu leben und das aus­zu­ba­den, was auf ihn käme: har­te Arbeit, Miß­er­folg, Krank­heit, Unwet­ter, Schick­sals­schlä­ge, Tod, die Epo­che, die Zeit, die paar Jahr­zehn­te, die ihm geschenkt, gege­ben, auf­er­legt sei­en, und das sei mehr als genug.

Gott­lob habe es immer wie­der Zei­ten gege­ben, in denen (aus Erfah­rung klug, durch Erschöp­fung gezwun­gen) sich Men­schen wie er hät­ten durch­set­zen kön­nen, um Ord­nung zu schaf­fen und jeden zum Teu­fel zu jagen, der, zum Ver­derb unzäh­li­ger, an die Umset­zung irgend­wel­cher Expe­ri­men­te und Ver­rückt­hei­ten und grö­ßen­wahn­sin­ni­gen Ent­wür­fe hat­te gehen können.

Ob er das irgend­wo theo­re­tisch nie­der­ge­legt habe, woll­te der Mode­ra­tor wis­sen. Nein, sagt der ohne Tisch­kärt­chen, er hal­te das Nor­ma­le nicht für erklä­rungs­be­dürf­tig. Aber er kön­ne gern ein paar Eck­punk­te notie­ren, er brau­che dazu bloß ein lee­res Blatt. Er griff nach dem Kärt­chen, das vor ihm stand, glät­te­te den Knick.

Die Kame­ra schwenk­te über sei­ne Schul­ter, wäh­rend er schrieb: Fami­lie, Kin­der, Arbeit, Fleiß, Dank­bar­keit, Gar­ten, Hegung, Acht­sam­keit, Gren­ze, Eigen­tum, Ehr­furcht, Zunei­gung, Gott, Horchen, …

Die ande­ren drei schau­ten ihm eine Wei­le zu, dann gerie­ten sie über irgend­et­was in Streit, und wäh­rend der Namen­lo­se wei­ter­schrieb (Erzie­hung, Wach­sam­keit, Dienst, Lage, Ver­tei­di­gungs­be­reit­schaft, Thy­mos, Revol­te, Staat …), riß das Film­chen ab.

Irgend­et­was Ent­schei­den­des fehl­te noch, irgend­et­was von außen. Und wer das wann gedreht hat? Kei­ne Ahnung.

– – –

(Die Teil­neh­mer am gest­ri­gen Podi­um, Albrecht Gla­ser, Dr. Marc Jon­gen, Dr. Maxi­mi­li­an Krah und der Mode­ra­tor Mat­thi­as Moos­dorf, hat­ten – wie ich selbst – kei­ne Tischkärtchen.)

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (32)

Homeland

23. November 2019 12:10

Im Nichtwissen um Inhalt und Verlauf des Podiums um Moosdorf herum, erlaube ich mir insoweit in Vorlage zu gehen und zu behaupten: Wenn des Namenlosen Attribute eine Norm entfalten sollen, dann müssen sie aus der Diskussion in formale Normen, will heißen Verordnungen und Gesetze, überführt werden, also Stuhlkreise, Foren und Studienformate verlassen, ins Konkrete gehen. An dieser Stelle, an der das für die einen Vernünftige Fuß faßt wird schon die Freiheit der anderen berührt.

Ohne konkret werden zu müssen taugen wohlfeile und erhabene Lebensformeln nur im politischen Vorfeld. Wenn die Wahrheit in Worte gefaßt werden muß, sind die liberalen Fenster in der rechten Sicht - denn so verorte ich den Namenlosen - zwingend. Das Zeitlose zu fassen sollte also unser Anliegen sein. Die Fenster zu liefern, ohne das Konservative zu offenbaren, ist die Brücke, der Handschlag "nach drüben", ein Entwurf der Politik zum Geleit.

LotNemez

23. November 2019 12:14

Für mich steht das leere Blatt auch symbolisch für das Dilemma des Konservatismus. Dieser hat keine Fahne, hinter dem sich Anhänger scharen könnten. Keine Ideologie, "nur" ein Ja zum Leben. Familie, Kinder, Arbeit, Fleiß, Dankbarkeit... was ist das schon für eine Programmatik? Immerhin könnte es eine werden, wenn dies alles abhanden kommt. Aber dann ginge es ja nicht mehr ums Bewahren sondern um ein erst noch herzustellendes Konstrukt. Was aber ewig bleibt, ist die innere Souveränität, mit der der Konservative auf die Moderatorenfrage zu antworten vermag. Dafür muss er lediglich die Geschichte der Menschheit kennen.

Jemand sagte mir, "Mensch", das sei für ihn mittlerweile das schlimmste Schimpfwort. Man solle das doch überwinden. Ich entgegnete ihm, da sei Gott vor und, man wisse nie, wozu es nochmal gut sei. Et voilà. Selbst, wenn einmal alles vermischt sein sollte, die Herkunft des Menschen bliebe doch all das, wovon das Leben abhängt.

Eine Frage habe ich zum Leitspruch der Spenglerstiftung. "Eine Lobby für die Freiheit" - wie ist das in diesem Zusammenhang gemeint?

Monika

23. November 2019 12:31

Wer es wann gedreht hat ? Keine Ahnung?
Doch, einer, der Begriffe wie Hegung und Thymos verwendet. Diese Worte habe ich nie aus dem Mund meines Vaters gehört. Alle anderen schon. Er war in der Tat ein Mann ohne Tischkärtchen, ein Mann, der das Normale nicht für erklärungsbedürftig hielt.
Wie frei von all dem geistigen Müll wir Kinder aufwachsen konnten.

Franz Bettinger

23. November 2019 13:10

Der Namenlose mit dem leeren Blatt ist der Rechte, der Ja sagt zur Natur und zu allem was normal (ohne Erklärung, selbstverständlich) ist. Der Rechte richtet (hin und wieder) das Krumme, das Gewollte und das Künstliche der anderen drei, jenen Schwärmern von künftiger Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit.

Waldgaenger aus Schwaben

23. November 2019 13:50

Nette Geschichte von den vier Idealtypen. Ich befürchte nur, dass sie bald von der Wirklichkeit überholt wird. So verrückt ist die Zeit, in der wir leben. Man lese nur den pseudo-philosophischen Stuss, den Habeck zusammen schreibt:

https://www.nzz.ch/meinung/europas-traum-und-trauma-der-zukunft-den-ruecken-kehren-ld.1516719

Und der hat gute Aussichten Kanzler zu werden.

Der Gehenkte

23. November 2019 14:04

@ Monika

Die Hegung (oder Hege) ist Heidegger ("Die Frage nach der Technik", "Humanismusbrief"), der Thymos ist m.W. erst von Sloterdijk 2006 ("Zorn und Zeit") in die deutsche Diskussion eingetreten - das macht diese wunderschöne Parabel wohl eher als Lehrstück erkenntlich.

brueckenbauer

23. November 2019 14:12

Das gelebte Leben ist ja sicherlich wichtiger als alle dicken Bücher.
Aber ist es nicht ein bisschen pervers, wenn ein Verleger diesen Standpunkt vertritt? Was hätte wohl sein Autor Sieferle dazu gesagt? (Wenn Kubitschek wenigstens Hautarzt wäre wie Benn; dann könnte das als Altersweisheit durchgehen!)
Können wir uns vielleicht darauf einigen, Bücher danach zu beurteilen, ob sie zum richtigen Leben hinführen oder davon wegführen? Aber dann kann man die "Zukunftsschwärmer" und "Weltverbesserer" nicht so einfach abtun.

antwort kubitschek:
ich habe nur den inhalt des filmchens wiedergegeben. mein standpunkt? lesen Sie unsere bücher und die, die wir empfehlen ...

Gracchus

23. November 2019 14:41

Den Jünger-Film habe ich im Netz gefunden. (Dabei auch ein Kluge-Gespräch mit dem Schauspieler und Raucher Martin Wuttke über Jünger). Der andere Film spielt sich im Kopfe Kubitscheks ab, auch wenn Kubitschek selbst nicht weiss, wie dieser Film aus unvordenklichen Zeiten da hineingeraten ist, jedenfalls nimmt er keine Urheberschaft dafür in Anspruch. Auch darin spiegeln sich Form und Inhalt in diesem Stück, ich würde es ein Capriccio nennen, und eben darin ist es auch der Form nach eine Hommage an Jüngers Abenteuerliches Herz.

Die Botschaft? Dass sich rechtskonservatives Denken nicht diskursiv entfalten lässt? Weil es sich aus Quellen speist, die dem diskursiven Verstand nicht zugänglich sind, auch wenn er sich davon nährt? Einem anderen Zeitempfinden angehört, das nicht der mechanischen Zeit gehorcht?

Wenn das, was der Schreiber aufkritzelt, das Normale ist - so scheinen die Zeiten, wo sich dieses Normale durchsetzt, paradoxerweise Seltenheitswert zu haben, so dass man sich fragt, ob es wirklich das Normale ist. Dann wenn Klugheit oder Erschöpfung einkehren. Also dann, wenn der kollektive ideologische Rausch abklingt. Etwas Ähnliches hat Houellebecq in seiner Schirrmacher-Preisrede angedeutet. Viel anderes bleibt einem - der Tugend der Klugheit gehorchend - nicht übrig, als möglichst Abstand zu halten und Schadensbegrenzung zu betreiben, wenn sich das Kollektiv wieder in einem Rausch befindet und an einem Punkt angelangt ist, wo sich diese unbewussten Kräfte nur mehr schwer in vernünftige Bahnen lenken lassen.

Letztlich frage ich mich aber, ob der Begriff "Das Normale" so glücklich gewählt ist. Spontan würde ich Wörter wie das "Elementare" oder "Notwendige" vorziehen.

Monika

23. November 2019 14:58

@ der Gehenkte
Eben ! Mein Vater hat weder Heidegger noch Sloterdijk gelesen. Das tat seine Tochter. Und kam darüber mit ihm ins Gespräch. Zunächst über kindliche philosophische und theologische Fragen. Es gibt keine leeren Blätter ! Es gibt aber verborgene Worte. Die besten Lehrstücke schreibt das Leben.
Dieses Thema behandelt Ulla Hahns Buch „Das verborgene Wort“. Wunderbar verfilmt von Hermine Hundgeburth in
„Der Teufelsbraten“.
https://de.wikipedia.org/wiki/Teufelsbraten

Thomas Martini

23. November 2019 15:12

Der Typ in Kubitscheks schön geschriebener Geschichte, der ohne Tischkärtchen, das ist ein Mensch ohne Phantasie. Der eher blassgraue Einfallslose, seit jeher auf die Defensive eingestellt. Solche Menschen sind wichtig, aber an ihnen hängt die Schöpfung nicht. Das lese ich aus Kubitscheks Beitrag raus. Bestenfalls kann der „Konservative“ versuchen, die Schöpfung zu bewahren.

Dabei sitzen die „Normalen“ ohne Tischkärtchen in der Zwickmühle: Ihnen bleibt heute nichts anderes übrig, als das Erbe der Nachkriegsordnung zu bewahren. Alles andere käme einem Umsturz gleich. Man müsste sich „durchsetzen können, um Ordnung zu schaffen und jeden zum Teufel zu jagen, der, zum Verderb unzähliger, an die Umsetzung irgendwelcher Experimente und Verrücktheiten und größenwahnsinnigen Entwürfe“ (G. Kubitschek) bastelt.

Davon sind die „Neuen Normalen“ soweit entfernt wie die Zeugen Jehovas davon, eine Weltreligion zu begründen. Die Vorstellung, dass es dem konservativen Typ in Deutschland gelingen könnte, eine – sagen wir es vorsichtig – Wende herbeizuführen, erscheint mir völlig utopisch.

Ein gebuertiger Hesse

23. November 2019 17:26

Ein Bericht wie ein kurzer, schmerzhaft intensiver Fiebertraum, dessen Szenerie und Ausgestaltung die inhaltlichen Abgründe erst richtig fühlbar werden läßt. So unheimlich las sich Kubitschek noch nie. Man fühlt sich wie bei Kafka oder David Lynch.

sokrates399

23. November 2019 20:07

Wie findet man die Worte, die auf dem Kärtchen stehen? Vielleicht sollte man doch den Meister aus Meßkirch zu Wort kommen lassen: „Aber wir sind daraufhin angesprochen, im wachsenden Licht des Rettenden zu verhoffen. Wie kann dies geschehen? Hier und jetzt und im Geringen so, daß wir das Rettende in seinem Wachstum hegen. Dies schließt ein, daß wir jederzeit die äußerste Gefahr im Blick behalten.“ (Die Frage nach der Technik S. 54)

Fredy

23. November 2019 21:53

Ein echter Kubitschek. Bei mir flimmert es noch, der Abspann läuft, man will noch nicht aus dem Kino, macht sich Gedanken ...

Nemo Obligatur

23. November 2019 22:12

Das geht sogar noch kürzer: "Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott."
Micha 6,8

Simplicius Teutsch

23. November 2019 22:53

„nachts noch aufgeschrieben“

Ihre nächtlichen Gedankenstreifen, @lieber Götz Kubitschek, berühren meine heutige nächtliche Stimmung … nach einer Woche mit sechs Arbeitstagen.

Ich würde Ihrer Aufzählung gerne noch ein paar Begriffe/Eigenschaften hinzugeben, wie ich sie mir für die Beschreibung eines idealtypischen Konservativen gut vorstellen kann: Sehnsucht, Liebe, Feiern, Mut, Standhaftigkeit, Rücksicht, Toleranz, Tradition, Offenheit, Freigebigkeit; - Bauer, aber auch Krieger ...

Bevor ich Ihren obigen Beitrag las, habe ich mir vorhin zufällig ein Lied von Joachim Witt (mehrfach) angehört oder neudeutsch "reingezogen", das ich erst heute entdeckt habe. Ich hoffe, ich schade dem Musiker nicht, indem ich hier in diesem rechten Kreis seinen Namen wohlwollend nenne und den Text von
„Mut eines Kriegers“ zitiere:

Eine ferne Stimme
Die deinen Namen ruft
Sie zeigt uns den Weg
Wir brechen auf

Letzter Außenposten
Vor der Nebelwand
Keiner weiß was jetzt passiert

Kühne Gedankenspiele
Befeuern den Geist
Wer wird sich je erinnern
Was geht und was bleibt?

Allen voran mit dem Mut eines Kriegers
Bist du dabei und nie allein
Unverzagt und mit all unseren Liedern
Wird deine Reise nie zu Ende sein
Du bist frei
Du bist frei

Alle Macht der Erde
Ist in uns verbaut
Zwanzigtausend Jahre Mut und Angst

Großes Schloss der Freiheit
Stehen vor deinem Tor
In das kein Schlüssel passt

Immer nach Sternen gegriffen
Doch fast nichts erreicht
Wer wird sich je erinnern
Was geht und was bleibt

Die letzte Strophe ist ziemlich deutsch … und nicht gerade Ausdruck von duldendem Konservatismus.

zeitschnur

23. November 2019 23:31

Okay - hatte ich nicht gerade vor ein Tagen gesagt, ich habe keine Lust, mich in eine rechte Schublade zu begeben, und ich finde, es genügen die gewissen Tugenden (Thymos war auch bei mir nicht dabei, brauch ich nicht unbedingt, geht auch so)?
Nun sehe ich aber diese Story nicht so, als sollte das leere Blatt als Ideal, als Position des Gerechten gegenüber den Teufeln dargestellt werden.
Es ist ein Paradox - alle, die ihre Blätter beschriften mit einem Ismus, sind Gewalttäter und Fanatiker vor lauter Gutmachenwollen (im letzten Ende), also "Experimentierer auf aller Kosten", aber sie drängen auf ihre Ziele zu und dies mit aller Kraft. Eine gewisse Schonung vor ihnen bleibt nur solange gewahrt, solange gleich mehrere von der Sorte um die Macht ringen und sich gegenseitig in Schach halten. Doch wehe, wenn sie losgelassen!
Nur - der mit dem leeren Blatt scheint ihnen nicht gewachsen zu sein, weil er nicht ihren Missionsdrang hat. Er jammert herum wie ein Rechter: ich Armer, ich bin 5000 Jahre alt (war vor der Sintflut alles besser?), und ich bin der, der eigentlich arbeitet, von dem alle leben, und ich bin ja so demütig, und mit mir kann man's ja machen. Hach, ich bin einfach zu gut für die Welt. Ein Märtyrertyp eben.
Während die Gewalttäter und Ideologen Monumentalwerke schreiben gefällt sich unser rechtes Opfer in Normalität und Larmoyanz: Üb immer Treu und Redlichkeit bis an dein kühles Grab ...

Ist doch klar, was dann kommen müsste: "Was ist eigentlich normal?" Oder: "Wie begründet der Typ eigentlich seine Werte?" Und so weiter.

Normal ist das, was zur Norm wird oder bei einer Mehrheit der Dinge so und so angetroffen wird, wenn man sie lässt.
Meine Rede, hurra: Lasst doch die Leute einfach machen, das pendelt sich von selbst ein. Ach ja, wirklich - werden Werte nicht immer irgendwie "gemacht", manipulativ, mehr oder weniger unter Gruppendruck?
Puh. Irgendwie muss für Recht und Ordnung gesorgt werden. Aha, und wer definiert Recht und Ordnung? Fällt das vom Himmel? Hm.
Ich sage: Gott.
Bitte nicht gleich wieder losspringen, das sind Gedankenspiele, okay?
Woher weißt du denn, was Gott denkt - das fragte einer ja neulich auch hier im Forum.
Also, was kommt jetzt noch mal auf mein Täfelchen drauf?
Und kann man den Ismus der anderen nicht auch auflösen in Tugendbegriffe?
Also: Gerechtigkeit beim Linken, Freiheit beim Libertären, Deutlichkeit beim Rassisten. Oder so.
Ist es überhaupt realistisch, dass man Ideale und Wertbegriffe für normal hält, aber nicht erklären kann, wie man zu ihnen kommt? Ist es dem Menschen überhaupt möglich, theoriefrei in Gemeinschaft zu leben?

Die Story ist wie ein Kippbild.

Franz Bettinger

23. November 2019 23:40

@Monika meint, es gäbe keine leeren Blätter. Nun, Tiere schreiben nichts auf, und doch verhalten sie sich von Natur aus richtig. Bedruckt ist bei allen Lebewesen, Pflanzen wie Tieren, dennoch enorm viel, viel mehr als was später im Leben erworben wurde, nämlich alles, was vererbt wird. Der Genetische Code, die DNS, das ist das Pendant zu vollgeschriebenen Blättern. In sofern hat Monika wieder recht.

@Gracchus hat recht, wenn er sagt, Das ’Normale’ könne es doch nicht sein, das Wort sei schlecht gewählt. - Normal kommt von Norm. Die Norm wird (normalerweise, ha) über die Zahl definiert, nicht über das Natürliche, das der Natur entsprechende einer Sache. Was die meisten tun und für richtig halten, gilt nicht, nein es IST (und leider manchmal zu unrecht) normal. Es ist gesetzt, und wie jedes Gesetz kann es, an der Natur der Sache völlig vorbei, egoistischen Gründen dienen (offene Grenzen, Emanzipanz, Gender...). Was normal ist, ändert sich mit der Zeit. Sklaven, Steinigungen, Kreuzigungen, Kinderehen, Verschleierungen von Frauen, all das war einmal ganz normal und ist es teils noch. Normal ist heute koma-saufend auf Malle zu chillen. - Ich war in diesem Sinne nie normal. Seltsam, aber das Normalsein hat mich immer abgestoßen. Bedeutet dies, dass viele Verhaltensweisen (Mode, Sex) ganz unnatürlich sind und ich dies intuitiv erkannt habe? Gut möglich.

Franz Bettinger

23. November 2019 23:53

@Thomas Martini kommt mir in gewisser Weise - und ich meine das nicht geringschätzig, sondern sogar mit einer gewissen Ehrfurcht - wie ein Autist der Marke Asperger vor, der manche Aspekte des Lebens aus seiner speziellen Ecke, seinem 'überirdischen Winkel' heraus, mit einem Blick und besser als alle anderen erfasst und - zum Schrecken vieler ‚Normaler' - brutal offen formuliert. No harm intended (=nix für ungut), Thomas!

Fredy

24. November 2019 00:46

Dieser Film ist symptomatisch für den Konservativen. Er ist moralisch-ethisch noch besser als der grün-linke, aber er lässt das Blatt leer, sprich er ist eigentlich unpolitisch, er will nur leben, sicher, er ist das Leben, aber weil er sich nur auf sein Leben konzentriert, ist er eben unpolitisch. Politisch ist, wer mehr als nur über sein eigenes Leben bestimmen will. Aber schreiben können die Konservativen gut. Verdammt, der Film war Klasse. Aber eben Independent.

Pit

24. November 2019 03:06

Philosophisch interessant... wie ich immer sage, der Kopf führt in die Irre... jenseits der Theorien, intuitiv, sind die Antworten nicht so schwer, wie man die Welt gerne hätte.
Dann aber: wer hindert denn die "Normalen" daran, "normal" zu sein?
Wenn man hinguckt, wer das verhindert... wer es wirklich ist, der einem da sofort auf die Finger haut... wenn man diesen Kaninchenbau mal versucht so weit wie möglich nachzustöbern: da kann man vermutlich Wichtiges lernen (meine Antwort ist ja immer "deep state"... über diese jahrtausendealte Hintergrundmacht wird m.E. zu wenig gesprochen. Aber auch: liegt es vielleicht auch an einem Autoritarismus, daß "rechts" nicht gewohnt ist, selber aufzustehen?).
Was ist mein Interesse? Wer ist der Feind? Nicht genug Klarheit hier bisher (m.E.).

Thorsten B

24. November 2019 08:52

"Aber da lief auf dem Fernseher ein Film an..." eine bildschöne Überleitung - - - wie mit dem Hinweis auf das "abenteuerliche Herz" - "Aufzeichnungen bei Tag und Nacht" angedeutet wechselt der Text von der seismographischen Beschreibung der Realität in die mystische Wahrnehmung des Träumers.
*
Ist es nicht dieser Sinn, dass da in der Welt mehr ist als wir mit unseren beschränkten Sinnen wahrnehmen können, nach Mohler: "Wie kann ein Mensch .. auf die Idee kommen, er könne mit seinem Gehirn den Gang der Welt bis in alle Verästelungen nachvollziehen", bei Spengler das "Kosmische", bei Jünger der "stereoskopische Blick" der oft übergangslos von der Realität in die Traumwelt gleitet... ist es nicht dieser Sinn, der uns Konservative auszeichnet?
*
Dieser Sinn, das Gefühl, dass da ein grösseres Ganzes ist, dass wir aber eben nicht direkt wahrnehmen können, was sich in Träumen aber äussert führt letztlich zu eben jener Demut, dass wir nicht glauben, der Mensch könnte die ideale Welt konstruieren.
*
Zusammengefasst, könnten es vielleicht zwei Worte sein, die noch auf die Liste des Namenlosen fänden: Träume, Demut?

Monika

24. November 2019 09:53

Beim Martin , dem Heidegger’schen wird man schnell fündig:
„Soll aber der Mensch noch einmal in die Nähe des Seins finden, dann muss er zuvor lernen, im Namenlosen zu existieren. Er muss in gleicher Weise sowohl die Verführung durch die Öffentlichkeit als auch die Ohnmacht des Privaten erkennen. Der Mensch muss, bevor er spricht, erst vom Sein sich wieder ansprechen lassen auf die Gefahr, dass er unter diesem Anspruch wenig oder selten etwas zu sagen hat.“
In:Über den Humanismus, Martin Heidegger

Haha, mein eingebauter Verfolger schlägt mir bei Martin zuerst Lichtmesz, dann Mosebach und dann erst Heidegger vor...

quarz

24. November 2019 12:07

@Bettinger

"Was die meisten tun und für richtig halten, gilt nicht, nein es IST (und leider manchmal zu unrecht) normal"

Nun ja. Begrifflich ist die Norm, wie der Name schon sagt, normativ und steht diesbezüglich in einem Spnnungsverhältnis zum rein Deskriptiv-Faktischen, dem sie ja ein Sollensziel setzt. Insofern kann die Norm nicht selbst aus dem Faktischen abgeleitet werden. Was mit der Rede von der "normativen Kraft des Faktischen" daher sinnvollerweise allenfalls gemeint sein kann, ist der Umstand, dass das Faktische ursächlich dafür sein kann, was die Leute für verwirklichenswert HALTEN. Das Faktische liefert eine Erklärung für das, was die Leute diesbezüglich glauben, aber es liefert keine Begründung für den Inhalt dieses Glaubens.

In einem trivialen, vermutlich daraus entstandenen Sinn des Wortes gilt das Normale deshalb einfach als das Durchschnittliche. Eine semantische Analyse offenbart aber eben, dass dies lediglich darauf verweist, was der Durschnittszeitgenosse glaubt, dass es sein bzw. geschehen soll, nicht aber, was es denn sei, das sein bzw. geschehen soll.

Das Durchscheinen der Kernbedeutung findet man mitunter selbst bei Leuten, die jeglicher metaphysischer Verstiegenheit gänzlich unverdächtig sind. So verweist C.F.v.Weizsäcker darauf, dass Konrad Lorenz seine Wissenschaft auf die ideale, nicht auf die empirirische Graugans bezogen hat. Er hatte bestimmte Vorstellungen davon, wie das Verhalten der Gans sein soll und war dann ziemlich verärgert darüber, wenn das eine oder andere Federvieh (trotz der vielen Forschermüh') sich nicht der Norm gemäß verhielt.

Dachs

24. November 2019 12:14

@ Thomas Martini
beschreibt die Zwickmühle ganz gut, ohne aus ihr herauszufinden, mit seinem Satz über die Normalen:

»Ihnen bleibt heute nichts anderes übrig, als das Erbe der Nachkriegsordnung zu bewahren.«

ist das so?
Zwei B zerlegen derzeit in den USA das Lager US-Opposition um den Kriegsverbrecher Obama: Biden & Burisma.
Die Kreaturen der von Obama und Clinton gegen Deutschland und Europa gerichteten weapon of mass migration werden derzeit als "IS-Familien" an die Haustür der Regierung Merkel geliefert – ausgerechnet vom Türsteher Erdogan. Und Merkels Außenamts-Chef muss stammeln, weil Saudi-Arabien die G20 im Jahr 2020 leiten wird.

Der verdiente Staatsbedienstete Andreas Temme könnte das Glas heben und dem verdienten Staatsbediensteten Maas zuprosten: »Darauf ein Felgenreiniger!«

Hongkong, Iran, Chile, Bolivien, Venezuela, Jemen – die Relotius-Medien sind nicht in der Lage, vernünftige geopolitische Einordnungen abzuliefern, weil sie damit beschäftigt sind, jeden Tag den amtierenden POTUS Trump zu beleidigen und den britischen Premierminister als Trottel zu zeichnen.

Nur Narren können glauben, dass wir dies noch lange von der VIP-Lounge aus besichtigen können, weil es ein paar Flugstunden von uns entfernt ist.

Die Nachkriegsordnung steht vor unseren Augen in voller Ausdehnung in Flammen und für die Normalen kann nur gelten: "Meyn Geduld hat Ursach".

Aber wer das Eigene, Familie, Kinder, Arbeit, Fleiß, Dankbarkeit, Garten, Achtsamkeit, Ehrfurcht, Zuneigung, Gott, Hegung – und auch die Hagebuche, den Hag, der dies umfriedet – die Grenze, Wachsamkeit, Dienst, Lage, Verteidigungsbereitschaft auf dem Zettel hat, sollte vorbereitet sein.

zeitschnur

24. November 2019 13:02

Man kann aber auch noch auf einen anderen Gedanken kommen:
Alles Politische kann den Menschen und die "Überfülle der Tugenden" nur verfehlen. Der mit dem leeren Blatt kann nur deshalb eine endlose Kette an Tugenden aufschreiben, WEIL er unpolitisch ist. Die Frage, wie er zu diesen Tugenden kommt, sei einmal dahingestellt.
Die drei anderen erschaffen ein politisches Konstrukt nur durch eine Art Tugendreduktion, durch Hierarchisierung von Tugenden bis hin zur regelrechten Verwerfung von Tugenden (beim Rassisten ungeschminkt, bei den anderen maskiert) zugunsten einer Kardinaltugend, wobei auch hier nicht begründet wird, woher die Tugendauswahl kommt.

Formal ähnelt die Story einem bestimmten Märchentypus, der eigentlich eine Lehrerzählung ist, bei dem erst der letzte in einer Reihe typischer Verfehlungen einer bestimmten Situation dann der Eigentliche, Richtige, Gute ist. Also zB von der schönen Prinzessin, auf die drei Prinzen scharf sind. Der erste sagt: ich werd sie zwingen, der zweite sagt: ich werd sie verführen, der dritte sagt: ich werd sie fragen (schluchz, die Brillengläser beschlagen), und den nimmt sie dann, ergriffen von soviel Liebe und Rücksichtnahme. Ganz klar: der letzte war der Märchenprinz par excellence, der Beste, der Schönste und der Liebste. Und deswegen gewinnt er auch.
Wer trägt eigentlich in diesem Politkurzmärchen den Sieg davon?
Wie geht diese Geschichte eigentlich aus?
"Irgendetwas Entscheidendes fehlte noch, irgendetwas von außen."
Was würden die verehrten Mitforisten sagen: Happy end oder Schrecken ohne Ende oder Ende mit Schrecken? Oder was sonst noch?

Imagine

24. November 2019 13:41

Der Film mit dem Titel: "Ein leeres Blatt" verdreht die Wirklichkeit in einer Weise, wie dies auch im politischen Unterricht aka „Gemeinschaftskunde“ und in der Darstellung der Massenmedien geschieht.

Politische Zielsetzungen und politisches Handeln werden erklärt aus ideologischer Programmatik und Wertorientiertheit.

Das ist selbstverständlich kompletter Blödsinn, und daran ändert es auch nichts, dass der angeblich „gesunde Menschenverstand“ glaubt, so funktioniere politisches Handeln.

Insbesondere viele Menschen im rechten Milieu glauben dies, weil sie sich wünschen, dass die Welt so wäre, dass der Mensch ein wertgeleitetes Wesen sei und daher das Wichtigste sei, die richtigen Werte und Tugenden zu propagieren.

Aber die Politik richtet sich nicht nach Werten oder Parteiprogrammen, sondern in der Politik werden Interessen von Machtgruppen durchgesetzt. Dafür gibt es Lobbyismus und Korruption sowie die massenmediale Manipulation. Nicht zu vergessen die ideologische Zurichtung der Nutzmenschen durch die staatlichen Schulen. Ziel dieser „Sozialisationsagenturen“ – so der wissenschaftliche Fachausdruck – ist der marktkonforme Mensch, dessen Arbeitskraft profitabel verwertbar ist und der als hirnloser Konsument funktioniert. Als oberste Zielsetzung von Bildung an Schulen und Hochschulen wird heute offen „Employabilty“ propagiert.

Eigentlich müsste jedem, der noch über einen Funken an Verstand verfügt, klar sein, dass die Privatisierung der Autobahnen und die Erhöhung der Rüstungsausgaben durch die CDU/CSU nicht auf christlichen Motiven basiert, dass die Steuererleichterungen für die Gastronomie durch die FDP („Mövenpick-Partei“) nicht durch den Liberalismus bestimmt sind, genauso wenig wie die Hartz IV-Politik der SPD durch sozialistische Motive. Und auch die ökologische Politik der Grünen ist so ausgerichtet, dass sie nicht mit den wirtschaftlichen Interessen der Großunternehmen und Global Players kollidiert, im Gegenteil, man will gemeinsam eine „ökologische Politik“ umsetzen, gemeinsam mit Bill Gates, Soros, Daimler Benz etc.

Derjenige mit dem leeren Blatt ist der Normalo mit seinen ahistorischen Allerweltsweisheiten, der mit unpolitischem Pragmatismus versucht, sich und seine Familie über Wasser zu halten. Ansonsten hat der nichts auf seinem Zettel zu stehen, weil er das gesellschaftliche Ganze als etwas Diffuses und letztlich Ungreifbares ansieht, dessen systemische (soziologische) Gesetzmäßigkeiten er genauso wenig wie ein mittelalterliches Mensch begreift, der die gesellschaftliche Realität als „gottgewollt“ missdeutet.

Dass die Gesellschaft so funktioniert, dass die Reichen immer reicher werden und die Menschen, die den gesellschaftlichen Reichtum mit ihrer Arbeitskraft schaffen immer ärmer werden, erfährt der Normalo durch die in den Massenmedien veröffentlichten Statistiken.

Dass da ein System dahintersteckt, welches so konzipiert ist, dass es genau diese Resultate hervorbringt, auf diese Idee kommt der Normalo nicht. Noch schlimmer, er will es gar nicht wissen.

Und es gibt keine Partei, welche die Normalos darüber aufklärt, wie und warum das System so funktioniert. Es gibt die Einheitspartei der Nicht-Aufklärer, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie nichts von Kapitalismuskritik und Marxismus wissen wollen. In den heutigen kapitalistischen Gesellschaften gibt es keine relevante Systemopposition mehr. Früher gab es noch Kapitalismuskritiker in der SPD – lange ist es her. Heute sind die etablierten linken Parteien alle mark- und systemkonform, natürlich auch die AfD.

Der Film mit dem Titel: "Ein leeres Blatt" ist ein Abklatsch der heutigen Talkshow-Wirklichkeit.

Wenn man Linke in TV-Talkshows einlädt, dann solch debile Typen wie im Film, die völlig systemimmanent bleiben. Dazu noch ein paar korrupte Schwätzer von anderen Parteien, die ihre jeweilige Politik mit Werten und Moral verkaufen und dies angeblich im Interesse des Gemeinwohls.

vopo53

24. November 2019 14:05

Die Beschreibung der fiktiven Gesprächsrunde entspricht dem, was mir, auf meiner längeren Rückfahrt nach der Podiumsdiskussion, durch den Kopf ging. Das Konservative kann eine Lebens- und Handlungseinstellung sein, unabhängig vom gesellschaftlichen System. Für mich erst in der alten DDR, jetzt wieder in der neuen.

bb

24. November 2019 14:06

Ich finde es nicht redlich, libertär und links auf eine Stufe zu stellen und anschließend einen Gegensatz zum Konservativen aufzubauen.

Der Unterschied zwischen libertär und links ist ja eben, den anderen so leben zu lassen, wie er möchte (mit allen daraus folgenden Konsequenzen für sich selbst) und nicht so wie man selbst es für richtig befindet. Dieses Recht nimmt jedoch natürlicherweise auch der Libertäre für sich in Anspruch.

Der vorgeblich 5000 Jahre unterdrückte, unschuldige mit dem weißen Blatt macht auf mich den Eindruck, dass er am liebsten nicht mit Ideologien in irgendeiner Form belästigt werden will, sondern nur nach seiner Facon glücklich werden. Nun frage ich mich allerdings, wo an dieser Stelle der Gegensatz zum Libertarismus sein soll.

Generell frage ich mich in letzter Zeit, warum man ausgerechnet in einem Tagebuch mit dem Titel „Sezession“ diejenigen als Tölpel herabwürdigt, die seit der ersten Stunde für nichts anderes als eine Sezession eintreten. Hat man einfach den Grundgedanken nicht verstanden oder hofft man nach all der Repression durch Staat und Medien wirklich noch darauf, sich eben jenes Staates bemächtigen zu können und anschließend die Gesellschaft durch eine Art Gegenrepression nach den eigenen Vorstellungen umzubauen?

Wenn das zutrifft: Was unterscheidet sie noch von irgendeinem mit Manuskript, außer dass sie ein solches nicht einmal vorlegen können? Ich wünsche mir, dass diese Frage hier demnächst abschließend, ehrlich, ohne Umschweife, Taschenspielertricks und intellektuelles Gewäsch beantwortet wird.

Homeland

24. November 2019 18:09

Bei den Roten und Grünen bin ich mir sicher, dass die Blasenzündung etwas mit deren Blase zu tun hat. Ich habe arge Befürchtungen, dass es noch mindestens eine weitere gibt. Die Engrenzung, die zur Tugend erhoben wurde, droht offensichtlich selbst Normale da und dort keine klaren Gedanken mehr fassen zu lassen, um sich mehr noch im Jenseitigen zu verlaufen. Kann man so das Land wieder vom Kopf auf die Füße stellen oder worum geht es eigentlich jetzt?

Johannes Poensgen

24. November 2019 20:16

Erstens: Der Film übernimmt die Position des namenlosen Konservativen. Der Nationalsozialist ist jedoch mit "Rassist" beschriftet, also mit demjenigen seiner Attribute, die ihn für die beiden Egalitaristen am Tisch verwerflich macht. Er heißt nicht "Modernist" oder "Unchristlicher" oder was sonst der Konservative aus eigener Sicht an ihm auszusetzen hätte.

Der Konservative kapituliert also bereits in seiner eigenen Fantasie vollständig vor der Deutungshoheit seiner Gegner von links.

Zweitens: Die beiden zum Tisch zugelassenen Egalitaristen sind die Vertreter einer randständigen Nerdideologie (Lolbertarier), sowie jener Linken, die die Universitäten tyrannisiert.

Die Vertreter jenes praktischen, real existierenden Liberalismus, der die westliche Welt beherrscht sind abwesend. Weder ein Manager, noch ein Politiker mittiger Parteien kommt zu Wort, auch nicht jene Akademiker, die jenseits der SJW-Blasen die theoretischen Grundlagen der Davos-Welt legen. Erst mit ihnen könnte man aber über eine Gestaltung streiten und nicht nur über das dazugehörige Geschwätz.

Dann reicht es aber auch nicht mehr, sich über den Irrsinn der anderen aufzuregen und auf seine stille Einfalt zu verweisen.

Martin Heinrich

24. November 2019 20:20

Der "Unbeschriebene" ist eben nicht 5000 Jahre alt. Vor ihm steht eine gefaltete Tischkarte aus Papier. Papier gibt es in Europa ab dem 12. Jahrhundert. Mit den Worten "Staat" und "Dienst" bezieht er sich auf Konstruktionen, die in fortgeschrittener Form in Europa erst ab der Renaissance aufkamen. Die Idee der "Revolte", der Aufstand gegen den Leviathan ist sogar noch jünger ... Der Unbeschriebene nimmt in seinen 5000 Jahren wie selbstverständlich Zivilisations- und Kulturtechniken in Anspruch, tut aber so als wenn er letztlich doch nicht in seinem scheinbar naturgegebenem, stets unveränderten Lebensentwurf von ihnen geprägt worden sei.
Überhaupt:
Sind denn die von ihm vorgegebenen uralten Gegebenheiten wie "Familie, Kinder, Arbeit, Fleiß, Dankbarkeit, Garten, Hegung, Achtsamkeit, Grenze, Eigentum, Ehrfurcht, Zuneigung, Gott, Horchen, …" überhaupt abschließend? Ist diese biedere Handwerkerexistenz, die sich hier auftut, wirklich alles? Ist das wirklich "das Normale"?

Was ist eigentlich mit den anderen uralten Prägungen, die sich auch bis heute durchziehen, wie beispielsweise Sex, Frauen, Geld, Gold, Macht, Land, Waffen, Kampfgefährten, Krieg, Aufbruch, Abenteuer und der Drang nach neuen Horizonten? Ziehen sich diese Aspekte nicht auch durch die 5000 Jahre? Oder ist das bloß etwas für die wenigen, die den Willen und die Kraft haben, die 5000 Jahre alte Schar der Handwerker, Bäcker und Bauern anzuführen?

Götz Kubitschek

24. November 2019 20:42

martin heinrich, Ihre fragen sind die passenden schlußfragen. danke! badeschluß!

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