Sohn besucht ein Internat. Dort herrschen überkommene Rituale. Zum Totengedenken ziehen erst diese, dann jene, und dann erst die weiteren ein in die Kirche. Moderner Lehrer, kumpelhaft: „Haha, ohje, wie haltet ihr nur diese altmodischen Bräuche aus, das ist doch völliger Quark!“ Sohn: „Herr X. Hierarchien sind göttlich. Nur in der Hölle sind alle gleich.“
Love him!
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27. November 2019
Letzte Warnung
Werte Erwachsene,
die Maikäfer und die Frösche habt ihr umgebracht,
die Libellen und die Schlangen habt ihr totgemacht. (…)
Die Eidechsen und die Fischotter sterben aus,
keine Maus, keine Wiesel, keine Ratte und keine Laus
dürfte, wenn es nach euch geht, überleben,
nur Beton, Stahl und Plastik soll es geben!
Usw, usf. Meine Tochter soll ein sogenanntes Gedicht von Christine -„ich bin wie Ihr Jungen“-Nöstlinger interpretieren. (Moment mal – haben wir nicht auch Nöstlinger-Bücher in unserem Vorlesen-Kanon? – Nein. Puh. Obwohl Nöstlinger, sie ruhe in Frieden, durchaus auch gute Kinderliteratur geschrieben hat. Wir sind ja auch offen für Linkes – wenn es paßt.)
Diese meine Tochter ist „intellektuell“ versponnen. Sie tendiert im Zweifelsfall zum gesunden Menschnverstand. Was schreibt sie also als Hausaufgabe, sprich Gedichtinterpretation?
„ (…) Das ist sehr einseitig. Es klingt so, als ob es sich die Erwachsenen zur Aufgabe gemacht hätten Tiere auszurotten und die ganze Natur ‘zum Krepieren‘ zu bringen. Ich finde es total negativ und nicht wahrheitsgemäß. Es ist in Wahrheit nicht so dass Umweltschutz heute keine Rolle spielt. Das Gegenteil ist eigentlich der Fall. Ich finde, dass das Gedicht einen appellierenden lyrischen Sprecher [das war in der Aufgabenstellung vorgegeben: „reflektierend, erlebend oder appellativ“; EK] hat und dass es aber eine Art Gehirnwäsche betreibt. Das ist kein richtiges Gedicht, es ist Werbung für eine bestimmte Einstellung. Man sagt heute “Dramaqueen”, wenn jemand extra übertreibt. Ich bin sehr für ´Natur‘, aber ich würde dieses Gedicht trotzdem ablehnen. Es ist nicht ehrlich. Es will sich wichtigtun, das ist keine Kunst.“
Eine ehrliche Haut! Ich, die Mama, habe hier nichts eingeflüstert. Ich änderte kein Wort und kein Komma.
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28. November
Ich habe andernorts Photos gepostet. Darauf ist eines unserer handaufgezogenen Hühner zu sehen. Es kuschelt nächtens mit unserer Katzenfrau. Wie rührend! Das weiße Huhn schmust mir der weißen Kätzin! Alle haben sich lieb. Sowas gibt es eigentlich nur als „Medizini“-Poster. Die Wahrheit hingegen ist grausam. Mir ist egal, ob nun wieder geunkt wird, daß ich Tiere anthromorphisiere und rassifiziere.
Die Wahrheit ist, daß das Huhn, dieser unerbittliche Türsteher, total die Hosen anhat. Nachts steht es 1:1. Fauler Friede. Nachts wird nicht gefüttert. Tags sind es mindestens vier handaufgezogene Hühner, die gegen die Katze agitiern. Alle lungern sie vor unserer Haustür wie die Dealer im Görli. Dieser Bereich sieht mittlerweile.… erbärmlich aus. Diese Tiere entleeren sich häufig. (Ich mag jetzt nicht an entsprechende Passagen in Die Hungrigen und die Satten von Timur Vermes erinnern…)
Alle warten auf Futter. Hühner lieben Katzenfutter, ob fest oder geliert. Sie tun lieb, die Hühnchen, und lassen sich streicheln, sind in Wahrheit aber echt brutal. Guckt mal: diese Krallen! Die Katze mit ihren erbärmlichen Krällchen hat das Nachsehen.
Die Hühnchen, mea culpa, hatte ich angefüttert. Nicht grad vor der Haustür, aber sie sind halt nicht doof. “Jetzt sind sie nun mal hier.” Aber es gibt da auch noch Kubitschek: in der Dämmerung raus, zack, Hühner unter den Arm, ab in den Stall. Das drei, vir Mal: Nun hat die Katze wieder Ruhe und wir keine Zugekackte Schwelle mehr.
Na gut.
Lotta Vorbeck
Zum Thema "Hühnerleiter":
Das Leben ist 'ne Hühnerleiter ...
Ganz unten geht’s los, und nach oben geht’s weiter.
... und wäre die Leiter solide gebaut,
zwei Holme mit mehreren Sprossen darin,
dann hätt' ich am Anfang nach oben geschaut
und noch nicht gewusst wer ich eigentlich bin.
Das Ende der Leiter, von Wolken verhüllt,
die Sprossen dazwischen, verschieden entfernt,
die Phasen des Lebens wär'n noch nicht gefüllt
mit dem, was an Wissen ich noch nicht erlernt.
Die ersten der Stufen, sie wären so wichtig
für das, was aus jedem Tag Leben ich mach’,
denn was einmal falsch war und was wirklich richtig,
das stellte sich erst raus wär ich beim nächsten Fach.
Je mehr von den Stufen ich hätte erklommen
Und sähe hinab in vergangene Zeit,
dann wäre, was war, wohl schon ziemlich verschwommen.
Nach oben und unten wär’s etwa gleich weit.
Denn auf meiner Leiter, dem Tode entgegen
da träfe ich Menschen, so wertvoll wie ich.
Nicht jeder davon käme mir sehr gelegen.
Auch ich erschien' manchem extrem fürchterlich.
Ein jeder ist auf seinen Vorteil bedacht,
täuscht, trickst, spielt sich auf und nutzt and're für sich.
Hätt' ich falsches Feuer in And'ren entfacht,
dann fiel' dies am Ende entscheidend auf mich.
Heut' ist schon die letzte der Sprossen in Sicht.
Nach unten wird's dunkel, nach oben wird's klar,
und ändern kann ich, was gewesen, nun nicht.
doch würd's mir verziehen, wär's schon wunderbar.
Doch hab' ich des Himmels Zenit erst erreicht
geht es nicht mehr weiter, ich frag', was kommt dann?
Wird's schwerer für mich, oder wird es ganz leicht?
...
Wie führ' ich mein Leben? nur darauf kommt's an.
[Jürgen Berndt-Lüders]