Martin Scorsese: Kunst gegen Gleichschaltung

Gastbeitrag von Karl Waldner - Martin Scorsese, einer der Altmeister des Kinos, hat sich abfällig über die populären Filme des Marvel-Studios geäußert.

In der New York Times prä­zi­sier­te Scor­se­se sei­ne Aus­sa­ge in einem offe­nen Brief noch­mals. Sein Vor­wurf, die Mar­vel-Fil­me wären kein Kino, ist nicht nur zutref­fend, er lie­ße sich auch noch kon­se­quent wei­ter­füh­ren. Da Scor­se­se auch im hohen Alter aber lie­ber noch gute und über­ra­schen­de Fil­me macht, anstatt sich auf frucht­lo­se Debat­ten mit SJWs ein­zu­las­sen und damit auf den unver­meid­li­chen Ruf­mord zuzu­steu­ern, kön­nen wir das ja für ihn übernehmen.

Zunächst eine kur­ze Zusam­men­fas­sung, oder wie es in Seri­en heißt: was bis­her geschah.

Anfang Okto­ber wur­de Mar­tin Scor­se­se zum neu­es­ten Mar­vel-Vehi­kel “Aven­gers: End­ga­me” befragt, wozu er dies zu sagen hatte:

Ich schaue die­se Fil­me nicht. Ich habe es pro­biert, wis­sen Sie, aber das ist kein Kino. Um ehr­lich zu sein, am ehes­ten sehe ich sie – so hand­werk­lich gut sie auch gemacht sei­en, und mit Schau­spie­lern, die ange­sichts der Umstän­de ihr Bes­tes geben – als Frei­zeit­parks. Es ist nicht das Kino der Men­schen, die ver­su­chen emo­tio­na­le, psy­cho­lo­gi­schen Erfah­run­gen auf ande­re Men­schen zu übertragen.

Es bedarf kei­ner beson­de­ren Vor­stel­lungs­kraft, sich die Reak­tio­nen von Pres­se, Fans und pro­fes­sio­nel­len Twit­ter-Welt­ver­bes­se­rern aus­zu­ma­len. Wäh­rend die meis­ten Stim­men aus Hol­ly­wood sich zumin­dest davor hüte­ten, Scor­se­se, des­sen Œuvre so ziem­lich alle leben­den Film­schaf­fen­den in den Schat­ten stellt, per­sön­lich anzu­grei­fen, waren eini­ge Welt­ver­bes­se­rer der jüngs­ten Gene­ra­ti­on weni­ger zurück­hal­tend, wobei sich Scor­se­se zumin­dest glück­lich schät­zen kann, nur als “alter Mann” abge­kan­zelt zu wer­den, ohne dass ihm sei­ne Haut­far­be nicht auch noch zum Vor­wurf gemacht wird.

In sei­nem nun ver­öf­fent­lich­ten Brief erläu­tert Scor­se­se sei­ne Aus­sa­gen. Er räumt sogar ein, daß, wenn er heu­te auf­wach­sen wür­de, er womög­lich eine Fas­zi­na­ti­on für die­ses Gen­re ent­wi­ckeln könn­te. An der Tat­sa­che, dass Scor­se­se hier mil­dernd ver­sucht die Wogen zu glät­ten und nie­man­dem auf den Schlips zu tre­ten, ihm aber gera­de dar­aus der Strick gedreht wird, er wäre schlicht  “zu alt” um die­se Fil­me zu schät­zen, zeigt sich wie­der exem­pla­risch, wie sinn­los es ist, die­sen Herr­schaf­ten die Hand zur Ver­söh­nung zu rei­chen, denn sie igno­rie­ren alles, was argu­men­ta­tiv noch folgt und sehen das Ent­ge­gen­kom­men als Ein­ge­ständ­nis von Schuld, und sei es nur für sein Alter.

Dabei sind Scor­se­ses Aus­füh­run­gen über sei­ne jugend­li­chen Prä­gun­gen auf­schluß­reich. Für ihn und sei­ne Zeit­ge­nos­sen ist und war Kino eine “ästhe­ti­sche, emo­tio­na­le und spi­ri­tu­el­le Offen­ba­rung.” Es ging um “Cha­rak­te­re, ihre kom­ple­xen und oft­mals para­do­xen Eigen­schaf­ten, über die Art und Wei­se wie sie mit­ein­an­der inter­agier­ten und sich selbst begeg­ne­ten. Kurz­um: das Kino als Kunst­form. Und es waren gera­de die Film­schaf­fen­den sei­ner Gene­ra­ti­on, die sich dafür ein­setz­ten, daß man das Kino als gleich­wer­ti­ge Kunst­form neben den eta­blier­ten Küns­ten sah.

Er räumt ein, dass man natür­lich auch bei den Fil­men Hitch­cocks davon spre­chen könn­te, dass sie sich ähneln. Doch wären die­se Fil­me nur eine Ansamm­lung von Über­ra­schun­gen, Tricks und Span­nungs­mo­men­ten, dann hät­ten sie schon lan­ge ihren Reiz ver­lo­ren. Was uns an die­se Fil­me bin­det, sind die Cha­rak­te­re, deren Emo­tio­nen und deren Identifizierungspotential.

Der ent­schei­den­de Unter­schied aber zu den Mar­vel-Vehi­keln der Gegen­wart liegt laut Scor­se­se dar­in, daß die Super­hel­den der Gegenwart

weder Offen­ba­rung, noch Geheim­nis, noch ech­te emo­tio­na­le Gefahr ken­nen. Nichts steht auf dem Spiel. Die Fil­me befrie­di­gen ganz bestimm­te Bedürf­nis­se, und sind von Haus aus dar­auf ange­legt eine begrenz­te Anzahl von The­men zu behandeln.

Scor­se­se nennt sie wei­ter dem Namen nach Fort­set­zun­gen, aber geis­ti­ge Remakes, und dies liegt in ihrer Natur als moder­ne “Fran­chi­ses” begrün­det: glatt­ge­stri­chen durch Markt­for­schung, Publi­kums­un­ter­su­chun­gen und durch die wie­der­hol­te Umar­bei­tung durch zahl­rei­che Komi­tees, bis man sie dann end­lich zum Kon­sum frei­gibt. Im Ver­gleich dazu nennt Scor­se­se eini­ge Film­schaf­fen­de (wie z.B. P.T. Ander­son, Kath­ryn Bige­low, Spike Lee, u.a.), deren Werk ihn bis heu­te über­rascht und die sei­nen Hori­zont erweitern.

So weit, so fol­ge­rich­tig. An die­sem Punkt in sei­nem Brief wid­met Scor­se­se sich aber der Fra­ge, ob und war­um das über­haupt ein Pro­blem sei? Denn das Pro­blem liegt sei­ner Mei­nung nach dar­in, daß es mit­un­ter durch die markt­be­herr­schen­de Domi­nanz die­ser Film­rei­hen, immer schwie­ri­ger wird Fil­me ins Kino zu brin­gen, die eben nicht Teil einer sol­chen “Fran­chise” sind. Ein gutes Bei­spiel dafür ist sein neu­es­ter Film “The Irish­man”, der, von Net­flix pro­du­ziert, nur für kur­ze Zeit in die Kinos kommt, um danach auf der Strea­ming-Platt­form sein end­gül­ti­ges Zuhau­se zu finden.

Dem Vor­wurf, dass dies ein simp­les Resul­tat von Ange­bot und Nach­fra­ge sei, begeg­net Scor­se­se damit:

Wenn man den Men­schen immer nur eine Sache gibt und ihnen die­se eine Sache end­los immer wie­der andreht, dann möch­ten sie selbst­ver­ständ­lich irgend­wann immer mehr von die­ser einen Sache.

Wenn­gleich Scor­se­se es nicht direkt aus­spricht, so ent­puppt er sich hier doch als ein Künst­ler mit dem – heut­zu­ta­ge als alt­mo­disch gel­ten­den – Anspruch auf Erzie­hung des Publi­kums. Dabei muß man dif­fe­ren­zie­ren zwi­schen der hier gemein­ten Erzie­hung im Sin­ne dia­lek­ti­scher Kon­fron­ta­ti­on mit kom­ple­xen The­men und Gefühls­wel­ten, und der heu­te rasant um sich grei­fen­den Umer­zie­hungs­be­stre­bun­gen von Sei­ten der Medi­en, NGOs und supra­na­tio­na­len Bürokratien.

Der Unter­schied zwi­schen die­sen bei­den For­men der Erzie­hung wird deut­lich, wenn Scor­se­se über den größ­ten Ver­lust der letz­ten 20 Jah­re in der Film­in­dus­trie spricht: “die all­mäh­li­che, aber unauf­halt­sa­me Besei­ti­gung von Risiko.”

Wie recht er doch hat! Denn “Volks­bil­dung”, “Erzie­hung des Publi­kums”, oder wie auch immer man es nen­nen möch­te, ist im klas­si­schen Sin­ne immer mit dem Risi­ko behaf­tet, dass das Publi­kum zu einer ande­ren Schluß­fol­ge­rung kommt, als man vor­her­ge­se­hen hatte.

Indok­tri­na­ti­on und Umer­zie­hung jedoch kann die­sen Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum nie tole­rie­ren. Und so ist die fort­schrei­ten­de Gleich­schal­tung der unzäh­li­gen Film­fran­chi­ses nicht nur öko­no­misch zu ver­ste­hen (denn die dunk­len Wol­ken des gro­ßen Hol­ly­wood-Cra­s­hes wer­fen schon lan­ge ihre Schat­ten über die Stadt der Pädo­phi­lie), son­dern eben auch im Sin­ne einer inhalt­li­chen Indoktrinierung.

Film­stu­di­os sowie ein Groß­teil der Medi­en lie­fern dabei wil­lent­lich ihren Bei­trag zur Bil­dung eines “the­ra­peu­ti­schen Staa­tes” (Paul Edward Gott­fried). So wie die gesichts­lo­sen Büro­kra­tien in Komi­tees Ent­schei­dun­gen über das Schick­sal der Bewoh­ner ihres Staa­tes fäl­len, so wer­den die zahl­lo­sen Komi­tees, die über das Wohl und Weh der Film­fran­chi­ses ent­schei­den, auch immer mehr zu einem büro­kra­ti­schen Appa­rat, der sich letz­ten Endes auf die Ver­mitt­lung bestimm­ter “the­ra­peu­ti­scher” Zie­le einigt.

Scor­se­se spricht die­se Ele­men­te zwar nicht an, aber es ist offen­sicht­lich, dass vie­le Film­fran­chi­ses genau die­sen Zweck erfül­len. Daß die­ser Zweck mitt­ler­wei­le wich­ti­ger ist als die Gewinn­ma­xi­mie­rung, zeigt sich sehr gut an der Tat­sa­che, dass man bereit ist, sogar belieb­te Fil­me der Ver­gan­gen­heit neu auf­zu­le­gen und dabei mit Min­der­hei­ten-Anstrich zu ver­se­hen. Eini­ge Flops der letz­ten Jah­re haben schon gezeigt, dass “die Mes­sa­ge” wich­ti­ger ist als der Erfolg.

Wäh­rend man frü­her einen Teil des Bud­gets dafür frei mach­te, um Künst­lern wie Scor­se­se freie Hand zu gewäh­ren und dabei einen even­tu­el­len Ver­lust in Kauf nahm, so wer­den die­se Über­schüs­se heut­zu­ta­ge dafür ver­wen­det, noch aggres­si­ve­re Pro­pa­gan­da­strei­fen in die Kinos zu brin­gen. Das Kunst­stück Mar­vels bestand dar­in, daß es ihnen über einen lan­gen Zeit­raum gelang, das Publi­kum mehr oder weni­ger sub­til auf bestimm­te The­men ein­zu­stim­men (man den­ke an das The­ma “Lösung der Über­be­völ­ke­rungs­pro­ble­ma­tik” in den letz­ten Aven­ger-Fil­men, oder den feuch­ten Traum eines afri­ka­ni­schen Uto­pi­as in “Black Pan­ther”), ohne dabei den Pop­corn-Gehalt der­art abzu­sen­ken, daß die Mas­sen auf den Kon­sum verzichteten.

Daß Scor­se­ses Gedan­ken in eine ähn­li­che Rich­tung gehen, zeigt sich in sei­nen Aus­füh­run­gen zur Fra­ge des Risikos:

Vie­le Fil­me heut­zu­ta­ge sind per­fek­te Pro­duk­te, her­ge­stellt für unmit­tel­ba­ren Kon­sum. […] Doch ein essen­ti­el­ler Teil des Kinos fehlt: die ver­ei­nen­de Visi­on eines indi­vi­du­el­len Künst­lers. Denn der indi­vi­du­el­le Künst­ler ist das ris­kan­tes­te Ele­ment von allen.

Was auf den ers­ten Blick wie ein ein­fa­ches Plä­doy­er für die Rol­le des Künst­lers erscheint, ist viel mehr als das. Indi­vi­dua­lis­mus steht hier gegen­über Kol­lek­ti­vis­mus, Risi­ko­be­reit­schaft gegen­über ver­meint­lich woh­li­ger Sicher­heit. Nicht nur ist dies ein Abbild eines der Kern­kon­flik­te unse­rer Zeit, es zeigt dar­über hin­aus, wie unmög­lich es ist wah­re Kunst unter den vor­herr­schen­den Umstän­den zu erzeu­gen. Jeder Ver­such Kunst über Komi­tees zu rati­fi­zie­ren muss unwei­ger­lich schei­tern, und die resul­tie­ren­den Kunst­wer­ke kön­nen höchs­tens pro­pa­gan­dis­tisch-erzie­he­ri­sche Funk­tio­nen erfüllen.

Zuletzt hat Scor­se­se auch noch einen Sarg­na­gel für den Groß­teil der euro­päi­schen Film­in­dus­trie parat:

Ich möch­te sicher­lich nicht impli­zie­ren, dass Fil­me eine sub­ven­tio­nier­te Kunst­form sein soll­ten, oder daß sie es jemals waren.

Nach die­sem Mic-Drop muß der euro­päi­sche Sub­ven­ti­ons­ap­pa­rat eigent­lich mal erst zu Atem kom­men! Da hat doch gera­de einer der erfolg­reichs­ten und künst­le­risch kom­pro­miss­lo­ses­ten Fil­me­ma­cher der letz­ten 50 Jah­re gemeint, daß Fil­me nie­mals eine sub­ven­tio­nier­te Kunst­form sein soll­ten oder waren.

Ein Schelm wer dabei Böses über den natür­lich erwach­sen­den Umkehr­schluss denkt, dass näm­lich die sub­ven­tio­nier­ten Flops des euro­päi­schen Kinos bei aller Beflis­sen­heit dann wohl kaum als Kunst bezeich­net wer­den dürf­ten. Und ganz neben­bei lie­ße sich die­se Schluss­fol­ge­rung auch auf ande­re Küns­te über­tra­gen. Es wäre durch­aus span­nend sich die Fra­ge zu stel­len, wie­vie­le unse­rer lin­ken Staats­künst­ler noch immer das­sel­be Lied sin­gen wür­den, wenn die Sub­ven­ti­ons­häh­ne abge­dreht wären?

Bis es aber soweit ist, wer­den wir wei­ter zuse­hen müs­sen wie Künst­ler wie Axel Krau­se von um-die-Wet­te-Hal­tung-zei­gen­den Gale­rie­be­sit­zern an den Pran­ger gestellt wer­den, oder – wie kürz­lich – Odin Wie­sin­ger wegen Falsch­denk aus der Inn­viert­ler Künst­ler­gil­de raus­ge­schmis­sen wird, was den Ver­eins­vor­sit­zen­den Wal­ter Holz­in­ger zu fol­gen­der Aus­sa­ge verleitete:

Unse­re Gemein­schaft war eine ein­ge­trüb­te Sup­pe, jetzt wird sie wie­der klarer.

Blöd nur, wenn weni­ge Tage spä­ter ein Künst­ler von Welt­rang wie Scor­se­se ihnen wie­der hineinspuckt.

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Kommentare (24)

Maiordomus

3. Dezember 2019 13:50

Der Film bleibt, auch im Vergleich zu immer mehr Romanen, über die man zwar spricht, die aber fast niemand liest, die Kulturform der Gegenwart.

Martin Scorsese, der mit Recht das Attribut "Altmeister" trägt, kritisiert Grundlegendes, was aber nicht nur die Marvel-Filme betrifft. Selber wurde ich ab "Ben Hur" von William Wyler, einem Schweizer Juden aus einem Nachbardorf, dem zu Ehren wir als Schüler bei seinem Besuch Heimatlieder singen durften, für Jahrzehnte ein leidenschaftlicher Filmfreund. Auch "Heidi" von Franz Schnyder, welchen Altmeister ich später persönlich kennenlernte, bedeutete mir noch heute einiges.

Mit der Zeit wurde mir klar, dass die epochalen Kulturleistungen des Films nicht von Hollywood kommen. Zum Beispiel "La strada" und "Amarcord" von Fellini. Oder die Meisterwerke des Japaners Kurosawa. Oder die Symbol-Orgien der Russen Eisenstein und Tarkowski. Jeanne d'Arc wurde wohl nie "authentischer" verfilmt wie bei Carl Theodor Dreyer und Robert Bresson. Als hätte es im Mittelalter das Fernsehen schon gegeben! Als rechter Jung-Katholik schrieb ich vor 55 Jahren einen Protest-Leserbrief gegen den kirchenkritisch eingestellten Luis Bunuel, der mir jedoch später auf dem Gebiet des Films mindestens so viel bedeuten sollte wie Voltaire oder Nietzsche als philosophische Autoren.

Lange hielt ich, am Beispiel von Dostojewskij oder Kafka, zuletzt Umberto Eco, verfilmte Romane für grundsätzlich enttäuschend. Bis Stanley Kubrick mit "Lolita" (nach Nabokov) und erst recht mit "Barry Lyndon", weniger mit "Eyes wide shut" dem jeweiligen Original von Nabokov, Thackeray und leider nicht ganz Arthur Schnitzlers "Traumnovelle" den Meister zeigte.

Dass Kubrick, über seine Heirat der erweiterten Verwandtschaft von Veit Harlan zugehörig, Filme zu machen verstand, die in Sachen Moral im Sinne von Nietzsche "Jenseits von Gut und Böse" anzusiedeln sind, macht ihn wohl zu einem der bedeutendsten Kulturschaffenden des abgelaufenen Jahrhunderts. Seine Filme haben meines Erachtens auf verschiedenen Genres absolute Massstäbe gesetzt:

"Paths of Glory" (in der Schweiz lange verboten) und "Full metal Jacket" die bis heute sozusagen ultimativen Kriegsfilme. Nicht zuletzt, weil sie im Gegensatz zu praktisch allen Filmen, nicht zuletzt denjenigen über die Weltkriege und Vietnam, die Lüge vom angeblichen Kampf der Guten gegen die Bösen um Welten hinter sich gelassen haben.

Als sogenannter Kostümfilm gibt es bis heute kein Werk der Filmgeschichte, das den vorrevolutionären Geist des 18. Jahrhunderts, auf der Basis von Malerei und Musik, annähernd gleichwertig trifft wie "Barry Lyndon", einen unglaublich teuren und unübertrefflich kunstvoll gemachten Historien-Film, dem gegenüber die Kritik und anfänglich auch das Publikum noch voll durchgefallen ist: "Odyssee im Weltraum" setzte die absoluten Massstäbe für den Weltraumfilm, so dass viele heute noch der Meinung anhangen, Kubrick habe für die Amerikaner die angeblich fiktive Mondlandung gefilmt. Der Kalte Krieg in seiner Psychopathologie wurde nie so getroffen wie in "Dr. Strangelove oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben" mit Peter Sellers in einer Hauptrolle. "A Clockwort Orange" ist der bis heute stärkste Kontrapunkt zum Gutmenschentum der Hippiezeit. Und schliesslich setzte "The Shining" 1980 den Weltmassstab für den Horrorfilm, dem die Romanvorlage liefernden Buch-Autor Stephen King so krass überlegen, dass dieser sich von der Filmfassung überfordert und deshalb enttäuscht zeigte. Auf welchem geistigen Tiefstand King heute unterdessen angekommen ist, beweist das als Fortsetzung gedachte aktuelle Remake "Doktor Sleep", ein Film, der wie selten einer für den Tiefstand des gegenwärtigen amerikanischen Geisteslebens repräsentativ ist; etwa nach dem politisch korrekten Motto "Schwarz gut - Weiss böse", und "Mann böse - Mödchen gut", Frau indes dann böse, wenn sie vorher innerhalb eines sadistisch-pädosexullen Männerbundes zum mehr oder weniger willenlosen Werkzeug desselben gemacht wird.

Parapsychologische Fähigkeiten sind schliesslich dazu, im Sinne etwa einer "Tatort"-Serie eine Täterschaft zu überführen. Dass wie bei Shining I von Kubrick das radikal Böse und Gefährliche - wie schon bei Euripides und Sophokles innerhalb der Familie selber lauert, was die Pointe von Kubricks Horrorfilm ist, wird verdrängt. Überdies handelt, was unglaublich anmutet, "Doktor Sleep" von einer Geschichte, die haargenau den "Protokollen der Weisen von Zion" betrifft, im Zusammenhang mit rituellen Kindermorden. Nur dass Hollywood das Meisterstück gelungen ist, bei dieser Geschichte den antisemitischen Gehalt herauszudestillieren, was freilich wegen der flächendeckenden politischen Korrektheit unbedingt notwendig war. Dass es gelungen ist und die Kritik nicht trotzdem aufjaulte, bleibt indes höchst erstaunlich. Die Wertlosigkeit dieses Films manifestiert sich auch darin, dass anstelle des Gesetzes des allmählichen langsam sich entwickelnden Grauens, wie es ein Alfred Hitchcock noch beherrschte, jeder, aber auch wirklich jeder Horror-Effekt, der heute technisch möglich ist, auch ausgespielt wird. Für einen grossen Künstler wären solche Effekte allenfalls dazu da, via massvollen Gebrauch den Zuschauer in eine Reise zu seinem eigenen Unterbewussten mitzunehmen.

Gerade alles am Film "Doktor Sleep" ist trotz kaum zu übertreffender Miserabilität nicht völlig schlecht. Noch oskarreif spielt eine Katze sich selber, die in einem Pflegeheim Sterbende anzeigen und begleiten soll. Und beim Hauptmotiv, der Rückkehr des Sohnes von Jack Torrance aus Shining I ins Schloss des Grauens, erweist es sich, dass die wahnhafte Wiederholung des väterlichen Amoklaufes mit der Axt zur Besiegung der vom Höllenfürst manipulierten Oberhexe nicht dienlich ist. Bedingung des Happy Ends ist die Unschuld des den Protagonisten begleitenden schwarzen Mädchens, das im Harrya-Potter-Stil das Böse wegzuzaubern versteht. Am Ende wird eines der grössten Meisterwerke der Filmgeschichte mit Millionenaufwand zu einer erbärmlich kitschigen Fortsetzung stilisiert. Hollywood-Filme für die Massen gingen natürlich schon früher am Ende gut aus. Aber seit die Gutmenschen-Ideologie ihre Urstände feiert, hinterlässt auch dies einen ekligen schalen Beigeschmack.
Stephen King, der sich offenbar mit diesem Machwerk identifiziert (im Gegensatz zu Shining I), ist der Vorwurf nicht zu ersparen, dass ihm das Grundwissen über die Gesetzmässigkeit des Gespenstischen, welches ein E.T.A Hoffmann, ein Edgar Allan Poe und im Film ein Stanley Kubrick noch realisierten, ein für allemal abgeht. King mag mal ein brauchbarer, gewiss begabter Autor gewesen zu sein: Er ist aber wie viele nicht wenige, die mit dem Erfolg Geld gescheffelt haben, Opfer des Serien-Denkens geworden.

Unter den SiN-Autoren erwarb Martin Lichtmesz mein besonderes Vertrauen, nicht weil er "Experte für die richtigen rechten Meinungen wäre", sondern weil er als Filmkenner ein beeindruckend qualifizierter Analytiker des Zeitgeistes geworden ist. Auch dem Gastbeiträger Karl Waldner möchte ich für seinen anregenden Beitrag mein Kompliment ausdrücken.

Karl Waldner

3. Dezember 2019 15:27

Sehr geehrter Maiordomus,

vielen Dank für die netten Worte, vor allem aber auch für die Erwähnung des Werks von Stanley Kubrick. Wie Sie schon richtig zusammenfassen, ist die Wahl zwischen Kubrick und King schnell gefällt. Ganz besonders freut es mich, dass Sie auch eine Lanze für "Barry Lyndon" brechen, der eines jener Meisterwerke ist, die für mich die Sprache des Filmes jenseits der Normen von 3-Aktern grundlegend erweitert haben.

Hinzufügen würde ich lediglich noch, dass es gerade im russischen (sowjetischen) Kino durchaus Literaturverfilmung höchster Güte gibt. Die "Brüder Karamasov" (1969) von Pyrjew und "Krieg und Frieden" von Bondartschuk (1966/67) zeigen, meiner Meinung nach, gut wie man selbst solche Werke von Weltrang für die Leinwand adaptieren kann. Das ist zwar immer mit einem Kompromiss verbunden, aber den gibt es immer bei der Übertragung von einer Kunstform in die Andere. Hier galte ich ihn jedoch für sehr gelungen. Auf einer etwas "einfacheren" Ebene würde ich auch die Produktion von "Das Boot" und den "Letzten Mohikaner" (letzteres eine echte Hollywood-Produktion, aber immerhin von Michael Mann) als sehr gelungene Umdeutungen einer literarischen Vorlage werten.

Generell würde ich aber doch einen - wenngleich schwierig in Worte zu fassenden - Unterschied machen zwischen "Hollywoodfilmen" und "Filmen aus Hollywood". Auch Kubrick produzierte für US-Studios, und nach dem Exodus europäischer Filmemacher im, oder nach dem, 2. Weltkrieg produzierten auch Billy Wilder und Alfred Hitchcock in Hollywood. Auch der oben bereits erwähnte Michael Mann, oder auch ein Terrence Malick, werden von Hollywood-Firmen mitfinanziert. Aber, so viel steht fest, der Gürtel für solche Independent-Filmemacher wird immer enger geschnallt, und das verbleibende Geld wird mittlerweile lieber in große Corporate-Vehikel mit oder ohne Diversitätsquote gesteckt. Und das sind dann die berüchtigten "Hollywoodfilme".

Meine eigentliche Enttäuschung gilt aber - mit einigen wenigen Ausnahmen, die die Regel bestätigen - der europäischen Filmindustrie, die jegliche Ambition abhanden kommen lässt um sich kreativ mit unserem reichhaltigen Erbe auseinander zu setzen. Natürlich muss nicht alles ein Historienfilm sein, aber durch die Subventionskultur werden die Filmemacher mittlerweile nur noch dazu angehalten Produktionen mit schwerstem politischem Anstrich zu veröffentlichen, die im Endeffekt kaum jemand sehen möchte. Es ist staatlich finanzierte Propaganda, die allerdings - im Unterschied z.B. zu Eisenstein und Riefenstahl - in den meisten Fällen auch noch furchtbar talentlos ist. Für einen Kontinent, der kulturell solche Leistungen hervorgebracht hat wie Europa, ist das eine veritable Schande!

tearjerker

3. Dezember 2019 15:47

Scorcese kann Marvel natürlich nicht verstehen. Er ist ein erwachsener Mann, während der Superheldenkosmos das Produkt von Kinderfantasien ist. Einmal stärker als die Anderen sein, einmal etwas ganz Besonderes sein, einmal seine Angelegenheiten selbst kontrollieren können und Herausforderungen bestehen. Marvel repräsentiert damit aufs Beste die Kultur der Gegenwart, in der Perspektiven und Zukunft fehlen und die beste Option zu sein scheint sein Heil in der Herauszögerung der eigenen Reife und des Erwachsenwerdens zu suchen. Kein Wunder, dass Marvel und DC die erfolgreichsten Franchises aller Zeiten kreiert haben. Die epochalen Kulturleistungen im Film sind seit 1950 doch dem amerikanischen Kino zu verdanken. Während die Unterhaltungskultur vor 1940 in den USA und Europa einander in nichts nachstand, wird in Europa nur noch rückgebaut. Wenn Scorcese also von der einenden Vision des Künstlers redet er von sich und seinem vor 50 Jahren in den USA geprägten Verständnis, an das sich im Europa der Subversion kaum jemand mehr erinnert. Ich finde den Marvel-Quatsch zwar ziemlich öde, aber der deutsche Film zeigt doch, dass nach unten eine Menge Platz bleibt.

RMH

3. Dezember 2019 16:03

Wer "Marvel" sagt, darf heutzutage "Disney" eigentlich nicht vergessen, denn Disney gehört der Laden ja. Disney hat - nachdem bereits auch Lucasfilm mit dem Kassenfüller "Star Wars" gekauft wurde - nun auch offiziell seit dem Jahr 2019 20th Century Fox. Und damit hat Disney sehr großen Markteinfluss, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass andere, wenn auch z.T. kleinere, vor kurzem aus dem Weg geräumt wurden.

Auch in Hollywood gibt es damit nicht mehr viele Produzenten und Produktionsfirmen. Evtl. erklärt das auch ein Stück weit die Einlassungen von Scorsese, der ja u.a. auch mit Weinstein erfolgreich zusammengearbeitet hat (bspw. "Gangs of New York").

Zum Thema Hollywood bin ich vor Jahren über eine Rezension in der Zeitschrift Sezession auf das Buch "Was treibt Sammy an?" von Budd Schulberg gestoßen, welches zwar zu ganz anderen Zeiten spielt, aber Hollywood und dessen Mechanismen recht schön und vermutlich sogar ein Stück weit zeitlos beschreibt.

Das Buch konnte ich jetzt nicht bei Antaios finden und kann es daher nicht verlinken. Vermutlich ist die deutsche Auflage mittlerweile vergriffen, so dass man antiquarisch danach suchen muss.

Karl Waldner

3. Dezember 2019 17:11

@tearjerker

Der Aspekt der Kinderfantasien ist, denke ich, nur ein Teilaspekt dieser Superheldenfilme. Es war schon vor einigen Jahren, dass ich mich - angesichts der Vielzahl von mir gänzlich unbekannten Superhelden - an ein neues Pantheon von Göttern und Halbgöttern erinnert fühlte. Eine neue griechische Sagenwelt mit quasi mythologischem Anspruch...nur dass nicht die immerwährende conditio humana, oder die allgemeinen Fragen des Menschen und seines Verhältnisses zu seiner Umwelt im Vordergrund stehen, sondern eben einerseits die oberflächlichen Superkräfte (ACTION!), und andererseits - in den letzten Jahren vermehrt - die politischen Kampfthemen, die mit leichtem Flügelschlag unters Volk gebracht werden sollen.

Die Anziehungskraft liegt da also nicht nur im "ewig-adoleszenten", sondern auch in einem mythischen Bedürfnis nach quasi-gottgegebener Welterklärung. Ersatzreligionen sind ja ohnehin groß in Mode, diese Spezifische jedoch ist besonders entmündigend, da die Lösung aller Probleme tatsächlich bei Übermenschen liegt, auch wenn man sie uns mit Klischees noch so gerne menscheln lässt.

Dass Scorsese mit solch einer Mythologie nichts anfangen kann, liegt also - meiner Meinung nach - nicht nur an seinem Alter und seinem filmischen Bildungshorizont, sondern auch daran, dass er ein (wenngleich auch manchmal zweifelnder) Katholik ist. Er mag sich dessen selbst nicht mal bewusst sein, das weiß ich nicht, aber er weiß zu viel über die Heilsgeschichte Christi, als dass er dem Reiz heidnischer Heilsbringung via Iron Man erliegen könnte. So zumindest meine Lesart...

@RMH

Vielen Dank für den Buchtipp, da werde ich mal auf die Suche gehen!

Maiordomus

3. Dezember 2019 17:14

@Waldner. Ja, "Krieg und Frieden" von Bondartschuk, der Eintritt des Zaren in den Ballsaal, eine grandios opulente Sache, die Kostüme (mit Ausnahme mal eines noch erkennbaren Reissverschlusses bei einer Frauenrolle) optisch auf sehr hohem Niveau, nur nicht gerade mit der Substanz von Tolstoi. Dass Kubrick, wie Sie mir bestätigen, seine Vorlagen manchmal sogar toppt, bleibt die Ausnahme von der Regel. Eisenstein erwähnte ich ja, klar war er das Vorbild von Riefenstahl, wiewohl dieselbe nie die Freiheit zugestanden bekam, wirklich vergleichbare Filme zu machen. Zugeben muss man, dass "Der Stalker", der philosophische Film schlechthin und als religiöser Film tiefgründiger als alle europäischen Produktionen der letzten 50 Jahren, in der Sowjetunion bei Mosfilm entstehen konnte. Das Niveau war freilich derart hoch, dass der Radar der sowjetischen Zensur entweder überflogen oder unterirdisch umgangen wurde. Freilich schliesse ich aus, dass in China ein philosophischer Film auf diesem Niveau entstehen könnte. Im Unterschied zu Kubrick, Fellini, Hitchcock, Bondartschuk u.Co. eignet sich der "Stalker" ein für allemal nicht für ein Massenpublikum, bleibt auch für scheinbar Eingeweihte ein mysteriöses Puzzle. Ich danke Ihnen aber für Ihre höchst differenzierende Entgegnung. Natürlich sind wir uns einig a) Hollywood hat nun mal Massstäbe gesetzt und b)Hollywood ist selbstverständlich nicht einfach gleich Hollywood. Und wenn wir bedenken, was einst der schwedische, französische, italienische, spanische, britische, finnische, sogar der türkische und nicht zuletzt der deutsche Film schon mal drauf hatten! Es bleibt aber dabei, dass Sie und die weiteren Foristen, die sich nunmehr gemeldet haben, vom modernen Film klar mehr verstehen als ich es für mich in Anspruch nehmen darf. Ausser: "Doktor Sleep" müsste den Schrott-Oskar bekommen für den schlechtesten Film der Saison. Die Erben Kubricks hätten, wiewohl sie vermutlich sehr viel dafür Geld erhielten, nie die Rechte für die Zitierung des Originals preisgeben dürfen! Ich schliesse völlig aus, dass der Meister diesen Film hätte gut finden können!

Andreas Walter

3. Dezember 2019 20:26

Ja, interessante Frage. Was kommt nach Hollywood. Nach Kommerz und Propaganda. Netflix? Ist auch Kommerz. Plus unrealistisches Wunschkino, wenn es der Zuschauer wünscht. Plus Propaganda, wenn es die Macher selbst oder solvente Finanziers wünschen.

Was passiert also, wenn der Kunde König ist. Das kann man übrigens auch politisch verstehen. Womit bedient man den Massengeschmack?

Mit dem Übermensch, denn was sonst sind Superhelden. Götter, gute und böse, mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Kräften, so wie auch schon in den alten Sagen - weltweit. Marvel repräsentiert oder induziert daher die Rückkehr zur Vielgötterei. Könnte man darum auch als eine Form von Kulturmarxismus interpretieren. Der Mensch rückt dabei in den Hintergrund, das Individuum sowieso. Dafür ist kein Platz in der neunen, globalen Weltordnung.

Doch am Anfang, davor, war Tohuwabohu.

tardigrade

3. Dezember 2019 21:09

Auch ich war viele Jahre lang Scorsese-Fan. Seine "Gangs of New York" sind für mich unübertroffenes Historien-Kino mit freigeistigen Einsprengseln und brachialer Kritik am US-System. Ich frage mich nur, wie dem Filmkunst-Halbgott Scorsese zuletzt ein solcher Film wie "The Irishman" zustoßen konnte. Er scheint ausgerechnet in diesem Film, der einmal sein Vermächtnis darstellen könnte, jeder Filmkunst abgeschworen zu haben. Das 3,5 Stunden lange Machwerk ist zunächst fast Einstellung für Einstellung ein Best-Of der Mobster-Blockbuster des letzten halben Jahrhunderts (angefangen beim Paten, Teil 1). Darüber hinaus versucht dieser so gewiefte und mit allen Wassern gewaschene Regisseur, ausgerechnet mit dem Marvel-Tool Nr. 1, der computergenerierten Bildmanipulation, sein rüstiges Rentner-Triumphirat De Niro, Pacino, Pesci und Keitel teilweise 40 Jahre (!) jünger wirken zu lassen. Da schlägt De Niro als Mitte Dreißiger einen Ladenbesitzer zusammen, sein Gesicht wirkt dabei wie digital fünfmal geliftet, doch sein Körper und seine Bewegungen sind die eines 76-jährigen. Von De Niros neuerdings auch im real life überstrapazierter Fuck-you-Attitüde einmal abgesehen: Diese digital verbrämte Gerontokratie ist unsagbar peinlich für alle Beteiligten, einschließlich Scorsese. Auch im "Paten II" von 1974 spielt schließlich nicht Brando sein 40 Jahre jüngeres Selbst, sondern – Ironie der Geschichte – der damals 31-jährige De Niro. Warum also jetzt dieses misslungenste aller Technologie-Experimente? Und nebenbei: Wenn ich einen stundenlang palavernden Erzähler abseits der Kamera möchte, dann wähle ich ein Hörbuch.
Leider scheint Scorsese auf seine alten Tage in die Sphäre der Sterblichen hinabgestiegen zu sein und seinen Kumpels wie sich selbst einen zynischen Griff in die Kasse spendiert zu haben. Da ist die Distanz zu Marvel dann gar nicht mehr so unendlich weit.

Thomas Martini

3. Dezember 2019 21:11

Seit wann ist Kino gleichbedeutend mit Kunst, und wer hat das definiert? Die allermeisten Zuschauer suchen ein Kino nicht auf um Kunst zu sehen. Wer Kunst sehen möchte geht ins Theater, in die Oper, in eine Galerie oder in ein Museum. Wer ins Kino geht, will für gewöhnlich nur eines: Unterhaltung.

Scorsese hat Machwerke wie "Taxi Driver", "Good Fellas", "Casino" oder "Gangs of New York" immer auch für den jeweiligen Massengeschmack zubereitet, da passt der erste Kommentar unter dem Artikel bei indiewire.com, den Herr Waldner in seinem Gastbeitrag verlinkte:

"Poor Poor Martin, but this is the world he helped bequeath to us…"

Schön, wenn man mit seiner Meinung nicht immer alleine steht, denn genau das Gleiche ging mir beim Lesen von Herr Waldners Beitrag auch durch den Kopf: Scorsese ist ein Hollywood-Regisseur, der in die Jahre gekommen ist und nun die Rezepte kritisiert, mit denen man heutzutage die Gerichte für die Massen backt.

Die "Kunst" in vielen Filmen von Martin Scorsese ist die Art und Weise wie er den Esprit der USA immer wieder beleuchtet hat: es wird gemordet und geprügelt, verraten und verkauft, gelogen und betrogen - und das alles nur wegen dem Geld.

An Maiordomus:

'Martin Scorsese, der mit Recht das Attribut "Altmeister" trägt, kritisiert Grundlegendes, was aber nicht nur die Marvel-Filme betrifft. Selber wurde ich ab "Ben Hur" von William Wyler, einem Schweizer Juden aus einem Nachbardorf, dem zu Ehren wir als Schüler bei seinem Besuch Heimatlieder singen durften, für Jahrzehnte ein leidenschaftlicher Filmfreund. Auch "Heidi" von Franz Schnyder, welchen Altmeister ich später persönlich kennenlernte, bedeutete mir noch heute einiges.'

Gestatten Sie bitte die Frage, aber warum fallen Sie sich beim Schreiben eigentlich ständig selbst ins Wort?

Fredy

3. Dezember 2019 21:56

Scorsese wird überschätzt, ebenso wie de Niro, der im Prinzip auch immer nur dieselbe Rolle spielt, und dessen deutsche Synchronisation ihn noch unerträglicher macht. Scorseses aktuelles Machwerk: Müll. Der Kollege oben hat schon beschrieben warum. Habe den irischen Mann nach 20 Minuten ausgeschaltet. Dann doch besser: Fledermausmann, der dunkle Ritter erhebt sich. Aber grundsätzlich hat Scorsese mit seiner Kritik schon Recht. Es gibt aber Ausnahmen.

Maiordomus

3. Dezember 2019 21:58

@Martini. Scorsese - Wyler - Schnyder sind oder waren cineastische Altmeister, die als Künstler unterdessen wohl übertroffen worden sind. Und selbstverständlich ist Film eine Kunst. Vielleicht die Kunst unserer Zeit. Ezra Pound fand, dass Kunst vor allem unterhaltsam sein sollte, was bei seinen Gedichten zwar nicht immer gleich realisiert wird.

Der künstlerische Anspruch gilt auch für sehr gute Dokumentarfilme wie zum Beispiel den Streifen von Clouzot, welcher Picasso an der Arbeit zeigt. Ohne diesen Film werden Sie Picasso ohnehin nicht ausreichend verstehen, und Sie sehen dabei das Kunstwerk im Prozess des Werdens, wiederum gefilmt von einem Meister. Nur wenn Sie diesen Film gesehen haben, verstehen Sie den Satz von Picasso: "Ich fürchte mich vor dem Fertigen!"

Das Theater hat in den letzten 50 Jahren zumal im deutschen Sprachraum unglaublich an Substanz verloren, zumal bei den Regisseuren der Respekt vor den grossen Dramatikern längst geschwunden scheint, wenigstens bei den meisten. Es gibt, spätestens seit dem Tod von Ionesco und Dürrenmatt, in Europa derzeit kaum mehr grosse Dramatiker. Aber wenn Amarcord, Prova d'orchestra, auch ladri di biciclette keine Kunst ist, zu schweigen von Kurosawas unglaublicher Inszenierung des Shakespeare-Motivs McBeth, ich glaube in "Ran", ja was ist dann Kunst? Bei "Barry Lyndon", da stimme ich mit Herrn Waldner überein, jede einzelne Sequenz ein Kunstwerk. Hingegen hatte ich mit dem, was Joseph Beuys initiierte, immer meine Mühe. Hingegen nicht mit dem Befund, dass höchste Kunst in sehr vielen Fällen mit Musik was zu tun hat. Die letzte Oper, die ich gesehen habe, war "le devin du village" von Jean-Jacques Rousseau, aufgeführt in Genf. Hätte ich nicht mit Wagner in Bayreuth tauschen wollen, wo zwar unsereiner doch nicht reinkommt, es sei denn, man reserviert zwei Jahre zuvor. Von Rousseaus Oper würde ich sagen: "Diese Musik schwitzt nicht!" (Nietzsche über Carmen von Bizet contra Richard Wagner). Zurück zum Film: Die filmische Theaterinszenierung der Zauberflöte von Ingmar Bergman könnte ich mir ein Dutzend Male ansehen. Und wie oben gesagt, scheint mir zum Beispiel "Le procès de Jeanne d'arc" von Robert Bresson, sozusagen als Versuch, einen Vorgang von 1431 zu verfilmen, künstlerisch mindestens so gelungen wie das noch gelungenste Theaterstück von Bert Brecht. Ferner scheint mir die Filmfassung des "Hauptmanns von Köpenick" mit Heinz Rühmann in der Titelrolle weit gelungener als jede von mir schon gesehene Theateraufführung, und das waren einige.

PS. Schauen Sie sich mal Alexander Newskij von Sergej Eisenstein an, wenn Sie sich zeigen lassen, wie Film als Kunst stattfindet! Oder meinetwegen "Le chien andalou" von Bunuel und Salvador Dali.

Gibt es ein Theaterstück von Sartre, welches den Existentialismus der damaligen Epoche vergleichsweise sichtbar macht? In nicht zu übertreffender Dramatik, wie das zum Beispiel im Film "Le salaire de la peur", Lohn der Angst, ebenfalls von Clouzot, realisiert wurde. Unvergesslich unter anderen Peter van Eyck, der mittlerweile in der Schweiz begraben liegt.

PS. Filme sind unbedingt auf die Originalsprache angewiesen, soll das Kunstwerk auch von seiner akustischen Ausdruckskraft her voll durchkommen.

Karl Waldner

3. Dezember 2019 22:32

@Andreas Walter

Mit der Einschätzung der Vielgötterei stimmen wir überein. Ich würde das zwar eher als eine Form moderner Häretik einstufen, als den vielzitierten Kulturmarxismus heranzuziehen, aber das ist letzten Endes Wortklauberei.

Bezüglich Massengeschmack sei gesagt, dass es natürlich durchaus hochqualitative Kunst gibt, die auch ein breites Publikum ansprechen kann. Prinzipiell aber ist es auch hier so, dass Kunst für die Massen (was ein Unterschied zu einem "breiten Publikum" ist) eher ein Ding der Unmöglichkeit ist, denn dafür sind zu viele Kompromisse von Nöten.

Massengeschmack mag deshalb nicht ein Garant für große Kunst sein, aber zu Propaganda führt er von sich aus auch eher nicht. Massengeschmack ist oberflächliche Unterhaltung, gut gemacht. Die alten Star Wars Filme, oder Indiana Jones, oder Steven Spielberg bevor er politisch wurde...das war klassische Massenunterhaltung, allerdings ohne politischen Indoktrinationsauftrag.

Die heutige Unterhaltung unterscheidet sich eben dadurch, dass sie ganz bewusst eben NICHT ohne diesen Missionierungsauftrag auskommt. So kommt es dann, dass man Filme, in denen einfach nur hirnlos geballert wird, schon als erholsame Wohltat erfährt, einfach weil man mal nicht über das Patriarchat, Rassismus, oder sonstige Politika-du-jour belehrt wird.

Die Unvereinbarkeit, allerdings, von Massengeschmack und immer offensiverer Propaganda wird letzten Endes dazu führen, dass diese Industrie kollabiert.

@tardigrade

Tja, den Irishman konnte ich noch nicht sehen, habe erst heute eine Benachrichtigung von Netflix erhalten, dass er nun verfügbar ist. Werde ich hoffentlich demnächst nachholen.

Bezüglich Scorsese als Künstler: der wohl einzige Künstler, an den ich denken kann, der nie etwas Minderwertiges schuf, war Johann Sebastian Bach. Der Rest sind Sterbliche, woraus folgt, dass es manchmal in die Hose gehen kann. Auch ich war jetzt angesichts der Handlung vom Irishman nicht besonders angetan. Nach Goodfellas, Casino und Departed der nun 4. Aufguss seiner "ein-Leben-in-der-Mafia" Formel (Gangs of New York jetzt nicht mal mitgerechnet, weil historisch). Und es ist teils auch dieses Vermächtnis, dass sich bei uns allen einbrennt wenn wir daran denken, was er uns so zurücklässt. Dazu noch Taxi Driver, Wie ein wilder Stier, und das wärs.

Googelt man aber mal die Liste seiner Werke, dann stößt man auf eine beeindruckende Liste von Filmen, die man schnell mal vergisst, die aber einen ganz anderen, "risikobereiteren" Scorsese zeigen: "King of Comedy" taucht erst jetzt wieder aus der Vergessenheit auf, einfach weil der neue "Joker" so stark daran anlehnt. Doch wie sieht es mit dem geistigen Nachfolger zum Taxi Driver, "Bringing out the Dead" aus? Sehr unterschätzt. Hugo Cabret mag harmlos sein, ist aber ein gut gemachter, liebevoller Film, in dem selbst Sacha Baron Cohen erträglich ist (sic!). Zu guter letzt wären da "Die letzte Versuchung Christi", und das erst kürzlich erschienene "Silence", die ihn von seiner spirituellen Seite zeigen. Vor allem letzterer Film ist für mich ein echtes Alterswerk von großer Reife. Solange er also noch zeigt, dass er nicht permanent in seine Mafiaromantik abgleitet, vergebe ich ihm diese Ausrutscher. Und wer weiß, vielleicht muss er einfach alle paar Jahre solche Filme machen um seinen Namen bei den Studios im Reinen zu halten? Ich weiß es nicht, aber bei genauerem Hinsehen zeigt sich eine Filmographie, die keineswegs so einseitig ist, wie unser Gedächtnis es uns manchmal vormacht.

Die Computer-Verjüngungskur ist allerdings ein Griff ins Klo. Ich frage mich ob das ein wenig Alterneugier ("mal was neues probieren") ist, oder ob da die Produzenten ein kräftiges Wort mitgeredet haben. Wir werden es wohl nicht erfahren, aber kurzum...solange er alle paar Jahre einen Film wie Silence raushaut, verzeihe ich ihm auch einen digital verjüngten De Niro.

@Thomas Martini

Kino ist nicht immer gleichbedeutend mit Kunst. Es kann auch einfach nur gute Unterhaltung sein. Bei einem guten Hitchcock-Thriller stellt sich mir gar nicht die Frage ob Kunst oder Unterhaltung, denn die Grenzen sind fließend. Nebenbei denke ich, dass dies früher in anderen Genres ebenso war. Wenn Könige repräsentative Opern bestellten, dann war das nicht aus dem Anspruch heraus "große Kunst" zu schaffen, sonder sich durch ein populäres Medium der Zeit stilvoll unterhalten zu lassen. Das Attribut Kunst (und die damit einhergehende Reverenz) erhielten manche dieser Werke erst Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte später.

Nichtsdestotrotz stimme ich nicht damit überein, dass wer ins Kino geht, a priori nicht Kunst sehen möchte. Die Masse mag daran kein Interesse haben, aber das hat sie ja an großen Teilen sogenannter Kunst in Museen und Kunstgalerien ja auch nicht.

Ich stimme Ihnen aber sehr wohl dabei zu, dass Scorsese gerade in seinen Gangsterfilmen durchaus auch Unterhaltung für die Massen schuf. Ich empfinde diese Filme von ihm auch bei weitem nicht als seine Stärksten. Er hat aber, wie oben schon aufgelistet, auch eine Reihe anderer Werke geschaffen, die sich sehr positiv von der Masse abheben. Es mag sein, dass er angesichts solcher Janusköpfigkeit wohl nicht ganz unschuldig ist am jetzigen Status Quo des Kinos, aber wenn nur diejenigen, die immer den höchsten Idealen gefolgt sind Kritik äußern dürften, dann wäre herzlich wenig Kritik zu vernehmen.

Gracchus

3. Dezember 2019 22:40

Da bekomme ich ja Lust, mir nochmals einen alten Scorsese anzuschauen. Richtig liegt er schon, die meisten Filme gehen kein Wagnis ein. (Das gilt aber genauso für das sog. Arthouse-Segment. Solche pseudokünstlerische Streifen finde ich eigtl. noch fürchterlicher.) Das klassische Hollywood ... wenn ich mir Filme von John Ford oder Howard Hawks ansehe, frage ich mich, was heutigen Hollywood-Filmen fehlt. Ich glaube, damals war der Massengeschmack noch nicht so erforscht, das ließ mehr Freiheiten.

Wie @Maiordomus halte ich Tarkowski für einen der grössten! Nicht nur Stalker, auch Solaris, Andrej Rubljow oder der Spiegel. Gross auch Bresson und Dreyer. Zu Literaturverfilmungen hat Godard gesagt: Ein gutes Buch kann man nicht verfilmen - und nachdem Godards Verachtung gesehen hat, konnte das Buch von Moravia nicht mehr lesen.

Andreas Walter

3. Dezember 2019 23:22

Das letzte mal im Kino wir ich übrigens kurz nach meinem Geburtstag 2014. Monuments Men hatte mich neugierig gemacht. Danach viel dann meine Entscheidung, dem Lügenpack in Kalifornien nie wieder auch nur einen einzigen Cent zukommen zu lassen. Leider weiß man aber nie, wo die noch überall beteiligt sind, doch einen Dokumentarfilm möchte ich trotzdem empfehlen:

Conflict Tiger (2005/2006, Sasha Snow)

https://youtu.be/n9lIMvyhHds

Sollte man sich unbedingt vorher ansehen, bevor man das Buch Der Tiger von John Vaillant (2010) liesst, welches sich mit der gleichen Geschichte nur noch genauer und tiefgründiger beschäftigt. Weil das Buch, so interessant es auch ist, einen unverzeihlichen Konstruktionsfehler hat. Es zerreißt die Hauptgeschichte und zerstört dadurch die ganze Spannung der eigentlichen Erzählung durch erklärende Zwischenkapitel, durchaus auch interessante Exkurse in das Russland des Fernen Ostens kurz nach der Perestroika. Andere auch sehr interessante Zwischenkapitel befassen sich wiederum mit naturphilosophischen Fragen, die die Geschehnisse rund um den Dezember 1997 etwas nördlich von Vladivostok aufwerfen. Das Buch ist im Grunde daher drei Bücher in Einem, doch leider eben nicht nacheinander, sondern durcheinander. Dieses Manko ist nicht nur mir aufgefallen, sondern spiegelt sich auch in anderen Kritiken dieses Buchs, das ansonsten auch sehr gelobt wird.

Meiner Meinung nach deshalb trotzdem ein Muss für jeden Waldgänger und darum meine etwas unglückliche Buchempfehlung für diesen Winter.

Andrenio

4. Dezember 2019 07:10

Hab irgendwo gelesen, dass mehr als 50% des Internetverkehrs von Netflix belegt wird. Man wird nach Kündigung die 8€ wohl verschmerzen. Es wurde immer schwieriger halbwegs akzeptables dort zu finden.

Nun habe ich unter sovietmovies ein Abo gezeichnet mit unbegrenztem Zugang für $ 120. Schon die ersten Klassikerverfilmungen von Bulgakov haben das ganze Netflix mehr als ausgestochen.

Die Propagandafilme zum Zweiten Weltkrieg sollte man allerdings auslassen, weil man dann anfangen könnte zu glauben, dass unsere Vorfahren Monster waren und die russischen Patrioten alle Helden.

Es gibt auch ein ähnliches Abo für osteuropäische Filme.

So ist für die dunklen Wintermonate vorgesorgt.

Hartwig aus LG8

4. Dezember 2019 10:13

Eines muss man Hollywood zu Gute halten: Es gibt zahlreiche Hollywood-Filme, die die Zustände in Hollywood in sehr unterhaltsamer Weise karikieren. Beispielhaft wäre hier der Altman-Film "The Player" mit Tim Robbins zu nennen.

Filme liefern im Übrigen auch die Folie für zeitgenössische Musik, also ein Betätigungsfeld für Komponisten, die sich jenseits von Stockhausen und seiner Jünger verorten. Der Film, das Kino, hat damit quasi die Oper beerbt.

Und wenn es hier um Lieblingsfilme geht, so sei von mir ein europäischer Film genannt, der dem Scorsese-Credo entsprechen dürfte: "Die Dinge des Lebens" von Sautet - ein Film, den man immer und immer wieder schauen kann.

Maiordomus

4. Dezember 2019 11:14

@Hartwig u. Co. Ihre beiden Filmtipps machten es zusätzlich lohnend, sich hier in die Debatte einzuklinken. Und klar, Herr @Waldner, scheint mir "Kulturmarxismus" ein keineswegs leeres Schlagwort für den zwar objektiv ablaufenden Kulturkampf der Gegenwart zu sein, aber kein analytischer Begriff, um tiefer und kritisch zu einem Verständnis kulturell relevanter Produktionen zu gelangen. Ich merke und schätze, dass Ihre Betrachtungsweise von Kunstwerken nicht ideologisch ist.

An alle: Die höchste Kompetenz strahlt man aus, wenn man seiner Begeisterung für ein Kunstwerk Ausdruck gibt. Die Möglichkeit, dass man sich dabei irrt, scheint mir objektiv kleiner zu sein als bei reiner Kritik, zumal vernichtender Kritik, in die natürlich immer Emotionelles hineinschwingt. Trotzdem ist Kritik nötig. Am vergleichsweise objektivsten ist sie auszumachen, wenn man einen Film mit seinem Remake vergleicht. Obwohl in der Regel das Original mit guten Gründen siegt, gibt es Neuverfilmungen oder sind solche mindestens denkbar, die das Original toppen. Hiezu ist jedoch, wie generell in der Kunstkritik, mit klaren Kriterien zu arbeiten.

Suedburgunder

4. Dezember 2019 17:54

Die Frage, ob Hollywood hauptsächlich Kunst oder Unterhaltung sei, stellt sich für mich nicht, da es vor allem eines ist: "Mind Control", Propaganda, Vektor eines zersetzenden Todeskultes.
Man lese dazu die frz. Essayisten Lucien Cerise (Neuro-Pirates, Réflexions sur l'ingénierie sociale) sowie Hervé Ryssen (Satan à Hollywood) und sehe sich folgende Videos an:
https://www.kontrekulture.com/video/la-verite-sur-hollywood-l-establishment-perd-la-guerre-culturelle

Gracchus

4. Dezember 2019 23:13

Ich finde Casino beispielsweise gut. Ob das grosse Kunst ist? Ich halte das für gar nicht so wichtig. War das Kino nicht ursprünglich eine Jahrmarktsattraktion? Man darf ihm das - seine Herkunft - ruhig ansehen. Ein plebejisches, volkstümliches, derbes, niederes oder wie immer man das nennen will Element gehört dazu. Findet man auch bei Shakespeare. Ohne dieses Element droht Sterilität. Entscheidendes Kriterium für mich ist: Lebendigkeit. Casino halte ich für lebendig. Neben Pate II und nach Es war einmal in Amerika der gelungenste Mafia-/Gangsterfilm. (Heat von Michael Mann zähle ich auch dazu). These für zwischendurch: Leone, Coppola, Scorsese verbindet ein italo-katholischer Hintergrund, und das kann man sehen: Ihre Bilder sind anders, "opulenter", die Bilder fügen sich nicht ihrer narrativen Funktion, sondern gewinnen ein Eigenleben. Das ist das für mich das Kriterium, wodurch ein Film zum Kunstwerk wird: dass er eine unverwechselbare, lebendige Bildsprache entwickelt - und nicht bloss verfilmtes Theater oder verfilmte Literatur ist.

Maiordomus

5. Dezember 2019 11:00

@Gracchus. Auch Theater als Commedia dell arte und Streichmusik war mal Jahrmarktsattraktion, zum Teil heute noch. Die bildungsbürgerlichen Vorbehalte gegen das Kino sollten eigentlich längst der Vergangenheit angehören.
@Suedburgunder. Einen neuen Höhepunkt des von Ihnen genannten "ersetzenden Todeskultes" von Hollywood stellt aus meiner Sicht "Doktor Sleep" dar, notabene die versteckte Filmfassung der "Protokolle der Weisen von Zion".

Suedburgunder

5. Dezember 2019 22:29

@ Maiordomus

Kannte ich noch nicht. Vielen Dank für den Hinweis

Gracchus

8. Dezember 2019 21:25

Ich habe mir heute "Die Nacht des Jägers" (1955) wieder angesehen. Ein Kleinod. Der Film floppte bei Publikum und Kritik, und es sollte leider die einzige Regiearbeit des Schauspielers Charles Laughton bleiben. "Laurin" - was die schräge, irreale Stimmung durchaus entfernt verwandt mit "Die Nacht des Jägers" - aus dem Jahr 1989 ist die bisher einzige Kinoarbeit des deutschen Regisseurs Robert Sigl geblieben, obwohl es sich um eines der vielversprechendsten Debüts handelt. Mir ist absolut schleierhaft, weshalb Sigl keine weitere Chance bekommen hat. Was Scorsese beklagt, begleitet also die Filmindustrie seit ihrem Entstehen. Ob sich die Situation verschärft hat, kann ich nicht beurteilen, ich gehe kaum boch in aktuelle Produktionen und Netflix-Serien interessieren mich auch nicht.

Atz

9. Dezember 2019 11:45

The Irishman hat mich eher enttäuscht. Ein typischer Mafiagenre-Film in Überlänge und ein irgendwie kaputter Plot, eine Parade alter Männer, die man auch wenig überzeugend in etwas jünger und älter sieht. Die Erschiessungsszenen sehen gut aus.

American Gangster war besser gemacht. Auf eine gewisse Art und weise sehen aber Mafiafilme immer gleich aus. Was hier beim Irishman besonders war, dass jeder ziemlich banal war und aus seinem Einkommen nichts machte.

Götz Kubitschek

11. Dezember 2019 08:49

feierabend.
gruß! kubitschek

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