Wahres
Benedikt Kaiser hat das angekündigt – ich erfülle die Erwartung und preise noch ein Mal den Roman Propaganda (496 Seiten, gebunden 25 €, hier bestellen) aus der Feder des Schriftstellers Steffen Kopetzky an. (Ich habe mich zu Allerseelen über dieses großartige Buch ausführlich verbreitet, denn im Zentrum des aus Rückblicken und Vorausschauen komponierten Romans steht die Allerseelenschlacht vom November 1944.
Damals erreichten die Kämpfe im Hürtgenwald südlich von Aachen ihren Höhepunkt, die Allerseelenschlacht war nur eine von mehreren, und bis heute gelten die Verteidigungsstrategie der Wehrmacht im Hürtgenwald und ihre taktisch-operative Umsetzung vor Ort als Lehrbeispiele.
Kopetzky zieht die Linie bis in den Vietnamkrieg, aber er fädelt auch das literarische Schreiben, die Kriegspropaganda und seine eigene Herangehensweise als Roman-Schriftsteller ineinander: Was ist wahr? Woher wissen wir, ob das, was erzählt wird, so geschehen ist und ob das, was wir für wahr halten, nicht bloß plausibel erfunden wurde?
Was ist Propaganda für ein Buch? In meiner Rezension schrieb ich:
Zunächst: ein Männerbuch, ein genial ineinandergewobenes Geflecht aus historischem Schauplatz, militärischer Tragödie, einsamem Wolf, Kriegspiel, Leid, Risiko. Dann: eine Ehrenrettung, eine Beschreibung der Wirkmacht propagandistischer Verdrehung, ein Blick hinter die Kulissen, eine Entzauberung, ein Geraderücken.
Kopetzkys Propaganda, mein “Wahres”, kann man hier bestellen.
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Schönes
Das kann ich knapp machen: Im kommenden Jahr jährt sich Friedrich Hölderlins Geburtstag zum 250. Mal – schon erscheinen Werkausgaben, Auswahlbände, Auseinandersetzungen mit den oft hermetischen Gedichten dieser Ausnahmegestalt. Ich selbst schrieb 1998 meine Staatsexamensarbeit über Hölderlins Hyperion.
Nun hat, die Gerüchte stimmten, Rüdiger Safranski überpünktlich eine Hölderlin-Biographie vorgelegt (400 Seiten, gebunden, 28€) . Wer Safranskis Romantik-Buch oder auch das über E.T.A. Hofmann gelesen hat, wird meine Freude teilen: Und tatsächlich – ein tiefsinniger Genuß, ein Buch, das nur einer schreiben konnte, mein Schönes, weil auf Safranski Verlaß ist – er hat auch das noch gestemmt.
Rüdiger Safranskis Hölderlin hier bestellen.
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Gutes
Es gibt etliche Bücher, die ich nicht zuende las: Warum schlechten Texten gute Zeit hinterhertragen? Lieber abbrechen – es gibt in jeder Buchhandlung, im eigenen Bücherschrank gleich etwas besseres, einen neuen Versuch, etwas Altbewährtes, etwas erneut Gutes.
Daß ich ein Buch abbrach, obwohl es mich ganz und gar in den Bann schlug, ist aber bisher nur ein einziges Mal vorgekommen, und zwar bei Jörg Bernigs Roman Niemandszeit.
Er spielt in der Endphase der wilden und brutalen Vertreibung der Sudentendeutschen aus ihren Dörfern, und da gibt es ein Dorf, das abgeschnitten und wie vergessen hinter einer verschütteten Waldstraße liegt. Dort sammeln sich die Versprengten, Verfolgten, vom Krieg und vom Völkerwahn Entwurzelten, die Tschechen, Deutschen, Zivilisten, Soldaten, und wir erfahren ihre Lebensgeschichten, erfahren, wie eine unsichtbare Hand sie ausriß, beutelte, zerquetschte, wegschleuderte.
Aber mit letzter Kraft sind sie in dieses Dorf gekrochen, in dem noch alles den Frühling und den Sommer über so bereitet wurde, daß man jetzt ernten kann, ohne gesät zu haben. In dieser “Niemandszeit”, in der alles überreif wird und gekostet werden darf, blitzt eine Versöhnung aus Übermüdung, aus Ermattung und aus Einsicht auf.
Aber es ist eben doch keine “Niemandszeit”, kein ganz und gar vergessenes Dorf, und der eine Mann aus dem Häschertrupp, den Vertreibern und Rachsüchtigen, hat ein feineres Gespür als die anderen. Und so tritt die Truppe aus dem Waldrand über dem Dorf.
An dieser Stelle habe ich vor wenigen Wochen erst zum dritten Mal abgebrochen. Es geht halt nicht. Ich habe auch in Bosnien, kurz nach dem Krieg, den Gang durch solche Dörfer kaum ertragen.
Nun das: Jörg Bernig (er ist zuallererst Schriftsteller!) gehört zu den wenigen überparteilichen, gesellschaftspolitisch “kritischen” Stimmen, die unser trauriges Land noch vorzuweisen hat. Er hat sich unter anderem in seiner Kamenzer Rede von 2016 entsprechend geäußert und auch die “Gemeinsame Erklärung 2018” unterzeichnet.
Niemandszeit, das 2002 in der DVA erschienen war und zuletzt im Mitteldeutschen Verlag noch einmal neu aufgelegt worden ist, wurde ebendort aus dem Sortiment genommen. Was nun? Susanne Dagen, die Loschwitzer Buchhändlerin, hat die Restbestände übernommen, sie war schneller als wir! Aber 150 Exemplare haben wir nun abgekriegt.
Hier kann man eines erwerben, für 14.95 €.
(Und ich darf doch um die ein oder andere Mitteilung bitten, wie man diesen großartigen Roman mit seinem – vermutlich – schlimmen Ende zuende liest.)
Nemo Obligatur
Habe den Kopetzky inzwischen gelesen. Ich verstehe aber die allgemeine Begeisterung nicht. Das Buch liest sich, als habe Kopetzky Forest Gump umgeschrieben und die Hauptfigur durch einen Streber ersetzt. Name: Hans im Glück, oder nein, lieber John Glueck, spielt ja teilweise in Amerika. Entsprechend ist das Buch völlig humorlos. Dazu dann dieses Name-Dropping von Hemingway bis Salinger. Ich habe schon lange nicht mehr so ein uninspirierendes Buch gelesen. Der Indianer Van Seneca erinnert an Karl May. Die Nebennebenfigur Dr. Stüttgen ist hölzern und hat eigentlich nur einen kurzen Auftritt, in dem er zackig salutiert und anschließend operiert. War der richtige Dr. Stüttgen so? Ich wette dagegen. Und dann dieser superoriginelle Einfall, dass der John Glück, quasi ein Schreiber, den Ex-Freund und Schergen vom SD ausgerechnet mit einem Bleistift (quasi sein Arbeitsgerät) des kunstbeflissenen Wachtmeisters tötet. Die A4 (auch bekannt als V2) war übrigens kein "Marschflugkörper" (das wäre eher die V1 gewesen), sondern eine ballistische Rakete. Solche Technik-Schnitzer lassen mich alle übrigen Angaben eher mit Vorsicht genießen, insbesondere die Schlenderhan-Episode. Nein, zu Weihnachten greife ich lieber zu einem Klassiker. Dieses Jahr bietet sich ja Fontane besonders an.