Diese allgegenwärtige, offenbar die gesamte nachdenkende und politische Welt einerseits bannende, andererseits enervierende Klimawandel-Hysterie: Darf sie als neoexpressionistischer Ausdruck oder gar als eine moderne Variante neuer Frömmigkeit gedeutet werden? Ist diese Obsession eine Gegenbewegung zu der die letzten Jahrzehnte beherrschenden Ideologie des Sachzwangs, die der Neoliberalismus als alternativlos darzustellen verstand?
Plötzlich sollen Sachzwänge gar nichts mehr gelten. Oder auf veränderte Weise alles: Kehrt um! So die Botschaft Greta Thunbergs, deren Physiognomie und Gestus an Edvard Munchs „Der Schrei“ erinnert, an die Ikone des Expressionismus also, in seinen von 1892 bis 1910 gemalten Versionen vielleicht das bekannteste Gemälde nach da Vincis „Mona Lisa“, gewissermaßen gar deren Gegenbild.
Das unschuldige Kind, das die an die Sünde verlorene Welt mahnt, die in sich geht und einsieht: Wir sind verloren, wenn wir uns nicht jetzt, am Ende der Zeiten, endlich wandeln. Geradezu gespenstisch, wie Politiker und Bosse, die vor ein paar Jahren noch das Muster von Tatsachenmenschen verkörperten, jetzt im Büßergewand erleuchteter Heiliger unterwegs sind, um uns alle zu retten.
Die ideelle Erschöpfung der Leistungsgesellschaft, die allzu sachliche Sachlichkeit der Deutschland AG, der kategorische Imperativ, unbedingt zu wachsen oder zu weichen,und die damit übersteigerten Drehzahlen und irren Frequenzen aller Abläufe, forciert durch die Möglichkeiten von Digitalisierung und Informationsverarbeitung, scheinen extreme Angstzustände auszulösen und damit die Neuauflage einer Weltende-Stimmung, wie sie zu vorletzten Jahrhundertwende auf andere Weise symptomatisch war. Noch einmal Jakob van Hoddis, der 1911 das Programmgedicht des Expressionismus schrieb:
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Man lese weiter bei Georg Heym oder Georg Trakl, um all die Topoi zu finden, die das empfundene Weltende illustrierten, die Finsternis des Untergangs einerseits, das irre Licht des vermeintlich schon neu aufdämmernden Paradieses andererseits, Tod und Auferstehung. Überall im klassischen Expressionismus findet man grelle Visionen, die wiederum den heutigen ähneln.
Schockierend reale Erfüllung der düsteren Prophezeiung war vor über hundert Jahren der Erste Weltkrieg, der damals, als er noch nicht numeriert wurde, den Zeitgenossen als der Weltkrieg galt, als das Welt-Trauma schlechthin, die „Urkatastrophe“ (George F. Kennan) des zwanzigsten Jahrhunderts, das dann vor nichts haltmachte. Wo sollte das einundzwanzigste Jahrhundert halt machen?
Wohin treibt es uns diesmal? Wie damals spürt man die gleiche Ambivalenz: Einerseits wird vom Weltende gepredigt, weil die Meere, diesmal im Wortsinne, die Küsten zu überfluten drohen, andererseits träumt man von Lichtbringern und vom neuen Menschen, der endlich ganz, ganz anders ist als der alte sündhafte Adam.
Aber gerade das, diese Forderung nach dem neuen Menschen ohne Last und Nachtseite, ist das Gefährliche, das zu einer Polarisierung, zum Manichäismus führt. Plötzlich wollen alle zu den Auserwählten gehören, die grünen Weltgesunder von jeher sowieso, aber mittlerweile gleichfalls so harte Damen wie Ursula von der Leyen und ihre einstige Mentorin Angela Merkel.
Solcher Fanatismus, wie ihn „Fridays for Future“ und die halbesoterische „Extinction Rebellion“ (man lese dies unbedingt nach in der neuen Sezession) auf die Straße tragen, ist selbstdynamisierend. Die Sozialisten werden immer sozialistischer, die Grünen immer grüner, die Profi-Mütter shoppen nicht mehr beim Discounter, sondern im Biomarkt, den sie allerdings im SUV besuchen, damit die schöne neue Welt doch nicht ganz ohne Sünde sei.
Aber im Ernst: Selbsterklärte Weltretter, verbitterte Mahner und überhaupt die „jungen urbanen Schichten“ sind auf ihre Weise so ideologieanfällig, wie sie es den „Rechten“, derer sie als letztem verbliebenen Feindbild bedürfen, stets unterstellen.
Welches Korrektiv ist denn gegenüber dem hochtransformierenden Hype dieser Weltrettung unterm Diktat vermeintlicher Weltvernunft noch entgegenzusetzen? Greta und die übrigen Erlöser reden in einem fort von Wissenschaft, lassen aber keinen Falsifikationismus im Sinne Karl Poppers zu. Schon greift die Ideologisierung nach der ganzen Gesellschaft.
Tatsächlich mag es nur die folgerichtig von allen Erweckten verteufelte Rechte sein, die gegenüber dieser Kulturrevolution als einzige Kraft relativierend und eindämmend zu wirken vermag. Die Rechte ist derzeit das einzige Korrektiv gegenüber einer Einheitsfront von hochideologischen Propagandisten. Sie folgt einer Anthropologie, die wesentlich um die Beschränktheit und Schuld des Menschen weiß; sie versucht seiner Entgrenzung zu wehren.
Aber dort, wo diese Entgrenzungen ein dramatisches Maß annahmen, überzog in ihrem Reflex, in ihrer Reaktion auch die Rechte. Dafür ist gleichfalls die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts ein so großes wie tragisches Beispiel. Es kommt also sehr darauf an, das rechte Maß zu finden, gegenüber den anderen, dem politischen Gegner, und bei sich selbst.
Ein gebuertiger Hesse
"Es kommt also sehr darauf an, das rechte Maß zu finden, gegenüber den anderen, dem politischen Gegner, und bei sich selbst."
Danke für diesen Rat zur Maßfindung - was nicht notwendig Mäßigung (leisewerden, aufstecken, stillhalten) bedeuten soll. Leider nur sticht das Grelle der Dauereskalation, die die Gegnerseite betreibt, viel mehr ins Auge, und sei es verletzend, als jede Einhegung durch Vernunft. Hier gilt es, auf der Reiz-Ebene unsererseits Kontra zu geben und einen Appeal aufzubauen. Dafür braucht es nicht zuletzt Schauwerte.