Den Leuten, zumal den fleißigen und rechtschaffenen, kommt die Überzeugung abhanden, in diesem Land und für dieses Land auf eine sinnvolle, also auf eine das Ich übersteigende und dadurch sinnstiftende Entwicklung an der Arbeit zu sein. Es geht längst nicht mehr ums Berufliche, also um Erfolg, Mehrung, Effektivität, Freude an der Optimierung, Stolz auf eine gute Belegschaft oder um jene Umtriebigkeitspause, die man einlegen kann, wenn alles gut und dauerhaft eingerichtet ist.
Es ging im Gespräch mit diesen AfD-nahen Unternehmern also nicht um ökonomische Fragen oder um die Abschätzung des Risikos eines öffentlichen Engagements für die AfD. Es ging um die Frage nach der Unumkehrbarkeit eines Gesellschaftsumbaus, der trotz einer nun seit Jahren wählbaren Alternative im Grunde doch alternativlos vorangetrieben und durchgezogen wird, und die Stimmung, mit der die gestandenen und sehr erfolgreichen Männer am Tisch auf diesen Umbau blickten, war depressiv.
Überhaupt nehme ich starke Depressionen wahr, die sich politisch speisen: Spielarten von Hoffnungs- und Aussichtslosigkeit werden auf Bereiche übertragen, in denen man schlicht seine Siebensachen beieinanderhalten muß, um einen unangreifbaren Kern zu besitzen: Familie, Erziehung, Glaube, Lektüre, Musik.
Wir dürfen uns nicht alles versauen lassen! Aber das ist wohl zu leicht gesagt:
Was uns widerfährt, geschieht gegen jede konservative, bürgerliche Vernunft und selbstverständlich auf Kosten eben dieser konservativen und bürgerlichen Stabilisierungsstrukturen, als deren Teil sich die Unternehmer, mitdenen ich sprach, aber auch hunderttausende, ja Millionen andere samt ihren Familien selbstverständlich verstehen.
“Trotz einer nun seit Jahren wählbaren Alternative” – das ist in vielen Gesprächen die Schlüsselsequenz. Nun haben wir sie doch, diese Alternative für Deutschland, haben Mandatsträger in allen Bundesländern, im Bund selbst und in Europa, und wir haben sie in vier der fünf östlichen Bundesländer auf Augenhöhe mit der jeweils gerade noch ein bißchen stärkeren Regierungspartei, könnten also in zwei, drei, vier Landesparlamenten mehr als stabile bürgerliche Mehrheiten bilden, wenn sich die CDU nicht auf den linken Verhinderungsblock festgelegt hätte.
Aber der rasante Aufstieg einer herbeigesehnten, längst überfälligen Partei hat eben nicht zu einer Normalisierung der Verhältnisse geführt, also: nicht zu einem Umdenken, einem Abbremsen, einer ertragreichen Auseinandersetzung oder dem echt demokratischen Aushandeln eines Minimalkonsenses – im Gegenteil: Die Formulierung der Alternative und ihre Bestätigung als Möglichkeit haben vielmehr die Geschwindigkeit des Gesellschaftsumbaus erhöht und seine Durchsetzung auf eine kaum vorstellbare Weise rücksichtslos gemacht.
Wir nahmen im ablaufenden Jahr deutlicher als in den Jahren zuvor wahr:
- Die unstatthafte Verdächtigung, Delegitimierung und Kriminalisierung der Alternativen (Partei, freie Medien, Projekte) für Deutschland wirkt im Sinne einer “neuen Übersichtlichkeit”: hier die Bösen, dort die Guten. Die Polarisierung tritt immer deutlicher hervor.
- Das Schubladendenken wird hier wie dort gepflegt, die Ambivalenz bleibt auf der Strecke, aber: denunziatorische, vereinseitigende, zerstörerische Wucht besitzt ausschließlich die linke, grüne Seite. Der rechten Seite fehlt es an Zugängen, Reichweite, gesamtgesellschaftlicher Unterstützung und disziplinierender Konsequenz für den Angeprangerten.
- Dieses Anprangern hat mit der Implementierung der apokalyptischen Klimaheilslehre einen weiteren “guten Grund” erhalten.
- Die Verlogenheit der Zivilgesellschaft” hat eine neue Qualität angenommen. Hieß es früher wenigstens noch “wir denunzieren und kriminalisieren dich, weil wir die Macht dazu haben”, wird der Einsatz ächtender Instrumente mittlerweile geleugnet und in Verschleierungsbegriffe gepackt, die man aus totalitären Systemen und der literarischen Gattung der Dystopie kennt.
- Das alternative Milieu hat auf vielerlei Weise versucht, auf diese Gefährdungslage und Verdachtsfestlegung zu reagieren. Uns ist aber keine Strategie des Ausweichens oder Zugestehens bekannt, die erfolgreich wäre.
- Ich habe in diesem Jahr mehr Verständnis für persönliche Ausweichstrategien gewonnen: Es mag vor allem im Westen tatsächlich im konkreten Moment der Auseinandersetzung hilfreich sein, sich “vom Osten” oder namentlich von dem ein oder anderen AfD-Protagonisten abzugrenzen oder sogar zu distanzieren. Politisch trägt dies aber nichts aus.
- Das bedeutet: Fairneß oder Hilfe von eigentlich zur Neutralität verpflichteter, staatlicher Seite ist nicht zu erwarten.
- Deutlich geworden ist im Verlauf des vergangenen Jahres: Wenn es noch wahrnehmbaren geistigen und publizistischen Widerstand gegen diese verheerende Entwicklung gibt, dann im Osten.
- Überhaupt Ost-West: Der Gegensatz ist noch größer geworden, erhellende Literatur zum Thema ist erschienen, das Themenheft “Sachsen” der Sezession hat sich besser verkauft als je ein Heft zuvor (es ist vergriffen!). Man will “den Osten” verstehen und setzt seine Hoffnung auf ihn und ahnt: Der deutsche Anteil an diesem Osten liegt mentalitätsmäßig näher bei Polen, Tschechien, Ungarn, Kroaten oder der Slowakei als an Schleswig-Holstein oder dem Saarland.
- Die Gründe dafür sind deutlicher hervorgetreten: “Der Osten” reagiert auf Alternativen stärker und schert sich um Ächtungsdrohungen weniger, weil er seine eigene moralpolitische Aufholjagd satt hat. Standen nämlich die beiden ersten Jahrzehnte nach dem Mauerfall unter dem Zeichen der verzweifelten Nachahmung einer als “alternativlos” verkauften Weltanschauung, brach der zunächst wirklich gutwillige Glaube daran aufgrund mehreren Erschütterungen zusammen. Die letzte davon war die Arroganz, mit der man vom Westen aus den Osten als dunkel beschimpfte und für nicht demokratiefähig erklärte.
- Die Phase der Nachahmung des Siegermodells aus dem Westen ist also vorbei – wir stecken im Osten längst in der Phase der Emanzipation und der Identitätsfindung entlang alternativer politischer Konzepte. Die Zivilgesellschaft reagiert völlig unkreativ mit Moralpolitik und Generalverdacht und hat nicht begriffen, daß genau dies das Gegenlager weckte.
- Dieses Gegenlager leidet an einer Überspannung der Kräfte, an einer Überlastung derjenigen, die den Aufbau anleiten und vorantreiben. Aber gegen das Bild, das die Medien zeichnen, ist wahrnehmbar: Überall sind belastbare Strukturen entstanden – dem quantitativen Sprung folgte auch im Jahr 2019 qualitative Substanzarbeit.
Soweit die Grundierung, mit der im Hinterkopf das zu lesen wäre, was ich in den kommenden Tagen in drei Teilen notieren werde, um Rechenschaft abzulegen über unsere Arbeit in einem schwierigen, zähen Jahr.
Machen wir uns dabei eines klar: Trotz des Gegenfeuers aus allen Rohren, die dem mißbrauchten Staatsapparat, allen anderen politischen Parteien, den beiden großen Kirchen, der Zivilgesellschaft samt ihren hunderten und tausenden “breiten Bündnissen” zur Verfügung stehen, ist es in den vergangenen sechs Jahren gelungen, Alternativen auf allen Feldern aufzubauen, zu vernetzen, zu professionalisieren und durchzusetzen.
Das bedeutet: Sollte die nächste schwere Krise unser Land erschüttern, sind wir strukturell vorbereitet und können den Wunsch nach Alternativen aufgreifen, können ihm entsprechen.
Als 2008 die Finanzkrise Vermögen vernichtete, Lebensentwürfe gefährdete und die Verluste der Allgemeinheit aufbürdete, gab es diese Strukturen noch nicht. Der Unmut versickerte und trat als Quelle unerwartet zutage, als sich die AfD mit dem Schulden- und Euro-Thema zur Wahl stellte.
2015 gab es neben dem ungeheuer vitalen Umfeld endlich auch Parteistrukturen, und die Fassungslosigkeit, die sich angesichts des Staatsstreichs von oben in der Migrationskrise ausbreitete, fand Auffangbecken, in sie einfließen konnte.
Diese Becken sind heute im Vergleich zu 2015 um ein Vielfaches größer und stabiler, und wir tun gut daran, auf die nächste kalte Dusche der Realität zu warten. Sie wird kommen, so oder so, und dann wird man an uns noch viel weniger oder gar nicht mehr vorbeiregieren, vorbeilesen und vorbeischauen können.
Das sagte ich auch den Unternehmern, als wir miteinander sprachen. Im Grunde wußten sie es, aber es ist gut und wichtig, den Leuten diese simple Erkenntnis immer wieder ins Gedächtnis zu rufen: meyn geduld hat ursach.
Laurenz
Sehr geehrter Herr Kubitschek, bin immer wieder auf's Neu' erstaunt, wie Sie, im Gegensatz zu den Besprechungen mit Herrn Kaiser auf Youtube, Inhalte von Artikeln in so kurze Worte fassen können. Das dazu.
Die Schlußfolgerung der Geduld erscheint recht spät im Artikel, eben am Ende, wahrscheinlich so gewollt, lenkt aber den Leser vielleicht zu lange in die Depression. Der Osten ist zwar mehr immun gegen hohle Phrasen der heutigen Politik, aber es waren laut Herrn Kaiser nicht die Rentner, die bei den letzten Wahlen im Osten immun waren. Im Prinzip ist die Mentalität des Wählers in den Neuen Ländern deshalb mehr von "Coolness" geprägt, weil er materiell weniger zu verlieren hat. Besitzstandswahrung fürchtet immer Veränderungen, auch wenn diese Haltung vordergründig von behäbiger Blödheit im Westen geprägt ist. Derjenige, der nichts besitzt, kann durch politische Veränderung wenig verlieren, aber einiges gewinnen.
Die Depression Ihrer unternehmerischen Gesprächspartner ist nicht gerechtfertigt. Die Weimarer Verhältnisse 2.0, die für eine politische Wende erforderlich wären, sind noch lange nicht erreicht. Und man muß diese Wende über die eigentliche Lebenszeit derjenigen, die in den 60ern geboren wurden, hinaus denken. Aber da auch ich nicht hellsehen kann, ist das nur eine mögliche Option. Aber die Sicht über die eigene Lebenszeit hinaus, verändert das Handeln. Und es liegt an uns selbst, daß wir an dem Zeitpunkt an dem wir der Linken die Macht für die nächsten hundert Jahre entreißen, dies geschickter tun, als es in der historischen Weimarer Zeit tatsächlich geschah.
Die Unumkehrbarkeit gesellschaftlicher Verhältnisse ist eine Mär'.
Das Wort entstammt dem Verb "kehren". Jeder, der den Gutshof in Schnellroda schon einmal gekehrt hat, weiß, was passiert, wenn man immer nur in eine Richtung kehrt. Die Umkehrung, sprich die Machtübernahme der deutschen Rechten darf nicht zu früh geschehen, um nachhaltig zu sein. Der Dreck muß sich auf der deutschen Bevölkerung bis in die Oberschicht zu Tonnen stapeln. Wer das nicht begreift, hat Karl Marx & seine Bolschewisten-Bande nie verstanden.
Was die permanenten außenpolitischen Angriffe der Berliner Junta gegen sogenannte ausländische Populisten angeht, ist die Bestürzung in Berlin deswegen so groß, weil es sich hierbei um Politiker im Ausland handelt, die genau das tun, was sie vor den Wahlen versprochen haben, in Berlin undenkbar. Daß die deutsche Justiz viel mehr als die polnische Justiz politischen Restriktionen unterliegt, trägt nur zum Niedergang des politischen Berlins und unseres Rechtssystems bei. Daß ein Herr Orban viel mehr demokratische Rechtfertigung sein eigen nennt, als ein Herr Macron, führt ebenso zum Niedergang neu-groß-deutscher Politik.
Die CDU wird, mit Verlaub, im Artikel falsch beschrieben. Nur 13% der Delegierten auf CDU-Parteitagen haben kein hauptberufliches Amt, wie zB Bürgermeister, inne. Alle diese Delegierten partizipierten an IM Erikas Revolution von oben in der CDU, als sie
Helmut Kohl entmachtete. Dies ist nun schon über 20 Jahre her und die CDU ist seit langem eine Partei der Nationalen Einheitsfront 2.0.
Die bisherigen Versuche der CDU-Konservativen, die Macht in der Partei zurückzuholen, sind, wenn auch knapp, gescheitert. Falls das geschähe, das wissen alle, folgt die "Nacht der langen Messer". Deswegen ist der Widerstand der Sozialisten in der CDU so rabiat. Erst, wenn die CDU unter 15% fällt, was passieren wird, besteht hier die Chance einer Konter-Revolution, vor allem durch die JU. Aber wenn dieses Ereignis eintreten wird, werden wir eine bedeutungslose CDU nicht mehr brauchen. Der Wähler wählt lieber das Original.