Das Land Brandenburg hat ihm, als einen ihrer größten literarischen Söhne (wir wollen Kleist nicht vergessen), das ganze Jahr gewidmet, mithin monatelang auf den heutigen Tag hingefeiert. Wir wollen den Dichter an seinem Ehrentag selbst zu Wort kommen lassen. Nicht den Lyriker, den jeder aus der Schule kennen dürfte (zumindest „John Maynard“), nicht den Romancier, den auch fast jeder aus der Schule kennen dürfte (zumindest „Effi Briest“), sondern den Journalisten.
Mit diesem Beruf begann die schriftstellerische Karriere des gelernten Apothekers aus Neuruppin in der Weltstadt Berlin, und dieser Beruf sicherte Fontane Zeit seines Lebens sein Einkommen. Auch seine berühmteste Schöpfung, die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ haben hier ihren Ursprung. Fontane, der Nachkomme im 17. Jahrhundert eingewanderter Hugenotten, war Märker und Preuße, liebte die Mark und die Märker und setzte ihnen mit seinem Werk ein Denkmal.
Was Fontanes Werk so sympathisch und zeitlos macht, ist neben seiner feinen Beobachtungsgabe und seiner Liebe zum Detail, der nüchterne Ausdruck seiner Liebe, die nie in kritiklose Schwärmerei abgleitet. Der nachstehende Text stellt einen Auszug aus einem umfangreicheren Artikel dar, der 1889 unter dem Titel „Die Märker und die Berliner und wie sich das Berlinertum entwickelte“ erschien; eine pointierte Herleitung seiner eigenen Art zu Denken und zu Schreiben.
Wie sich das Berlinertum entwickelte
Die frühsten Anfänge gehen bis auf die Zeit unter König Friedrich I. zurück, bis auf die philosophische Königin (Sophie Charlotte), die nicht bloß philosophisch, sondern, ihrer märkischen Umgebung vorauseilend, auch sehr witzig war, gehen zurück bis auf das Kolbe-Wartenbergsche Haus, darin namentlich die Frau etwas von einem Kraftgenie hatte. Damals fing es an, um sich dann, unter des ersten Königs Nachfolger, rasch weiterzuentwickeln.
Dieser (Friedrich Wilhelm I.) versicherte freilich bei jeder Gelegenheit, „daß er ein gut holländisch Herz habe“, was einem Protest gegen das Französische, will sagen gegen das Espritvolle ziemlich gleichkam, aber dafür desto besser zu dem im niederdeutschen Wesen tief begründeten Till Eulenspiegeltum paßte, das alsbald in seinen, unter dem Zeichen der holländischen Tonpfeife stehenden Versammlungen zum Ausdruck kam, also in seinem Tabakskollegium, das nun eine Schule der Schlagfertigkeit und Geistesgegenwart und dadurch zur ersten Grundlage des Berlinertums wurde. So daß die Geburtsstätte dieses Berlinertums eigentlich auch wieder in Potsdam zu suchen ist, in Potsdam, aus dem schließlich alles stammt oder doch das meiste.
Das Tabakskollegium war nach einer bestimmten Seite hin nichts als eine Wiederbelebung des Hofnarrentums einer früheren Epoche, zugleich aber war es etwas durchaus andres, was in der eigenartigen, alle Klassen der Gesellschaft (das Bürgertum als solches zählte noch nicht mit) umfassenden Zusammensetzung dieses Konviviums lag. Eine Welt Shakespearescher Figuren war darin vertreten, am wenigsten vielleicht der „Narr“, gleichviel ob wir den Learschen mit seinen geistreichen Unverständlichkeiten oder den italienischen in „Was ihr wollt“ im Auge haben, wogegen sich Falstaff, Polonius und Kent am stärksten vertreten fanden.
Es genügt unter vielen, ihnen gleich oder ähnlich Gearteten Personen wie Faßmann, Gundling, Grumbkow, Pannewitz und Leopold von Dessau zu nennen, um zu wissen, wie sich die Rollen ungefähr verteilten. Der Ton, in dem alle diese sprachen, drang auch nach außen und übte da seine Macht; die Hauptsache blieb aber doch der König selbst, der an Originalität und deshalb an Einwirkung auf die Volksseele seiner Umgebung weit überlegen war, was in jedem seiner intimen Gespräche, vor allem aber in seinen großen Regierungsakten, in seinen von ihm persönlich redigierten Erlassen zum Ausdruck kam.
S. K. Majestät sind in der Jugend auch durch die Schule geloffen und haben das lateinische Sprichwort gelernt: Fiat justitia et pereat mundus. Also wollen Sie hiermit, daß der Katte mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gebracht werden solle. Wenn das Kriegsrecht aber dem Katte die Sentenz publiziert, so soll ihm gesagt werden, daß es Sr. K. M. leid täte, daß es aber besser sei, daß er stürbe, als daß die Justiz aus der Welt käme,
– ein Kabinettserlaß ohnegleichen, den ich hier aus dem Gedächtnis zitiere, nicht bloß um seines historischen Gehaltes, sondern vorwiegend um seines Ausdrucks willen, als eine merkwürdige Stilprobe voll dämonischen Humors, der, in seiner phrasenlosen Kerngesundheit, für alles, auch für das Leben und Sterben, einen freien, darüberstehenden und an das Rechtsgefühl des Verurteilten appellierenden Ausdruck hat. Ich frage jeden, der neben den bedenklichen auch die guten Seiten des Berlinertums kennt, ob er in dem hier gegebenen Zitate nicht etwas Vorbildliches für das findet, was diese guten Seiten ausmacht?
Die Vertrauten aus dem Tabakskollegium, – sie bildeten, zu nicht zu geringem Teil, das Armee- und Regierungsmaterial, das Friedrich der Große 1740 vorfand, energische, lebenslustige Herren mit Pontaknasen (man sehe nur ihre Bilder in den Galerien) und einer ganz eigentümlichen Seelenverfassung, von der man vielleicht sagen konnte: Klug auf der Hut / Und immer voll Mut.
Jeder kannte die Gefahr, in der er stand, und ging ihr nach Möglichkeit aus dem Wege; sobald aber Pflicht und Ehre das Gegenteil forderten, war ihnen eine Widerstandskraft eigen, nach der man heutzutage vergeblich suchen würde. Sie hingen an Vermögen, Stellung und Einfluß und waren doch auch wieder, in richtiger Taxierung alles Irdischen, von der „Wurstigkeit“ aller dieser Dinge tief durchdrungen. Etwas Bismarcksches, in Erscheinung, Anschauung und Lebensweise, war ihnen eigen, und das Kanzlerwort: „Sei mäßig in der Arbeit, mäßig im Essen und mitunter auch im Trinken“ war recht eigentlich der Bannerspruch, unter dem die damaligen Paladine kämpften und siegten. Es herrschte jene merkwürdige Freiheit, die, nach der Lehre vom Druck und Gegendruck, unter dem Absolutismus am besten zu gedeihen scheint. Ausgesprochene Charaktere, das Individuum in Blüte.
So war, um es zu wiederholen, das Material, das Friedrich der Große vom Vater her übernahm und das bis zum Siebenjährigen Kriege ziemlich unverändert dasselbe blieb, auch bleiben mußte, weil der Sohn in der einen Hälfte seiner Doppelnatur sehr viel Ähnlichkeit mit dem Vater hatte. Ganz zuletzt erst, als Voltaire nicht mehr bloß persönlicher Gast in Sanssouci, sondern die geistig bestimmende Macht in den Köpfen des märkischen Adels und der zu Hofe gehenden Generale geworden war, vollzog sich der Umschwung, und dieselben Kreise, die bis 1740 Repräsentanten der ausgelassensten Till Eulenspiegelei, des „bon sens“ und der „practical jokes“ gewesen waren, dieselben Kreise wurden jetzt Repräsentanten des Witzes, der Pointe, der Antithese. Vor allem des Reparti.
Die vornehme Welt, bis dahin im wesentlichen tot für Kunst und Dichtung, war in weniger als einem Menschenalter literarisch geworden, und zwar in einem Grade, wovon sich nur der eine richtige Vorstellung machen kann, der auf unseren alten Edelhöfen über und über verstaubten und wurmzernagten Bibliothekschätzen aus der friderizianischen Zeit begegnet ist, Büchermassen, um die sich heute niemand mehr kümmert.
Aus der Epoche des glücklichsten und gelegentlich auch übermütigsten Humors war man in die der Geistreichigkeit getreten, und alles durfte gewagt werden, wenn das „Reparti“ witzig war. „Wieviel hat Er denn eigentlich aus der Hubertusburger Plünderung herausgeschlagen?“ fragte der König über die Tafel hin einen seiner alten Generale. „Das müssen Majestät am besten wissen; wir haben ja geteilt.“ In ähnlichen Wendungen ging vielfach die Tischunterhaltung, und wer Esprit hatte, war schon dadurch gefeit.
Der Ton auf Sanssouci während der zweiten Hälfte der friderizianischen Regierung war die literarisch verfeinerte Fortsetzung des Tons im Tabakskollegium, und mit Hilfe dieser auf das Pointierte gestellten Sanssouci-Sprache war man, so möcht’ ich sagen dürfen, dem „Berlinischen“ abermals um einen guten Schritt näher gerückt.
Aber freilich, diese pointierte Sanssouci-Sprache war immerhin nur die Sprache bestimmter Gesellschaftsschichten, deren Verbindung mit dem eigentlichen Volke gering war, und wenn sich’s um ebendiese Zeit auch in diesem letzteren bereits witzig zu regen begann, so konnte dies nur, wenn überhaupt, in einem losen Zusammenhange mit dem Hof- und höheren Gesellschaftsleben stehen und mußte noch andere Quellen haben.
Und in der Tat, diese anderen Quellen waren vorhanden und fanden sich vor allem in der friderizianischen Armee, besonders in den Potsdam-Berlinischen Elitetruppen.
Außer dem, was der „Kanton“ hergab, fanden sich in der Armee die wunderlichsten Existenzen zusammen; alle Sprachen wurden gesprochen, und das preußische Werbesystem, das sich über halb Europa hin ausdehnte, stellte nicht bloß verlorene, sondern oft auch, soweit Moral mitsprach, durchaus unanfechtbare und nur leider vom Unglück verfolgte Genies unter die Fahne. Nun standen sie in Reih und Glied, in vielen Stücken bevorzugt, aber doch immer noch einer eisernen Disziplin unterworfen, und bildeten jenen merkwürdigen Geist einerseits militärisch-friderizianischen Selbstgefühls, andererseits innerster Auflehnung aus, einer gedanklichen Opposition, die vor nichts und niemandem zurückschreckte.
So verging ihr Leben. Alt geworden, traten sie dann in die bürgerliche Gesellschaft zurück, um nun in dieser, so gut es ging, ihr Dasein zu fristen, als Lohndiener und Tafeldecker, als Schreib- und Sprachlehrer, als Teppichflechter und Stiefelputzer. Das waren die Leute, die nach einer ganz bestimmten und zwar im wesentlichen immer Kritik übenden Seite hin die Lehrmeister des Berliner Volkes wurden, die den König heut in den Himmel hoben und morgen das fabelhaft Tollste von ihm aussagten, alles in einer zynisch-rücksichtslosen Sprache, die bei dem Rest höherer Bildung, der vielen unter ihnen verblieben war, oft einer allerwitzigsten Zuspitzung nicht entbehrte.
Diese zu Spießbürgern umgemodelten friderizianischen Grenadiere waren es, die den berlinischen Räsoniercharakter und vor allem auch den alsbald von alt und jung begierig angenommenen berlinischen Ausdruck für dies Räsonnement schufen. Ein Umwandlungsprozeß, der bald nach dem Siebenjährigen Kriege seinen Anfang nahm und sich derartig rasch entwickelte, daß, als der Große König seinen stillen Platz unter der Kanzel der Potsdamer Garnisonkirche bezog, der erste Berliner Schusterjunge bereits geboren war.
KlausD.
Eine kleine Ergänzung zum Berlinertum aus einem Brief von Theodor Fontane an Theodor Storm vom 19.3.1853:
Das "Berliner Wesen", das Einem auf der Straße und in der Kneipe, überhaupt im alltäglichen Leben entgegentritt, ist anfangs ungenießbar. Schärfe, Unverschämtheit, Lieblosigkeit bringen den Fremden um. Aber hinter diesen trostlosen Erscheinungen die sich aufdrängen, gibt es wohltuende, die sich verbergen und die man kennenlernen muß, um nicht voll ungerechter Vorurteile uns wieder zu verlassen. Auch unser Bestes, was wir bieten können - ich weiß es wohl ! - hat etwas von jener Schärfe, die seit den Tagen des Alten Fritz hier in der Luft zu liegen scheint, aber in gehöriger Verdünnung hat diese Schärfe ihren Reiz und söhnt uns zuletzt auch mit den starken Dosen aus, die schließlich ... zur Quelle unseres Vergnügens und herzlichen Gelächters werden. Die Süddeutschen und wir verhalten uns zu einander wie die "Fliegenden Blätter" zum "Kladderadatsch". Ich glaube, wir sind ihnen um eine ganze Pferdelänge voraus.