Während ich das hier schreibe, ist die iranische Reaktion offen. Momentan veraltet alles rasch, und viele Meldungen sind schwer zu verifizieren.
Nur zwei Beispiele: Ich bekomme gerade die Meldung rein, daß irgendwer die Balad Air Base nördlich von Bagdad mit 2 Raketen beschossen hat. Die Amerikaner haben aber, soweit ich das recherchieren konnte, die Balad Air Base seit 2011 weitgehend an die irakischen Streitkräfte übergeben, lediglich einige amerikanische Ausbilder sind dort noch untergebracht.
Da zusammen mit Soleimani der irakische General Abu Mahdi al-Muhandis getötet wurde und das irakische Parlament nun den Abzug der Amerikaner verlangt, ist nicht klar, was der Iran dadurch gewinnen könnte. Während der Besatzung wurde der in sunnitischem Gebiet liegende Stützpunkt aber immer wieder von Aufständischen mit einfachen Mörsern beschossen und erhielt deshalb den Spitznahmen „Mortaritaville“. Das kann also sonst wer gewesen sein.
Andere Behauptungen gehen dahin, daß die Vereinigten Staaten bereits katarische Vermittlung in der Krise erbeten, oder sich über die schweizer Botschaft in Teheran an die iranische Regierung gewandt haben.
Doch zum Großen Ganzen: Zwei Vergleiche drängen sich auf, und beide sind falsch. Der erste bezieht sich auf die beiden Raketenschläge vom 7. April 2017 und vom 13. auf den 14. April 2018 gegen Ziele in Syrien. Damals ging es allein darum, der wegen angeblicher Giftgasangriffe aufgehetzten Pressemeute einen Knochen hinzuwerfen. Das Pentagon erklärte 2017 in einer offiziellen Stellungnahme, daß russische Stellen im voraus gewarnt worden waren. 2018 erklärte der damalige Vereinigungsminister James Mattis immerhin noch (zurecht), daß man ausländische, sprich russische Verluste um jeden Preis vermieden habe.
Die Ermordung Soleimanis ist das genaue Gegenteil dieser Angriffe, die auf das komplexe System gegenseitiger Erwartungen abgestimmt gewesen waren (eines der Kennzeichen hybrider Kriege). Sie ist eine bisher nicht dagewesene Eskalation. Was uns zum zweiten Vergleich bringt, dem mit den Eliminierungen Osama bin Ladens und Abu Bakr al-Baghdadis.
Beide waren die Anführer irregulärer Truppen, versteckten sich vor den Vereinigten Staaten und wurden, lassen wir anderslautende Vermutungen einmal beiseite, getötet, sobald ihre Aufenthaltsorte ausfindig gemacht worden waren. Soleimani war, trotz allem Geschwätz über einen „Terroristen in Uniform“ aus Mietmäulern, die am 2. Januar noch nicht einmal seinen Namen kannten, General in der Armee eines international anerkannten Staates. Sein Aufenthaltsort war auch kein Geheimnis, er kam gerade mit einem kommerziellen Flugzeug von einer Reise nach Syrien und in den Libanon zurück.
Soleimani, der nicht bloß Befehlshaber, sondern auch der wichtigste Diplomat seines Landes in den umkämpften Gebieten des Mittleren Ostens war und eine Vielzahl unterschiedlichster Akteure persönlich treffen mußte, konnte vor einem Attentat mit den Mitteln eines anderen Staates rein technisch gar nicht geschützt werden. Wie bei allen hohen Amtsträgern bestand sein Schutz vor solchen Angriffen weder in Leibwächtern, noch in der Verheimlichung seines Aufenthaltsortes, sondern darin, daß seine Ermordung eine Grundregel des internationalen Verkehrs verletzen und auf die gleiche Weise beantwortet werden würde.
Seit Jahren gibt es in Irak, Syrien und im Jemen einen Kleinkrieg zwischen amerikanischen und iranischen Spezialeinheiten und Verbündeten vor Ort. Jeder versuchte seine Position für die nächsten Verhandlungen zu verbessern. Dabei waren sich aber beide Seiten der Grenzen bewußt, die gewahrt werden mußten, um eine Eskalation zu verhindern. Die Ermordung eines Generals abseits der Front auf einem zivilen Flughafen sprengt diese Grenzen vollständig.
Deshalb ist dieses Attentat aus Sicht der Kriegsfraktion in Washington ein Geniestreich. Sie hat das vergangene Jahr über feststellen müssen, daß ein neuer Krieg im Mittleren Osten der eigenen Bevölkerung mit keinen der herkömmlichen Mitteln zu verkaufen war. Durch Soleimanis Ermordung hat sie nun die iranische Führung in die Ecke gedrängt:
Nimmt diese Rache, etwa durch die Ermordung eines amerikanischen Amtsträgers, oder durch Raketenangriffe auf amerikanische Schiffe im persischen Golf, dann löst sie den offenen Krieg aus. Trump hat bereits angekündigt, daß jede iranische Reaktion zur sofortigen Vernichtung von 52 ausgewählten iranischen Zielen führen würde, inklusive einiger der bedeutendsten Kulturgüter des Landes. Reagiert sie aber nicht oder nur indirekt durch die Verstärkung des Drucks im Irak und in Syrien, dann verliert sie vor ihren Verbündeten und dem eigenen Volk das Gesicht.
Soleimani war das perfekte Ziel, um die Perser in dieses Dilemma zu bringen. Der Mann war bereits vor seinem Tod ein Nationalheld. Ein Sohn armer Eltern, der mit 13 Jahren auf dem Bau arbeiten mußte, mit 22 den Revolutionswächtern beitrat, in den Krieg gegen den Irak zog, durch waghalsige Kommandoaktionen bekannt wurde und bald zum Divisionskommandeur aufstieg.
Nach dem Krieg war er 22 Jahre lang der Befehlshaber der Al-Quds Spezialeinheit, er sicherte den Einfluß des Irans im Irak nach dem amerikanischen Einmarsch, rettete die verbündete Regierung in Damaskus und zerschlug den Islamischen Staat im Irak. Ein Mann, der trotz mehrfacher Aufforderung nie in die Politik ging, aber eine Nachricht an General David Petraeus sandte: „Gen. Petreaus, Sie sollten wissen, daß ich, Kassem Soleimani, die iranischen Politik gegenüber Irak, Libanon, Gaza und Afghanistan kontrolliere.“
Ein Mann, der sich während der Massenschlachten des Irak-Iran-Krieges gegen die Verschwendung von Leben einsetzte und später in einem Interview erklärte, daß die Frontlinie das verlorene Paradies der Menschheit sei.
Für das praktische Ergebnis spielt es keine Rolle, was am Mythos Kassem Soleimani Wahrheit und was Dichtung ist. Eine Tatsache ist, daß halb Bagdad auf der Straße war, um ihm das letzte Geleit zu geben und zwar einschließlich des Sohns Ali as-Sistanis, des greisen Oberhauptes der irakischen Schiiten.
Eine andere Tatsache ist, daß zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik Iran über der Wahlfahrtstätte der Dschamkarān-Moschee in Ghom die Rote Fahne der Blutrache gehißt wurde. Die Aufschrift besagt so viel wie: „Denen, die das Blut Husseins rächen wollen“. Das bezieht sich auf Hussein ibn Ali, den Enkel Mohammeds und Märtyrerimam des schiitischen Islam. Mehr geht nicht.
Der Mythos Soleimanis allein kann die iranische Regierung zum Handeln zwingen. Das Ergebnis kann für den Iran der amerikanische Einmarsch und für Amerika ein weiterer endloser Krieg sein, der Afghanistan, Irak und Syrien bei weitem in den Schatten stellen würde.
Daß die Vereinigten Staaten den Iran erobern können, wenn sie bereit sind den Preis zu zahlen, daran gibt es wenig Zweifel, ebensowenig daran, daß die Ölanlagen der Golfregion nicht gegen iranische Drohnen und Raketen zu verteidigen sind. Die jemenitische Houthi haben das bereits zur Genüge bewiesen. Das Eskalationspotential ist von dort aus nach oben offen. Erst vor wenigen Tagen absolvierten iranische, russische und chinesische Marineeinheiten ihre erste gemeinsame Übung.
Warum also hat ein amerikanischer Präsident, der, was immer sonst sein Resümee, in militärischen Fragen zurückhaltend war, plötzlich diese fatale Entscheidung getroffen. Zwei Erklärungen sind im Umlauf.
Die allgemein übliche ist, daß Donald Trump, vom Impeachment bedroht und um seine Wiederwahl fürchtend einen Krieg vom Zaun brechen will, um von seinen innenpolitischen Problemen abzulenken.
Die zweite Erklärung wird in Deutschland hinter der Hand, in Amerika inzwischen erstaunlich offen geäußert. Die Rede ist von den jüdischen Zionisten, mit denen Trump sich umgibt, von seinem Schwiegersohn Jared Kushner, dessen Familie Netanjahu nahesteht, oder von seinem größten Wahlkampfspender 2016, dem Kasinomogul Sheldon Adelson, der einmal öffentlich forderte, den Iran mit nuklearer Vernichtung zu bedrohen.
Beide Erklärungen sind nur halb richtig. Für Trumps Wiederwahlchancen ist ein neuer Krieg im Mittleren Osten ein immenses Risiko. Er wurde nicht zuletzt wegen des Versprechens gewählt, Amerika aus weiteren Kriegen herauszuhalten.
Was die ganzen fragwürdigen Gestalten betrifft, die waren 2017, 2018 und 2019 auch schon da. Sie bekamen aber, gar nicht so anders als diejenigen, die ihn wegen seiner harten Worte in der Einwanderungspolitik gewählt hatten, vor allem Symbolisches und Aktionen, die Trump wenig kosteten: Die Anerkennungen Jerusalems als Hauptstadt und der Annexion des seit einem halben Jahrhundert besetzten Golans, zwei Raketenangriffe auf Syrien, die kaum Schaden anrichteten. Dann den Verbleib einiger amerikanischer Truppen in Teilen des von der kurdischen SDF kontrollierten Teils Syriens, sowie die Kündigung des Atomabkommens mit dem Iran, zwei Maßnahmen, die Trump nicht schadeten und allem Medienzirkus zum Trotz nur ein geringes Risiko bargen.
Was sich geändert hat ist folgendes: Durch das laufende Impeachment-Verfahren im Kongreß hat die alte Neocongarde eine bisher nicht dagewesene Macht über den Präsidenten erlangt. Wenn das Impeachment vor den Senat kommt, kann Trump mit einer Zweidrittelmehrheit seines Amtes enthoben werden.
Dazu braucht es 67 Senatoren. Die Demokraten haben 45, zwei sind parteilos, von den 53 Republikanern müßten 20 der Amtsenthebung zustimmen. Das ist eine hohe Hürde, aber machbar. Es stehen genügend bei AIPAC auf der Soldliste und allein bei den nächsten Wahlen müssen 20 republikanische Senatoren ihre Sitze verteidigen (bei den anderen drei republikanischen Sitzen, die zur Wahl stehen, geht der Senator in Ruhestand).
Trump steht innenpolitisch mit dem Rücken zur Wand und der Mord an Kassem Soleimani war der bisher größte Erfolg des tiefen Staates. Spekulationen darüber, was Trump wann hätte anders machen sollen, sind an dieser Stelle müßig und ich überlasse die Lösung dieser Frage den Stammtischstrategen.
Völlig unverständlich sind hingegen die Reaktionen einiger Journalisten, die jetzt den Tod Soleimanis bejubeln und ungefragt ihre transatlantische Bündnistreue bekunden. Darunter besonders diejenigen, die vor iranischen Anschlägen in Deutschland warnen. Dazu nur eines: Die Islamische Republik Iran hat seit ihrem Bestehen asymmetrische Kriege geführt, Milizen in anderen Ländern unterstützt und zu Beginn ihrer Existenz auch im Ausland Dissidenten ermorden lassen. Terrorstrategien der (sunnitisch-wahhabitischen) Marke Al-Quaida oder Islamischer Staat, bei denen wahllos Zivilisten ermordet werden, hat sie nie benutzt.
Wir haben aber genug islamische Gefährder im Land, fast ausschließlich Sunniten übrigens, die auch ohne Befehl aus Teheran jederzeit in die Luft fliegen können. Der Versuch, die öffentliche Meinung dahingehend zu manipulieren, daß sie hinter jedem explodierenden Turban die Strippen der Mullahs sieht, ist der Gipfel der Verantwortungslosigkeit.
Wenn diese Leute unbedingt für Amerika, Israel und Saudi-Arabien in den Krieg ziehen wollen, dann schlage ich ihnen vor, sich bei der US-Army einzuschreiben. Da bekommen sie sogar die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Alles was Deutschland und Europa bei diesem Krieg gewinnen können sind neue Horden von Flüchtlingen. Die Bundesregierung, die etablierten Parteien, sowie unser Staatsfunk, haben sich übrigens in dieser Frage bisher leidlich besonnen gezeigt. Wer das wegen politischer Differenzen in anderen Bereichen nicht sehen will, hat die Grenze der Zurechnungsfähigkeit hinter sich gelassen. Das deutsche Volk, das in seiner breitesten Mehrheit mit dem Schlamassel im Mittleren Osten nichts zu tun haben will, wird es nicht übersehen.
Wessen weltpolitische Vernunft nicht ausreicht, der solle zumindest Folgendes bedenken: Außerhalb winziger Kreise fanatischer Iranhasser, gibt es in Deutschland nicht die geringste Zustimmung für irgendeinen neuen Krieg, der sogar Afghanistan und den alten Irakkrieg in den Schatten stellen würde.
Eine politische Alternative, die in der Unterstützung orientalischer Abenteuer ihr Abgrenzungsmerkmal zum Establishment sieht, verschwindet zurecht im Orkus.
+ Von Johannes Konstantin Poensgen liegt beim Institut für Staatspolitik die kundige Studie vor: Was macht Trump in Syrien?
+ Außerdem beschäftigt sich Florian Sander in der aktuellen Sezession (Heft 93, Dezember 2019) grundlegend und kenntnisreich mit der Notwendigkeit einer nationalsouveränistischen und damit dezidiert nicht-transatlantischen Ausrichtung der AfD und ihres Umfeldes.
+ Daß moderne Formen des »Antiimperialismus«, weit entfernt des orthodox marxistischen Pendants der Vergangenheit, für die politische Rechte bedeutend sind, erklärte Benedikt Kaiser bereits 2016 in der 71. Sezession. Auch jene kriegerisch-westlerischen Rechtfertigungsideologeme, die heute bei Neokonservativen (»Neocons«) aller Art wieder virulent erscheinen, klagte er hier umfassend an: Der Beitrag ist kostenfrei als PDF verfügbar.
+ Wer sich gleichwohl aus falsch verstandener Bündnistreue zum Westen heraus in eine einseitig antiiranische Propagandastellung einigelt, sollte dank Martin Lichtmesz wissen, welche Träume dort geträumt werden.
deutscheridentitaerer
Eine hervorragende und treffende Analyse.
Allerdings: auch wenn ein Krieg gegen den Iran völkerrechtswidrig und vordergründig gegen unsere Interessen wäre, würden wir, die echte Rechte, von einer Eskalation am meisten profitieren.
Flüchtlingswellen sind besser als stetige Flüchtlingsströme. Und die USA würden sich mit dem Iran auf Dauer verheben. Der Iran ist nicht Irak und die USA von 2020 ist nicht die von 2003.