Zunächst eine nebensächliche Anmerkung zur Innenklappe des Buchs Das Zeitalter der Fitness:
Jürgen Martschukat, geboren 1965, ist selbst passionierter Radfahrer, wollte aber als Historiker sein eigenes Tun einmal historisch-kritisch hinterfragen. Wenn er nicht gerade ein Buch schreibt, lehrt er Nordamerikanische Geschichte…
Ei – wo sind wir gelandet? Bei einem Nischenkleinverlag, bei RTLII? Nein, beim traditionsreichen, großen, wohl als linksliberal zu verortenden Großverlag S. Fischer. Dies nur als kulturpessimistische Abendlanduntergangsfeststellung am Rande.
Die seit ein paar Jahren gängige These, hier als Fragestellung erneuert, läßt sich anhand des Rücktitels gut zusammenfassen:
Wer nicht fit, wer gar dick ist, ist heute außen vor. Unsere Körper sind unser Kapital, Fitness ist unser Statement. Der durchtrainierte Körper zählt in der Arbeitswelt, beim Militär und beim Sex – damit ist er im Neoliberalismus angekommen.
Das klingt bekannt und süffig. Es gibt seit langem (im Grunde seit der Aerobic-Welle in den frühen achtziger Jahren; seither gab es dutzende andere Trends von Bodyshaping über Pilates und HIIT bis zu Crunning) hunderte „kritische“ Feuilletonartikel zu diesen Themen: Body Positivity, Fat Shaming, genormte Körper, Lookismus, das überforderte Selbst usw., usf.
Auf der einen Seite rackern die Körperperformer – auf der anderen Seite schreiben die, die die Oberflächlichkeit all dieser Körpermoden analysieren wollen. Vermutlich gibt es einen beträchtlichen Zwischenbereich (Herr Martschukat fährt ja auch Rad).
Dieser interessante Essay – mit einem knapp hundertseitigen Anmerkungsapparat – ist in sechs Kapitel gegliedert: „Fit statt fett?“; „Konjunkturen eines Konzepts seit dem 18. Jahrhundert“; „Arbeiten“; „Sex haben“; „Kämpfen“ und einem Appendix, der kritisch nachfragen will: „Produktiv, potent, kampfbereit?“
Daß wir es bei diesem Autor eher mit einem linken Zeitgenossen zu tun haben, verrät nicht nur das Autorenphoto. Martschukat schreibt zwar weitgehend klares, unverschwurbeltes Deutsch, aber einige Wendungen machen klar, durch welche Brille er schaut. Die Demütigungskategorie „weiße Männer“ spielt eine erhebliche Rolle, „Heteronormativität“ auch; zudem geht es typisch linksakademisch um „Körperpolitiken“ und „Fitnessdispostive“.
Es ist dennoch ein sehr lehrreiches Buch, auch wenn Martschukat allzusehr auf den angloamerkanischen Markt und die entsprechende Literatur schaut. (Beispielsweise spielt der gute, alte, deutsche „Betriebssport“ keine Rolle, wohl aber dessen Ausformungen in Übersee.) Sehr genau beobachtet Martschukat den Bedeutungswandel des Wortes „Fitness“. Das ist hochinteressant.
In Henry Fieldings Tom Jones (1749) wurde „Fitness“ noch als „unveränderliche Zweckmäßigkeit der Dinge“ übersetzt, und genau das war damals auch gemeint. Keine Rede von „Selbsterziehung“ oder „Training“! Ein halbes Jahrhundert später kam zumindest in Deutschland das zackige „Turnen“ durch den „Turnvater Jahn“ auf. Aber auch hier war nicht das gestählte Individuum der Fluchtpunkt, sondern das Wohl der Nation.
Noch 1869 wurde in der deutschen Übersetzung der Neuauflage von Charles Darwin das berühmte „Survival of the Fittest“ mit dem „ Überleben der Passendsten“ übersetzt. Von self-culture oder Selbsterziehung war da noch keine Rede, es ging allein um gegebene Befähigungen und keinen Trainingseffekt.
Um die Jahrhundertwende, also zu Zeiten der Lebensreform, begann sich der Ertüchtigungsanspruch Raum zu verschaffen. Wir lesen: 1904 wurde das Buch des dänischen Gymnastiklehrers Johann Peder Müller mit dem sagenhaften Titel Mein System. 15 Minuten tägliche Arbeit für die Gesundheit zum europäischen Bestseller.
Wir lesen auch von zwei wunderbaren Karrieren, nämlich denen von Bernarr Macfeddon (1868- 1955; das Doppel‑r hatte sich der einst schwächliche Waisenjunge und Vegetarier zugelegt, um martialischer zu klingen) und von Eugen Sandown (eigtentlich Friedrich Wilhelm Müller aus Königsberg, 1867 – 1925), die als erste „Bodybuilder“ von Weltruhm reüssierten.
Gibt es bei all diesem Fitneß-Rummel eigentlich ein Gender-Gap? Ja, deutlich. Um das herauszustellen, muß man womöglich nicht „links“ sein. Es geht/ging immer um den „weiblichen Konsumkörper“ und hingegen um den „männlichen Produktionskörper“. Modische Blättchen mögen uns heute Ladies mit Bizeps und Konturen vorführen.
Motto: Voluntarismus siegt, es g i b t keinen biologischen Determinismus! Auch die Damen stählen sich! Netter Versuch. Läuft aber nicht so. Auch heutige Fitneßladies haben ein Augenmerk auf einen möglichst ausladenden Hintern und die „stillfreudige“ (jedenfalls so aussehensollende) Büste.
Jürgen Martschukat: Das Zeitalter der Fitness, Frankfurt: S. Fischer, 346 S., 25 €.
Laurenz
Als Charles Darwins Lieblings-Tochter am Darwinismus starb, litt er wie ein Hund.