Chinas Wiederaufstieg und der Niedergang des Westens

PDF der Druckfassung aus Sezession 83/April 2018

Auf die Fra­ge nach der Zukunft ihrer Hei­mat erklär­ten im letz­ten Jahr 87 Pro­zent der Chi­ne­sen, ihr Land schla­ge die rich­ti­ge Rich­tung ein. Das war die höchs­te Zahl aller Erwach­se­nen im Alter unter 65 Jah­ren in 26 Län­dern – dar­un­ter Deutsch­land, Frank­reich, Groß­bri­tan­ni­en und die USA. Auch wenn man auf demo­sko­pi­sche Unter­su­chun­gen nicht all­zu viel geben kann, ist das vom Pari­ser Insti­tut Ipsos publi­zier­te Ergeb­nis erstaun­lich, zeich­net es doch mit dem ein­deu­ti­gen Opti­mis­mus der Chi­ne­sen ein völ­lig ande­res Stim­mungs­bild als jenes, das bei hie­si­gen Bür­gern üblich ist.

Kurz vor sei­nem Tod zog Zyg­munt Bau­man, der pol­nisch-bri­ti­sche Phi­lo­soph, der im Wes­ten als einer der bedeu­tends­ten Sozio­lo­gen gilt, eine düs­te­re Bilanz: Die west­li­che Welt, so der 91jährige, sei seit der Auf­klä­rung nicht bes­ser gewor­den – sowohl die Moder­ne als auch die Post­mo­der­ne sei­en von Grund auf mißlungen.

Anfang Janu­ar 2017 ver­starb er; vor­her kon­sta­tier­te Bau­man in einem sei­ner letz­ten Gesprä­che, daß nicht mehr ein all­ge­mei­nes Gesetz Staat und Gesell­schaft diri­gie­re. Viel­sei­tig­keit und Wan­del sei­en an des­sen Stel­le getre­ten. Die Post­mo­der­ne, als »Ver­flüs­si­gung der Moder­ne«, durch­trän­ke alle gesell­schaft­li­chen Bereiche.

Dadurch sei­en unbe­re­chen­ba­re Struk­tu­ren ent­stan­den, die den Indi­vi­du­en über den Kopf wüch­sen, obwohl doch in dem per­ma­nen­ten Wan­del gera­de ihm, dem selbst­ver­ant­wort­li­chen Indi­vi­du­um, die zen­tra­le Rol­le zuge­schrie­ben sei. Indi­vi­dua­li­sie­rung, so der resi­gnier­te Befund, sei nur noch als Pro­zeß und flie­ßen­de Iden­ti­tät zu begreifen.
Die­se Bank­rott­erklä­rung des auf dem Pro­jekt der Auf­klä­rung beru­hen­den west­lich-libe­ra­len Sys­tems, das zur Auf­lö­sung tra­di­tio­nel­ler Bin­dun­gen und zum Zer­fall der Insti­tu­tio­nen geführt hat, fin­det in der Tages­pu­bli­zis­tik ihren außen­po­li­ti­schen Wider­hall, denn seit Donald Trumps Wahl­sieg mit dem Slo­gan »Ame­ri­ca First« däm­mert den Pro­pa­gan­dis­ten der »welt­of­fe­nen und tole­ran­ten Demo­kra­tie«, daß ihr welt­weit emp­foh­le­nes Modell ins Wan­ken gera­ten ist.

Die Rück­be­sin­nung auf das Mul­ti­la­te­ra­le, heißt es in einem Leit­ar­ti­kel der Süd­deut­schen Zei­tung (19. Sep­tem­ber 2017), sei das Ergeb­nis die­ser neu­en Welt­un­ord­nung: »Nie­mand spricht mehr vom ›Ende der Geschich­te‹, wie es sich der Wes­ten nach dem Kol­laps des Kom­mu­nis­mus Ende der 1980er-Jah­re aus­ge­malt hat­te. Die Geschich­te ist viel­mehr in vol­lem Gan­ge. Der Anspruch, daß ein poli­ti­scher Libe­ra­lis­mus reüs­siert und über­all eine Demo­kra­tie nach west­li­cher Prä­gung die alten Auto­kra­tien erset­zen müß­te, ist vorbei.«

Wie sich die neue Kon­stel­la­ti­on auf glo­ba­ler Ebe­ne abzeich­net, ana­ly­sier­te Ste­fan Kor­ne­li­us, Res­sort­chef Außen­po­li­tik der SZ, im ver­gan­ge­nen Novem­ber: »Nir­gend­wo ist die Kräf­te­ver­schie­bung bes­ser zu sehen als im Ver­hält­nis zu Chi­na. […] Momen­tan bie­tet die auf­stei­gen­de Super­macht in der direk­ten Riva­li­tät mit den USA eine Ord­nung, die für nicht weni­ge Staa­ten Sta­bi­li­tät ver­spricht und des­we­gen attrak­tiv ist.«

Selbst­re­dend wird der Pro­zeß des all­mäh­li­chen Nie­der­gangs west­li­cher Domi­nanz in Chi­na auf­merk­sam ver­folgt, wobei der Schwer­punkt auf der Ana­ly­se der Ursa­chen liegt. Schließ­lich gilt es, aus der Ent­wick­lung zu ler­nen, um nicht eines Tages die­sel­ben Feh­ler zu bege­hen. In letz­ter Zeit haben sowohl das 2013 gegrün­de­te Ber­li­ner Chi­na-Insti­tut der Mer­ca­tor Stif­tung als auch der seit 2002 in Deutsch­land leben­de Infor­ma­ti­ker Mar­cel Zhu, der vor­nehm­lich für Tichys Ein­blick publi­ziert, zahl­rei­che Stu­di­en und Arti­kel chi­ne­si­scher Denk­fa­bri­ken, offi­zi­el­ler Par­tei­or­ga­ne und diver­ser Online-Diens­te der hie­si­gen Öffent­lich­keit zugäng­lich gemacht, aus denen sich ein rela­tiv kom­ple­xes Bild der chi­ne­si­schen Sicht gewin­nen läßt.

Im Mit­tel­punkt steht die Fra­ge, war­um der Wes­ten, der die Welt 500 Jah­re lang domi­nier­te, seit eini­ger Zeit so ver­hee­ren­de Feh­ler macht. Als Para­de­bei­spiel gilt die deut­sche Flücht­lings­po­li­tik. Kanz­le­rin Mer­kel – cha­rak­te­ri­siert als Bai­zuo (»wei­ße Lin­ke«) und »nai­ver Gut­mensch« – habe aus Grün­den poli­ti­scher Kor­rekt­heit dem Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus Tri­but gezollt und die mas­sen­haf­te Ein­wan­de­rung »rück­stän­di­ger isla­mi­scher Wer­te« erlaubt. 

Als 2015 die Flücht­lings­kri­se ein­setz­te, habe sich Euro­pa frei­lich schon längst in der schwie­rigs­ten Lage seit 1945 befun­den – gekenn­zeich­net durch Schul­den­kri­se, isla­mis­ti­sche Ter­ror­an­grif­fe, Gebur­ten­rück­gang, schrump­fen­de Mit­tel­schich­ten und Auf­stieg des Populismus.
Die meis­ten Beob­ach­ter füh­ren die­ses Sze­na­rio nicht auf Ent­schei­dungs­feh­ler ein­zel­ner Regie­rungs­chefs zurück, son­dern sehen die tie­fe­ren Ursa­chen im poli­ti­schen Sys­tem. So heißt es im KP-Maga­zin Hong­qi Men­gao (»Manu­skript der Roten Fah­ne«): »Die Legi­ti­mi­tät der Macht im west­li­chen Modell stammt aus Wahlen.
Das führt dazu, daß Poli­ti­ker zuviel Ener­gie auf die Wah­len ver­wen­den, statt sich den Regie­rungs­auf­ga­ben zu wid­men. Wegen der befris­te­ten Legis­la­tur­pe­ri­oden den­ken sie nicht vor­aus­schau­end, son­dern wol­len vor allem schnel­le Erfol­ge er- zie­len.« Nach meh­re­ren Jahr­hun­der­ten habe sich das Sys­tem im 20. Jahr- hun­dert zu einer Mas­sen­de­mo­kra­tie gewan­delt. Dies habe gra­vie­ren­de Fol­gen gehabt: Sei­en Eli­ten frü­her von Eli­ten bestimmt wor­den, wür­den sie heu­te von den Mas­sen gewählt.

Das Par­tei-Maga­zin argu­men­tiert: Im Gegen­satz zu her­kömm­li­chen Eli­ten, die sowohl die lang­fris­ti­gen Inter­es­sen ihres Lan­des als auch kom­ple­xe inter­na­tio­na­le Zusam­men­hän­ge im Blick hat­ten, sind die Mas­sen nur auf ihren raschen eige­nen Vor­teil bedacht. Da Aus­se­hen, modi­sche Klei­dung und ande­re per­sön­li­che Prä­fe­ren­zen des Wahl­volks – mit­hin Kri­te­ri­en, die nichts mit der Fähig­keit von Poli­ti­kern zu tun haben – über Erfolg oder Miß­er­folg von Wah­len ent­schei­den, müs­sen sich die Eli­ten den Mas­sen anpas­sen, nach deren Wün­schen den Wahl­kampf aus­rich­ten und spä­ter ihre oft unrea­lis­ti­schen Ver­spre­chen erfüllen.

Mit­tel­mä­ßig­keit und Oppor­tu­nis­mus sei­en die Fol­ge. Begin­gen die Poli­ti­ker Feh­ler, tra­ge nie­mand die Ver­ant­wor­tung, so daß nur die Hoff­nung blei­be, das Füh­rungs­per­so­nal bei der nächs­ten Wahl aus­zu­tau­schen und Feh­ler zu kor­ri­gie­ren. Die­se Art der Talent-Suche sei leicht­sin­nig und unver­ant­wort­lich. Sie habe dazu geführt, daß ehe­mals fort­schritt­li­che demo­kra­ti­sche Län­der heu­te in wirt­schaft­li­chen Schwie­rig­kei­ten steck­ten und stark ver­schul­det seien.
Ursa­che der öko­no­mi­schen Kri­se sei­en in den meis­ten Staa­ten der EU die hohen Sozi­al­leis­tun­gen. Sie belie­fen sich auf fünf­zig Pro­zent aller Sozi­al­leis­tun­gen welt­weit, obwohl die Uni­on nur neun Pro­zent der Welt­be­völ­ke­rung aus­ma­che und ledig­lich 25 Pro­zent der glo­ba­len Wirt­schafts­leis­tun­gen erbringe.

Durch die ein­sei­ti­ge Fokus­sie­rung auf die Umver­tei­lung der Ein­kom­men wer­de die Vita­li­tät des gesam­ten Sys­tems gehemmt und füh­re letzt­lich in eine poli­ti­sche Sack­gas­se. Als Bei­spiel wird von man­chen Kom­men­ta­to­ren die Behand­lung der Flücht­lings­kri­se in Deutsch­land genannt: Sen­kung der hohen Sozi­al­leis­tun­gen für zuge­wan­der­te Fami­li­en und deren Kin­der sowie for­cier­te Assi­mi­lie­rung wären nahe­lie­gen­de Mit­tel, um der Situa­ti­on Herr zu wer­den, doch die­se Maß­nah­men könn­ten nicht ein­ge­setzt wer­den, weil sie mit den »west­li­chen Wer­ten« wie Gleich­be­rech­ti­gung, Min­der­hei­ten­rech­ten etc. kollidierten.

Einen hohen Preis for­de­re auch der »abso­lu­te Libe­ra­lis­mus«, da er die in- nere Sicher­heit gefähr­lich schwä­che. akzep­ta­ble Regie­rungs­form gilt, sind sach­li­che Infor­ma­tio­nen die Aus­nah­me. Im Mit­tel­punkt der Bericht­erstat­tung ste­hen daher nicht die Lebens­ver­hält­nis­se jener ein­gangs erwähn­ten 87 Pro­zent der Bevöl­ke­rung, son­dern Regime­kri­ti­ker und deren häu­fig nicht zu unrecht beklag­tes Schick­sal. Auf die­se Wei­se läßt sich jedoch weder ein fai­res Gesamt­ur­teil fäl­len noch ein zutref­fen­des Bild der Vor­gän­ge im bevöl­ke­rungs­reichs­ten Land der Erde gewinnen.

Die Medi­en fal­len damit hin­ter die Erkennt­nis zurück, die der dama­li­ge Außen­mi­nis­ter Frank-Wal­ter Stein­mei­er 2014 in einem Inter­view geäu­ßert hat­te: »Wir kön­nen nicht igno­rie­ren, daß es Regio­nen auf der Welt gibt, die sich an ande­ren Prin­zi­pi­en ori­en­tie­ren als an denen der west­li­chen Demo­kra­tie … In einer Welt, in der sich Kul­tu­ren wie Chi­na auf viel­tau­send­jäh­ri­ge Tra­di­tio­nen beru­fen, sind unse­re Vor­stel­lun­gen eben nicht konkurrenzfähig.«

Tat­sa­che ist, daß in der Volks­re­pu­blik die links­ra­di­ka­le Ära bereits 1976 zusam­men mit ihrem Begrün­der zu Gra­be getra­gen wur­de. Seit nun­mehr vier­zig Jah­ren, seit der 1978 von Deng Xiao­ping ein­ge­lei­te­ten Reform- und Öff­nungs­po­li­tik, ent­wi­ckelt sich ein völ­lig neu­es Chi­na, das an die Tra­di­tio­nen des eins­ti­gen »Reichs der Mit­te« anknüpft. »Bis zum Jahr 2050«, ver­sprach Staats- und Par­tei­chef Xi Jin­ping im letz­ten Okto­ber den Dele­gier­ten des 19. KP-Kon­gres­ses, »zwei­hun­dert Jah­re nach den Opi­um-Krie­gen, die das ›Reich der Mit­te‹ in Schmach und Schan­de stürz­ten, wird Chi­na sei­ne Macht­stel­lung zurück­ge­win­nen und wie­der zur Welt­spit­ze aufsteigen.« 

Mit die­ser Pro­gno­se geht Xi, nach Mao und Deng der mäch­tigs­te Poli­ti­ker der Volks­re­pu­blik, kein gro­ßes Risi­ko ein, denn der Welt­bank zufol­ge dürf­te Chi­na bereits Anfang der 2030er Jah­re die USA als größ­te Wirt­schafts­macht ablösen.
Den Grund­stein für die erfolg­rei­che Auf­hol­jagd hat Deng Xiao­ping gelegt. Er war es, der Maos ideo­lo­gi­sche Ver­ir­run­gen mit der For­de­rung been­de­te, »die Wahr­heit in den Tat­sa­chen zu suchen« und nicht in welt- frem­den Lehr­bü­chern. Als ers­tes ließ er die Volks­kom­mu­nen auf­lö­sen, führ­te eine »sozia­lis­ti­sche Markt­wirt­schaft« ein und plä­dier­te für die Errich­tung von Son­der­wirt­schafts­zo­nen, um aus­län­di­sches Kapi­tal ins Land zu holen. Der Erfolg war durch­schla­gend: Das Armen­haus Chi­na ent­wi­ckel­te sich in rasan­tem Tem­po zu einem moder­nen Indus­trie­staat, auch wenn es in man­cher Hin­sicht noch ein Ent­wick­lungs­land ist.

Das Brut­to­in­lands­pro­dukt stieg von 1978 bis 2015 um das 48fache; dank Glo­ba­li­sie­rung und Digi­ta­li­sie­rung ist die Volks­re­pu­blik heu­te die größ­te Export­na­ti­on; sie ist mit mehr als einer Bil­li­on Dol­lar der zweit­größ­te Aus­lands­in­ves­tor, ver­fügt welt­weit mit cir­ca drei Bil­lio­nen Dol­lar über die meis­ten Devi­sen­re­ser­ven und ist Haupt­gläu­bi­ger der USA.

In weni­gen Jahr­zehn­ten haben 700 Mil­lio­nen Chi­ne­sen den Armuts­sta­tus ver­las­sen; 400 Mil­lio­nen erzie­len ein mitt­le­res Ein­kom­men, von denen 150 Mil­lio­nen nach west­li­chem Maß­stab zur neu­en rei­chen Mit­tel­schicht zählen.
Papier­her­stel­lung, Druck mit beweg­li­chen Let­tern, Schieß­pul­ver und Kompaß zeug­ten im alten Chi­na vom Erfin­dungs­reich­tum sei­ner Bewoh­ner. Heu­te sind es Hoch­ge­schwin­dig­keits­zü­ge, Häu­ser aus 3‑D-Druk­kern, Elek­tro­au­tos sowie Com­pu­ter (Leno­vo) und Smart­phones (Hua­wei, Xiao­mi), mit denen die Volks­re­pu­blik Auf­se­hen erregt.

Schließ­lich ist das Land nicht mehr Pro­du­zent mas­sen­haft her­ge­stell­ter Bil­lig­ar­ti­kel. Inter­net-Kon­zer­ne haben das Leben der Chi­ne­sen von Grund auf ver­än­dert. Mit 730 Mil­lio­nen Nut­zern ent­fal­len auf den hei­mi­schen Inter­net-Han­del bereits 15,5 Pro­zent aller Ein­zel­han­dels­um­sät­ze. Jeden Tag, so Chris­toph Gie­sen, Wirt­schafts­kor­re­spon­dent der Süd­deut­schen Zei­tung, wer­den in Chi­na 15000 pri­va­te Fir­men gegründet.

Mit Mil­li­ar­den-Sum­men unter­stützt die Regie­rung Ent­wick­lun­gen im Bereich Künst­li­cher Intel­li­genz sowie inno­va­ti­ve Start­ups, damit sie im Wett­be­werb mit dem Sili­con Val­ley mit­hal­ten kön­nen. Um nicht, wie die Euro­pä­er, zum Spiel­ball poli­ti­scher und finan­zi­el­ler Inter­es­sen ame­ri­ka­ni­scher Digi­tal­kon­zer­ne zu wer­den, hat Peking das Inter­net nach außen abge­schot­tet (»Gre­at Fire­wall«) und auf das inlän­di­sche Krea­tiv­po­ten­ti­al gesetzt.

Pio­nier war der ehe­ma­li­ge Eng­lisch­leh­rer Jack Ma, der 1995 in sei­ner Hei­mat­stadt Hang­zhou die Fir­ma Ali­baba grün­de­te. Auf einer Web­sei­te, die ein Umschlag­platz für Groß­händ­ler ist, schloß Ma Chi­nas Fabri­ken an den Welt­han­del an, so daß sie bald über­all ihre Waren anbie­ten und per Schiffs­con­tai­nern lie­fern konn­ten. Umge­kehrt kön­nen sich Inter­es­sen­ten aus Über­see über Ali­baba direkt an die Her­stel­ler wen­den. Im Jahr 2003 grün­de­te Ma die Web­sei­te Tao­bao, Chi­nas eBay, und Ali­pay, ein Online- Bezahl­sys­tem mit heu­te mehr als 500 Mil­lio­nen Nutzern.

Ma war so erfolg­reich, daß er mit Ali­baba 2014 an die New Yor­ker Bör­se ging, wo er die Rekord­sum­me von 25 Mil­li­ar­den Dol­lar erlös­te. Sein schärfs­ter Kon­kur­rent ist Ten­cent, ein Inter­net-Kon­zern, des­sen Bör­sen­wert inzwi­schen den von Face­book über­steigt. Ten­cent wur­de 1998 in Shen­zhen, einer der noch unter Deng Xiao­ping errich­te­ten Son­der­wirt­schafts­zo­nen, von Ma Hua­t­eng gegrün­det. Er hat Wechat auf den Markt gebracht – eine mul­ti­ple App, mit der man auch bezah­len kann; sie hat mitt­ler­wei­le mehr als 900 Mil­lio­nen Nut­zer, so daß Chi­na sich auf dem Weg in eine bar­geld­lo­se Gesell­schaft befindet.

Bei­de Mas, nicht mit­ein­an­der ver­wandt, sind längst Mil­li­ar­dä­re und wer­den in ihrer Hei­mat wie Pop­stars gefeiert.
Pekings Erfolgs­ge­heim­nis sind die als »Sozia­lis­mus chi­ne­si­scher Prä­gung« fir­mie­ren­de staat­lich ein­ge­heg­te Markt­wirt­schaft (Ende 2017 gab es 66 Mil­lio­nen Ein­zel­un­ter­neh­men und 27 Mil­lio­nen Pri­vat­fir­men mit ins­ge­samt 341 Mil­lio­nen Beschäf­tig­ten) sowie die Rück­be­sin­nung auf die von Kon­fu­zi­us abge­lei­te­te Herr­schaft­s­tri­as Leis­tung – Dis­zi­plin – Hierarchie.

Im Gegen­satz zum Wes­ten ste­hen in Chi­na, wie im übri­gen Ost­asi­en, Staat und Nati­on über dem Indi­vi­du­um. Die Eli­ten-Aus­wahl ist wie zu Zei­ten des Kai­ser­reichs rigo­ros: In den Tagen des »Gao­kao« (»Hoher Test«), der natio­na­len Zulas­sungs­prü­fung für die Uni­ver­si­tä­ten, die dem Abitur ähnelt, befin­det sich das gan­ze Land im Aus­nah­me­zu­stand. Für jun­ge Chi­ne­sen ist es die wich­tigs­te Zeit in ihrem Leben, denn vier Prü­fun­gen in neun Stun­den an zwei Tagen ent­schei­den über ihre Zukunft.

Nicht min­der streng ist das jähr­li­che Aus­le­se­ver­fah­ren beim »Guo­kao« (»Lan­des­test«), den gleich­zei­tig in allen Pro­vin­zen statt­fin­den­den Beam­ten­prü­fun­gen. Die Prü­fung für 2018 fand im letz­ten Dezem­ber statt: 1,38 Mil­lio­nen zuge­las­se­ne Bewer­ber kon­kur­rier­ten um 28533 Stel­len; Vor­aus­set­zung für 90 Pro­zent der Stel­len war ein abge­schlos­se­nes Studium.

Behör­den, Fir­men, gesell­schaft­li­che Insti­tu­tio­nen und nicht zuletzt die KP, mit fast neun­zig Mil­lio­nen Mit­glie­dern die größ­te Par­tei der Welt, kön­nen aus einem Reser­voir von jähr­lich sie­ben bis acht Mil­lio­nen Uni­ver­si­täts­ab­sol­ven­ten schöp­fen. Mit­glie­der des Staats­rats (Zen­tral­re­gie­rung) und hohe Par­tei­funk­tio­nä­re sind vor­züg­lich aus­ge­bil­det; nicht weni­ge haben im Aus­land stu­diert, fast alle haben vor der Beru­fung in höchs­te Ämter prak­ti­sche Arbeit auf Pro­vinz­ebe­ne geleistet.

Trotz aller Erfol­ge sind Chi­nas Pro­ble­me nicht zu über­se­hen: Ver- hee­ren­de Umwelt­ver­schmut­zung, eine oft­mals bru­tal for­cier­te Urba­ni­sie­rung und man­geln­de Rechts­staat­lich­keit füh­ren immer wie­der zu loka­len Kon­flik­ten. Die schon von Kon­fu­zi­us ange­streb­te »Gro­ße Gemein­schaft« (tat­ung), die Ver­söh­nung aller gesell­schaft­li­chen Wider­sprü­che durch das Stre­ben nach Har­mo­nie und eine Poli­tik von Maß und Mit­te, liegt noch in wei­ter Fer­ne. Trotz­dem dürf­te jenen ein­gangs zitier­ten 87 Pro­zent nicht zu wider­spre­chen sein, die ihr Land auf dem rich­ti­gen Weg sehen. 

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