Philosophy is not dead, it just smells funny

PDF der Druckfassung aus Sezession 83/April 2018

Es steht heut­zu­ta­ge nicht gut um die Phi­lo­so­phie. Da hat sich die eins­ti­ge ancil­la theo­lo­giae müh­sam von ihrer alten Her­rin, der Theo­lo­gie, eman­zi­piert und sich einem neu­en, ver­meint­lich bes­se­ren Herrn, der Natur­wis­sen­schaft, ange­dient und muß sich aus der Feder sei­nes der­zeit bekann­tes­ten Wür­den­trä­gers zum Dank dafür tot­sa­gen lassen.
Schlimm dar­an ist, daß Ste­phen Haw­king mit sei­nem Dik­tum, daß die Phi­lo­so­phie infol­ge ihrer Unfä­hig­keit, die gro­ßen Fra­gen zu beant­wor­ten, tot sei, nicht ein­mal ganz falsch liegt.
Zumal, wenn man einen Blick auf die ideo­lo­gi­schen Toll­hei­ten wirft, mit denen sich die offi­zi­el­le Berufs­phi­lo­so­phie oft abgibt. Für das per­sön­li­che Vor­an­kom­men in den Insti­tu­tio­nen der west­li­chen Welt mag es heu­te gebo­ten sein, nach allen Regeln der Kunst zu kon­stru­ie­ren und zu dekon­stru­ie­ren, tren­di­ge Luft­schlös­ser zu bau­en und oppor­tu­ne Ismen zu betrei­ben, die ewi­gen Mensch­heits­fra­gen aber berührt man damit nicht im gerings­ten, da hat Haw­king völ­lig recht.

Unrecht hat der amtie­ren­de Phy­sik­papst inso­fern, als es sehr wohl Phi­lo­so­phen gibt, die heu­te noch den Fra­gen nach den Grund­la­gen des Daseins nach­ge­hen, doch sol­che Leu­te machen in kei­nem Betrieb eine stei­le Kar­rie­re, noch errei­chen sie ein ver­zück­tes Mil­lio­nen­pu­bli­kum. Wer bräuch­te noch so etwas über­hol­tes, ja abwe­gi­ges wie Meta­phy­sik (d.h. die Leh­re von den Din­gen hin­ter den Din­gen)? Höchs­tens jemand, den die Ant­wor­ten der Natur­wis­sen­schaft und ihrer Magd, der moder­nen Phi­lo­so­phie, auf die gro­ßen Fra­gen nicht mehr zu über­zeu­gen vermögen.

Ein Abweich­ler die­ser Art ist der ame­ri­ka­ni­sche, in Pasa­de­na leh­ren­de Phi­lo­soph Edward Feser (*1968), der zu Beginn sei­nes Phi­lo­so­phen­le­bens als Athe­ist die übli­chen Grund­an­nah­men der moder­nen Leh­re teil­te und fel­sen­fest über­zeugt davon war, daß sich alles Sei­en­de zur Genü­ge aus sei­nen mate­ri­el­len Bestand­tei­len erklä­ren läßt.

Die meta­phy­si­schen Leh­ren der gro­ßen Den­ker von einst sei­en daher allen­falls von his­to­ri­schem Inter­es­se. Einer ers­ten Irri­ta­ti­on begeg­ne­te Feser mit einer eige­nen Arbeit zum Leib-See­le-Pro­blem (Feser: Phi­lo­so­phy of Mind, 2006), doch die kar­te­sia­ni­sche Posi­ti­on, die er damit ver­trat, befrie­dig­te ihn nicht wirklich.

Erst als er im Rah­men einer Lehr­ver­an­stal­tung zur Reli­gi­ons­phi­lo­so­phie sei­nen Stu­den­ten einen Ein­druck der klas­si­schen Got­tes­be­wei­se ver­mit­teln soll­te, begann sich Feser ein­ge­hen­der mit den Argu­men­ten der abend­län­di­schen Meta­phy­si­ker zu beschäf­ti­gen. Er war es leid, sei­ne Ver­an­stal­tung damit zu bestrei­ten, die übli­chen argu­men­ta­ti­ven Papp­ka­me­ra­den aus den gän­gi­gen Hand­bü­chern auf­zu­stel­len, um sie dann nie­der­ma­chen zu lassen.

Den­ker wie Aris­to­te­les oder Tho­mas von Aquin sind erwie­se­ner­ma­ßen kei­ne Dumm­köp­fe gewe­sen und haben allein des­halb Ach­tung ver­dient. So begann Feser die meta­phy­si­schen Schrif­ten der Klas­si­ker gründ­lich zu stu­die­ren, um ihren Argu­men­ten gerecht zu wer­den und sei­nen Unter­richt etwas niveau­vol­ler zu gestal­ten: weg von den Refle­xen, hin zur Reflexion.

Im Lau­fe die­ses Quel­len­stu­di­ums muß­te er fest­stel­len, daß die Argu­men­te die­ser Meta­phy­si­ker stim­mig sind und wenig mit den Kari­ka­tu­ren gemein haben, auf die neu­zeit­li­che Phi­lo­so­phen wie Des­car­tes, Hume oder Rus­sell ihre Kri­tik rich­ten. Die viel­be­schwo­re­ne Wider­le­gung der über­lie­fer­ten Leh­ren über, aris­to­te­lisch aus­ge­drückt, »das Sein als sol­ches« durch den uner­bitt­li­chen Fort­schritt der moder­nen Wis­sen­schaft erwies sich, wohl­wol­lend betrach­tet, als das Pro­dukt pein­li­cher Unin­for­miert­heit oder, unchar­man­ter gedeu­tet, als ein höchst ten­den­ziö­ser Mythos wie ihn gera­de der soge­nann­te Neue Athe­is­mus geräusch­voll propagiert.

Der Wider­le­gung die­ser angeb­li­chen Wider­le­gung des Alten Den­kens durch die schö­ne neue Wis­sen­schaft­lich­keit wid­me­te Feser 2008 sein bis­her bekann­tes­tes Buch The Last Supers­ti­ti­on. Dar­in ent­fal­tet er sein vir­tuo­ses Talent, hoch­abs­trak­te Sach­ver­hal­te in kla­rer Spra­che ver­ständ­lich zu machen. Auch sei­ne beherz­te Par­tei­lich­keit – Feser hat eine deut­li­che und wohl­be­grün­de­te Mei­nung über die intel­lek­tu­el­le Red­lich­keit der Neu­en Athe­is­ten – macht die Lek­tü­re die­ses Buches zu einem beson­de­ren Vergnügen.

Das Buch fängt prak­tisch an, näm­lich mit dem Blick auf den Zer­rüt­tungs­grad des Wes­tens. Fesers Ein­schät­zung nach ist die gegen­wär­ti­ge Dys­funk­tio­na­li­tät Ein­zel­ner wie gan­zer Gemein­schaf­ten die zwin­gen­de Fol­ge fal­scher Prämissen.
Als man im west­li­chen Den­ken den Blick auf den rein mate­ri­el­len Aspekt der Din­ge zu ver­en­gen begann, begab man sich in eine geis­ti­ge Sack­gas­se. Die Abkehr von jenem rea­li­täts­ge­rech­ten Tie­fen­blick, der Anti­ke und Mit­tel­al­ter kenn­zeich­net und der in den ein­zig­ar­ti­gen Leis­tun­gen der abend­län­di­schen Kul­tur resul­tier­te, ist also kein fol­gen­lo­ses Geschmacks­ur­teil, son­dern ein schwe­rer Irrtum.

Wer sein Den­ken und Urtei­len auf eine sol­che Ein­di­men­sio­na­li­tät beschränkt, ist weit davon ent­fernt, ein kor­rek­tes Bild von der Welt zu haben. Feser demons­triert dies, indem er sei­nen Leser nach der Beschrei­bung des Pro­blems »Neu­er Athe­is­mus« auf einen Gang durch die Ideen­ge­schich­te der klas­si­schen abend­län­di­schen Phi­lo­so­phie mitnimmt.

Allein wegen sei­ner anschau­li­chen wie schlüs­si­gen Dar­stel­lung der phi­lo­so­phi­schen Aus­gangs­fra­gen, der jewei­li­gen Über­le­gun­gen und Pro­blem­lö­sun­gen ein­zel­ner Phi­lo­so­phen von den Vor­so­kra­ti­kern bis zu den Scho­las­ti­kern lohnt sich die Lek­tü­re die­ses Buches. Anhand die­ses Abris­ses begreift auch der untrai­nier­te Laie die Moti­ve und recht abs­trak­ten Argu­men­te der anti­ken und mit­tel­al­ter­li­chen Geis­tes­grö­ßen auf Anhieb.

Die letz­ten Kapi­tel, die sich an die­se glän­zen­de Dar­le­gung anschlie­ßen, wid­met Feser der Beschrei­bung der neu­zeit­li­chen Fehl­ent­wick­lung in der Phi­lo­so­phie. Er zeigt hier genau, wo und wie die Kri­tik moder­ner Den­ker am klas­si­schen Lehr­ge­bäu­de zur Meta­phy­sik wegen man­geln­der Quel­len­kennt­nis­se in die Irre geht. Und in man­chen Fäl­len war es nicht nur Unin­for­miert­heit, die zu Fehl­schlüs­sen führ­te, son­dern auch eine offen­kun­di­ge Vor­ein­ge­nom­men­heit man­ches Kritikers.
Dabei führt Feser unter ande­rem vor, daß die Ableh­nung der meta­phy­si­schen Welt­sicht nicht etwa bes­se­re Ant­wor­ten auf alte Fra­gen gibt, son­dern viel­mehr neue Pro­ble­me wie den moder­nen Leib-See­le-Dua­lis­mus gebiert, der in der nüch­ter­nen Anti­ke völ­lig unbe­kannt wie unnö­tig war. Außer­dem zer­stört die moder­ne typi­sche Leug­nung von Kausal‑, Form- und Zweck­ur­sa­chen die Grund­la­ge jeder Art von Wissenschaft.

Dar­an ändert auch der ver­rä­te­ri­sche Umstand nichts, daß gemä­ßig­te wie radi­ka­le Leug­ner aller Prin­zi­pi­en die eige­ne Posi­ti­on immer still­schwei­gend aus ihrem ideo­lo­gi­schen Kahl­schlag aus­spa­ren (die­se Form inkon­se­quen­ten wie unred­li­chen Den­kens kann­te die Alte Welt eben­falls nicht). Fesers Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Neu­en Athe­is­mus, dem beson­ders bor­nier­ten Ver­tre­ter neu­zeit­li­cher Denk­ver­bo­te, macht deut­lich, daß auch die Phi­lo­so­phie ohne Grund­la­gen­for­schung, also Meta­phy­sik, nicht betrie­ben wer­den kann, jeden­falls nicht, wenn jemand von Argu­men­ten ein Min­dest­maß an logi­scher Kohä­renz erwartet.

Wie ein Blick auf sei­ne jün­ge­ren Ver­öf­fent­li­chun­gen (Aqui­nas, 2009; Aris­tot­le on Methods and Meta­phy­sics, 2013; Scho­la­s­tic Meta­phy­sics: A Con­tem­po­ra­ry Intro­duc­tion, 2014; Neo­sco­la­s­tic Essays, 2015) zeigt, ist die Grund­la­gen­for­schung in der Phi­lo­so­phie und ihre öffent­li­che Reha­bi­li­tie­rung zu Fesers Haupt­an­lie­gen geworden.

In sei­nem jüngs­ten Buch Five Pro­ofs of the Exis­tence of God (2017) greift er die Argu­men­te der klas­si­schen Meta­phy­si­ker in aller Aus­führ­lich­keit auf. Anders als der Titel es sug­ge­riert, wid­met sich Feser hier nicht den berühm­ten fünf Got­tes­be­wei­sen des Aqui­na­ten, son­dern zeich­net fünf ver­schie­de­ne Beweis­ket­ten nam­haf­ter Den­ker wie Aris­to­te­les, Plo­tin und Leib­nitz detail­liert nach. Er beginnt dabei mit je einer banal anmu­ten­den All­tags­be­ob­ach­tung und ver­folgt die­ses Phä­no­men in klei­nen ana­ly­ti­schen Schrit­ten bis zu ihrem äußers­ten, nicht wei­ter zer­glie­der­ba­ren Grund. Dort lau- fen die fünf ver­schie­de­nen Beweis­we­ge schließ­lich zusammen. 

Eine Aus­ein­an­der­set­zung mit den häu­figs­ten Ein­wän­den schließt dann jedes die­ser Wege­ka­pi­tel ab. Nach­dem also die Exis­tenz eines Urgrun­des, der als Über­struk­tur alles in sich ent­hält, bewie­sen wur­de, unter­sucht Feser das Wesen die­ses Urgrun­des. Mit dis­kur­si­ven Argu­men­ten weist er bestimm­te not­wen­di­ge Eigen­schaf­ten des Urgrun­des – etwa All­wis­sen­heit, Unver­än­der­lich­keit und Güte – nach und run­det die­se erschöp­fen­de Unter­su­chung mit einem Schluß­ka­pi­tel ab, in dem er alle gän­gi­gen (auch die dümm­li­chen) Ein­wän­de gegen die­se Natur­theo­lo­gie auf­greift und widerlegt.

Feser bleibt in sei­nen Five Pro­ofs wahr­lich kei­ne Ant­wort schul­dig. Als ein­zi­ge Mög­lich­keit ange­sichts die­ser Fül­le von sau­ber her­aus­ge­ar­bei­te­ten Argu­men­ten, den­noch an einem beque­men Athe­is­mus oder Agnos­ti­zis­mus fest­zu­hal­ten, blie­be einem über­zeug­ten Gegen­warts­ma­te­ria­lis­ten nur, den Blick abzu­wen­den und ein per­sön­li­ches Des­in­ter­es­se an der gesam­ten Fra­ge­stel­lung zu bekun­den, da der Weg der Ver­nunft, der intel­lek­tu­el­len Red­lich­keit und Wahr­heits­lie­be ja in eine uner­wünsch­te Rich­tung führt.

Es sind also sub­jek­ti­ve Bedürf­nis­se und gedank­li­che Schlu­de­rei­en und nicht etwa nack­te Tat­sa­chen oder gar die eher­nen Geset­ze der Logik, die den oft bemüh­ten moder­nen Men­schen von jenem umfas­sen­den Blick auf sämt­li­che Rea­li­täts­schich­ten, der für sei­ne Ahnen in Anti­ke und Mit­tel­al­ter selbst­ver­ständ­lich war, abhält.
Wie Feser mit die­sem Buch beein­dru­ckend demons­triert, ist die Phi­lo­so­phie kei­nes­wegs tot, weil es ent­ge­gen der Per­for­mance heu­ti­ger Star­in­tel­lek­tu­el­ler sehr wohl noch Phi­lo­so­phen gibt, die sich meis­ter­lich den gro­ßen Fra­gen stellen.

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