Neue Regeln

PDF der Druckfassung aus Sezession 85/ August 2018

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Wir saßen mit einem CDU-Urge­stein zusam­men, einem jener Män­ner, deret­we­gen das hal­be bun­des­deut­sche Bür­ger­tum ent­lang der Unmün­dig­keits­for­mel »Augen zu, CDU« bis zur Selbst­ver­leug­nung die christ­de­mo­kra­ti­sche Volks­par­tei gewählt hat (und wohl noch immer wählt).
Ob er wis­se, daß man Leu­te wie ihn in unse­ren Krei­sen als »nütz­li­che Idio­ten« bezeichne? 

Ja, er wis­se das, aber er müs­se gleich zurück­fra­gen: was wir denn in sei­ner Lage anders gemacht hät­ten, bes­ser, kom­pro­miß­lo­ser? Sei es nicht so, daß er dort, wo er inner­halb der CDU gewirkt habe, doch das Maxi­ma­le für die rich­ti­ge (die natio­na­le, die wider­stän­di­ge, die rech­te?) Sache her­aus­ge­holt habe? Was wäre die Alter­na­ti­ve gewesen?

Die Alter­na­ti­ve wäre der Aus­stieg gewe­sen, die Arbeits­ver­wei­ge­rung, die Nicht-Betei­li­gung am grund­sätz­lich fal­schen Weg, das Abwar­ten und die sub­ku­ta­ne Arbeit an einer ande­ren Spra­che, an neu­en Struk­tu­ren und an neu­en Regeln. Letz­te­res vor allem: Die­je­ni­gen, die das Geschäft der Eta­blier­ten, der Alt­par­tei­en ken­nen und die Bewe­gungs­ab­läu­fe aus­ge­kun­gel­ter Schein­ge­fech­te im Innern des Betriebs stu­die­ren konn­ten oder sogar mit orga­ni­sie­ren muß­ten, obwohl ihnen etwas ganz ande­res vor­schweb­te, müß­ten uns (und vor allem den Ent­schei­dungs­trä­gern in der AfD) zu neu­en Regeln raten.

Ein Bei­spiel: Es ging im Gespräch mit dem CDU-Urge­stein unter ande­rem um die Fra­ge, inwie­fern man auf die Befind­lich­kei­ten CDU- und FDP-naher, bür­ger­li­cher Wäh­ler Rück­sicht neh­men müs­se, um Mehr­hei­ten zu gewin­nen. Denn, so sein Argu­ment: Mit grund­sätz­lich alter­na­ti­vem Kurs und Per­so­nal sei­en viel­leicht 20 Pro­zent im Bund und 30 Pro­zent in den fünf Ost­län­dern zu errei­chen, aber dies rei­che für einen Regie­rungs­auf­trag hier wie dort nicht aus. 

Er riet also zur Vor­sicht, riet dazu, die Mehr­heits­wäh­ler­schicht nicht zu ver­schre­cken und nicht stän­dig und über­all von Grund­sätz­lich­keit und
Alter­na­ti­ve, von Unver­söhn­lich­keit und »Jagd« zu spre­chen. Und dann kam der Tip: Manch­mal sei es bes­ser, nicht in eine Sack­gas­se zu lau­fen, son­dern einen Umweg zu gehen. Denn nicht immer sei die kür­zes­te Linie zwi­schen zwei Punk­ten die Gerade.

Wir war­ten in unse­ren Gesprä­chen gera­de­zu auf sol­che Beschrei­bun­gen von Tanz­schrit­ten. Es spricht aus die­sen Phra­sen ein durch jahr­zehn­te­lan­ges Ecken­ste­hen gebro­che­nes Selbst­be­wußt­sein, das sich die auf­ge­zwun­ge­nen »Umwe­ge« als geschick­tes Ver­hal­ten schön­re­det und nicht mehr in der Lage ist, im über­tra­ge­nen Sin­ne eine »Gera­de« zu schla­gen – den kür­zes­ten Weg zwi­schen Box­hand­schuh und Nase also.

Mas­sen­haft drän­gen die­se in Alt­par­tei­en ver­zo­ge­nen Leu­te nun in unser längst sehr sta­bi­les Wider­stands­ge­bäu­de. Man­che schleu­dern auf ihrem Weg »her­über zu uns« ihr Alt­par­tei­en­geha­be ab wie eine Alt­last; ande­re (oft die­je­ni­gen, die Macht­in­stinkt haben und gleich wieder nach vorn drän­gen) tra­gen das Gelern­te und Ver­in­ner­lich­te in die neu­en Struk­tu­ren, ver­kleis­tern sie mit ihrer Beden­ken­trä­ge­rei und zie­hen – erneut an Schalt­he­beln plat­ziert – ihres­glei­chen nach.

Es ver­steht sich von selbst, daß nur mit den­je­ni­gen, die begrei­fen, was eine »Alter­na­ti­ve« ist und wovon sie lebt, eine »Alter­na­ti­ve« im grund­sätz­li­chen Sinn mög­lich ist. Es ist nicht schwie­rig, für jedes Poli­tik­feld alter­na­ti­ve Kon­zep­te zu erar­bei­ten. Sehr viel schwie­ri­ger ist es aber, sich anders zu ver­hal­ten und die Fleisch gewor­de­nen Ver­hal­tens­re­geln und Refle­xe abzulegen.

Kei­nem AfD-Wahl­kämp­fer der ers­ten Stun­de ist es zu ver­mit­teln, daß für einen CDU-Pro­fes­sor, der mit der AfD lieb­äu­gelt, die Gren­ze des Erträg­li­chen dort erreicht ist, wo er von der Deut­schen Bank nicht mehr zu einem best­do­tier­ten Abend­vor­trag ein­ge­la­den wird. Und kein AfD-Poli­ti­ker soll­te es akzep­tie­ren, daß auf eine sol­che Befind­lich­keit Rück­sicht genom­men wer­den müsse.

Neue Regeln! Wem der Wind zu rauh ist, der an den Wahl­kampf­stän­den, in Gesprächs­run­den, im Freun­des­kreis und an der Arbeits­stel­le zu wehen beginnt, wenn man sich für den Wider­stand ent­schie­den hat, soll wei­ter­hin sei­ne »Umwe­ge« gehen und »Sack­gas­sen« meiden. 

Viel­leicht wird ihm eines nie klar: »Alter­na­tiv« bedeu­tet, in ver­meint­li­che Sack­gas­se hin­ein­zu­ge­hen und sie noch ein­mal zu kar­tie­ren. Die Stadt­plä­ne stim­men nicht mehr: Vie­le Sack­gas­sen sind Duch­gangs­stra­ßen. Wir benut­zen sie und win­ken denen nach, die sich – wie schon immer – auf ihren Umwe­gen verlieren. 

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)