Wir saßen mit einem CDU-Urgestein zusammen, einem jener Männer, deretwegen das halbe bundesdeutsche Bürgertum entlang der Unmündigkeitsformel »Augen zu, CDU« bis zur Selbstverleugnung die christdemokratische Volkspartei gewählt hat (und wohl noch immer wählt).
Ob er wisse, daß man Leute wie ihn in unseren Kreisen als »nützliche Idioten« bezeichne?
Ja, er wisse das, aber er müsse gleich zurückfragen: was wir denn in seiner Lage anders gemacht hätten, besser, kompromißloser? Sei es nicht so, daß er dort, wo er innerhalb der CDU gewirkt habe, doch das Maximale für die richtige (die nationale, die widerständige, die rechte?) Sache herausgeholt habe? Was wäre die Alternative gewesen?
Die Alternative wäre der Ausstieg gewesen, die Arbeitsverweigerung, die Nicht-Beteiligung am grundsätzlich falschen Weg, das Abwarten und die subkutane Arbeit an einer anderen Sprache, an neuen Strukturen und an neuen Regeln. Letzteres vor allem: Diejenigen, die das Geschäft der Etablierten, der Altparteien kennen und die Bewegungsabläufe ausgekungelter Scheingefechte im Innern des Betriebs studieren konnten oder sogar mit organisieren mußten, obwohl ihnen etwas ganz anderes vorschwebte, müßten uns (und vor allem den Entscheidungsträgern in der AfD) zu neuen Regeln raten.
Ein Beispiel: Es ging im Gespräch mit dem CDU-Urgestein unter anderem um die Frage, inwiefern man auf die Befindlichkeiten CDU- und FDP-naher, bürgerlicher Wähler Rücksicht nehmen müsse, um Mehrheiten zu gewinnen. Denn, so sein Argument: Mit grundsätzlich alternativem Kurs und Personal seien vielleicht 20 Prozent im Bund und 30 Prozent in den fünf Ostländern zu erreichen, aber dies reiche für einen Regierungsauftrag hier wie dort nicht aus.
Er riet also zur Vorsicht, riet dazu, die Mehrheitswählerschicht nicht zu verschrecken und nicht ständig und überall von Grundsätzlichkeit und
Alternative, von Unversöhnlichkeit und »Jagd« zu sprechen. Und dann kam der Tip: Manchmal sei es besser, nicht in eine Sackgasse zu laufen, sondern einen Umweg zu gehen. Denn nicht immer sei die kürzeste Linie zwischen zwei Punkten die Gerade.
Wir warten in unseren Gesprächen geradezu auf solche Beschreibungen von Tanzschritten. Es spricht aus diesen Phrasen ein durch jahrzehntelanges Eckenstehen gebrochenes Selbstbewußtsein, das sich die aufgezwungenen »Umwege« als geschicktes Verhalten schönredet und nicht mehr in der Lage ist, im übertragenen Sinne eine »Gerade« zu schlagen – den kürzesten Weg zwischen Boxhandschuh und Nase also.
Massenhaft drängen diese in Altparteien verzogenen Leute nun in unser längst sehr stabiles Widerstandsgebäude. Manche schleudern auf ihrem Weg »herüber zu uns« ihr Altparteiengehabe ab wie eine Altlast; andere (oft diejenigen, die Machtinstinkt haben und gleich wieder nach vorn drängen) tragen das Gelernte und Verinnerlichte in die neuen Strukturen, verkleistern sie mit ihrer Bedenkenträgerei und ziehen – erneut an Schalthebeln platziert – ihresgleichen nach.
Es versteht sich von selbst, daß nur mit denjenigen, die begreifen, was eine »Alternative« ist und wovon sie lebt, eine »Alternative« im grundsätzlichen Sinn möglich ist. Es ist nicht schwierig, für jedes Politikfeld alternative Konzepte zu erarbeiten. Sehr viel schwieriger ist es aber, sich anders zu verhalten und die Fleisch gewordenen Verhaltensregeln und Reflexe abzulegen.
Keinem AfD-Wahlkämpfer der ersten Stunde ist es zu vermitteln, daß für einen CDU-Professor, der mit der AfD liebäugelt, die Grenze des Erträglichen dort erreicht ist, wo er von der Deutschen Bank nicht mehr zu einem bestdotierten Abendvortrag eingeladen wird. Und kein AfD-Politiker sollte es akzeptieren, daß auf eine solche Befindlichkeit Rücksicht genommen werden müsse.
Neue Regeln! Wem der Wind zu rauh ist, der an den Wahlkampfständen, in Gesprächsrunden, im Freundeskreis und an der Arbeitsstelle zu wehen beginnt, wenn man sich für den Widerstand entschieden hat, soll weiterhin seine »Umwege« gehen und »Sackgassen« meiden.
Vielleicht wird ihm eines nie klar: »Alternativ« bedeutet, in vermeintliche Sackgasse hineinzugehen und sie noch einmal zu kartieren. Die Stadtpläne stimmen nicht mehr: Viele Sackgassen sind Duchgangsstraßen. Wir benutzen sie und winken denen nach, die sich – wie schon immer – auf ihren Umwegen verlieren.