»Aufgeblättert. Zugeschlagen.« – ein Sekt nach dem Dreh

PDF der Druckfassung aus Sezession 85/August 2018

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

mit Susan­ne Dagen und Ellen Kositza

KOSITZA: So, Matus­sek sitzt im Zug. Machen wir den Sekt auf?

DAGEN: Oja! Bit­te. Und ob Matus­sek nun im Zug sitzt, weiß ich nicht. Ich hof­fe es.

KOSITZA: Aber Du hast ihn, also Matus­sek, doch gera­de … abgeliefert?

DAGEN: Ich habe ihn zum Bahn­hof gebracht, ein­stei­gen muß er selbst. Hät­te ich noch Win­ke-Win­ke machen sollen?

KOSITZA: Matus­sek ist echt ein Aben­teu­rer, ich trau ihm zu, daß er auf das Gleis gegan­gen ist, das ihm am inter­es­san­tes­ten vor­kam. So, Sekt.

DAGEN: [Plopp]. Herr­lichs­tes Geräusch. Aben­teu­rer? Ich weiß, was Du meinst. Aber eben auch ver­letz­lich. Ach­tung, läuft über!

KOSITZA: Du meinst, wegen sei­nem Tem­pe­ra­ment? Die­ser Art, über­zu­schäu­men und begeis­tert alles an sich zu ziehen …

DAGEN: Nein. Der Sekt läuft über.

KOSITZA: Okay. [Trinkt ab] Aber zu unse­rem Gesprächs­part­ner: Ich fand’s per­fekt. Ich mei­ne, Matus­sek ist schon irgend­wo der Typus mans­plai­ner. Ein Kerl, der im Bewußt­sein lebt, einem die Welt erklä­ren zu kön­nen. Der hat das Wort an sich geris­sen, weil er eben ein sehr lei­den­schaft­li­cher Leser ist. Ich fand’s toll, unse­re Auf­zeich­nung, und sie war doch echt mei­nungs­stark! Wir haben uns gut behaup­tet kön­nen, ihm gegen­über, oder?

DAGEN: Naja, er ist schon auch sehr domi­nant. Aber er machts einem wie­der­um auch nicht schwer, ihn mal ein biß­chen ein­zu­brem­sen. Irgend­wie füh­le ich mich jetzt wie nach einem Sprint. Aus­ge­laugt, aber auch zufrie­den mit der Lauf­zeit. Heu­te erst habe ich gemerkt, wel­ches Poten­ti­al in einem sol­chen lite­ra­ri­schen Drei­er-Gespräch steckt. Daß es dar­um geht, gut vor­be­rei­tet zu sein und den­noch den unbe­kann­ten Drit­ten so anzu­neh­men, wie er ist und dar­aus ein gemein­sa­mes Gespräch zu ent­wi­ckeln. Ich glau­be, er fühl­te sich von uns bei­den gut bekränzt. Begrenzt auch [lacht].

Schön war, daß er spä­tes­tens bei Hart­mut Lan­ges Novel­len auch sei­ne zar­te Sei­te offen­bart hat. Bei der Dorn und bei Bet­ti­na Röhls Buch war er doch eher auto­bio­gra­phisch in sei­nem Urteil. Das fiel ihm sicht­bar leich­ter. Die Lek­tü­re Lan­ges, gegen die er sich ja anfäng­lich so gesperrt hat, hat einen ande­ren Matus­sek gezeigt: den sinn­li­chen, den nach­denk­li­chen. Das war für mich eine sehr berüh­ren­de Wandlung.

KOSITZA: Und ich mein’, Matus­sek ist ja kein Ideo­lo­ge! Mir kommt er vor wie ein Jun­ge, der zeigt, daß es beson­ders kniff­lig oder cool ist, mit über­kreuz­ten Armen Seil zu sprin­gen. Und alle ande­ren sagen: »Nee, gilt nicht, ist gegen die Regeln. Das ech­te Seil­sprin­gen geht ganz anders.« Dabei beherrscht Matus­sek das Stan­dard­seil­sprin­gen eh.

DAGEN: Nun, ich den­ke, er ist sehr geprägt von sei­ner lan­gen jour­na­lis­ti­schen Tätig­keit. Davon, sich stän­dig neu erfin­den zu müs­sen, den Jun­gen was vor zu machen, auf Geschich­ten­jagd zu sein. Daß er in die­ser Liga nicht mehr mit­spielt, ist, so glau­be ich, für ihn noch immer ein unbe­wäl­tig­ter Beißstein.

KOSITZA: Wobei ich sagen muß, daß unse­re bei­den Claims, also sowohl »Auf­ge­blät­tert-zuge­schla­gen« als auch der Unter­ti­tel »Mit Rech­ten lesen« schon kraß sind, oder? Ich mei­ne, bei­des impli­ziert eine dezi­dier­te Hal­tung. Wir wer­ten. Und wir wer­ten von einer bestimm­ten Posi­ti­on aus. Gut, heu­te hat­ten wir mit Thea Dorn und Bet­ti­na Röhl zwei Sach­bü­cher im Gepäck, über die man eh strei­ten kann, das ist inbegriffen. 

Aber schon unse­re August-Sen­dung wird sich nur um Bel­le­tris­tik, über­setzt: »Schö­ne Lite­ra­tur«, dre­hen. Darf man da »von rechts« lesen?« Also, ich selbst hal­te mich in Fra­gen der Kunst nicht für eine Ideo­lo­gin. Ande­rer­seits: Es wäre doch pein­lich, Bücher zu lesen und sich dabei völ­lig frei­zu­ma­chen von irgend­ei­nem … nen­nen wir’s welt­an­schau­li­chem Hin­ter­grund. Das wäre doch naiv, oder? Lite­ra­tur, auch die Bel­le­tris­tik, ent­steht ja nicht im luft­lee­ren Raum.
Wie siehst Du es?

DAGEN: Ich sehe das ein biß­chen anders. Wir spie­len mit dem Begriff des »Rech­ten«. Wir spie­len an auf die Phra­se »Mit Rech­ten reden!« und wir schrei­ben uns selbst etwas zu. Mir ging es bei die­sem Titel auch dar­um, all jenen den Wind aus den Segeln zu neh­men, denen die­se Zuschrei­bung des Bösen sofort auf der Zun­ge lag. »Dagen und Kositza machen eine Lite­ra­tur­sen­dung, ha ha.« Viel­leicht ist es irgend­wann so, daß man uns beschreibt als zwei Frau­en, die ihrer Lieb­lings­far­be Rot und ihrer Lieb­lings­be­schäf­ti­gung des Lesens frö­nen. Und die mit Freu­de ihrem Affen Zucker geben.

KOSITZA: Ja, Du sagst es – es hat etwas Augen­zwin­kern­des und auch was Spie­le­ri­sches, die­se Form der Selbst­be­zich­ti­gung. Ein biß­chen ist es doch wie mit dem Bild, das mir zu Matus­sek ein­ge­fal­len ist. Seil­sprin­gen mit über­kreuz­ten Armen oder sowas. Wir frö­nen unse­rer Lei­den­schaft, punkt. Und den­noch hat man lesend sei­nen Stand­punkt, der in einer umgrei­fen­den Lebens­hal­tung wurzelt. 

DAGEN: Ellen, ich bin gera­de sehr glück­lich, in Dir eine adäqua­te Lese-Part­ne­rin gefun­den zu haben. Wenn dann noch das Über­ra­schungs­mo­ment des Gas­tes dabei ist, um so bes­ser! Mir macht es einen Rie­sen­spaß – und ich ler­ne immer viel dabei.

KOSITZA: Ich auch, Susan­ne. Aber noch­mal, Mei­ne gro­ße Kla­ge: Die Rech­ten – und ich sag Dir, ich ken­ne die­sen hete­ro­ge­nen Groß­club mitt­ler­wei­le zur Genü­ge! – sind weit­ge­hend amu­sisch. Klar, es gibt ein paar Rechts­al­ter­na­ti­ve, die so ticken wie wir bei­de. Ein biß­chen öko, auf gute Musik und gute Lite­ra­tur aus.
Den­noch, und wer weiß, viel­leicht sit­ze ich einem Vor­ur­teil auf, scheint es mir so, als sei die gro­ße Lie­be zu den schö­nen Küns­ten eher links ver­or­tet. Oder irre ich mich?

DAGEN: Jetzt sind wir wie­der bei die­sen Begriffen. Gut, blei­ben wir dabei. Ich habe da einen ganz ande­ren Ein­druck. Nun, ich ste­he seit über 23 Jah­ren in mei­nem Laden, und die Kun­den­struk­tur hat sich in den letz­ten zwei Jah­ren noch­mal ein biß­chen ver­än­dert. Ich erle­be da eine beglü­cken­de Mischung aus Suchen­den, Refe­rie­ren­den und vie­len, die nur mit uns spre­chen wol­len. Da ist Lite­ra­tur immer ein guter Ein­stieg. Und ich bin erstaunt über die Bil­dung und das gro­ße Inter­es­se an allem, was die Welt erklärt oder auch (nur) schö­ner macht. Musik ist da immer ein Thema. 

Ob die Lie­be zu all die­sem eher links ver­or­tet ist, kann ich mir nicht vor­stel­len. Was soll­te das sein? Es ist doch vor allem eine Fra­ge des Geis­tes, sich auf Kunst ein­zu­las­sen. Des frei­en Geis­tes, mei­ne ich.

KOSITZA: Mir kommt es eben so vor, als wären wir wie­der ein­mal die Pio­nie­re für eine Leser­schaft, die noch gar nicht weiß, daß sie eine ist.
Ich hab übri­gens mal geschaut, wie wir von den soge­nann­ten Zugrif­fen her daste­hen auf You­Tube. Wenn ich unse­re ers­te Fol­ge mit Caro­li­ne Som­mer­feld ver­glei­che mit dem berühm­ten »Lite­ra­ri­schen Quar­tett« des Öffent­lich-Recht­li­chen Rund­funks: Wahn­sinn, wir sind ziem­lich satisfaktionsfähig!

DAGEN: Wir soll­ten uns auf das kon­zen­trie­ren, was uns aus­macht. Und dabei ehr­lich begeis­tert, bestürzt, ange­wi­dert oder einfach nur gleich­gül­tig sein. Mein Beruf des Buch­händ­lers war schon immer bera­tungs­in­ten­siv. Wenn unse­re Sen­dung ein wei­te­rer Kompaß auf der Suche nach schö­ner, wah­rer, guter Lite­ra­tur ist bin ich zufrie­den. Prost! 

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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