Es handelte sich nämlich um weit mehr als nur einen „Coup“, insofern eindrucksvoll eine Symptomatik offenbar wurde. Eine Wendesymptomatik. Im Politikteil und im Feuilleton lasen wir tiefgreifende Analysen und pointierte Kommentare; vor allem aber wurde gezählt und gerechnet: Stimmen, Wähleranteile, Konstellationen, Minderheiten, Mehrheiten, Koalitionen in allen Farbspielen außer blau.
Nur kommt es darauf nicht an. Es kommt ebensowenig auf Thüringen an. Ja, vielleicht auf Björn Höcke, denn er und sein „Flügel“ gehören ebenfalls zur Symptomatik, die darauf hindeutet, daß wir vor den prinzipiellsten Veränderungen seit der Wiedervereinigung, vermutlich gar seit der Gründung der Bundesrepublik stehen.
Bevor Politik Gewalt wird, ist sie Sprache und Kommunikation, so wie Sprache und Kommunikation überhaupt dem Denken kongruent sind. Letztlich wäre ja selbst Gewalt Kommunikation. An der Semantik sowie den Konnotationen und Nuancierungen der Sprache liest sich direkt sachlich oder indirekt psychologisch alles Wesentliche ab.
Was nach dem Thüringen-Ereignis von den politisch Etablierten wie von deren Deutungsmedien gesagt und geschrieben wurde, zeigt vor allem, daß der Sprache der Bundesgenossen von Ex-SED bis Neu-CSU nicht nur die Kraft zur Inspiration, sondern selbst billigste Redlichkeit abhanden kam. Was bleibt, sind Beschwörungsformeln und politische Heils- und Segensbegriffe nach innen und fiese Pauschaldenunziationen nach außen.
Bevor nun der Riß hart durchgeht und die Berliner Republik vollends spaltet, bevor unweigerlich Wende und Wandel beginnen und alte vermeintliche „Grundvereinbarungen“ durch neue ersetzt werden, wird die Phrasendrescherei noch mal kräftig forciert, weil bisherige Entscheidungsträger und Funktionäre angesichts ihrer schwindenden Macht zum einen rhetorischer Selbstvergewisserung bedürfen, zum anderen aber gegen die andrängenden Gegner hochfahrend austeilen wollen.
Das Pfeifen im Walde wird schriller; es schwillt zum Getöse an. Weil das Establishment ideell erschöpft ist und schmerzlich spürt, den selbst generierten Lebenslügen höchst verhängnisvoll aufgesessen zu sein, reitet es hysterisch Verbalattacken, die tragikomisch wirken, während erste Überläufer bereits die Fahnenflucht planen, um bei der neuen Postenvergabe gleich dabei zu sein und weiter Gehälter abfassen zu können. Die ersten Wendehälse zwitschern doch schon.
Und die alte, verbrauchte Riege der Macht beschleichen düstere Ahnungen, weil sie sich und ihren bisherigen Gefährten nichts Vitales mehr zutraut. Kompensation der eigenen Frustration verspricht den Einheitsfrontlern von Rot-Grün bis Schwarz beinahe nur noch die Verunglimpfung der einzigen Opposition, also der „Alternative für Deutschland“.
Das Vokabular der Schmähungen ist in Deutschland den „Anständigen“ sogleich zur Hand und erprobt wirksamer als anderswo. Deshalb hören wir andauernd von „brauner Gefahr“, von „Nazis“ und „Faschisten“, von Auschwitz, von Schuld, schlimmer noch: von der Gefahr neuer, noch schwerer Schuld, von „Kein Millimeter nach rechts!“ als einziger Vorbeugung gegenüber drohender Totalverderbnis in einer Katastrophe. Deshalb wird bis zur asozialen Antifa, in der nicht mal mehr ein Stück Geist steckt, jeder unterstützt, der noch „gegen rechts“ mitmacht.
Kognitiv ist das unaufwendig; besser man macht links einfach so mit, ahnungslos und gefühlig. Dabei war doch namentlich die zur Folkloretruppe abgestiegene Linke bis in die Künste hinein mal von beträchtlichem intellektuellen Format! Übrig blieben nur etwas Lifestyle und Retro-Gehabe.
Jedenfalls vergewissern sich die Verbrauchten wider besseres Wissen noch einmal ihres dicken Zusammenhalts, deklarieren sich als jugendlich hip und „bunt“, „europäisch“, „weltoffen“, „demokratisch“, gar als „tolerant“ und spielen vertraute Choreographien durch, allein mit dem Erfolg, daß in den inszenierten Kampagnen selbst die engere Anhängerschaft spürt, wie spät es bereits ist. Zu spät nämlich. Für sie. Es kann nur Ausdruck der Verzweiflung sein, wenn die gesamte kritische Opposition im Land als faschistoid verunglimpft wird! Keine Frage: Die Rechte hat die Initiative und damit die Verantwortung.
Mit etwas Erfahrung vermag man durchaus den Geist der Zeiten zu spüren, wiederum an der Sprache, am Duktus und Gestus. „Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf!“, so Erich Honecker bei der Präsentation des 32-bit-Chips aus DDR-Produktion. Gewollt markig und keck, dennoch lächerlich und armselig. Passend zu 32 Bit. –
„Die Mauer wird so lange bleiben, wie die Bedingungen nicht geändert werden, die zu ihrer Errichtung geführt haben. Sie wird auch noch in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben, wenn die dazu vorhandenen Gründe nicht beseitigt sind.“ –
Das machte kurz vor dem Zusammenbruch den SED-Kreisleitungen noch mal Mut, wenn man ein paar Gläser Wilthener Goldbrand darauf kippte, aber die schlimmen Zweifel gingen schon tiefer, die schlechten Träume häuften sich, und die selbstsuggerierte Tapferkeit reichte nur noch für die letzte Jubiläumsfeier. Unmittelbar danach wurden so zügig wie wortlos die SED-Mitgliedsbücher abgegeben. –
Nun kann man eine sklerotische Diktatur nicht mit einer immerhin dynamischen freiheitlichen Gesellschaft vergleichen, deren Basis nach wie vor beindruckend funktioniert und deren Wirtschaft brummt. Aber das Psychologische ist vergleichbar, etwa hinsichtlich der Entfremdung zwischen Regierenden und Regierten.
Weil substantiell notwendige Veränderungen in der Flüchtlings‑, Europa- und Finanzpolitik gegenwärtig einzig und allein von den Strukturen der AfD ausgehen können, insofern alles, was bisher nahezu sprachverboten war, sich über diese Partei artikuliert und sie den Widerstand gegen die Einheitsfront der selbsterklärten Mitte zu institutionalisieren beginnt, erntet sie den ganzen Haß der gerade noch Mächtigen und wird geradezu verteufelt, als stünde ein Fackelzug durch das Brandenburger Tor zu erwarten.
Nein, es wird einfach eine Korrektur geben müssen, die als Revision der offiziösen Sprache beginnt. An die jetzt noch bestimmende Verlautbarungsrhetorik der Regierenden wird man sich bald als eines Beispiels fader Selbstrechtfertigung erinnern. Dann aber folgt Klartext. Ja, der wird hier und da plump überziehen und rüpelhaft auf den Putz hauen; manches wird lächerlich bis peinlich, allzu vieles allzu begeistert klingen, aber das alles gehört zur Wiedererlangung freier Rede dazu. Es übt sich bereits.
Übrig bleiben später die kernigen Argumente und Urteile im Sinne pessimistischen Lebensernstes. Und die große Mehrheit der Zuhörenden wird wie immer nach einer Wende kleinlaut feststellen, daß sie das alles – ob wohl oder übel – ja eigentlich längst gewußt hatte, denn klar, der Kaiser war schon eine ganze Weile nackt unterwegs, man hatte es nur nicht gleich wahrhaben wollen und schon gar nicht laut sagen dürfen.
Zu Euphorie besteht indessen kein Anlaß, denn Veränderungen des Systems verleiten zwar zu Revolutionsromantik, sind aber Zeiten höchster Gefahr, in denen wir einen klaren Kopf behalten und so skeptisch wie demütig bleiben sollten. Der fatalen Illusion, daß der Mensch zuerst und vor allem vernünftig wäre, folgt die Rechte ihrer anthropologischen Grundüberzeugung nach nicht. Das ist von Vorteil.
Was bieten die anderen gegen die AfD noch auf? Friedrich Merz? Der hätte beispielsweise Gewicht. Aber vor allem ist er selbst ein Rechner und Honorarempfänger, zudem eitel und getrieben von Geltungsdrang – wie naturgemäß alle, die nach vorn wollen, gerade wenn noch alte Rechnungen offen sind, die man nicht vergessen konnte. Es ist auch für Merz zu spät, weil es längst um Wesentlicheres geht als um eine innere Reform der CDU.
Worum geht es? Um die Nation. Allein das ruhig auszusprechen gilt bislang als quasifaschistisch verpönt.
Gelddrucker
"Weil das Establishment ideell erschöpft ist und schmerzlich spürt, den selbst generierten Lebenslügen höchst verhängnisvoll aufgesessen zu sein"
Der zentrale Satz dieses Artikels.
In fast jeder Diskussion mit Linken, zumindest denen aus dem moderaten Spektrum, die sich nicht aggressiv den Untergang des Westens auf die Fahne geschrieben haben, ist es das gleiche Muster: Der Linke in der Defensive und in der Rechtfertigung, meist mit abgedroschenen Phrasen, wie im Artikel beschrieben.
Leider ist es (noch?) so, dass sich aus dieser Defensivhaltung und dem quasi-Eingeständnis, dass man irgendwie auf dem Holzweg zu sein scheint, keine Änderung der Aktion ergibt. Lieber grenzt man den rechten Übelredner aus und vergewissert sich dann beim nächsten Mitstreiter für die falsche Sache, dass man doch schon irgendwie richtig liegt und somit hat man den Suppenspucker wieder da wo man ihn haben will: am Rand.
Darum ist auch Vernetzung eminent wichtig, denn sobald man lokale Mehrheiten hat, und sei "lokal" nur beim Familienfest oder im Sportverein, ist es viel leichter, Umfaller zu erzeugen.