Ich war eben vom “Spaziergang” zurückgekommen, der am Fürstenzug vorbei und durch den Bogengang auf den Altmarkt zu geführt hatte. Die Rückkehr auf den dicht bevölkerten Neumarkt vor der Frauenkirche hatte durch ein Spalier aus Gegendemonstranten geführt – PEGIDA-Helfer standen mit schwarz-rot-goldenen Sichtblenden aus Stoff zwischen der letzten Reihe der Zuhörer und der ersten Reihe der Störer, und wieder war es so wie früher, wie vor fünf Jahren: Die Polizisten drehten der PEGIDA-Versammlung den Rücken zu, weil sie wußten, daß Gefahr nur von einer Seite drohte.
Nun war ich also an das Trassierband vor der kleinen Sicherheitszone getreten – man wartete auf den Hauptredner des Abends, auf Björn Höcke, für den es aus Sicherheitsgründen völlig ausgeschlossen war, am Spaziergang teilzunehmen oder sich “unter die Leute” zu begeben.
Während wir warteten, fragte mich der Ordner, ob ich nicht spontan noch etwas zu den Leuten sagen wollte – ich sei ja ewig nicht mehr in Dresden aufgetreten. Natürlich war das nicht ernst gemeint, aber ich dachte in den folgenden Minuten darüber nach, wie ich die Situation an diesem Abend beschreiben würde, wenn ich es vor dem Mikrophon würde machen müssen – jetzt, in diesem Augenblick.
Als mich der Ordner dann einlud, hinter die Absperrung zu treten und von der Leiter am Lautsprecherwagen aus einmal die ganze Szenerie von oben zu betrachten, war mir klar, daß ich, hätte ich das Mikrophon vor der Nase, diesen Abend als das beschreiben würde, was er tatsächlich war: eine Theateraufführung, ein Spektakel – ein Stück, das am 17. Februar 2020 zum zweihundertsten Mal angesetzt war und durch die Mitwirkung Höckes seine dramatische Zuspitzung erfuhr, und: seine Schematisierung.
Die Anfangsaufstellung ist seit Jahren dieselbe: Wir sehen den PEGIDA-Rednerwagen, die abgespannte Sicherheitszone und im Halbrund davor die Demonstrationsteilnehmer – das Ganze vor wechselnder Kulisse (mal vor der Frauenkirche, mal auf dem Altmarkt, seltener auf dem Opernplatz oder vor der Half-Pipe am Skaterpark).
Die Gegendemonstranten sind an normalen Montagen gar nicht mehr vorhanden, und bei früheren großen Versammlungen war man räumlich immer ordentlich weit voneinander getrennt. Diesmal war es anders: Die Antifa durfte bis auf fünf Meter anrücken und bildete hinter der PEGIDA-Menge so etwas wie den 1. Rang, die Tribüne. Das “breite Bündnis” aus CDU, FDP undsoweiter schloß sich nahtlos an und sperrte den Neumarkt von der Wilsdruffer Straße ab.
Man stand nicht wegen PEGIDA auf der Straße, sondern wegen Höcke bei PEGIDA, und das auf beiden Seiten. Es lohnte sich nämlich wieder einmal, dafür oder dagegen zu sein. Die Aufladung durch die Thüringer Ereignisse und die Fixierung auf Höcke mobilisierte diejenigen zuhauf, die bei solchen Spektakeln die Statisten abgeben und die Kulissen bevölkern: den Chor der Bürger, der Empörten, der Furien, der Gefangenen – Zusammenrottungen auf der Bühne, mit je eigenen Gesängen, Schlachtrufen und Masken.
Weil im Begriff “Schauspiel” das Wort “Spiel” steckt, muß ich nun eine Schleife drehen: Natürlich ist das alles kein Spiel, denn immerhin prallen an solchen Abenden (oder auch in den Parlamenten) einander grundsätzlich ausschließende Zukunftsentwürfe für unser Land aufeinander, und “grundsätzlich ausschließend” meint: Es wird extrem schwierig, mit denjenigen vom “breiten Bündnis” auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.
Das hat mich ins Grübeln gebracht. Nicht, daß wir hier nicht sowieso oft über die völlig verhärteten Fronten nachdächten – aber am Montag lag der Befund glasklar vor. Das war eine auf einem Platz arrangierte Ausgangslage voller Festschreibungen, Unterstellungen, Dialogunfähigkeit, Beschimpfungsritualen und rhythmischer Ausbrüchen.
Die Unvereinbarkeit, der Erfurter Eklat – das wurde noch einmal nachgestellt und durchgespielt, und man verkennt den Sinn solcher Inszenierungen, wenn ihre stabilisierende Wirkung übersieht. Nicht nur die PEGIDA-Spaziergänger vergewisserte sich am Montag ihrer Bedeutung und Daseinsberechtigung; das “breite Bündnis” zwang alle gegen den einen Gegner ins eigene Lager. Freund hier, Feind da – und dazwischen ein schmaler Korridor, der Riß, das Unüberbrückbare.
Das Stabile und das Stabilisierende erkennt man an solchen Abenden daran, daß nichts aus dem Ruder laufen kann – an der Routine in der Empörung, an einem fast schon lustlosen Rollenspiel. Die “Widerstand”-Rufe klangen nicht erwartungsvoll, nicht wie Brandungswellen am Atlantik, nicht nach etwas Wegspülendem, Mitreißenden, sondern wie der Wellentakt in aufkommendem Wind an einem Binnensee.
Als ich neben Andreas Kalbitz in den Spaziergang einbog und mit ihm über dies und das plauderte, während er ein paar Dutzend Hände schüttelte, war mir klar, daß wir uns nicht in einer virulenten Situation befänden. Alles war vorhanden: Sachsenfahnen, Wirmerfahnen, Israelfahnen, ein paar Sprechchöre, ein paar pfeifende Mittelfinger am Straßenrand, ein umschwärmter Sellner samt Kamerastange, dann der Gegnerkorridor, als wir wieder einbogen auf den Neumarkt, und Meinungsschilder, Meinungshemden, Meinungsfahnen.
Was aber nicht da war: eine Atmosphäre von Messers Schneide, und so war auch Höckes Ankunft im Sicherheitsfahrzeug und sein Fünfmeterweg auf die Bühne, umschwirrt von Personenschützern, eine hübsche Nebenszene, aber kein dramatischer Vorgang. Dieser Abend konnte schlechterdings nicht in einer Katastrophe enden, niemand würde überrannt werden, niemand angegriffen. Jeder hatte seine Rolle gefunden und konnte seinen Text.
Es gab weder für die noch für uns die Möglichkeit des Geländegewinns. Erstarrte Front. Der Vorstoß von Erfurt wird gerade abgefangen, das sieht man auch daran, daß nun irgendeine Staatsanwaltschaft Höckes Rede vom Montag zu prüfen beginnt, um aus dem Montagabend das letzte Tröpfchen Skandal zu pressen. Solche Nullmeldungen sind auf dem selben Niveau wie die Aufhebung einer Abgeordnetenimmunität: Man hat ja den Eindruck, die sei sowieso nur dafür da, dramatisch “aufgehoben” werden zu können.
Höcke in Dresden: Das war immerhin großes Theater und die Vergewisserung der Straße nach der Vergewisserung einer bereits punktuellen Wirkmacht im Parlament. Alles das gehört dazu, und irgendwann kommt dann wieder Bewegung in die verhärteten Fronten – muß ja.
Hartwig aus LG8
Ich reiste am Montag aus ungewohnter Richtung an, war zu spät, erschöpft und ohne Kontakt zu meinen Kameraden, von denen auch ein paar vor Ort waren. Ich hatte ein ähnliches Gefühl wie G.K.; ich fragte mich gar, ob "die Straße" wirklich der Ort sein wird, der in Zukunft den Unterschied macht. Grundsätzlich denke ich: nein.
Andererseits: Dresden ist in Deutschland wohl die einzige Großstadt, in der so etwas wie eine rechte Demo noch selbstverständlich möglich ist. Dank den Dresdnern und den Bewohnern des sächsischen Umlandes! Meine vorletzte PEGIDA-Demo 2018 hatte etwas von Volksfest; kaum sichtbare Polizei, Bier im Pfandbecher, Bratwurstbude, ... so wie das normalerweise auch sein müsste.
Ich, eigentlich ein Demo-Muffel, meine, dass Dresden von uns "gehalten" werden muss.