Das August-Gedicht: Am Baggersee

Manchmal, wenn im Sommer die Sonne scheint, fahre ich mit den Kindern an einen See. Es gibt zwei Möglichkeiten: Der eine...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

See kos­tet kei­nen Ein­tritt und liegt inmit­ten einer gro­ßen Wie­se, die zwei Mal im Jahr gemäht wird. Er ist tief und kühl, und die Anfahrt ent­lang einer auf­ge­ge­be­nen LPG wirft einen so ein biß­chen aus der Zeit.

Was man ver­zeh­ren will, muß man mit­brin­gen. Das ist am ande­ren See anders. Er kos­tet ab 17.00 Uhr nur noch einen Euro Ein­tritt, und es gibt eine Rut­sche, ein Was­ser­tram­po­lin und einen Kiosk. Die­ser Stütz­punkt ist so ange­legt, daß man wäh­rend des Ver­zehrs die Kin­der beob­ach­ten kann, die im Was­ser spie­len oder im schlam­mi­gen Sand Löcher gra­ben. Meist ist man nicht allei­ne am Aus­schank, son­dern kommt rasch ins Gespräch.

Der ande­re heißt Karl, er hat sich auch eine Fla­sche Ur-Kros­tit­zer rei­chen lassen.
“Also dann!”, sagt er.
“Gleich­falls!”, sage ich.
Wir trin­ken. Karl betrach­tet das Fla­schen­eti­kett und ist zufrieden.
“Mein Bier”, sagt er. “Ich mag den Gus­tav Adolf, und ich sag dir jetzt mal was: Ich glau­be, der hat hier auch schon gebadet.”
“Meinst du?”
“Hun­dert­pro­zen­tig. Er hat Quer­furt bela­gert, und dann ist er wie­der Rich­tung Mer­se­burg abge­zo­gen. Da muß er hier vor­bei, das hat er sich nicht ent­ge­hen lassen.”
“Aber das hier”, sage ich, “ist ein Baggersee.

Wir trin­ken still wei­ter. Ein Motor brüllt auf. Seit zwei Wochen wird am ande­ren Ufer des Sees gebag­gert. Das ist ver­wun­der­lich, denn auf die ande­re Sei­te darf man noch nicht ein­mal schwim­men, der sel­te­nen Vögel wegen. Und sie­he da: Ein Fisch­rei­her erhebt sich, schwingt sich auf eine Trau­er­wei­de und schaut dem Bag­ger zu. Dann streicht er ab und ver­schwin­det in Rich­tung Bundesstraße.

Karl schaut auf die Tisch­plat­te, dann schaut er mich an und sagt:

Die fischer über­lie­fern das im süden
Auf einer insel reich an zimt und öl
Und edlen stei­nen die im san­de glitzern
Ein Vogel war der wenn am boden fußend
Mit sei­nem schna­bel hoher stäm­me krone
Zer­pflü­cken konn­te – wenn er sei­ne flügel
Gefärbt wie mit dem saft der Tyrer-schnecke
Zu schwe­rem nied­rem flug erho­ben: habe
Er einer dunk­len wol­ke gleichgesehn.
Des tages sei er im Gehölz verschwunden
Des abends aber an den strand gekommen
Im külen win­des­hauch von salz und tang
Die süße stim­me hebend daß delfine
Die freun­de des gesan­ges näher schwammen
im meer voll gold­ner federn gold­ner funken.
So habe er seit urb­ginn gelebt
Geschei­ter­te nur hät­ten ihn erblickt.
Denn als zum ersten­mal die wei­ßen segel
Der men­schen sich mit güns­ti­gem geleit
Dem eiland zuge­dreht sei er zum hügel
Die gan­ze teu­re stät­te zu beschaun gestiegen
Ver­brei­tet habe er die gro­ßen schwingen
Ver­schei­dend in gedämpf­ten schmerzeslauten.

Am Kiosk geht die klei­ne Glo­cke. Karl beugt sich weit nach hin­ten und kriegt sei­ne Pom­mes zu fas­sen. Er schiebt sich gleich wel­che in den Mund und rückt die Scha­le in die Mit­te des Tisches, damit ich auch zugrei­fen kann.
“Geor­ge”, sagt er. “Der Herr der Insel.”
“Das Lieb­lings­ge­dicht von Gus­taf Adolf”, sage ich, und wir müs­sen bei­de lachen.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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