An der Grenze Europas

Als wir uns Anfang März entschlossen an die griechisch-türkische Grenze zu fahren, war von Beginn an nur eines klar:

Die­se Akti­on wür­de kein Defend Euro­pe 3.0 wer­den. Schließ­lich war die Lage eine ganz ande­re, hat­ten wir es doch dies­mal mit einem Staat zu tun, des­sen kon­se­quen­tes Han­deln sich grund­le­gend von jenen unbe­hol­fe­nen Reak­tio­nen der Jah­re 2015, 2016 und 2017 unter­schied. Damals hat­ten wir die Untä­tig­keit der Regie­run­gen ange­pran­gert und woll­ten bewei­sen: Es ist mög­lich, eine Gren­ze zu kon­trol­lie­ren, es ist mög­lich den Schlep­per­tä­tig­kei­ten der NGOs auf die Pel­le zu rücken.

Nun, im begin­nen­den Früh­ling 2020, ging es um etwas ande­res: Wir woll­ten uns soli­da­risch zei­gen und die Grie­chen vor allem sym­bo­lisch unter­stüt­zen – waren aber auch bereit, im Zwei­fels­fall im Rah­men unse­rer Mög­lich­kei­ten mit anzu­pa­cken. Zudem hat­ten wir Kame­ra-Equip­ment dabei, um die Situa­ti­on an der Gren­ze zu doku­men­tie­ren. Dabei war jedoch ein voll­kom­men neu­es Aus­maß an Fin­ger­spit­zen­ge­fühl gefragt: In unse­rem nor­ma­len modus ope­ran­di ist die Poli­zei zwar kein Feind, aber doch ein Geg­ner – oder sagen wir: ein Hin­der­nis, das es spie­le­risch und ohne Bos­haf­tig­keit zu umschif­fen gilt. Die­ses Mal ver­hielt es sich anders.

Die obers­te Prio­ri­tät, dar­in waren wir uns schon auf der Fahrt einig, lag dar­in, die Beam­ten und Grenz­sol­da­ten in ihrer Arbeit nicht zu behin­dern. Ein unge­wohn­ter Gedan­ke, an den wir uns erst gewöh­nen muß­ten; schließ­lich hat­ten wir in Deutsch­land die Poli­zei nicht nur, aber oft genug als aus­füh­ren­den Arm staat­li­cher Repres­si­on erlebt. Wie dem auch sei – nach den ers­ten Kon­tak­ten mit der grie­chi­schen Staats­macht soll­te uns die­se Über­le­gung wesent­lich leich­ter fal­len, doch dazu spä­ter mehr.

Unser Weg führt uns zuerst nach Bul­ga­ri­en, dort quar­tie­ren wir uns nach fast 30 Stun­den Fahrt in einem klei­nen Hotel ein, das unweit der Drei­län­der­gren­ze zwi­schen Grie­chen­land, Bul­ga­ri­en und der Tür­kei liegt. Beim Ein­kau­fen am nächs­ten Mor­gen das ers­te Kurio­sum der Rei­se: Im Super­markt fragt uns eine Mit­ar­bei­te­rin mit ver­schwö­re­ri­schem Grin­sen, ob wir Teil der Grenz­schutz­agen­tur „Fron­tex“ sei­en. Als ich ver­nei­ne, zwin­kert sie mir nur umso ver­schwö­re­ri­scher zu und geht ihres Weges.

Ohne grö­ße­re Schwie­rig­kei­ten gelan­gen wir kurz dar­auf durch die Paß­kon­trol­le am bul­ga­risch-grie­chi­schen Grenz­über­gang und sehen nach weni­gen Minu­ten den Grenz­fluß zum ers­ten Mal in der Fer­ne glit­zern. Kaum, daß wir das grie­chi­sche Staats­ge­biet betre­ten haben, ver­än­dert sich das Stra­ßen­bild: Hat­te in Bul­ga­ri­en ein fast schon roman­ti­scher „post-post-apo­ka­lyp­ti­scher“ (Phil­ip Tha­ler dixit) Charme vor­ge­herrscht, in wel­chem futu­ris­tisch anmu­ten­de Sowjet­bau­ten einen gleich­be­rech­tig­ten Platz neben auf der Auto­bahn fah­ren­den Pfer­de­ge­span­nen ein­nah­men, domi­nie­ren auf den Schnell­stra­ßen Nord­grie­chen­lands Poli­zei­fahr­zeu­ge und Armee­trans­por­te, die uns bald im Minu­ten­takt begeg­nen – der unzwei­fel­haf­te Geruch des Ernst­falls liegt in der Luft.

Unse­re ers­te Sta­ti­on nach dem Grenz­über­tritt ist, das war zu erwar­ten, eine grie­chi­sche Poli­zei­wa­che. Kaum haben wir die Auto­bahn ver­las­sen, wer­den wir von grie­chi­schen Zivil­fahn­dern (, die das auf­fäl­lig-unauf­fäl­li­ge Bauch­ta­schen­out­fit übri­gens mit ihren deut­schen Kol­le­gen tei­len) her­aus­ge­wun­ken und zur Per­so­nen­kon­trol­le aufs nächs­te Revier beglei­tet. Hier deu­tet sich bereits an, was in den nächs­ten Tagen zur Gewiß­heit wer­den wür­de: Es ist unmög­lich mit einem deut­schen Kenn­zei­chen auch nur in die Nähe des Grenz­zau­nes zu kom­men. Zu groß das Miß­trau­en und die Wut gegen­über jenem Schlag bun­des­deut­scher Journ­ak­ti­vis­ten, die sich wie Piran­has auf jeden uni­for­mier­ten Grenz­schüt­zer stür­zen und ihn bis zur Hand­lungs­un­fä­hig­keit mit ihren Tele­ob­jek­ti­ven behelligen.

Die ers­ten Reak­tio­nen der Beam­ten auf unse­re Anwe­sen­heit sind dem­entspre­chend eher ver­hal­ten. Man schätzt es zwar, daß wir durch halb Euro­pa gefah­ren sind, um unse­re Soli­da­ri­tät zu bekun­den, aber neben der Wut auf das Ver­hal­ten der deut­schen Pres­se, beschäf­tigt die Behör­den noch eine zwei­te Sor­ge: Es ist die Furcht vor aben­teu­er­lus­ti­gen Frei­schär­lern und Kri­sen-Hoo­li­gans, die durch unüber­leg­te Aktio­nen den Grenz­trup­pen scha­den könn­ten. Die Gefahr ist nicht ganz von der Hand zu wei­sen, zumal die grie­chi­sche Armee wohl kaum Ein­satz­or­te für etwa­ige Frei­wil­li­gen­trup­pen hätte.

Tat­säch­lich patrouil­lie­ren im Grenz­ge­biet bereits bis zu 4000 teils bewaff­ne­te Zivi­lis­ten, Land­wir­te und Anwoh­ner aus der Regi­on, die sich zu Mili­zen und Bür­ger­weh­ren zusam­men­ge­schlos­sen haben. All jene Migran­ten, die Poli­zei und Armee durch die Fin­ger gehen, sehen sich spä­tes­tens auf den Fel­dern der Bau­ern einem Pick-Up oder einem Trak­tor gegen­über, in des­sen Schein­wer­fer­licht man sie zum Anhal­ten zwingt, fest­nimmt und den Sicher­heits­kräf­ten übergibt.

Der ört­li­che Poli­zei­chef ent­läßt uns daher mit einer Bit­te und einem Ver­spre­chen: Falls wir Migran­ten begeg­nen, sol­len wir zu unse­rer Sicher­heit auf kei­nen Fall auf eige­ne Faust han­deln, son­dern unver­züg­lich die Poli­zei ver­stän­di­gen. Sei­ne Män­ner und er wür­den dafür Sor­ge tra­gen, daß kein ein­zi­ger Ille­ga­ler nach Euro­pa durch­kom­me. Wir sagen es ihm zu.

Nach die­ser ers­ten „Grenz­erfah­rung“ hal­ten wir Kriegs­rat und wägen unse­re Optio­nen ab: Im Raum ste­hen als mög­li­che Zie­le unter ande­rem die Inseln in der Ägä­is, ein per­sön­li­ches Tref­fen mit grie­chi­schen Patrio­ten in einer nahe­ge­le­ge­nen Groß­stadt und sogar ein Besuch an der bul­ga­risch-tür­ki­schen Gren­ze. Letzt­end­lich ent­schei­den wir uns für etwas ganz ande­res: Anstatt mit der Kame­ra (und ohne Pres­se­aus­weis) auf eine Recher­che­tour mit unge­wis­sen Erfolgs­aus­sich­ten auf­zu­bre­chen, blei­ben wir bei unse­rer akti­vis­ti­schen Kern­kom­pe­tenz: Der Pla­nung und Durch­füh­rung von poli­ti­schen Aktionen.

Wir stei­gen also wie­der ins Auto, bre­chen auf und beschlie­ßen vor­erst dem Grenz­fluß Rich­tung Süden zu fol­gen. Nach weni­gen Kilo­me­tern ent­de­cken wir zu unse­rer Rech­ten einen Steil­hang , der sich über der Grenz­au­to­bahn in Sicht­wei­te der Tür­kei erhebt. Kurz ent­schlos­sen fah­ren wir ab, und holen ein mit­ge­brach­tes Trans­pa­rent aus dem Kof­fer­raum. Noch wäh­rend wir aus dem Auto stei­gen hält in weni­gen Metern Abstand eine Mili­tär­pa­trouil­le an, nach kur­zem Zögern stei­gen die Sol­da­ten mit fins­te­ren Gesich­tern aus und beob­ach­ten das Geschehen.

Nach­dem sie sehen, daß einer von uns eine Grie­chen­land­fah­ne in der Hand hält, ent­span­nen sich ihre Züge, ein Sol­dat gibt einen Funk­spruch durch, ande­re fan­gen an zu grin­sen und holen ihre Smart­phones raus, um unse­re Akti­on zu fil­men. Als wir das Ban­ner auf der Anhö­he ent­rol­len recken die Sol­da­ten den Dau­men nach oben, auf der Schnell­stra­ße dros­seln die Auto­fah­rer die Geschwin­dig­keit, um unser Trans­pa­rent zu lesen – unter freu­di­gem Hupen fah­ren sie wei­ter. Auf dem Trans­pa­rent steht „NO WAY – You will not make Euro­pe your home“ – ein Slo­gan, der hier am Rand Euro­pas kei­ner Erklä­rung bedarf.

Auf dem Rück­weg zu den Autos sehen wir, daß die Sol­da­ten noch immer an ihrem Jeep ste­hen – in Erwar­tung einer wei­te­ren Kon­trol­le tas­ten wir nach unse­ren Aus­wei­sen. Doch kaum sind wir hei­le unten ange­kom­men stei­gen die Uni­for­mier­ten ein und fah­ren unter Hupen und Win­ken davon – „take care“ ruft uns einer von ihnen noch zu. Offen­bar hat­te die Ein­heit bloß ein Auge dar­auf gehabt, daß wir siche­ren Fußes wie­der die Stra­ße erreichen.

„Paßt auf Euch auf“, die­ser stets ernst­ge­mein­ten und mit einem freund­schaft­li­chen Lächeln vor­ge­tra­ge­ne Rat wird uns in fast jedem Gespräch mit den Grenz­schüt­zern begeg­nen. Über­haupt ver­lau­fen die­se Unter­hal­tun­gen stets ähn­lich und auf eine Art und Wei­se wie sie für jeman­den, der bun­des­deut­sche Ver­hält­nis­se gewohnt ist, nur schwer vor­stell­bar ist: Zuerst pro­fes­sio­nel­le Rup­pig­keit beim Blick auf das deut­sche Kenn­zei­chen oder den Aus­weis, anschlie­ßend kur­ze Inau­gen­schein­nah­me des Kof­fer­raums, dabei ers­tes Gespräch über den Grund unse­rer Anwesenheit.

Sobald wir erzäh­len, wes­halb wir in Grie­chen­land sind: Ungläu­bi­ges Grin­sen, dann herz­li­ches Lachen, Schul­ter­klop­fen, Rück­ga­be der Aus­wei­se, ent­spann­ter Plausch über die poli­ti­sche Lage. In Erin­ne­rung geblie­ben ist mir vor allem ein Zusam­men­tref­fen mit einer Strei­fen­wa­gen­be­sat­zung, die ihrer­seits den Kof­fer­raum öff­ne­te, wäh­rend wir ihr unser Ban­ner zeig­ten und anfing Süßig­kei­ten und Sand­wi­ches an die Akti­vis­ten aus­zu­ge­ben. Als wir ihnen für ihren Ein­satz dan­ken heben sie beschwich­ti­gend die Hän­de und sagen „No, we thank you for coming here and show­ing your sup­port!“ Wirk­lich: Wir haben bei den Sicher­heits­kräf­ten in Grie­chen­land ein patrio­ti­sches Selbst­ver­ständ­nis erlebt, wie es sich die Öffent­lich-Recht­li­chen in ihren kühns­ten Alp­träu­men nicht aus­ma­len könnten.

Auch in den Gesprä­chen mit den Ein­woh­nern der Grenz­re­gi­on zeigt sich die­ses Selbst­be­wußt­sein und doch ist der grie­chi­sche Patrio­tis­mus ein ande­rer als der des durch­schnitt­li­chen AfD-Wäh­lers. Obgleich im Nach­gang der Euro-Kri­se sicher anders zu erwar­ten wäre, ver­ste­hen sich die Grie­chen als Euro­pä­er – „Wir schüt­zen nicht nur unse­re Gren­ze, wir schüt­zen auch Eure Gren­ze“ ver­si­cher­te man uns immer wie­der auf Nachdruck.

Immer wie­der beton­ten die Ein­woh­ner auch, daß sich die momen­ta­ne Migra­ti­ons­la­ge stark von jener im Jahr 2015 unter­schei­de. „2015 haben wir gern gehol­fen, wir haben die Men­schen, die Flücht­lin­ge waren, gern auf­ge­nom­men“ ver­si­cher­te uns ein Poli­zei­be­am­ter. Aber das Land habe sich durch die Ein­wan­de­rung stark ver­än­dert und die EU habe Grie­chen­land an der Außen­gren­ze Euro­pas allein gelas­sen. Aus der Ver­bit­te­rung über die­sen Ver­rat der EU wächst der Trotz mit dem sich die Gren­zer nun den Aggres­sio­nen der Tür­kei entgegenstellen.

Unser Weg führt uns indes wei­ter nach Süden in die beschau­li­che Hafen­stadt Kava­la an der grie­chi­schen Mit­tel­meer­küs­te. Obgleich nicht direkt im Grenz­ge­biet gele­gen bie­tet sie doch einen guten Aus­gangs­punkt für unse­re Akti­vi­tä­ten: Wer auf die ägäi­schen Inseln rei­sen möch­te, kann hier eine Fäh­re bestei­gen, außer­dem ver­fügt die Stadt über einen Flug­ha­fen und Auto­bahn­an­bin­dun­gen, die uns bei Bedarf schnell zu unse­ren grie­chi­schen Vor­ort­kon­tak­ten brin­gen können.

In der Stadt ange­kom­men begin­nen wir direkt mit den Pla­nun­gen für die kom­men­den Tage. Längst ist klar, daß wir den Beam­ten an den Grenz­über­gän­gen kei­ne Hil­fe sein wer­den, wenn wir uns mit einem Ban­ner vor die Kame­ras der Jour­na­lis­ten drän­gen, oder ver­su­chen Fotos von maro­die­ren­den Migran­ten­grup­pen zu schie­ßen. Zu groß ist die Sor­ge der Behör­den durch „Fake News“ in ein schlech­tes Licht gerückt zu wer­den – es sind die Tage in denen im Netz die ers­ten tür­ki­schen Vide­os von ange­schos­se­nen Migran­ten kur­sie­ren. „Im Moment ist die Lage sehr ange­spannt, aber bit­te kommt in ein paar Wochen wie­der, wenn sich hier alles etwas beru­higt hat“ – so drückt es einer der dienst­ha­ben­den Poli­zis­ten im per­sön­li­chen Gespräch aus.

Nach eini­gem hin und her nimmt schließ­lich ein Plan Gestalt an: Da eine direk­te Unter­stüt­zung der Grenz­kräf­te kei­ne Opti­on ist, ent­schlie­ßen wir uns mit einer sym­bo­li­schen Soli­da­ri­täts­ak­ti­on ein Zei­chen zu set­zen und die Gren­zer mit klei­nen Ver­sor­gungs­pa­ke­ten zu beschen­ken. Als Akti­vis­ten wis­sen wir, daß ein gutes Wort, ein selbst­ge­ba­cke­ner Kuchen, oder ein klei­nes Geschenk einen unschätz­ba­ren Wert haben kön­nen – die­se Erfah­rung, die wir oft machen durf­ten, wol­len wir nun mit den Sol­da­ten und Poli­zis­ten teilen.

Die Vor­be­rei­tung dau­ert eini­ge Tage: Zuerst gilt es ein gelän­de­gän­gi­ges Miet­au­to auf­zu­trei­ben, um die teils aben­teu­er­li­chen Schot­ter­pis­ten im kar­gen Grenz­ge­biet sicher bewäl­ti­gen zu kön­nen. In der ört­li­chen Dru­cke­rei las­sen wir eini­ge Pos­ter mit der Auf­schrift „Vol­un­t­a­ry Bor­der Cate­ring” und auf Grie­chisch “Dan­ke Grie­chen­land!“ anfer­ti­gen, die wir auf dem Jeep anbrin­gen. Bei der Abho­lung des Mate­ri­als am Fol­ge­tag auch hier wie­der das gewohn­te Bild: Wis­sen­des Lächeln, Augenzwinkern.

Am Akti­ons­tag besor­gen wir – nach einem früh­mor­gend­li­chen Abste­cher ins märz­küh­le Mit­tel­meer – die Vor­rä­te: Ener­gy­drinks, Scho­ko­la­de, Knab­ber­zeug und Ziga­ret­ten – Ner­ven­nah­rung für die Grenz­trup­pen und ihre Kol­le­gen im Hin­ter­land. Auf Grund­nah­rungs­mit­tel ver­zich­ten wir, weil wir aus den Berich­ten der Sicher­heits­kräf­te wis­sen, daß sie von der Bevöl­ke­rung mit Was­ser und Pro­vi­ant qua­si über­häuft wer­den. Bestückt mit einer Grie­chen­land- und einer Deutsch­land­fah­ne machen wir uns anschlie­ßend wie­der auf den Weg nach Nor­den; unser Ziel ist die Grenz­re­gi­on am Fluß Evros, in der wir schon zu Beginn unse­rer Rei­se unter­wegs waren.

Den gan­zen Tag fah­ren wir dort umher, klap­pern Stra­ßen­sper­ren und Wach­tür­me ab und bie­ten den Sol­da­ten Lecke­rei­en an. Was am Ende noch übrig ist, das brin­gen wir unter den freu­di­gen Bli­cken der dienst­ha­ben­den Beam­ten in eine grenz­na­he Poli­zei­wa­che. Auch dort ver­ab­schie­den sich die Poli­zis­ten mit Hand­schlag und väter­li­chem Schul­ter­klop­fen und wie­der tau­schen wir mit ihnen unzäh­li­ge Male die wich­tigs­te Grie­chisch­vo­ka­bel aus, die wir uns bei unse­rem kur­zen Auf­ent­halt ange­eig­net haben: ευχαριστώ – Danke!

“euro­pa­ra­di­kal” in Akti­on: Till-Lucas Wes­sels am Grenz­über­gang in Kastanies

Am Abend tref­fen wir im klei­nen Grenz­ort Kas­ta­nies ein. Dort, in Hör­wei­te jenes gro­ßen Migran­ten­camps, das die Fern­seh­bil­der die­ser Tage bestimmt, sind wir mit einem bri­ti­schen Jour­na­lis­ten zum Inter­view ver­ab­re­det. Es ist eine selt­sa­me Atmo­sphä­re: Waren wir bis­her bei jedem Ver­such auch nur einen Blick auf die Grenz­an­la­gen zu erha­schen von Sol­da­ten oder Poli­zis­ten ange­spro­chen wor­den, so herrscht aus­ge­rech­net hier am der­zeit berüch­tigs­ten Grenz­über­gang Euro­pas ein bei­na­he laxer Umgang vor: Kei­ne Foto­be­schrän­kun­gen, kaum Poli­zei, kei­ne Aus­weis­kon­trol­len, nur ein gran­ti­ger Tank­stel­len­be­sit­zer, der die Kame­ra­leu­te wie läs­ti­ge Flie­gen ener­gisch von sei­nem Grund­stück scheucht.

Im Licht der Stra­ßen­la­ter­nen drän­gen sich gelang­weil­te Jour­na­lis­ten wäh­rend in der Fer­ne unver­kenn­bar Warn­schüs­se knal­len, alle paar Minu­ten pas­siert ein Mili­tär­kon­voi oder ein Feu­er­wehr­fahr­zeug den Schlag­baum. Auf einem Las­ter wer­den gan­ze Sta­chel­draht­ver­haue Rich­tung Gren­ze trans­por­tiert, nach­dem die Migran­ten sich meh­re­re Näch­te in Fol­ge mit Bol­zen­schnei­dern an den Grenz­be­fes­ti­gun­gen zu schaf­fen gemacht haben. Unser Gespräch mit dem Jour­na­lis­ten dau­ert nicht lang. Er berich­tet, daß ein direk­ter Zugang zur Gren­ze selbst mit Pres­se­aus­weis kaum mög­lich sei. Nach Lust und Lau­ne wür­den Jour­na­lis­ten gele­gent­lich in die Sperr­zo­ne vor­ge­las­sen – sel­ten jedoch län­ger als 10 Minu­ten. Eine Vier­tel­stun­de spä­ter befin­den wir uns auf dem Weg in unse­re Unter­kunft – am nächs­ten Mor­gen bre­chen wir wie­der Rich­tung Deutsch­land auf.

Wir fah­ren zurück mit gemisch­ten Gefüh­len: Einer­seits waren wir erfolg­reich, haben die Bot­schaft unse­rer Soli­da­ri­tät über­bracht und gera­de jenen Grie­chen, die im Moment am meis­ten Grund haben an einer euro­päi­schen Gemein­schaft zu zwei­feln, gezeigt: Es gibt auch in Deutsch­land Men­schen, die Euren Ein­satz aner­ken­nen, die dank­bar sind, für das was Ihr auf Euch nehmt und die Euch dabei hel­fen wol­len. Ande­rer­seits bleibt die bit­te­re Erkennt­nis: Ein paar Tafeln Scho­ko­la­de und eine Stan­ge Ziga­ret­ten wer­den wenig aus­rich­ten kön­nen, wenn es wirk­lich drauf ankommt. Viel­leicht sind wir nicht das letz­te Mal runtergefahren.

Wenn es indes einen Augen­blick gibt, der mir von die­ser unse­rer Grenz­fahrt in Erin­ne­rung blei­ben wird, dann ist es die­ser: Auf dem Weg nach Nor­den begeg­ne­ten wir am Akti­ons­tag einem Mili­tär­trans­port, der offen­bar mit dem­sel­ben Ziel unter­wegs war wie wir. Als wir den offe­nen Last­wa­gen pas­sier­ten, hiel­ten wir eine Grie­chen­land­fah­ne aus dem Fens­ter – die Sol­da­ten sahen es, reck­ten die Dau­men nach oben und lach­ten; ein paar Sekun­den lang fuh­ren wir neben­ein­an­der, dann über­hol­te unser Fah­rer und fuhr wei­ter. In die­sem kur­zen Moment jedoch fühl­ten wir eine tie­fe Ver­bun­den­heit mit den Män­nern, die da in Uni­form und mit dem Gewehr auf dem Schoß nach der Gren­ze fuh­ren: Das waren unse­re Leu­te. Sie waren auf dem Weg an unse­re Gren­ze um sie zu hal­ten und wir wink­ten ihnen nach, wie wir unse­ren Brü­dern nach­win­ken wür­den. Es stimmt: Euro­pa brennt dun­kel in ver­we­ge­nen Hir­nen, aber in die­sem Moment leuch­te­te es hell inmit­ten der wil­den Ber­ge Makedoniens.

– –

Till-Lucas Wes­sels ist nicht nur Kolum­nist bei Sezes­si­on im Netz, son­dern auch Autor der kon­zi­sen Streit­schrift euro­pa­ra­di­kal. Wer sich mit euro­päi­schen Ansät­zen »von rechts« beschäf­tigt, wird an die­sem kapla­ken-Band nicht vor­bei­kom­men. Hier lie­fer­bar!

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (16)

Laurenz

19. März 2020 13:24

Zugegeben, als ich den Beitrag las, stieg in mir der Wunsch hoch, gerne dabei gewesen zu sein. Aber ein alter weißer Mann, wie ich, hätte die junge Truppe wohl nur aufgehalten.
Interessant am Beitrag war ebenso, daß der Grenzschutz symmetrisch stattfindet, ziemlich schwierig zu organisieren in einer Zeit, in der alles nur asymmetrisch ausgefochten wird.

Den Griechen Solidarität im Abwehrkampf gegen asiatische und afrikanische Horden zu zeigen, ist ok, und zeugt von historischem Bewußtsein. Ist aber auch gar zu blöd, daß diese Horden einfach nicht den Relotius gelesen haben und die Belanglosig- und Unverbindlichkeit der Welt-Staatsrats-Vorsitzenden nicht wahrhaben wollen.
Unser griechischen Freunde veranstalten seit 1981 eine Sause auf Kosten der EU, seit 2001, bzw. 2003 schrieb man direkt alles auf den Deckel der europäischen Freunde weiter oben im Norden. Daß der schnöde Mammon nur solange fließt, wie man spurt und die Klappe hält, scheint den Griechen jetzt klar geworden zu sein. Früher floß die Kohle einfach so und jetzt soll man das 2te türkische Migranten-Stadl in Griechenland etablieren.
Die Türken besitzen Istanbul/Byzanz nun schon 567 Jahre, davor waren dort über 1.000 Jahre die Orthodoxen die Herren des Bosporus. Daß Pest und der ewige Krieg mit der anderen lokalen Hochkultur Persien zum Untergang durch die Muselmanen führte, scheint zumindest den intelligenten Orthodoxen nicht unbekannt zu sein. Die häufig versuchte Rückeroberung wurde durch den "Westen" immer wieder verhindert. Das scheint nun auch in breiteren Bevölkerungs-Schichten in Ost- und Südost-Europa ins Bewußtsein gedrungen zu sein. Mehr Sicherheit wird es für die dortigen Völker erst wieder dann geben, wenn das Byzantinische Reich seine einstige Hauptstadt zurückerobert hat. Und zum Glück der europäischen Völker wird der Einhalt-gebietende Westen immer schwächer.

Ottokar Vondrejc

19. März 2020 13:46

Spätestens beim letzten Satz begannen sich Tränen ihren Weg durch das Dickicht meines Innern zu kämpfen.
Großartige Reportage!

GuntherManz

19. März 2020 19:01

Mir gefallen ihre Beiträge sehr ! Da steckt immer viel Herzblut drin. Spontan kamen mir die ewigen "300" in den Sinn, auch wenn sich das nie und nimmer gleichsetzen lässt.
Da ich eine zahlreiche Familie versorgen muß, kann ich an solchen Aktionen nicht teilnehmen; das ist jetzt aber so eine Aussage wie z.B: "Ich muß noch dringend den Gartenweg teeren".
Ich wünsche Ihnen viel Glück und Erfolg bei ihren Unternehmungen, und daß Sie alle immer unverletzt heimkehren mögen.

Lotta Vorbeck

19. März 2020 20:23

@Ottokar Vondrejc - 19. März 2020 - 01:46 PM

Spätestens beim letzten Satz begannen sich Tränen ihren Weg durch das Dickicht meines Innern zu kämpfen.
Großartige Reportage!

~~~~~~~~~~

Das geht nicht nur Ihnen so, lieber @Ottokar Vondrejc!

Solche, mentale Kraft spendenden Aktionen sind das Privileg der ungebundenen Jugend.

Zwei während der Aktion entstandene Photos:

+ Gruppenphoto mit Banner

https://www.fr.de/bilder/2020/03/06/13583165/123245263-identitaere-bewegung-posiert-nach-eigenen-angaben-grenze-griechenland-tuerkei-UrHP3KEVma6.jpg

+ Martin Sellner am Hang zur Schnellstraße mit Griechenlandflagge

http://archive.fo/K6TwU/25f7d4e6596d0ae574c420ea975538cdec2fbaa7.jpg

Franz Bettinger

20. März 2020 00:03

Vielen Dank, Herr @Wessel, für ihre Aktion und diesen Beitrag! Was Sie berichten, macht Mut und gibt Hoffnung, dass sich nun doch endlich etwas ändert, zumindest in Griechenland. Früher waren es armselige, junge Albaner, die in kleinen Gruppen - immer an den Flüssen, vor allem dem abenteuerlichen Aoos entlang - illegal die Grenze zu Griechenland überschritten und offiziell zwar "abgelehnt" wurden, aber als billige Arbeitskräfte überall in den Dörfern gern Verwendung fanden. Mit den „neuen aggressiven und arroganten durchreisenden Migranten“ (so ein gr. Paddel-Freund) aber verhält es sich ganz anders. "Und arbeiten? Wollen die schon gar nicht.“ Einen Fluss, auch ein reißendes Wildwasser, zu durchqueren, war damals für diese jungen Albaner übrigens ein Klacks. Aber die hatten auch keine Handys, die nass werden könnten.

AndreasausE

20. März 2020 00:11

Im Geiste jung geblieben, im Geiste dabeigewesen!

Meine Hochachtung, für Text und Aktion - einfach klasse!

Andreas Walter

20. März 2020 02:40

Gute Nachrichten. Auch gut beschrieben und geschrieben. Ja, in Griechenland gibt es eben weniger privilegierte Spinner und verzogene Snowflakes als in Deutschland. Die haben auf den bösen Spuk mit den ******* darum auch keinen Bock mehr. Die Griechen sollten daher Freiwilligen-Bataillone einrichten, in denen auch jeder Europäer der das möchte eine Zeit lang dienen kann. Damit es später nicht heisst, auch wir Deutschen würden die Drecksarbeit der Peripherie Europas überlassen. Wobei man auch jede Drecksarbeit humanisieren kann, für alle die es betrifft. Sowohl für die Grenzüberschreiter (Aggressoren) wie auch für die Grenzbewahrer (Defensoren). Denn wer sich nicht wehrt, der lebt auch verkehrt. Das hat sogar Verdi bereits begriffen:

https://mmm.verdi.de/tarife-und-honorare/wer-sich-nicht-wehrt-der-lebt-verkehrt-52305

Mikrowellen lassen sich übrigens auch auf dem Meer einsetzen, fiel mir gerade ein. Damit lassen sich sogar Piraten in den Griff bekommen. Muss also nicht immer Blei-, Stahl- oder abgereicherte Uranmunition sein, oder solche aus Wolfram, mit der man nämlich immer bleibende Schäden verursacht. Um so etwas hätte die EU sich daher kümmern müssen:

https://youtu.be/kzG4oEutPbA

Andreas Walter

20. März 2020 07:39

Sehr schön, dass sich zumindest manche Dinge jetzt ganz von selbst klären:

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/grenzschliessung-der-tuerkei-coronavirus-als-willkommener-anlass-16686861.html?service=printPreview

Kriemhild

20. März 2020 08:57

Ihr seid die 12 oder 13 Aufrechten aus dem "Heerlager der Heiligen". Die Mehrheit der Deutschen denkt völlig anders: sie haben Platz, wollen sich als Volk auflösen, in Gottes Namen keine Deutschen mehr sein und sich liebend gerne von neuen Herren überwältigen lassen.

Gelddrucker

20. März 2020 09:29

@Kriemhild:

Das denkt die Mehrheit wahrscheinlich auch in Deutschland nicht:

https://wewereneverasked.co.uk/survey

Laurenz

20. März 2020 12:19

@Kriemhild ... die Mehrheit denkt gar nichts, und wenn doch, rein materiell und gerade Deutsche selten völkisch. Das Land reicht im Bewußtsein gerade bis zur Grenz-Hecke zum Nachbarn. Und wenn ein fremder Zweig auf das eigene Grundstück wächst, gibt es Ärger.
Von daher muß man wissen, welches Volk man mit all seinen Schwächen liebt und für das man bereit ist, zu sterben. Von daher, schrauben Sie,
Kriemhild, vielleicht Ihre Erwartungen etwas herunter, dann werden Sie auch weniger enttäuscht.

Der_Juergen

20. März 2020 12:40

Herrn Wessels und seinen Kameraden sei für diese Aktion ebenso gedankt wie für den Artikel, der Mut macht.

Cugel

21. März 2020 13:17

@Kriemhild, Gelddrucker, Laurenz
Laurenz' ernüchternde Einschätzung ist leider nicht von der Hand zu weisen (sein Gartenzaunbeispiel entspricht meiner Erfahrung), der Materialismus reißt wie auch die Ideologie selbst Familien auseinander. Mir sind da schon durchaus garstige Dinge untergekommen. Wir sollten uns aber immer bewußt sein, daß die Antideutschen durch den medialen Verstärker wirken. Die sind nicht so zahlreich, wie man uns weismachen will. Die "Wir sind mehr"-Propaganda klingt bemüht und hohl. Insofern stimme ich Gelddrucker zu, dem ich für seinen Hinweis auf die britische Umfrage danke, die auch das Altersgefälle bei der Akzeptanz der Massenimmigration zeigt. Die Entgrenzungsmafia setzt mit Erfolg auf die Macht der Unerfahrenheit und der Gewöhnung. Gerade den Jungen gilt es klarzumachen, daß die Zustände nicht immer so waren wie heute, daß das nicht der Normalzustand ist, schon garnicht ein erstrebenswerter. Meinem Eindruck nach sind wir dabei nicht ohne Erfolg.

Laurenz

21. März 2020 20:22

@Cugel .... mitnichten, die Merkel-Front überholt uns Rechte im Deutsch-Sein ganz weit rechts außen. Ich gebe Ihnen ein greifbares Beispiel. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Diese imperialistische Hybris erfahre ich jeden Tag. Wenn die Protagonisten der Merkel-Front "Europäische Lösungen" zB in der Asyl-Poltik fordern, sollten wir grundsätzlich auf jeder politischen Ebene zustimmen. Stellen Sie die Frage, wie dieses Europäische Asylrecht denn aussehen soll? Die Antwort ist, "wir müssen unsere europäischen Freunde überzeugen". Unsere Antwort sollte lauten, "es wird aber umgekehrt laufen, die Europäer werden sich gegen uns durchsetzen".
Wie sagt mir einst ein polnischer Gärter, "früher marschierten die Deutschen mit Panzern ein, heute mit der Moral."
Diese deutschen Sendungs-Hybris ist auch keine Frage von rechts oder links. Hier handelt es sich um einen Volks-Charakter-Fehler.

Kriemhild

21. März 2020 22:03

@ Laurenz: das haben Sie vollkommen richtig erkannt. Und aus gesunder Abneigung gegen diese deutsche Hybris haben die Engländer die EU verlassen. Am 18.03. war dazu in www.sendbriefe.org zu lesen: "Ein Land allerdings hat der Europäischen Union den Rücken gekehrt, weil es – wie Nigel Farage immer wieder betonte – nicht in einem „German-dominated Europe“ leben wollte, dessen polit-ökonomisch hegemoniale Macht sich seit 2015 „wie ein Hippie-Staat“ (Anthony Glees) geriert. Indem England den Brexit realisiert, zieht sich dasjenige Land aus der EU zurück, das seit jeher das politisch begabteste und urteilsfähigste in Europa war. Dass ausgerechnet die Engländer, die eine in Jahrhunderten fein gesponnene Kultur der politischen Klugheit und Realitätstüchtigkeit entwickelt haben, nun die EU verlassen, ist ein ebenso alarmierendes wie Unheil verheißendes Zeichen."

Laurenz

22. März 2020 21:10

@Kriemhild ..... grundsätzlich gebe ich Ihnen Recht. Aber ganz so toll sind die Briten auch nicht. Eine Bildungs-Mittelschicht war dort immer dünn gesät. Akten werden dort nicht erst seit den Weltkriegen ununterbrochen geschwärzt. Der imperiale faschistoide Ansatz schlägt grundsätzlich durch. Die Gründungs-Mitglieder der Bank von England sind schon seit 1694 nicht veröffentlicht.

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.